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Jobs für Alle?

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Astrid Himberger |
    Wenn wir von heute auf morgen nach Polen die Grenze aufmachen würden und es würden 5.000 Polen nach Frankfurt an der Oder gehen, dann hätten wir da Krieg.

    Das sagt der Gewerkschaftler Werner Neugebauer, der weiß, dass bei einer Arbeitslosenquote von 28 Prozent Konkurrenten nicht gerade willkommen sind. Und eben deshalb bleiben auch nach der Erweiterung 2004 die Grenzen nach Osteuropa geschlossen. Zumindest für die arbeitende Bevölkerung. Waren dürfen im Gegensatz dazu ungehindert passieren. Besonders Deutschland und Österreich wollten die heimischen Jobbesitzer schützen und haben deshalb Übergangsfristen von bis zu sieben Jahren gefordert. Das sorgte jedoch für einigen Ärger mit den Kandidatenländern, deren Bürger sich als Europäer zweiter Klasse fühlten. Gemeinsam einigte man sich dann zwar auf diese sieben Jahre, allerdings in einem sogenannten "flexiblen Modell".

    Das ist auch bekannt als 2+3+2 Modell. Es sieht vor, dass die Grenzen für Arbeitnehmer mindestens noch zwei Jahre nach dem Beitritt, also bis 2006, geschlossen bleiben. Dann wird erstmals der Arbeitsmarkt analysiert. Ist die Arbeitslosigkeit hier zu Lande nach wie vor hoch, muss die Konkurrenz draußen bleiben. Nach weiteren drei Jahren wird erneut begutachtet. Und zwar in einem sogenannten regionalen Monitoring, erklärt Werner Neugebauer, der IG Metall Chef in Bayern:

    Wie in einem Fenster schauen wir uns das an. Wie entwickelt sich das? Jetzt sage ich mal: Für den Fremdenverkehr zu sagen da haben wir kein Problem; für die Bauindustrie haben sie ein massives Problem. Wir haben 100 000 arbeitslose Bauarbeiter, das müssen sie denen mal erklären, warum dann noch 10 000 oder 20 000 Bauarbeiter in die BRD kommen. Wenn ein Zulieferbetrieb sagt: Ich brauche 50 Schlosser, und er kriegt sie im regionalen Arbeitsmarkt nicht - auch kein Problem zu sagen, dann lasst uns für diesen Bereich eine Entscheidung treffen.

    Das heißt: Schlosser aus Osteuropa dürften nach diesem Beispiel bereits nach fünf Jahren Übergangsfrist in Deutschland arbeiten. Osteuropäische Bauarbeiter müssten noch zwei weitere Jahre bis 2011 warten. Besonders die strukturschwachen Grenzregionen hatten auf Übergangsfristen bestanden. Ihr Ziel einer Verzögerung haben sie zwar erreicht, der gefürchtete Wettbewerb wird trotzdem kommen.

    Kommen werden vor allem die Tagespendler, prognostiziert Martin Werding vom Ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Und zwar in die nahe gelegenen deutschen Grenzregionen:

    Da kommt es dann drauf an, wie dicht besiedelt eigentlich die Region jenseits der Grenze sind, denn nur daher können Pendler kommen. So dass wir also in Südostbayern eher geringe Pendleraufkommen haben, während im Nordosten, wo wir in Westböhmen größere Städte haben, Zahlen erreicht werden, die doch zwischen zwei und vier Prozent der Beschäftigung auf der deutschen Seite ausmachen können. Also, so viele zusätzliche Arbeitskräfte schätzen wir können dort einpendeln und das ist natürlich, wenn die Arbeitsmärkte von vornherein nicht in einer guten Situation sind, unter Umständen schwer zu bewältigen. Für die Arbeitskräfte aus Tschechien besteht trotzdem der Anreiz zuzuwandern, gegebenenfalls sie finden einen Job, weil die Einkommenserzielungsmöglichkeiten in Bayern natürlich viel interessanter sind als zu Hause.

    Wie viele Pendler es genau sein werden ist zur Zeit noch umstritten. Schätzungen gehen von bis zu zehn Prozent der Arbeitnehmer auf der deutschen Seite aus. Etwas genauere Angaben macht der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu. Er erwarte, dass ...

