Eine Folge der Konjunkturkrise. Die akute Wachstumsschwäche der Wirtschaft macht die rot-grünen Anfangserfolge an der Beschäftigungsfront zunichte. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, in den nächsten Monaten wird sich die Jobmisere weiter verschärfen.
Über vier Millionen Menschen werden in diesem Winter ohne Arbeit sein, vermutlich sogar 4,2 Millionen und möglicherweise noch mehr. Zwar hofft die Bundesanstalt für Arbeit auf milde Witterung, damit der Anstieg nicht so hoch ausfällt. Aber viele Unternehmen, die derzeit Personal abbauen, kümmert das Wetter wenig.
Allein im Geldgewerbe gehen in nächster Zeit insgesamt 100.000 Arbeitsplätze verloren, vor allem bei den Großbanken. Die Dauerkrise auf dem Bau könnte weitere 100.000 Jobs kosten. Im Handwerk wiederum gelten 200.000 Stellen als stark gefährdet.
Die Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt beunruhigen. Natürlich auch die rot-grüne Regierung. Schließlich will sich Kanzler Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl im September an seiner Bilanz in der Beschäftigungspolitik messen lassen. Schon heute ist jedoch klar, dass die Hoffnungen auf einen deutlichen Abbau von Arbeitslosigkeit vergeblich sein werden.
Das missfällt auch in den eigenen Koalitions-Reihen. Zum Beispiel Ottmar Schreiner. Der SPD-Bundestagsabgeordnete führt die einflussreiche Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD an. Und Schreiner sagt:
Die Situation ist absolut unbefriedigend. Die Regierung hat ja ihrerseits sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen zu drücken. Dieses Ziel ist erkennbar nicht mehr zu erreichen.
Dabei schien es lange, als wäre die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich geschafft. Drei Jahre lang, von 1998 bis Anfang 2001, erlebte Deutschland einen stabilen Aufschwung mit solidem Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosenquote fiel von durchschnittlich über zehn Prozent auf rund neun Prozent. Zugleich stieg die Zahl der erwerbstätigen Bundesbürger um gut eine Million.
Alle Ökonomen waren überzeugt, dass es auch 2001 auf dem Wachstumspfad voran gehen und die Arbeitslosigkeit deutlich schrumpfen werde. Und diese Prognosen sind noch nicht einmal ein Jahr alt.
Im Nachhinein ist Ottmar Schreiner jener konjunkturelle Optimismus ein Gräuel. Mehr noch. Der SPD-Politiker sieht in den mittlerweile enttäuschten Erwartungen den entscheidenden Grund für die heutige Jobmisere:
Der wesentliche Grund für die unbefriedigende Entwicklung ist, dass die Regierung nahezu ausschließlich gesetzt hatte auf Wirtschaftswachstum als Beschäftigungsinstrument. Das war aus meiner Sicht der entscheidende Fehler, im Vertrauen auf die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute nahezu ausschließlich auf Wirtschaftswachstum als Beschäftigungsinstrument zu setzen und andere Instrumente dabei zu vernachlässigen.
Mittlerweile befindet sich die deutsche Wirtschaft am Rande einer Rezession. Jedenfalls nach Ansicht der führenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. Nahezu Woche für Woche schrauben die professionellen Hellseher die Erwartungen an das neue Jahr weiter herunter. Auch die so genannten "fünf Weisen" der Zunft, die den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bilden. Die Gutachter rechnen für 2002 nur noch mit einer Wachstumsquote von 0,7 Prozent, also mit genauso wenig Wachstum wie im zurückliegenden Jahr. Die Bundesregierung ist etwas zuversichtlicher und geht in ihren Planungen noch von 1,3 Prozent Zuwachs aus.
Selbst im besten Fall ist ein solches Wachstum zu schwach, nur die derzeitigen Arbeitsplätze im vollen Umfang zu erhalten. Denn die Produktivität der Wirtschaft steigt. Quasi "automatisch" werden immer weniger Mitarbeiter gebraucht. Die so genannte Beschäftigungsschwelle, ab der neue Arbeitsplätze entstehen, liegt irgendwo bei zwei Prozent Wachstum.
Kein Wunder, dass bei solch ungünstigen Perspektiven die Debatte um die richtige Beschäftigungsstrategie wieder auflebt. Nicht zuletzt in den Reihen der Koalition. Ottmar Schreiner etwa empfiehlt:
Wir wissen, dass ohne eine bessere Verteilung des Arbeitsvolumens spürbare Beschäftigungseffekte nicht zu erreichen sind. Die Franzosen haben über die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ... eine deutlich bessere Beschäftigungssituation als wir in Deutschland. Das lässt sich nicht übertragen, weil in Deutschland die Wochenarbeitszeit von den Tarifparteien geregelt wird, und ich auch zur Zeit keine Möglichkeit sehe, die Wochenarbeitszeit weiter zu verkürzen. Aber es gibt ja auch andere Formen der Arbeitszeitumverteilung, beispielsweise Abbau von Überstunden. Wir haben bei knapp vier Millionen Arbeitslosen inzwischen in diesem Jahr etwa zwei Milliarden Überstunden. Das ist des Guten wirklich zu viel.
