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Job-Vermittlung am Stammtisch

Sie sind jung, sie sind kreativ - und sie geben nicht auf: Multimedia-Experten, die durch die Krise der New Economy ihren Job verloren haben. Die arbeitslosen Programmierer und Webdesigner wissen sich zu helfen: Sie gründen private Netzwerke, um sich über Wasser zu halten. Mega-Partys und Events zur Job-Vermittlung sind out. Heute geht man zum Multimedia-Stammtisch, um zu hören, wo gerade eine Stelle frei geworden ist. Denn in der IT-Branche werden Angebote kaum noch öffentlich ausgeschrieben

    Von Jens Rosbach.

    Wir treffen uns einmal im Monat in Berlin, uns um uns gemeinsam auszutauschen, was es für Neuigkeiten aus der Multimediabranche gibt. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren arbeitslos, in erster Linie geht es mir darum, den Kontakt nicht zu verlieren und zu gucken, wo es eventuell neue Jobs gibt. Jeder hat ja da immer Informationen. Außerdem denke ich, dass Netzwerke momentan unheimlich wichtig sind, dass man viele Leute kennt und weiß, wo etwas läuft. Da kann man sich hier prima austauschen, finde ich.

    Es war ein Schock. Im vergangenen Jahr ging die Multimediafirma "Virtual Heaven" plötzlich pleite. Auf einen Schlag standen 80 Computerfreaks auf der Straße. Es war Februar, und es war kalt, und man setzte sich in eine Kneipe: Die Geburtsstunde des Berliner Virtual-Heaven-Stammtischs. Seitdem treffen sich die ehemaligen Kollegen regelmäßig, um sich unter die Arme zu greifen. Beispiel: Karsten, 34, hat wieder einen Job in einem Verlag gefunden – und dort sofort die Ohren für seine Leute gespitzt.

    Ich habe intern davon gehört, dass bei uns ein Grafiker kündigt und dann sofort die Chefin gefragt, ob es da nicht eine Stellenausschreibung gibt. Dabei habe ich sofort an unser damaliges Team gedacht.

    Christiane, 38 Jahre alt und auf Jobsuche, erzählt:

    Über den Mail-Verteiler unseres Stammtisches hat Karsten eine Mail an alle geschickt, wer Interesse hat, soll sich dort bewerben, für Web-Design.

    Schnell hatte sie ihre Unterlagen eingereicht.

    Das hat geklappt, aber dann habe ich es trotzdem vergeigt. Es war ein sehr anstrengendes Bewerbungsgespräch, es kam sogar zum zweiten Termin und, ja, da bin ich ein bisschen abgeknickt.

    Programmierer Daniel hat inzwischen eine eigene Firma gegründet und seinem Stammtisch-Kumpel Lutz – der sich mit verschiedenen Projekten gerade so über Wasser hält - einen Auftrag vermittelt. Ganz ohne Provision.

    Ich habe überhaupt keine Provision verlangt, weil das in der Situation, sagen wir mal, ein Freundschaftsdienst war. Genauso wie ich halt darauf hoffe, dass gegebenenfalls auch jemand mal an mich denkt. Das ist ein Geben und Nehmen. Das ist genau, wie Netzwerke funktionieren.

    Meike Jäger von der Gewerkschaftsinitiative Connex bilanziert: Multimedia-Stammtische sind gefragt.

    Mein Eindruck ist, dass die Leute wieder viel enger zusammenrücken. Es ist alles etwas ernster geworden.

    Connex organisiert selbst Online-Treffen in Berlin und Hamburg - und auch in München soll bald ein Selbsthilfe-Projekt starten. Denn die Zeit der großen New-Economy-Events - die auch immer gerne als Jobbörse benutzt wurden - ist vorbei. Selbst die sogenannten Pink-Slip-Partys liegen derzeit brach. Diese Partys sollten eigentlich arbeitslose IT-ler und Jobanbieter ganz ungezwungen zusammenbringen. In Amerika klappt das, in Deutschland weniger.

    Für die Leute ist es schon unangenehm, als Loser aufzutreten. Das ist ja eine Branche, die davon lebt, dass man hip ist, dass man in und dass man locker ist. Dann aber zu einer Veranstaltung zu gehen und zu sagen: 'Hey Leute, ich habe keinen Job mehr, und ich finde auch so schnell keinen, habt ihr etwas für mich?' Das ist einfach eine total unangenehme Geschichte für die Leute.

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    Tipps und Beratung für Medienschaffende gibt es von der Gewerkschaft ver.di unter www.connexx-av.de

    Bei smarterwork.com kann man Multimedia-Aufträge regelrecht ersteigern. Wer seine Dienste dort am billigsten anbietet, bekommt den Zuschlag vom jeweiligen Projektträger.

    Branchenfreaks mit Hang zum Morbiden, die die neuesten Gerüchte über Firmenpleiten und drohende Insolvenzen lesen wollen, klicken auf dotcomtot.de.

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