    ... aus diesen Beitrittsländern 100 000 bis 250 000 Zuwanderer nach Bayern kommen. Und wir auch noch um die 50 000 oder Mehrtausend Einpendler pro Tag haben werden, wie die Prognosen sagen, nach der Übergangsfrist nachdem die Freizügigkeit der Arbeitnehmer kommt und das sind Entwicklungen, auf die man sich einstellen muss.

    Es werden aber wohl eher weniger als mehr Zuwanderer sein, die nach Deutschland kommen. Denn die jetzigen Annahmen stützen sich auf Umfragen in den Kandidatenländern, aber die seien nicht sehr aussagekräftig, behauptete Björn Alecke von der Gesellschaft für Finanz- und Regionalanalysen. Alecke zieht Vergleiche mit den innerdeutschen Wanderungsbewegungen nach dem Fall der Berliner Mauer:

    Es gibt Untersuchungen zu Ostdeutschland und da haben 36 Prozent auf die Frage, ob sie nach Westdeutschland wandern wollten "ja" gesagt. Zwei Jahre später hatten dann davon 5 Prozent die Absicht auch in die Tat umgesetzt. Und wenn man dieses auch analog auf die jetzigen Äußerungen von Polen oder Tschechen überträgt, würde man zu einem relativ geringen Migrationspotenzial kommen.

    Diejenigen, die sich dann wirklich für eine Auswanderung entscheiden, werden größtenteils nach Deutschland und Österreich ziehen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen, weil die Länder geographisch am nächsten liegen und damit die Umzugskosten niedrig bleiben. Zum anderen, weil viele deutsch sprechen und Migranten dorthin gehen, wo bereits viele ihrer Landsleute leben - die Sozialforschung nennt das Netzwerkwanderung. Ganz verständlich, denn wo man jemanden kennt ist die Eingewöhnung sicherlich einfacher.

    Migration wird also kein allzu großes Thema werden, zudem der Zuzug wohl auch eher in Richtung der großen Städte und Ballungszentren stattfinden wird. Problematischer erscheinen die zahlreichen Tagespendler in den Grenzregionen. Und beim Kampf um Kunden und Jobs werden dort bald auch die osteuropäischen Dienstleistungsbetriebe mitmachen.

    Auch hier wurde zunächst über Übergangsfristen verhandelt. Sie gelten aber nur für die Bereiche Bau, Ausbau und Gebäudereinigung, alle anderen Branchen können ihre Dienste grenzüberschreitend anbieten. So darf ab 2004 beispielsweise eine tschechische Schneiderin auch deutsche Hosen und Röcke kürzen oder ein polnischer Friseur hierzulande Haare schneiden. Ludwig Hagn, Präsident des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, hat schon beim Beitritt Griechenlands erlebt, was europäische Regelungen in der Praxis bedeuten:

    Die Griechen durften bei uns nicht arbeiten, aber die Griechen durften sich selbständig machen und das hat zur Folge gehabt, dass also allein in Nürnberg über 770 griechische Lokale aufgemacht haben und das ist eigentlich was, was nicht tragbar ist.

    Wobei all die Lokale natürlich Arbeitsplätze geschaffen haben. Und mittlerweile gibt es wohl auch wieder weniger griechische Lokale in der Bratwurst-Stadt Nürnberg. Schließlich herrscht auch dort Wettbewerb.

    Nowa Klaslo arbeitet seit gut zwei Jahren bei Audi.

    Ich habe vorher hier in der Nähe bei einer ungarischen Wagen- und Maschinenfabrik gearbeitet, aber hier verdiene ich mehr Geld.

    Denn jetzt ist er bei der Audi Hungaria in Györ angestellt. Nowa Klaslo verdient gut 500 Euro im Monat und damit deutlich mehr als der ungarische Durchschnittsarbeiter. In Györ, wenige Kilometer entfernt von der österreichischen Grenze, haben sich zahlreiche ausländische Unternehmen niedergelassen und die brauchen Arbeitskräfte. Egal ob Audi, Philipps oder Fiat, sie alle schätzen die gut ausgebildeten Ungarn, die niedrigen Lohnkosten und die steuerlichen Vorteile, mit denen die Stadt sie anlockte. In Györ gibt es ganz andere Probleme als beispielsweise in Frankfurt Oder, so Alois Huber, Geschäftsführer Personalwesen bei der Audi Hungaria:

    Wir müssen große Anstrengungen unternehmen am hiesigen Arbeitsmarkt, denn realita ist die Arbeitslosigkeit hier in Györ nahe Null. Und deshalb versuchen wir hier auch über Imagekampagnen, über Personalmarketingmaßnahmen Mitarbeiter zu bekommen, das heißt konkret in Zusammenarbeit mit Berufsausbildungsstätten und auch im Ingenieurbereich mit Hochschulen.