Tatsächlich ist es bislang nicht gelungen, den Überstundenberg abzubauen. Genauso wenig gibt es in Deutschland ein spürbar größeres Angebot an Teilzeitstellen. Beides könnte beitragen, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. An Bekenntnissen dazu hat es nicht gefehlt, etwa im Bündnis für Arbeit. Aber an Ergebnissen.
Arbeit und Einkommen stärker zu teilen, davon indes halten die meisten Ökonomen wenig. Die Forschungsinstitute beispielsweise empfehlen vielmehr, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Von 2003 auf 2002. Das würde die Steuerzahler um fast acht Milliarden Euro entlasten und soll die Konjunktur ankurbeln.
Ein Vorschlag ohne Aussicht auf Erfolg. Denn die Bundesregierung ist nicht bereit, Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren. Vor allem aber müssten auch die Bundesländer zustimmen. Aber ein solcher Konsens ausgerechnet im Wahljahr ist kaum wahrscheinlich.
Der Abschwung schränkt die Handlungsmöglichkeiten in dem Moment ein, in dem die Handlungsfähigkeit des Staates besonders gefragt wäre. Allein Schröders Sparkommissar Hans Eichel muss 2002 mit rund fünf Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen auskommen als erwartet. Zudem belastet die steigende Arbeitslosigkeit den Bundesetat.
Dass der Bundesfinanzminister in dieser Situation keine Steuern frühzeitig senken mag, stößt auch in der Wirtschaft auf ein gewisses Verständnis. Dennoch steht die Steuerpolitik der Bundesregierung in der Kritik. Zum Beispiel bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner wirft Hans Eichel vor:
Das, was er jetzt zusätzlich produziert für das Jahr 2002, sind Steuererhöhungen von zehn Milliarden Mark. Sieben Milliarden allein Ökosteuer-Erhöhung zum 1. Januar einschließlich zusätzlichem Mehrwertsteuereffekts. Drei weitere Milliarden: Tabak- und Versicherungssteuer. Also zehn Milliarden Kaufkraftabschöpfung. Wenigstens das müsste jetzt unterbleiben. Das lernt man im ersten Semester Volkswirtschaft. In Zeiten einer wirtschaftlichen Talfahrt, am Rande einer Rezession, darf man nicht Steuern und Abgaben erhöhen. Das aber geschieht jetzt durch die Bundesregierung. Deshalb ist das im hohen Maße kontraproduktiv. Also, Fazit: Wenigstens die Steuererhöhung jetzt vom Tisch nehmen. Dann wären wir zumindest einen halben Schritt weiter.
Die "fünf Weisen" kritisieren ebenfalls die neuen Steuern. Aber ansonsten bestätigt der Sachverständigenrat Schröders "Politik der ruhigen Hand". Zusätzliche Schulden und weitere Steuersenkungen geben nach Ansicht der Gutachter weder konjunkturelle Impulse, noch schaffen sie Vertrauen in die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.
Die Bundesregierung lehnt denn auch zusätzliche Konjunkturprogramme ab. Schröder und Eichel bleiben auf Kurs, hin zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Zum Ärger der Gewerkschaften. DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer beispielsweise erwartet von der rot-grünen Koalition, dass sie im konjunkturellen Abschwung energisch gegensteuert. Selbst um den Preis einer kurzfristig höheren Verschuldung. Putzhammer:
Ich glaube, dass Hans Eichel Recht hat mit seinem Ziel, mittelfristig einen Haushalt ohne Neuverschuldung zu erreichen. Aber gerade wenn er das will, dann braucht er dazu Wirtschaftswachstum. Sonst kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Und deshalb muss er kurzfristig eine gewisse höhere Neuverschuldung in Kauf nehmen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, weil er sonst sein mittelfristiges Ziel, die Neuverschuldung gänzlich abbauen zu können, überhaupt nicht erreichen kann.
Mehr Geld für mehr Investitionen, so lautet die Forderung der Gewerkschaften. Immerhin ist die Bundesregierung nun bemüht, dem ein wenig zu entsprechen. Mit einer Investitionsoffensive, die freilich nichts kosten soll. Wo immer möglich, sollen bereits geplante Investitionen des Staates vorgezogen und beschleunigt werden.
Grundsätzlich aber ist die Beschäftigungsstrategie der Koalition darauf ausgerichtet, dass ab der zweiten Jahreshälfte die Konjunktur wieder von selbst Fahrt aufnimmt. So wie es zum Beispiel der Sachverständigenrat vorhersagt.
Was spricht für dieses Szenario? Zum einen das niedrige Zinsniveau. Zum anderen erwarten die Auguren, dass bereits im Frühjahr die amerikanische Wirtschaft wieder auf Touren kommt. Schließlich werden vermutlich auch hier zu Lande die Unternehmen bald wieder kräftiger investieren. Und zu guter Letzt: Es gibt kein Anzeichen für ein Aufleben der wachstumsschädlichen Inflation.
Es könnte freilich auch schlechter kommen. Denn erstmals stecken alle drei großen Wirtschaftsblöcke zeitgleich in der Krise, die USA ebenso wie Europa und Japan. Wenn sich in einem halben Jahr nichts wesentlich verändert hat, dann wird dieses Phänomen als weltweite Wirtschaftskrise diskutiert werden.
