In Zeiten, in denen Theorien nicht gerade hoch im Kurs stehen, ist es durchaus schon eine kleine Freude, dass überhaupt ein Buch erscheint, dessen Autor die Mehrzahl der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relevanten Gesellschafts- und Kulturtheorien in den Blick nimmt. Der Mannheimer Germanist und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch hat das vor kurzem auf eine höchst leichtfüßige Art in kleinen, feinsinnigen Essays von A wie Analytische Philosophie bis zu Z wie Zivilisationstheorie getan. Er nennt seine Sammlung "Theorie-Apotheke" und fügt dem mit einer der Leichtigkeit seiner Texte nicht eben angemessenen Schwerfälligkeit hinzu "Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen”.
Jochen Hörisch ist Hochschullehrer, und der Gedanke eines pädagogischen Pharmakons mag die Apothekenmetaphorik erklären. Dass nämlich ein theoriefeindlicher Geist selbst in geisteswissenschaftlichen Seminaren häufig die Oberhand gewinnt, das hört man Lehrende nur allzu oft beklagen. Eine ganze Generation, die Post-post-68er, hat erst jüngst in einer Reihe von Büchern medienwirksam ihr Selbstverständnis propagiert, in dem das Merkmal "Theorieindifferenz” einen prominenten Platz einnimmt. Hörisch bezieht sich in seinem Vorwort auch ganz explizit auf die von Florian Illies als Generation Golf kreierte Kohorte, die im Playmobil-Spiel ihre prägende nachtheoretische Grunderfahrung sieht und der durch die Schule des Lego gegangenen theorieorientierten Vorgängergeneration wenig abgewinnen kann. Der Autor bekennt sich als anachronistisch dem Legozeitalter zugehörig. Aus seinem sich mitunter ein wenig zu witzig geziert gebendem Tonfall spricht vielleicht der die Studierenden bezirzende Hochschullehrer, der die nachfolgenden Generationen zum kritischen Denken verführen will. Dazu bräuchten sie freilich erst einmal ein solides Theorien-Fundament. Und weil es heute keine große Theorieerzählung mehr gibt, sondern stattdessen viele kleine Theorien, macht ein gutes Handbuch durchaus Sinn.
Ob nun das Buch bei der Legung eines solchen Fundaments eine Handreichung im Sinne einer Überblicksdarstellung sein kann, das darf bezweifelt werden. Denn Hörisch hat, wie sollte es auch anders sein, Vorlieben und Abneigungen, und die kultiviert er mit einer großen, durchaus auch mitreißenden Lust.
Dass auch die in der vorliegenden Theorie-Apotheke gegebenen Referate zum Widerspruch reizen werden und sollen, liegt auf der Hand. Geht es doch um die pointierte, produktive Vereinfachungen nicht scheuende Darstellung von handhabbaren Grundgedanken.
Der von Hörisch formulierte Anspruch, die Vielzahl rivalisierender Theorien "so neutral und funktional wie möglich, also alphabetisch anzuordnen", wird durchkreuzt von einer idiosynkratischen Ordnung, und die kann sich im alphabetisch strukturierten Raum problemlos durchsetzen. Verkürzt auf den Punkt gebracht, heißt das, dass die französischen Poststrukturalisten und die deutschen Systemtheoretiker gut wegkommen, während es den sprachanalytischen Philosophen angelsächsischer Provenienz, aber auch der zweiten Generation der Kritischen Theorie schlecht ergeht. Da werden also Derrida und Luhmann gegen Rorty und Habermas aufgestellt. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wären die Darstellungen gleichermaßen, wie angekündigt, an einer Zusammenfassung der Grundgedanken des jeweiligen Theorieansatzes ausgerichtet. Das ist jedoch nicht immer der Fall, denn die eigenen Idiosynkrasien verleiten den Autor zuweilen zu arg verknappten Überblicken und verkürzenden Polemisierungen.