    In Deutschland ist das Thema Arbeitsplatzsicherheit, sagen die Autobauer. In Ungarn dagegen Arbeitsplatzattraktivität. Das gilt freilich nicht für ganz Osteuropa, sondern nur für bestimmte Ballungsräume. Dort finden Arbeitgeber und Ökonomen wie Andreaz Inotai vom Budapester Institut für Weltwirtschaft, die Idee mit den Übergangsfristen gut, gut für die Ungarn:

    Ich bin mit diesen Übergangsfristen eigentlich einverstanden. Die ungarische Arbeitskraft ist nicht sehr flexibel sogar innerhalb des Landes, wo wir keine Sprachgrenzen haben. Und auf der anderen Seite gehe ich davon aus, dass wir mehr davon profitieren in den nächsten Jahren, wenn Kapital zu uns kommt und in Ungarn Arbeitsplätze schafft. Und dabei noch einige Milliarden Euro nach Ungarn bringt, was bisher schon der Fall war, als wenn 100 000 meist gut gebildete Ungarn in Westeuropa sich dem Kapital anschließen und dort arbeiten.

    Hinter der Idee der Übergangsfristen steckt von Seiten der EU folgendes Kalkül: Sie hofft, dass der Wohlstand in Osteuropa steigt, sich der Lebensstandard zwischen den alten und neuen EU Ländern angleicht, und damit die Lust von Ungarn oder Polen sinkt nach Westeuropa zu gehen. Und so scheint es auch zu kommen. Der Osten holt in seiner wirtschaftlichen Entwicklung auf.

    Hinter Zittau ist Deutschland zu Ende. Die Stadtgrenze ist gleichzeitig Bundesgrenze, dahinter liegen Polen und Tschechien. In Ostsachsen am äußersten Rand der jetzigen Europäischen Union ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Die Folgen: Fast ein Viertel der Bewohner sind weggezogen. Und die, die geblieben sind finden keinen Job. Arbeitslosenquote: 25 Prozent.

    Vor der Wende herrschte hier noch Vollbeschäftigung. Viele Menschen haben in der Textilindustrie gearbeitet oder den DDR Einheits-LKW Robur gebaut. Das ehemalige Hauptgebäude der Robur Werke Zittau, gegenüber vom frisch renovierten Bahnhof, verfällt allmählich. Die Fensterscheiben sind eingeschlagen, vor einer Rampe stehen verrostete Metallkisten. An der Wand verkündet ein Schriftzug in abblätternden Buchstaben: "Unser Beitrag zum Zweijahresplan". Bernd Hantschick hat hier noch gelernt:

    Das ist der Bereich, wo früher Motoren Achsen für einen 3 Tonner LKW gebaut wurden, und halt seit der Wende ist dieses Werk zu und ja jetzt ist es langsam am Verfall. Woran man sich immer erinnert ist, worauf wir produziert haben war zum großen Teil aus Zeiten, wo man sagt na gut Asbach Uralt. Wir hatten Maschinen hier drin stehen da waren unten die Schilder dran, Maschinengiesserei sowieso 1949 von Kriegsschäden instand gesetzt. Dort haben wir auch 1980 auf Leistung noch Kurbelwellen geschliffen.

    Bei Robur rollten in Spitzenzeiten jährlich bis zu 36 000 LKW vom Band, etwa 5000 Menschen waren in den Werken beschäftigt. Heute kümmern sich noch ganze elf Mitarbeiter um die Ersatzteilversorgung der letzten noch fahrenden Roburs.