Angesichts solcher Risiken hält es die CDU für unzureichend, wie die Bundesregierung die Krise handhabt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Rauen:
Ich glaube, die Hoffnung, dass sich die Konjunktur in den USA ändert, das ist ja im Prinzip schon schizophren. Man erwartet, dass durch Steuerreformen in den USA und höhere Investitionen des Staates sich dort die Konjunktur wandelt, damit über den Export wir daraus Vorteile haben können. Das ist ja viel zu weit hergeholt. Wir müssten vielmehr selbst in Deutschland die Reformen durchführen, die wir bräuchten, dass die Binnenkonjunktur noch mal anspringt. Das wäre vor allen Dingen, dass wir den arbeitenden Menschen, ob Arbeitnehmer oder Unternehmer, durch Reformen bei der Steuer und den sozialen Sicherungssystemen mehr Geld von dem belassen, was sie erarbeiten.
Der Kanzler fordert derweil die Opposition auf, Realitäten zur Kenntnis nehmen. Gemeint ist damit vor allem, dass der weltweiten Flaute nicht mit nationaler Offensive zu begegnen sei.
Tatsächlich hat die Bundesregierung in ihrer Wirtschaftspolitik in den zurückliegenden Monaten so viel nicht falsch gemacht - aber eine Menge Pech gehabt. Um 45 Milliarden Mark entlastete die Steuerreform die Bundesbürger im Jahre 2001. Doch anders als erhofft, vermag dieser Geldsegen den Konsum bis heute kaum anzuheizen.
Bestenfalls wird die Konjunktur ein bisschen angeschoben. Denn die zusätzliche Kaufkraft ist der unerwartet hohen Inflation zum Opfer gefallen und hat die Steuerreform zum Gutteil verpuffen lassen: BSE und Maul- und Klauenseuche trieben die Lebensmittelpreise in die Höhe, der steigende Ölpreis verteuerte Energie. Dazu das Ende der Boom-Börse: Die in irrwitzige Höhen spekulierten Kurse stürzten böse ab. Dann noch der abrupte Stillstand der US-Konjunktur, Terror und Krieg - dagegen ist schlecht anzuregieren.
Andererseits zeigt sich in der Krise: Nach wie vor ist die Republik in ihren Strukturen höchst anfällig. Wenige Monate der Wachstumsschwäche genügen, um die Kassen der Sozialversicherung auf das Äußerste zu strapazieren, um den finanziellen Spielraum des Staates gegen Null zu drücken. Und immer noch wächst die deutsche Wirtschaft langsamer als die Konkurrenz der europäischen Nachbarn.
Das Beschäftigungsproblem der Deutschen ist somit zu einem Gutteil hausgemacht. Allein auf die schwache Weltwirtschaft kann die gegenwärtige Krise auf dem hiesigen Arbeitsmarkt jedenfalls nicht zurückgeführt werden. Besonders die Arbeitgeber-Funktionäre beklagen, dass notwendige Reformen ausbleiben. So sagt Reinhard Göhner beispielsweise:
Das, was wir eigentlich im Arbeitsmarkt bräuchten, nämlich den Beton aufbrechen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, das ist unterblieben. Alle Welt schreibt uns im Moment auf, dass wir einen überreglementierten Arbeitsmarkt haben. Alle Welt redet darüber. Zwei sind anderer Meinung. Die Gewerkschaften in Deutschland und die Bundesregierung.
Die Gewerkschaften sind mit dieser Analyse selbstredend nicht einverstanden. Sie halten nichts von Forderungen der Arbeitgeber, etwa den Kündigungsschutz abzubauen. DGB-Vorständler Heinz Putzhammer:
Ach was, der Arbeitsmarkt ist flexibel genug. Auch in Deutschland gibt es genügend Möglichkeiten, auf Schwankungen der Konjunktur flexibel zu reagieren. Und unsere Kritik besteht gerade darin, dass diese flexiblen Möglichkeiten nicht genutzt werden. Statt dessen wird die Forderung erhoben nach weiterer Deregulierung. Ich kann überhaupt nicht einsehen, dass an der Beschäftigungssituation sich etwas bessern würde, wenn es leichter würde, die Leute rauszuwerfen. Denn nichts anderes ist ja eine Lockerung des Kündigungsschutzes.
Tatsächlich belegen gerade die schnell steigenden Arbeitslosenzahlen, dass der deutsche Arbeitsmarkt inzwischen weit geschmeidiger ist, als ihm nachgesagt wird. So nutzen die Arbeitgeber zunehmend die Chance, Beschäftigte befristet einzustellen - um sie bei schwacher Auftragslage schnell wieder loszuwerden. Jeder fünfte Beschäftigte unter 30 Jahren ist mittlerweile auf Zeit vertraglich gebunden. Nur jeder zweite Chef sieht daher im Kündigungsschutz eine Beschäftigungsbremse.
Schwerer wiegt, dass ein Gutteil der Arbeitslosen nicht über die Qualifikation verfügt, die in den Unternehmen benötigt wird. Dabei steckt die Bundesanstalt für Arbeit Milliardenbeträge in die Aus- und Weiterbildung von Arbeitslosen. Offenbar ziemlich erfolglos, wie der SPD-Politiker Ottmar Schreiner kritisiert:
Die Bundesanstalt hat 2000 runde 20 Milliarden D-Mark ausgegeben für Qualifizierungsmaßnahmen von Arbeitslosen im weitesten Sinne. Bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass diese Gelder nicht optimal eingesetzt werden. Also, ich glaube, hier wäre eine sehr kritische Überprüfung der Qualifizierungspolitik notwendig.