Beispielsweise wenn es um die Analytische Philosophie geht. Da erfährt man, dass es sich um eine bewusstseinskritische Richtung handle, die sich mit sprachlichen Aussagen beschäftige und deren Hauptfokus auf dem Klarwerden von Sätzen zum Zwecke des Klarwerdens von Gedanken liege. Hörischs im Grunde genommen bloß auf eine wittgensteinsche Proposition reduzierte Darstellung sprachanalytischer Philosophie reicht dann allerdings aus, um zu weitreichenden Schlussfolgerungen zu kommen:
Analytische Philosophie entlastet schlichte Köpfe von der Zumutung, allzu Dunkles und Überkomplexes rezipieren zu müssen – all das gilt fortan als haltloses Geraune von Leuten, die keinen klaren Gedanken fassen können. Die Nebenwirkungen solcher Aufräumarbeiten sind gewaltig. Philosophie wird bescheiden, sehr bescheiden; sie verarmt.
Die diskutierten Theorien und ihre Theoretiker lassen sich in einer durch die gesamte abendländische Geistesgeschichte ziehenden Auseinandersetzung verorten. Da gibt es die dem Logisch-Rationalen verhafteten, eindeutigkeitsbeflissenen Klarheitsfetischisten einerseits und die dem Vieldeutigen und Komplexen gewogenen ironiefähigen Ambivalenzliebhaber andererseits. So jedenfalls liest es sich in Hörischs Aktualisierung jüngerer humanwissenschaftlicher Ausrichtungen. Sein Plädoyer gilt dabei ganz klar denen, die aus seiner Sicht in der Lage sind, die Ambivalenz des von ihnen Beobachteten zu meistern und in theoretische Überlegungen zu überführen, und nicht denjenigen, die Ambivalenz schlicht zum Nicht-Thematisierbaren erklären. Also: Als Handbuch für Studenten taugt die Theorie-Apotheke wohl eher nicht. Wenn es aber darum geht, Theorien in diskursfernen Zeiten in feuilletonistischer Weise in außeruniversitären Kreisen in Umlauf zu bringen, dann darf das Unternehmen als gelungen betrachtet werden.
Barbara Eisenmann besprach 'Theorie-Apotheke. Eine Handreichung’ von Jochen Hörisch. Es ist in der Reihe Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag erschienen, hat 322 Seiten und kostet 28.50 Euro.
Jochen Hörisch ist Hochschullehrer, und der Gedanke eines pädagogischen Pharmakons mag die Apothekenmetaphorik erklären. Dass nämlich ein theoriefeindlicher Geist selbst in geisteswissenschaftlichen Seminaren häufig die Oberhand gewinnt, das hört man Lehrende nur allzu oft beklagen. Eine ganze Generation, die Post-post-68er, hat erst jüngst in einer Reihe von Büchern medienwirksam ihr Selbstverständnis propagiert, in dem das Merkmal "Theorieindifferenz” einen prominenten Platz einnimmt. Hörisch bezieht sich in seinem Vorwort auch ganz explizit auf die von Florian Illies als Generation Golf kreierte Kohorte, die im Playmobil-Spiel ihre prägende nachtheoretische Grunderfahrung sieht und der durch die Schule des Lego gegangenen theorieorientierten Vorgängergeneration wenig abgewinnen kann. Der Autor bekennt sich als anachronistisch dem Legozeitalter zugehörig. Aus seinem sich mitunter ein wenig zu witzig geziert gebendem Tonfall spricht vielleicht der die Studierenden bezirzende Hochschullehrer, der die nachfolgenden Generationen zum kritischen Denken verführen will. Dazu bräuchten sie freilich erst einmal ein solides Theorien-Fundament. Und weil es heute keine große Theorieerzählung mehr gibt, sondern stattdessen viele kleine Theorien, macht ein gutes Handbuch durchaus Sinn.