    Doch Zittau gibt nicht auf. Mit der Erweiterung der Europäischen Union hofft die Stadt auf einen wirtschaftlichen Aufschwung und neue Arbeitsplätze. Helfen soll ein länderübergreifenden Gewerbeverbund, der gerade von Holger Knüpfer, zuständig für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung der Stadt Zittau, aufgebaut wird. Gemeinsam mit dem tschechischen Ort Hradek an der Neisse und dem polnischen Grenzstädchten Bogatynia will Zittau Unternehmen in die Region locken. Und die sollen von den jeweiligen Standortvorteilen der drei Länder profitieren: etwa Know how aus Deutschland, preiswertes Material aus Tschechien oder billige Arbeitskräfte aus Polen. Holger Knüpfer ist stolz auf das Projekt und fährt gerne mit Besuchern in das Industriegebiet:

    Also wir haben etwa noch 17 ha frei, 60 Prozent sind besiedelt, 10 Prozent der Gesamtfläche sind optioniert und der Rest ist noch frei - und da kann ich eigentlich nur auffordern, die günstigen Möglichkeiten zu nutzen. Was sie da drüben sehen ist schon Polen. Der Grenzfluss Neisse befindet sich in etwa 50 Meter Entfernung von hier und auf der anderen Seite, rechtsseitig, da wo die Baumreihe zu sehen ist, sind die polnischen Gewerbegebietsflächen angedacht, die also nächstes Jahr erschlossen werden sollen. Und was uns halt hier noch fehlt, dass ist die Verkehrsverbindung von der Bundesstraße 178 zur tschechischen Straße R 35. Der Anschluss über Polen an Tschechien fehlt.

    Für Bernt Hantschick, der mit seiner Firma RTT Abfallsortieranlagen herstellt, macht der Verbund zwar Sinn, doch sein größtes Problem ist nicht die schlechte Infrastruktur:

    Die Region hat natürlich sicherlich einen sehr herben Verlust an Arbeitskräfte dahin genommen, damit das sich sämtliche Industrie aus der Region eigentlich zurück gezogen hat oder hier momentan nicht mehr vorhanden ist, hat natürlich die Menge der qualifizierten Arbeitskräfte das Weite gesucht. Und momentan haben wir die Situation, dass gerade qualifiziertes Fachpersonal nun momentan schon problematisch ist in dieser Region zu halten oder hier herzubringen.

    Eine Abwärtsspirale. Zuerst gingen die Unternehmen pleite und die Arbeitsplätze verloren. Anschließend verließen die qualifizierten Arbeiter die Region auf der Suche nach einem neuen Job, anderswo. Jetzt gibt es zu wenig Fachkräfte im ostsächsischen Grenzgebiet, die für neue Firmen arbeiten könnten. Geblieben sind vor allem die älteren Arbeitnehmer, die in der Region verwurzelt sind und die weniger Qualifizierten, die woanders keinen neuen Job gefunden haben.

    Der tschechische Ort Hradek an der Neisse hat im Vergleich zu Zittau eine relativ niedrige Arbeitslosenquote: statt 25 Prozent liegt sie hier in Tschechien nur bei neun Prozent. Doch auch hier hat der Zusammenbruch des Kommunismus seine Spuren hinterlassen und zwingt zum Handeln, so der Bürgermeister von Hradek Milan Faltus:

    Nach der Wende mussten einige Industriezweige teilweise runtergefahren werden. Jene, die nicht mehr tragbar waren, wurden ganz aufgegeben. Es hat sowohl die Textil- als auch die Chemieindustrie betroffen. Weil diese Probleme natürlich auch grenzüberschreitend in Deutschland und Polen waren, haben wir uns als Bürgermeister der drei Städte gesagt, dass wir sie auch gemeinsam lösen möchten. Und daraus ist diese Initiative entstanden, zur Gründung des kleinen Dreieckes im Dreiländereck dieser Staaten.

    Im tschechischen Gewerbegebiet ist man noch nicht ganz so weit, wie auf der deutschen Seite. In Hradek arbeiten erst zwei Firmen, die deutsche Thyssen und der ehemals deutsche Automobilzulieferer Metzeler. Der Bürgermeister Milan Faltus freut sich, dass die tschechischen Arbeiter ihren deutschen Kollegen einiges voraus haben:

    Schon seit der Industrialisierung haben wir hier Betriebe mit hochqualifizierten Leute gehabt, und die haben schon immer echte Qualitätsarbeit geleistet. Den Vorteil auf dieser Seite der Grenze sehe ich in den relativ billigen Grundstücken, die wir Investoren bieten können und eben in den Fachkräften. Und die tschechische Arbeitskraft kann aus EU Sicht noch relativ billig angeboten werden.