Viel verspricht sich die Bundesregierung vom neuen Job-Aqtiv-Gesetz. 3.000 zusätzliche Arbeitsvermittler sollen künftig dafür sorgen, dass Arbeitslose besser beraten werden und schneller eine neue Stelle finden. Job-Aqtiv fördert zudem die so genannte Job-Rotation: Die Arbeitsämter gewähren einen Zuschuss, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitslosen für die Zeit einstellt, in der ein beschäftigter Arbeitnehmer wegen Weiterbildung ausfällt. Außerdem fördert das Arbeitsamt den Ausbau der kommunalen Infrastruktur, wenn die ausführende Firma Arbeitslose beschäftigt.
Das neue Gesetz soll insbesondere verhindern, dass Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, lange Zeit ohne Beschäftigung bleiben. Das ist zweifellos neu. Denn bislang hatte nur Anspruch auf Förderung, wer schon lange Zeit arbeitslos war. Kurzfristig wird aber auch Job-Aqtiv auf dem Arbeitsmarkt nicht wirken. Das weiß auch Ottmar Schreiner:
Mir scheint das Problem mehr andersherum zu liegen, dass zu spät gehandelt wird, wenn Menschen arbeitslos geworden sind. Das soll ja jetzt korrigiert werden durch das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz, wo die Arbeitsämter in die Lage versetzt werden, unmittelbar nach Eintritt der Arbeitslosigkeit auf den einzelnen Fall zugeschnitten zu intervenieren, zu helfen, zu vermitteln. Mal sehen, ob das wirklich durchgreifend was bringt. Ich hätte mir vorstellen können, dass dieses Job-Aqtiv-Gesetz, das ich von seiner Grundtendenz für absolut richtig halte, schon vor zwei Jahren verabschiedet worden wäre.
Das gilt auch für die Absicht der Koalition, die Arbeitsmarktpolitik grundlegend neu zu orientieren. In Zukunft sollen die staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen reduziert werden. Die Koalition plant, statt dessen staatliche Lohnzuschüsse zu zahlen. Das soll einen Anreiz schaffen, auch schlechter bezahlte Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt zu suchen und anzunehmen. Keine neue Idee, sondern ebenfalls seit Jahren diskutiert. Gewerkschafter Heinz Putzhammer hält von einem solchen subventionierten Niedrig-Lohn-Sektor wenig:
Wir haben ihn schon. Es gibt in Deutschland mehrere Millionen Beschäftigte mit einem sehr niedrigen Lohn. Nimmt man die internationalen Definitionen von Einkommensarmut, dann fallen mindestens zehn Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter diese Grenze. Das heißt, der Niedriglohnsektor existiert bereits. Und das angebliche Allheilrezept gegen die Beschäftigungslosigkeit, einen Niedriglohnsektor einzurichten, ist eine politische Propaganda, auf die offensichtlich einige immer wieder Wert, aber auf die hoffentlich die Bundesregierung nicht reinfällt.
Es passt zu der wenig erfreulichen Situation am Arbeitsmarkt, dass nunmehr auch das Bündnis für Arbeit kriselt. Die Gewerkschaften haben den Gesprächstermin vor Weihnachten platzen lassen. Im Januar soll nun doch noch das nächste Treffen beim Kanzler stattfinden. Ungeklärt ist nach wie vor, ob und in welcher Form über die anstehende Tarifrunde geredet wird.
Die Arbeitgeber möchten mit Hilfe des Kanzlers die Gewerkschaften verpflichten, die zurückhaltende Lohnpolitik der vergangenen beiden Jahre fortzusetzen. Sie halten ein neues Bündnis-Treffen für dringend erforderlich. Die Gewerkschaften hingegen wollen ihren Mitgliedern ein deutliches Lohnplus bescheren. Auch weil sich aus ihrer Sicht Bescheidenheit nicht lohnt. Die niedrigen Abschlüsse, erklären die Gewerkschafter, hätten sich kaum in zusätzlichen Arbeitsplätzen ausgezahlt. Im übrigen - so Putzhammer - sei Lohnpolitik kein Thema für das Bündnis für Arbeit:
Lohnpolitik findet in Tarifverhandlungen statt. Die Tarifautonomie ist ein zentrales Gut für die Gewerkschaften. Und wer es mit dem Bündnis für Arbeit gut meint und wer Interesse hat, dass aus dem Bündnis für Arbeit sinnvolle Signale für die Wirtschaftsentwicklung kommen, der sollte die Finger von der Lohnpolitik lassen.
Das hätten die Arbeitgeber lieber anders. Sie halten einen neuen Bündnis-Gipfel für dringend erforderlich:
Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation, der rasanten wirtschaftlichen Talfahrt, wäre es dringend, dass die Bündnispartner im Bündnis für Arbeit auf Spitzenebene zusammenkommen.
Es wird sich zeigen, ob das Bündnis für Arbeit weiterhin den Namen verdient, den es trägt. Wenn es sich in dieser Situation, wo die Arbeitslosigkeit wieder wächst, als unfähig zum Handeln erweisen sollte, wäre des Kanzlers Scheitern auf dem Arbeitsmarkt wohl besiegelt. Gerhard Schröder wäre des wichtigsten Instruments beraubt, das der Regierungschef im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu nutzen gedenkt.
