Die breit angelegte historische Studie von Jörg Später entfaltet zunächst die wechselvolle Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Späters Darstellung kapriziert sich dabei nicht so sehr auf die offizielle politische Seite dieser Beziehungen, wie sie etwa in den diplomatischen Dokumenten jener Zeit zum Ausdruck kommt. Vielmehr fasst sie, im Sinne der Mentalitäts- und Kulturgeschichte, vorherrschende Einstellungen und Stimmungen, Klischees und Vorurteile ins Auge, die das Klima zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich bestimmten. So zeichnet der Autor präzise und plausibel nach, wie sich im edwardianischen England unter dem Eindruck einer zunehmend aggressiven deutschen Außen- und Flottenpolitik, die die maritime Machtstellung Britanniens bedrohte, ein ursprünglich freundliches Deutschlandbild ins Gegenteil verkehrte: Aus dem ehrgeizigen, aber gutmütigen kontinentalen Vetter wurde ein zutiefst unsympathischer neureicher Emporkömmling, dessen "Griff nach der Weltmacht" auch vor dem Gebrauch von roher Gewalt nicht zurückschreckt. Vollends der Erste Weltkrieg kulminierte in einer Orgie von Hass und Projektionen. Später schreibt:
Der Erste Weltkrieg setzte in einem Maße nationalistische und xenophobe Dispositionen frei, die im krassen Gegensatz zum Selbstbild des zivilisierten, gemäßigten und liberalen Großbritannien standen. Die Hunnenpropaganda war vorläufiger Endpunkt einer Entwicklung des Deutschlandbildes vom Vorbild über den Rivalen zum Unmenschen.
Das Ende des Krieges sah nicht nur ein besiegtes und gedemütigtes Deutschland, sondern auch ein zwar siegreiches, gleichwohl geschwächtes Britannien, dessen imperiale Vormachtstellung nachhaltig gelitten hatte und in deutlichem Niedergang begriffen war. Vermutlich war es die Einsicht in den objektiven Machtverlust des britischen Empire und der daraus resultierende Wille zu einer ausgewogenen europäischen Friedensordnung, die England fortan dazu trieben, einen vernünftigen Ausgleich mit dem Deutschen Reich zu suchen. Anders als in Frankreich, wo eher revanchistische Einstellungen dominierten, gewannen in Britannien jene Stimmen und Stimmungen Einfluss, die ein "Changing Versailles" forderten, also die Entlastung Deutschlands von jenen Bürden, die ihm im Versailler Vertrag auferlegt worden waren. Bedeutende Intellektuelle wie der Ökonom John Maynard Keynes qualifizierten das Versailler Diktat schlicht als wirtschaftlich unvernünftig; Liberale, Radikale und Anhänger von Labour geißelten Versailles als "Karthago-Frieden", und selbst im konservativen Lager breitete sich so etwas wie Germanophilie aus. Bis in die späten dreißiger Jahre, nachdem Hitler der Welt längst gezeigt hatte, wohin Deutschlands Weg führen werde, waren große Teile der konservativen Eliten Großbritanniens bereit, einen umfassenden Interessenausgleich mit dem Dritten Reich anzustreben. Winston Churchill gehörte zu jener Minderheit, die sich auf keine Verhandlungen mit Hitler einlassen wollte – um den Preis politischer Einflusslosigkeit.
In dieser Konstellation war es Vansittart, der aufgrund eines tiefsitzenden Ressentiments gegen alles, was mit Deutschland, mit deutscher Geschichte und Politik zu tun hatte, die "deutsche Frage" polemisch zuspitzte. Für ihn hing die Zukunft Großbritanniens davon ab, ob es gelingen werde, Deutschland politisch, militärisch und wirtschaftlich entscheidend einzudämmen – "containment" statt "conciliation" hieß Vansittarts Rezept gegen die deutschen Abenteurer. Anders als die Vertreter einer Appeasement-Politik, die der Hitlerschen Politik rationale Motive unterstellten, erkannte Vansittart erstaunlich früh und klar den irrationalen und aggressiven Grundzug des Nationalsozialismus, der Deutschland unausweichlich in den Krieg führen werde. 1935 zeigte er sich sicher, dass Deutschland noch vor 1939 für Auseinandersetzungen gerüstet sei, während das britische Luftwaffenministerium davon ausging, dass dies nicht vor 1942 der Fall sein werde. Auch in dieser Frage behielt Vansittart Recht, wie er überhaupt in fast allem Recht behielt, was seine Vorhersagen bezüglich der deutschen Ambitionen und Verbrechen betrifft.