Ob nun das Buch bei der Legung eines solchen Fundaments eine Handreichung im Sinne einer Überblicksdarstellung sein kann, das darf bezweifelt werden. Denn Hörisch hat, wie sollte es auch anders sein, Vorlieben und Abneigungen, und die kultiviert er mit einer großen, durchaus auch mitreißenden Lust.
Dass auch die in der vorliegenden Theorie-Apotheke gegebenen Referate zum Widerspruch reizen werden und sollen, liegt auf der Hand. Geht es doch um die pointierte, produktive Vereinfachungen nicht scheuende Darstellung von handhabbaren Grundgedanken.
Der von Hörisch formulierte Anspruch, die Vielzahl rivalisierender Theorien "so neutral und funktional wie möglich, also alphabetisch anzuordnen", wird durchkreuzt von einer idiosynkratischen Ordnung, und die kann sich im alphabetisch strukturierten Raum problemlos durchsetzen. Verkürzt auf den Punkt gebracht, heißt das, dass die französischen Poststrukturalisten und die deutschen Systemtheoretiker gut wegkommen, während es den sprachanalytischen Philosophen angelsächsischer Provenienz, aber auch der zweiten Generation der Kritischen Theorie schlecht ergeht. Da werden also Derrida und Luhmann gegen Rorty und Habermas aufgestellt. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wären die Darstellungen gleichermaßen, wie angekündigt, an einer Zusammenfassung der Grundgedanken des jeweiligen Theorieansatzes ausgerichtet. Das ist jedoch nicht immer der Fall, denn die eigenen Idiosynkrasien verleiten den Autor zuweilen zu arg verknappten Überblicken und verkürzenden Polemisierungen.
Beispielsweise wenn es um die Analytische Philosophie geht. Da erfährt man, dass es sich um eine bewusstseinskritische Richtung handle, die sich mit sprachlichen Aussagen beschäftige und deren Hauptfokus auf dem Klarwerden von Sätzen zum Zwecke des Klarwerdens von Gedanken liege. Hörischs im Grunde genommen bloß auf eine wittgensteinsche Proposition reduzierte Darstellung sprachanalytischer Philosophie reicht dann allerdings aus, um zu weitreichenden Schlussfolgerungen zu kommen:
Analytische Philosophie entlastet schlichte Köpfe von der Zumutung, allzu Dunkles und Überkomplexes rezipieren zu müssen – all das gilt fortan als haltloses Geraune von Leuten, die keinen klaren Gedanken fassen können. Die Nebenwirkungen solcher Aufräumarbeiten sind gewaltig. Philosophie wird bescheiden, sehr bescheiden; sie verarmt.
Die diskutierten Theorien und ihre Theoretiker lassen sich in einer durch die gesamte abendländische Geistesgeschichte ziehenden Auseinandersetzung verorten. Da gibt es die dem Logisch-Rationalen verhafteten, eindeutigkeitsbeflissenen Klarheitsfetischisten einerseits und die dem Vieldeutigen und Komplexen gewogenen ironiefähigen Ambivalenzliebhaber andererseits. So jedenfalls liest es sich in Hörischs Aktualisierung jüngerer humanwissenschaftlicher Ausrichtungen. Sein Plädoyer gilt dabei ganz klar denen, die aus seiner Sicht in der Lage sind, die Ambivalenz des von ihnen Beobachteten zu meistern und in theoretische Überlegungen zu überführen, und nicht denjenigen, die Ambivalenz schlicht zum Nicht-Thematisierbaren erklären. Also: Als Handbuch für Studenten taugt die Theorie-Apotheke wohl eher nicht. Wenn es aber darum geht, Theorien in diskursfernen Zeiten in feuilletonistischer Weise in außeruniversitären Kreisen in Umlauf zu bringen, dann darf das Unternehmen als gelungen betrachtet werden.
Barbara Eisenmann besprach 'Theorie-Apotheke. Eine Handreichung’ von Jochen Hörisch. Es ist in der Reihe Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag erschienen, hat 322 Seiten und kostet 28.50 Euro.