Über vier Millionen Menschen werden in diesem Winter ohne Arbeit sein, vermutlich sogar 4,2 Millionen und möglicherweise noch mehr. Zwar hofft die Bundesanstalt für Arbeit auf milde Witterung, damit der Anstieg nicht so hoch ausfällt. Aber viele Unternehmen, die derzeit Personal abbauen, kümmert das Wetter wenig.
Allein im Geldgewerbe gehen in nächster Zeit insgesamt 100.000 Arbeitsplätze verloren, vor allem bei den Großbanken. Die Dauerkrise auf dem Bau könnte weitere 100.000 Jobs kosten. Im Handwerk wiederum gelten 200.000 Stellen als stark gefährdet.
Die Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt beunruhigen. Natürlich auch die rot-grüne Regierung. Schließlich will sich Kanzler Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl im September an seiner Bilanz in der Beschäftigungspolitik messen lassen. Schon heute ist jedoch klar, dass die Hoffnungen auf einen deutlichen Abbau von Arbeitslosigkeit vergeblich sein werden.
Das missfällt auch in den eigenen Koalitions-Reihen. Zum Beispiel Ottmar Schreiner. Der SPD-Bundestagsabgeordnete führt die einflussreiche Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD an. Und Schreiner sagt:
Die Situation ist absolut unbefriedigend. Die Regierung hat ja ihrerseits sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen zu drücken. Dieses Ziel ist erkennbar nicht mehr zu erreichen.
Dabei schien es lange, als wäre die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich geschafft. Drei Jahre lang, von 1998 bis Anfang 2001, erlebte Deutschland einen stabilen Aufschwung mit solidem Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosenquote fiel von durchschnittlich über zehn Prozent auf rund neun Prozent. Zugleich stieg die Zahl der erwerbstätigen Bundesbürger um gut eine Million.
Alle Ökonomen waren überzeugt, dass es auch 2001 auf dem Wachstumspfad voran gehen und die Arbeitslosigkeit deutlich schrumpfen werde. Und diese Prognosen sind noch nicht einmal ein Jahr alt.
Im Nachhinein ist Ottmar Schreiner jener konjunkturelle Optimismus ein Gräuel. Mehr noch. Der SPD-Politiker sieht in den mittlerweile enttäuschten Erwartungen den entscheidenden Grund für die heutige Jobmisere:
Der wesentliche Grund für die unbefriedigende Entwicklung ist, dass die Regierung nahezu ausschließlich gesetzt hatte auf Wirtschaftswachstum als Beschäftigungsinstrument. Das war aus meiner Sicht der entscheidende Fehler, im Vertrauen auf die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute nahezu ausschließlich auf Wirtschaftswachstum als Beschäftigungsinstrument zu setzen und andere Instrumente dabei zu vernachlässigen.
Mittlerweile befindet sich die deutsche Wirtschaft am Rande einer Rezession. Jedenfalls nach Ansicht der führenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. Nahezu Woche für Woche schrauben die professionellen Hellseher die Erwartungen an das neue Jahr weiter herunter. Auch die so genannten "fünf Weisen" der Zunft, die den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bilden. Die Gutachter rechnen für 2002 nur noch mit einer Wachstumsquote von 0,7 Prozent, also mit genauso wenig Wachstum wie im zurückliegenden Jahr. Die Bundesregierung ist etwas zuversichtlicher und geht in ihren Planungen noch von 1,3 Prozent Zuwachs aus.
Selbst im besten Fall ist ein solches Wachstum zu schwach, nur die derzeitigen Arbeitsplätze im vollen Umfang zu erhalten. Denn die Produktivität der Wirtschaft steigt. Quasi "automatisch" werden immer weniger Mitarbeiter gebraucht. Die so genannte Beschäftigungsschwelle, ab der neue Arbeitsplätze entstehen, liegt irgendwo bei zwei Prozent Wachstum.
Kein Wunder, dass bei solch ungünstigen Perspektiven die Debatte um die richtige Beschäftigungsstrategie wieder auflebt. Nicht zuletzt in den Reihen der Koalition. Ottmar Schreiner etwa empfiehlt:
Wir wissen, dass ohne eine bessere Verteilung des Arbeitsvolumens spürbare Beschäftigungseffekte nicht zu erreichen sind. Die Franzosen haben über die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ... eine deutlich bessere Beschäftigungssituation als wir in Deutschland. Das lässt sich nicht übertragen, weil in Deutschland die Wochenarbeitszeit von den Tarifparteien geregelt wird, und ich auch zur Zeit keine Möglichkeit sehe, die Wochenarbeitszeit weiter zu verkürzen. Aber es gibt ja auch andere Formen der Arbeitszeitumverteilung, beispielsweise Abbau von Überstunden. Wir haben bei knapp vier Millionen Arbeitslosen inzwischen in diesem Jahr etwa zwei Milliarden Überstunden. Das ist des Guten wirklich zu viel.
Tatsächlich ist es bislang nicht gelungen, den Überstundenberg abzubauen. Genauso wenig gibt es in Deutschland ein spürbar größeres Angebot an Teilzeitstellen. Beides könnte beitragen, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. An Bekenntnissen dazu hat es nicht gefehlt, etwa im Bündnis für Arbeit. Aber an Ergebnissen.