Vansittarts antideutsche Kampagne, deren Höhepunkt die erwähnten Radiosendungen von 1940 bilden, konnte in England immer mit Verbündeten rechnen, deren negatives Deutschlandbild von ähnlichen Obsessionen geprägt waren wie diejenigen des Lords. Bei der Mehrheit aber stießen seine Hasstiraden, die sich mit einschlägigen Deutschland-kritischen Äußerungen Goethes, Hölderlins, Heines und Nietzsches höchst wirkungsvoll zu munitionieren wussten, auf Befremden und Ablehnung. Vielen Briten galt Vansittart als ein Prediger ungezügelter Rache und Vergeltung, als Reaktionär, gar als Rassist, der die Deutschen als Deutsche diskriminiere. Selbst Churchill, in seiner Haltung gegen Hitler wahrlich intransigent, sah sich genötigt, auf Distanz zu einem Politiker zu gehen, dessen Hass auf Deutschland kein Maß zu kennen schien.
Ein interessanter Aspekt der Studie von Später ist, dass sie auch die Reaktionen der deutschen Sozialdemokratie, deren führende Köpfe im Londoner Exil saßen, auf Vansittarts Polemik einbezieht. Während die Mehrheit der SPD-Führung sich auf die Existenz eines "anderen Deutschland" berief, welches mit den historischen und aktuellen Verfehlungen der deutschen Politik nichts zu tun habe und für sich beanspruchte, die einzige konsequente Kraft gegen Hitler gewesen zu sein, sympathisierte eine Minderheit mehr oder minder offen mit Vansittarts Anklage der deutschen Nation. Am Ende setzten sich diejenigen durch, die, wie Kurt Schumacher nach dem Krieg, die nationale Karte zogen – "mit dem Gesicht nach Deutschland", wie es Otto Wels formulierte. Die "vansittartistischen" Dissidenten mussten die Partei verlassen. In Peter Merseburgers Willy Brandt-Biographie kann man nachlesen, welche Irritationen der wachsende Deutschenhass innerhalb der Arbeiterbewegung auch im schwedischen Exil auslöste. Falsch ist aber sicherlich Merseburgers Behauptung, Vansittart sei der "Ahnherr" Henry Morgenthaus gewesen, jenes us-amerikanischen Politikers also, der Deutschland nach dem Krieg deindustrialisieren wollte. Später legt glaubwürdig dar, dass Vansittart von derart abenteuerlichen Plänen für Nachkriegsdeutschland weit entfernt war.
Der Autor lässt offen, woher Vansittart sein Deutschlandbild bezog. Fest steht nur, dass er zeitlebens von der fixen Idee okkupiert war, Deutschland verkörpere das schlechthin Böse, d.h. den Willen zu Krieg und Vernichtung – von Hermann dem Cherusker, der sich der römischen Zivilisation verweigert, bis zu Hitler, der die europäische Zivilisation mit Füßen tritt, führt ein deutscher Weg, der nie verlassen wurde:
Man wird finden, dass sich die deutsche Geschichte immer wiederholt, wie immer sie sich auch zu anderen Völkern verhält.
Dass die fixe Idee vom bösen Deutschen und seiner "policy of racial extermination" – eine Idee übrigens, die mit Daniel Goldhagens Konstrukt eines jahrhundertealten exterministischen Antisemitismus der Deutschen konvergiert –, dass diese Idee ein aus Nationalismus geborenes Wahngebilde ist, daran lässt der Autor keinen Zweifel. Andererseits stellt sich die Frage, warum ausgerechnet einer wie Vansittart, dessen Geschichtsbild ohne Zweifel paranoide Züge trug, wie kein anderer Zeitgenosse in der Lage war, den Krieg ebenso genau vorauszusagen wie die Brutalisierung der deutschen Kriegsführung und die deutschen Massenverbrechen. Tatsächlich drängt sich die Vermutung auf, dass es womöglich das Ressentiment ist, das am hellsichtigsten das Ressentiment wahrnimmt, dass es am ehesten der Wahn ist, der am klarsten den Wahn erkennt. Nimmt man den Nationalsozialismus als eine ressentimentgeladene und wahnhafte Ideologie von 'Rassenminderwertigkeit’ und 'Rassereinheit’, von 'jüdischer Weltverschwörung’ und 'germanischer Weltherrschaft’, dann hat solcher Wahn in Vansittart seinen kongenialen Diagnostiker gefunden: Das Böse, welches er unablässig beschwor, war ja keine Einbildung von ihm, sondern wirklich in der Welt. Man wünscht diesem Buch aufmerksame und verständige Leser.
Hans Martin Lohmann war das über Jörg Späters "Vansittart. Britische Debatten über Deutsche und Nazis 1902 - 1945", erschienen im Wallstein Verlag. Das Buch kostet 46 Euro und hat 495 Seiten.