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Jobs trotz Handicap

Über die zeitgemäße Betreuung von behinderten Menschen haben auf dem Werkstättentag in Bremen 2.500 Experten drei Tage lang diskutiert. Denn Tüten kleben und Besen binden - das war einmal. Längst haben sich die Behinderteneinrichtungen mit ihren 270 000 Arbeitsplätzen zu modernen Industrie-Dienstleistern gemausert. Auch das Haus Freudenberg in Kleve am Niederrhein. 1600 der über 2000 Beschäftigten sind behindert und für sie ist Arbeit oft mehr als eine Beschäftigung zum Geldverdienen. Haus Freudenberg ist einer der größten Arbeitgeber am Niederrhein, der sich im Wettbewerb behauptet und jeden Tag beweist, dass auch Menschen mit Handicap im Rahmen ihrer Möglichkeiten höchst produktiv arbeiten können. Theo Geers stellt Haus Freudenberg im heutigen Firmenporträt vor.

Von Theo Geers |
    "Ich muss immer Natreen stapeln und immer acht Lagen machen. Das ist eigentlich ganz einfach, wenn man es mal raus hat.
    Guck mal! So geht das. Hier in der Mitte muss ich was drauf kleben und dann - fertig - und muss man dann auf das Band drauf legen ... "

    Veronika Frisch ist in ihrem Element. Routiniert greift sie eine kleine Packung Natreen, platziert etwas Klebstoff vorne genau auf die Mitte der Natreen-Packung und pappt dann einen roten Süßstoffspender drauf. Dann legt sie das Ganze auf das Förderband. Das Set verschwindet in einer Packmaschine, wird dort mit Cellophan umwickelt und landet bei Hannah Goossens, die die Sets für eine Sonderangebotsaktion des Süßstoffherstellers verpackt. Es ist eine hoch konzentrierte Truppe, die da beisammen sitzt an der Packmaschine mit dem kleinen vorgeschalteten Förderband.

    Greifen, kleben, zusammenfügen, aufs Band legen legen. Es sind immer wieder die gleichen Handgriffe. Doch gerade das ist für die Truppe um Veronika Frisch und Hannah Goossens so wichtig: Die monotonen Abläufe geben den Mitarbeitern mit Handicap Halt und so haben sie an der von Hand bestückten Packmaschine erkennbar Spaß an der Arbeit - zumindest heute ...

    "Zunächst mal hat man gemerkt, dass sie gute Laune hat. Sie ist kontinuierlich bei der Arbeit, sie erledigt diese Arbeit in einer hohen gleichbleibenden Qualität, und das ist das Besondere an ihr."

    Günter Berson, der Chef des Bereichs Pack und Logistik, ist sichtlich zufrieden mit seinen Verpackungskünstlern. Alle sind in unterschiedlichem Grad geistig behindert und gehen hier im Haus Freudenberg einer betreuten Arbeit nach. So wie eine andere Gruppe, die nebenan gerade verschiedene Duschgel-Flaschen in ein Verkaufsdisplay einsortiert, das die 35-jährige Susanne Gregorio aus bunt bedruckter Papper zusammen gesteckt hat ...

    "Ich baue Displays für Duschdas für Sarah Lee. Senseo hab' ich auch schon gemacht oder Katjes, aber das ist bestimmt die Arbeit, die ich gerne mag ..."
    Kein Zweifel: Die Stimmung stimmt in Haus Freudenberg, in dem es einen großen Unterschied macht, ob man ein Mitarbeiter oder ein Beschäftigter ist. Mitarbeiter sind die 1600 Menschen mit Behinderung, die jeden Tag mit Bussen aus dem ganzen Kreis Kleve zur Arbeit gebracht werden. Beschäftigte sind ihre 400 nicht-behinderten Betreuer und Kollegen, etwa aus der Geschäftsführung. Mit 2000 Angestellten und Arbeitern ist Haus Freudenberg damit nicht nur eine der bundesweit größten Behinderteneinrichtungen. Haus Freudenberg ist auch einer der größten Arbeitgeber am Niederrhein. Über mangelnde Aufträge kann dieses Unternehmen der besonderen Art nicht klagen. In der Verpackungs- und Logistiksparte nicht, bei den Metallverarbeitern nicht, in der Wäscherei nicht und auch nicht in der Schreinerei, in der die Behinderten Transportpaletten und Krippen, vor allem aber hochwertige Möbel herstellen. Wie überall in Haus Freudenberg geht es wegen der Handicaps der Beschäftigten etwas langsamer zu, lacht Otto Esser, der die Möbelproduktion leitet ...

    "Wir sind nicht nur Handwerker, wir sind auch Psychologen ... "

    ... weiß der gelernte Schreinermeister, der jeden Auftrag in so kleine Arbeitsschritte aufteilt, dass auch seine behinderten Möbeltischler einzeln oder in Gruppen die Schränke, Betten oder Schreibtische zusammenbauen können - so wie in jeder anderen Möbeltischlerei auch. Normalität herausstellen will auch Theo Voß, der Chef der Holzsparte von Haus Freudenberg:

    "Wir sind eine ganz normale Werkstatt, die Möbel herstellt und stellen das auch nicht im vorhinein heraus."
    Mit "das" meint Theo Voß, dass die behinderten Mitarbeiter im Haus Freudenberg die Leistungsträger sind, was aber beim Hereinholen von Aufträgen ausdrücklich nicht herausstellt wird. Das bestätigt auch Günter Berson für die Logistiksparte. Wenn er mit anderen Logistikkonzernen um das Bestücken von einer halben Million Adventskalender konkurriert oder mehrere LKW-Ladungen Duschgel umzupacken sind, dann zählen ausschließlich die Faktoren Preis, Termintreue, Qualität und Service, sagt Günter Berson. Und der Faktor Tränendrüse?

    "Nix. Gar nichts. N' gutes Gefühl wenn die wirtschaftlichen Faktoren stimmen, das ist auch gut so. Aber aus Mitleid bekommen wir keine Aufträge."

    Gut 11 Mio. Euro Umsatz erzielt Haus Freudenberg mit Verpackungsaufträgen für Nestle, Katjes oder Kühne, mit der Schreinerei, einer Wäscherei, einer Metallverarbeitung und neuerdings sogar einem Spezialitätencafè am Rand der Innenstadt von Kleve. Und der Druck, unternehmerisch zu wirtschaften, steigt. Als Behinderteneinrichtung trägt sich Haus Freudenberg zu zwei Dritteln von den Erstattungsbeiträgen, die aus öffentlichen Kassen für die Betreuung der Behinderten stammen. Doch diese Beiträge stagnieren, während die Kosten steigen, erklärt Margret Versteegen, zuständig für Unternehmenssteuerung bei Haus Freudenberg:

    "Die Situation ist die, dass die Schere mehr und mehr auseinander geht und wir angewiesen sind, durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen unseren Umsatz zu halten."
    Dabei gilt: Je höher der Umsatz, desto höher sind auch die Entgelte die das Haus Freudenberg seinen Behinderten auszahlt. Denn die dürfen nur aus den Gewinnen der einzelnen Sparten gezahlt werden. Je nach Grad der Behinderung und damit Leistungskraft und zahlt Haus Freudenberg zwischen 60 und 7-800 Euro im Monat. Das ist deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt.

    Link-Tipps:

    Das Haus Freudenberg im Internet und die Webseite des Werkstättentages