Arbeit und Einkommen stärker zu teilen, davon indes halten die meisten Ökonomen wenig. Die Forschungsinstitute beispielsweise empfehlen vielmehr, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Von 2003 auf 2002. Das würde die Steuerzahler um fast acht Milliarden Euro entlasten und soll die Konjunktur ankurbeln.
Ein Vorschlag ohne Aussicht auf Erfolg. Denn die Bundesregierung ist nicht bereit, Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren. Vor allem aber müssten auch die Bundesländer zustimmen. Aber ein solcher Konsens ausgerechnet im Wahljahr ist kaum wahrscheinlich.
Der Abschwung schränkt die Handlungsmöglichkeiten in dem Moment ein, in dem die Handlungsfähigkeit des Staates besonders gefragt wäre. Allein Schröders Sparkommissar Hans Eichel muss 2002 mit rund fünf Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen auskommen als erwartet. Zudem belastet die steigende Arbeitslosigkeit den Bundesetat.
Dass der Bundesfinanzminister in dieser Situation keine Steuern frühzeitig senken mag, stößt auch in der Wirtschaft auf ein gewisses Verständnis. Dennoch steht die Steuerpolitik der Bundesregierung in der Kritik. Zum Beispiel bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner wirft Hans Eichel vor:
Das, was er jetzt zusätzlich produziert für das Jahr 2002, sind Steuererhöhungen von zehn Milliarden Mark. Sieben Milliarden allein Ökosteuer-Erhöhung zum 1. Januar einschließlich zusätzlichem Mehrwertsteuereffekts. Drei weitere Milliarden: Tabak- und Versicherungssteuer. Also zehn Milliarden Kaufkraftabschöpfung. Wenigstens das müsste jetzt unterbleiben. Das lernt man im ersten Semester Volkswirtschaft. In Zeiten einer wirtschaftlichen Talfahrt, am Rande einer Rezession, darf man nicht Steuern und Abgaben erhöhen. Das aber geschieht jetzt durch die Bundesregierung. Deshalb ist das im hohen Maße kontraproduktiv. Also, Fazit: Wenigstens die Steuererhöhung jetzt vom Tisch nehmen. Dann wären wir zumindest einen halben Schritt weiter.
Die "fünf Weisen" kritisieren ebenfalls die neuen Steuern. Aber ansonsten bestätigt der Sachverständigenrat Schröders "Politik der ruhigen Hand". Zusätzliche Schulden und weitere Steuersenkungen geben nach Ansicht der Gutachter weder konjunkturelle Impulse, noch schaffen sie Vertrauen in die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.
Die Bundesregierung lehnt denn auch zusätzliche Konjunkturprogramme ab. Schröder und Eichel bleiben auf Kurs, hin zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Zum Ärger der Gewerkschaften. DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer beispielsweise erwartet von der rot-grünen Koalition, dass sie im konjunkturellen Abschwung energisch gegensteuert. Selbst um den Preis einer kurzfristig höheren Verschuldung. Putzhammer:
Ich glaube, dass Hans Eichel Recht hat mit seinem Ziel, mittelfristig einen Haushalt ohne Neuverschuldung zu erreichen. Aber gerade wenn er das will, dann braucht er dazu Wirtschaftswachstum. Sonst kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Und deshalb muss er kurzfristig eine gewisse höhere Neuverschuldung in Kauf nehmen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, weil er sonst sein mittelfristiges Ziel, die Neuverschuldung gänzlich abbauen zu können, überhaupt nicht erreichen kann.
Mehr Geld für mehr Investitionen, so lautet die Forderung der Gewerkschaften. Immerhin ist die Bundesregierung nun bemüht, dem ein wenig zu entsprechen. Mit einer Investitionsoffensive, die freilich nichts kosten soll. Wo immer möglich, sollen bereits geplante Investitionen des Staates vorgezogen und beschleunigt werden.
Grundsätzlich aber ist die Beschäftigungsstrategie der Koalition darauf ausgerichtet, dass ab der zweiten Jahreshälfte die Konjunktur wieder von selbst Fahrt aufnimmt. So wie es zum Beispiel der Sachverständigenrat vorhersagt.
Was spricht für dieses Szenario? Zum einen das niedrige Zinsniveau. Zum anderen erwarten die Auguren, dass bereits im Frühjahr die amerikanische Wirtschaft wieder auf Touren kommt. Schließlich werden vermutlich auch hier zu Lande die Unternehmen bald wieder kräftiger investieren. Und zu guter Letzt: Es gibt kein Anzeichen für ein Aufleben der wachstumsschädlichen Inflation.
Es könnte freilich auch schlechter kommen. Denn erstmals stecken alle drei großen Wirtschaftsblöcke zeitgleich in der Krise, die USA ebenso wie Europa und Japan. Wenn sich in einem halben Jahr nichts wesentlich verändert hat, dann wird dieses Phänomen als weltweite Wirtschaftskrise diskutiert werden.