    Billiger als in Deutschland ist es auch in Polen, auch wenn es da mit dem Gewerbeverbund noch etwas dauern wird. Die Polen müssen zunächst den Boden im vorgesehen Gebiet sanieren, da dort bisher Tagebergbau betrieben wurde. Das wird mit dem polnischen Beitritt zur Union 2004 sicherlich schneller voran gehen, denn dann werden die polnische und tschechische Grenzregion von den Fördergeldern der EU profitieren. Alles zusammen sind das gute Bedingungen für zukünftige Investoren und den Arbeitsmarkt.

    Es sieht also aus, als ob die großen Gewinner der EU Osterweiterung die Menschen in den neuen Mitgliedsstaaten sein werden. Denn ihre Länder werden Nettoempfänger der Union, womit wichtige Bereiche wie die Infrastruktur ausgebaut werden können. Außerdem machen die Länder ihre Wirtschaft fit für den kommenden Wettbewerb, indem sie beispielsweise ihre veralteten Industrien aufgeben und dafür neue aufbauen. Aber auch Deutschland und Österreich werden von einem größeren Europa profitieren, glaubt zumindest EU- Erweiterungskommissar Günther Verheugen:

    Die allgemeine Einschätzung aller Ökonomen ist ja, dass die europäische Integration und die Integration der Ost- und Mitteleuropäischen Länder einen Wachstums- und Beschäftigungsschub bringen wird - im positiven Wachstums- und Beschäftigungssinne. Ist ja vollkommen klar, da entstehen ja große neue Märkte mit enormen Konsumansprüchen. Die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft in den Mitgliedsländern werden ja ziemlich hoch eingeschätzt. Insbesondere können die unmittelbaren Nachbarn Deutschland und Österreich mit einem wirklich nennenswerten Wachstumsschub durch die vollzogene Erweiterung rechnen. Also gerade im Hinblick auf den stotternden Konjunkturmotor in Europa ist es notwendig das zu tun.

    Den politischen Optimismus des EU Kommissars teilen indes nicht alle Experten. Katarzyna Zukowska-Gagelmann von der Hypovereinsbank ist da skeptischer. Sie hat sich mit der Europäischen Wirtschaftsvergangenheit beschäftigt und festgestellt, dass die Wachstumseffekte der vergangenen Erweiterungsrunden lediglich bei 0,3 Prozent lagen. So erwartet sie für diese Runde ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in der EU um lediglich 0,5 Prozent. Den größten Wachstumsschub werden dabei die Osteuropäer haben, deren Volks-Wirtschaften schon jetzt jährlich um bis zu fünf Prozent zulegen.

    Die Westeuropäer müssen mit deutlich weniger rechnen. Denn sie haben eine wichtige Chance vertan, auch bei sich mit dem Strukturwandel zu beginnen. Das beste Beispiel ist die Vereinbarung der Übergangsfristen. Die vielen Regeln, die den Arbeitsmarkt einengen, verhindern zusätzliches Wachstum, sagt Katarzyna Zukowska-Gagelmann:

    Die Verfassung der Arbeitsmärkte erschwert in der EU sowohl die Kündigung, als auch die Neueinstellung. Gleichzeitig ist es auch so, dass die Mobilität der Arbeitskräfte sehr niedrig ist, zwischen Firmen, zwischen Sektoren und in regionalen Hinsicht sowieso. Und das erschwert eben den technologischen und strukturellen Wandel, der als Ergebnis der Handelsliberalisierung einfach zu höheren Wachstumsraten führen könnte.

    Dass sich etwas verändern muss, wissen alle. Doch die Politik schreckt vor einschneidenden Schritten zurück, denn ein konsequenter Strukturwandel heißt Wettbewerb und in dem können nicht alle gewinnen, so die Volkswirtin:

    Ein Strukturwandel ist ein Prozess in dem Chancen entstehen für manche Firmen und Sektoren, während für andere der Wettbewerbsdruck zu Schließungen führt. Das ist ein notwendiger Prozess, der dazu führt das eben Wirtschaftsleistung in den produktivsten Firmen und Sektoren erwirtschaftet wird. Während andere, die jetzt in einem gemeinsamen größeren Markt keine Zukunftschance haben, einfach schließen.

    Der notwendige Prozess wurde auf später verschoben. Aus Angst vor sozialen Spannungen. Ein erkaufter Frieden zu Lasten des Wirtschaftswachstums. Und eine verpasste Möglichkeit für einen ökonomischen Neuanfang mit Zukunftsperspektive. Der Osten Europas hingegen hat seine Chance ergriffen.