Angesichts solcher Risiken hält es die CDU für unzureichend, wie die Bundesregierung die Krise handhabt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Rauen:
Ich glaube, die Hoffnung, dass sich die Konjunktur in den USA ändert, das ist ja im Prinzip schon schizophren. Man erwartet, dass durch Steuerreformen in den USA und höhere Investitionen des Staates sich dort die Konjunktur wandelt, damit über den Export wir daraus Vorteile haben können. Das ist ja viel zu weit hergeholt. Wir müssten vielmehr selbst in Deutschland die Reformen durchführen, die wir bräuchten, dass die Binnenkonjunktur noch mal anspringt. Das wäre vor allen Dingen, dass wir den arbeitenden Menschen, ob Arbeitnehmer oder Unternehmer, durch Reformen bei der Steuer und den sozialen Sicherungssystemen mehr Geld von dem belassen, was sie erarbeiten.
Der Kanzler fordert derweil die Opposition auf, Realitäten zur Kenntnis nehmen. Gemeint ist damit vor allem, dass der weltweiten Flaute nicht mit nationaler Offensive zu begegnen sei.
Tatsächlich hat die Bundesregierung in ihrer Wirtschaftspolitik in den zurückliegenden Monaten so viel nicht falsch gemacht - aber eine Menge Pech gehabt. Um 45 Milliarden Mark entlastete die Steuerreform die Bundesbürger im Jahre 2001. Doch anders als erhofft, vermag dieser Geldsegen den Konsum bis heute kaum anzuheizen.
Bestenfalls wird die Konjunktur ein bisschen angeschoben. Denn die zusätzliche Kaufkraft ist der unerwartet hohen Inflation zum Opfer gefallen und hat die Steuerreform zum Gutteil verpuffen lassen: BSE und Maul- und Klauenseuche trieben die Lebensmittelpreise in die Höhe, der steigende Ölpreis verteuerte Energie. Dazu das Ende der Boom-Börse: Die in irrwitzige Höhen spekulierten Kurse stürzten böse ab. Dann noch der abrupte Stillstand der US-Konjunktur, Terror und Krieg - dagegen ist schlecht anzuregieren.
Andererseits zeigt sich in der Krise: Nach wie vor ist die Republik in ihren Strukturen höchst anfällig. Wenige Monate der Wachstumsschwäche genügen, um die Kassen der Sozialversicherung auf das Äußerste zu strapazieren, um den finanziellen Spielraum des Staates gegen Null zu drücken. Und immer noch wächst die deutsche Wirtschaft langsamer als die Konkurrenz der europäischen Nachbarn.
Das Beschäftigungsproblem der Deutschen ist somit zu einem Gutteil hausgemacht. Allein auf die schwache Weltwirtschaft kann die gegenwärtige Krise auf dem hiesigen Arbeitsmarkt jedenfalls nicht zurückgeführt werden. Besonders die Arbeitgeber-Funktionäre beklagen, dass notwendige Reformen ausbleiben. So sagt Reinhard Göhner beispielsweise:
Das, was wir eigentlich im Arbeitsmarkt bräuchten, nämlich den Beton aufbrechen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, das ist unterblieben. Alle Welt schreibt uns im Moment auf, dass wir einen überreglementierten Arbeitsmarkt haben. Alle Welt redet darüber. Zwei sind anderer Meinung. Die Gewerkschaften in Deutschland und die Bundesregierung.
Die Gewerkschaften sind mit dieser Analyse selbstredend nicht einverstanden. Sie halten nichts von Forderungen der Arbeitgeber, etwa den Kündigungsschutz abzubauen. DGB-Vorständler Heinz Putzhammer:
Ach was, der Arbeitsmarkt ist flexibel genug. Auch in Deutschland gibt es genügend Möglichkeiten, auf Schwankungen der Konjunktur flexibel zu reagieren. Und unsere Kritik besteht gerade darin, dass diese flexiblen Möglichkeiten nicht genutzt werden. Statt dessen wird die Forderung erhoben nach weiterer Deregulierung. Ich kann überhaupt nicht einsehen, dass an der Beschäftigungssituation sich etwas bessern würde, wenn es leichter würde, die Leute rauszuwerfen. Denn nichts anderes ist ja eine Lockerung des Kündigungsschutzes.
Tatsächlich belegen gerade die schnell steigenden Arbeitslosenzahlen, dass der deutsche Arbeitsmarkt inzwischen weit geschmeidiger ist, als ihm nachgesagt wird. So nutzen die Arbeitgeber zunehmend die Chance, Beschäftigte befristet einzustellen - um sie bei schwacher Auftragslage schnell wieder loszuwerden. Jeder fünfte Beschäftigte unter 30 Jahren ist mittlerweile auf Zeit vertraglich gebunden. Nur jeder zweite Chef sieht daher im Kündigungsschutz eine Beschäftigungsbremse.
Schwerer wiegt, dass ein Gutteil der Arbeitslosen nicht über die Qualifikation verfügt, die in den Unternehmen benötigt wird. Dabei steckt die Bundesanstalt für Arbeit Milliardenbeträge in die Aus- und Weiterbildung von Arbeitslosen. Offenbar ziemlich erfolglos, wie der SPD-Politiker Ottmar Schreiner kritisiert:
Die Bundesanstalt hat 2000 runde 20 Milliarden D-Mark ausgegeben für Qualifizierungsmaßnahmen von Arbeitslosen im weitesten Sinne. Bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass diese Gelder nicht optimal eingesetzt werden. Also, ich glaube, hier wäre eine sehr kritische Überprüfung der Qualifizierungspolitik notwendig.
Viel verspricht sich die Bundesregierung vom neuen Job-Aqtiv-Gesetz. 3.000 zusätzliche Arbeitsvermittler sollen künftig dafür sorgen, dass Arbeitslose besser beraten werden und schneller eine neue Stelle finden. Job-Aqtiv fördert zudem die so genannte Job-Rotation: Die Arbeitsämter gewähren einen Zuschuss, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitslosen für die Zeit einstellt, in der ein beschäftigter Arbeitnehmer wegen Weiterbildung ausfällt. Außerdem fördert das Arbeitsamt den Ausbau der kommunalen Infrastruktur, wenn die ausführende Firma Arbeitslose beschäftigt.
Das neue Gesetz soll insbesondere verhindern, dass Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, lange Zeit ohne Beschäftigung bleiben. Das ist zweifellos neu. Denn bislang hatte nur Anspruch auf Förderung, wer schon lange Zeit arbeitslos war. Kurzfristig wird aber auch Job-Aqtiv auf dem Arbeitsmarkt nicht wirken. Das weiß auch Ottmar Schreiner:
Mir scheint das Problem mehr andersherum zu liegen, dass zu spät gehandelt wird, wenn Menschen arbeitslos geworden sind. Das soll ja jetzt korrigiert werden durch das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz, wo die Arbeitsämter in die Lage versetzt werden, unmittelbar nach Eintritt der Arbeitslosigkeit auf den einzelnen Fall zugeschnitten zu intervenieren, zu helfen, zu vermitteln. Mal sehen, ob das wirklich durchgreifend was bringt. Ich hätte mir vorstellen können, dass dieses Job-Aqtiv-Gesetz, das ich von seiner Grundtendenz für absolut richtig halte, schon vor zwei Jahren verabschiedet worden wäre.
Das gilt auch für die Absicht der Koalition, die Arbeitsmarktpolitik grundlegend neu zu orientieren. In Zukunft sollen die staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen reduziert werden. Die Koalition plant, statt dessen staatliche Lohnzuschüsse zu zahlen. Das soll einen Anreiz schaffen, auch schlechter bezahlte Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt zu suchen und anzunehmen. Keine neue Idee, sondern ebenfalls seit Jahren diskutiert. Gewerkschafter Heinz Putzhammer hält von einem solchen subventionierten Niedrig-Lohn-Sektor wenig:
Wir haben ihn schon. Es gibt in Deutschland mehrere Millionen Beschäftigte mit einem sehr niedrigen Lohn. Nimmt man die internationalen Definitionen von Einkommensarmut, dann fallen mindestens zehn Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter diese Grenze. Das heißt, der Niedriglohnsektor existiert bereits. Und das angebliche Allheilrezept gegen die Beschäftigungslosigkeit, einen Niedriglohnsektor einzurichten, ist eine politische Propaganda, auf die offensichtlich einige immer wieder Wert, aber auf die hoffentlich die Bundesregierung nicht reinfällt.
Es passt zu der wenig erfreulichen Situation am Arbeitsmarkt, dass nunmehr auch das Bündnis für Arbeit kriselt. Die Gewerkschaften haben den Gesprächstermin vor Weihnachten platzen lassen. Im Januar soll nun doch noch das nächste Treffen beim Kanzler stattfinden. Ungeklärt ist nach wie vor, ob und in welcher Form über die anstehende Tarifrunde geredet wird.
Die Arbeitgeber möchten mit Hilfe des Kanzlers die Gewerkschaften verpflichten, die zurückhaltende Lohnpolitik der vergangenen beiden Jahre fortzusetzen. Sie halten ein neues Bündnis-Treffen für dringend erforderlich. Die Gewerkschaften hingegen wollen ihren Mitgliedern ein deutliches Lohnplus bescheren. Auch weil sich aus ihrer Sicht Bescheidenheit nicht lohnt. Die niedrigen Abschlüsse, erklären die Gewerkschafter, hätten sich kaum in zusätzlichen Arbeitsplätzen ausgezahlt. Im übrigen - so Putzhammer - sei Lohnpolitik kein Thema für das Bündnis für Arbeit:
Lohnpolitik findet in Tarifverhandlungen statt. Die Tarifautonomie ist ein zentrales Gut für die Gewerkschaften. Und wer es mit dem Bündnis für Arbeit gut meint und wer Interesse hat, dass aus dem Bündnis für Arbeit sinnvolle Signale für die Wirtschaftsentwicklung kommen, der sollte die Finger von der Lohnpolitik lassen.
Das hätten die Arbeitgeber lieber anders. Sie halten einen neuen Bündnis-Gipfel für dringend erforderlich:
Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation, der rasanten wirtschaftlichen Talfahrt, wäre es dringend, dass die Bündnispartner im Bündnis für Arbeit auf Spitzenebene zusammenkommen.
Es wird sich zeigen, ob das Bündnis für Arbeit weiterhin den Namen verdient, den es trägt. Wenn es sich in dieser Situation, wo die Arbeitslosigkeit wieder wächst, als unfähig zum Handeln erweisen sollte, wäre des Kanzlers Scheitern auf dem Arbeitsmarkt wohl besiegelt. Gerhard Schröder wäre des wichtigsten Instruments beraubt, das der Regierungschef im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu nutzen gedenkt.