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Jörg-Uwe Hahn: Wir müssen aus den Lagern heraus

Nach der konstituierenden Sitzung des hessischen Landtags hält der dortige Vorsitzende der FDP-Fraktion, Jörg-Uwe Hahn, die Rückkehr zu einem freundlichen Umgang unter den Parteien für möglich. Es müsse sich nun in der Praxis zeigen, wie flexibel die einzelnen Parteien in den Sachfragen seien. Bis zum Sommer müsse man sich auch beim Haushalt einig werden. Gelinge dies, könne das die Grundlage für eine so genannte Jamaika-Regierung sein, betonte Hahn.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Es gab sie fast nie in Deutschland, die Situation, dass eine Landesregierung geschäftsführend im Amt bleiben muss, weil eine Regierungsbildung nach einer Landtagswahl unmöglich ist. In Hessen erinnert man sich an den letzten Fall, 1982 musste der damalige SPD-Ministerpräsident Holger Börner mit seinem Kabinett die Geschäfte weiterführen. Die Grünen waren neu in den Landtag eingezogen, hatten die Mehrheitsverhältnisse entscheidend verändert. Aber weder CDU noch SPD wollten mit ihnen koalieren. Diesmal war es die Linkspartei, die die politische Landschaft verändert hat.

    Seit diesem Samstag ist in Hessen die alte Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch wieder, aber nur geschäftsführend im Amt. Vor der Sendung habe ich mit Jörg-Uwe Hahn gesprochen. Er ist Vorsitzender der FDP-Fraktion im hessischen Landtag. Die konstituierende Sitzung am Samstag verlief harmonisch. Ich hab ihn zuerst gefragt, ob er erwartet, dass diese für den hessischen Landtag ungewohnte Harmonie anhält.

    Jörg-Uwe Hahn: Nun, in einer konstituierenden Sitzung sollte man sich schon nach Regeln benehmen, und das haben wir auch alle getan. Darüber hinaus ist erkennbar, dass jedenfalls Kollege Koch von der Union, wie ich von der FDP, aber auch Kollege Al-Wazir von den Grünen sehr freundschaftlich miteinander umgegangen sind. Das hat es in dem letzten Jahrzehnt eigentlich nicht gegeben. Vielleicht bahnt sich ja doch etwas an, was ich für Hessen wirklich gut finden würde, nämlich eine Koalition, die man Jamaika nennt.

    Kaess: Das heißt, Sie sehen Chancen, dass die festgefahrene Situation der letzten Wochen in der Übergangsregierung sich löst?

    Hahn: Ja, wir haben leider seit dem Wahltag oder seit dem Wahlabend eine Situation, dass die Sozialdemokraten und insbesondere Andrea Ypsilanti sich gefühlt als Wahlsieger benehmen, aber es halt nicht sind, und immer wieder von der Person aus agiert worden ist, ich möchte Ministerpräsidentin werden. Jetzt ist deutlich, dass sie keine Mehrheit zustande bekommen kann, dass wir jetzt in eine Sachdiskussion im Parlament eintreten. Wir haben ja bereits am nächsten Mittwoch, das heißt übermorgen schon, eine inhaltliche Sitzung. Und ich hoffe, dass wir bei den Inhalten merken, dass es keinen Sinn macht, Linke, und ich meine jetzt links, also auch mit den Postkommunisten, Politik in einem Bundesland wie Hessen zu machen.

    Kaess: Ihre Partei hatte ja ebenso wie die Grünen die Möglichkeit zur Mehrheitsbeschaffung. Wenn die FDP flexibler gewesen wäre, wäre Hessen die Übergangsregierung erspart geblieben?

    Hahn: Das Wort flexibel hat Frau Ypsilanti im Wahlkampf schon benutzt, um uns zu denunzieren. Sie hat nämlich immer wieder gesagt, die FDP wird schon am Wahlabend flexibel sein, das heißt, sie hat suggeriert, die FDP wird umfallen, etwas anderes nach der Wahl tun, als das, was wir vor dem Wahltag im Wahlkampf gesagt haben. Schauen

    Sie, das kann man den Bürgern außerhalb von Hessen fast gar nicht erklären. Die hessische SPD ist keine typische SPD, sondern sie ist eine richtig ritzerote, linke SPD. Schon Gerhard Schröder, als er noch Bundeskanzler war, hat sich lästerlich über Frau Ypsilanti geäußert. Und jetzt hat der SPD-Parteitag am vorletzten Wochenende auch noch grünes Licht gegeben, das mit den Linken gemeinsame Sache gemeint werden kann. Die SPD in Hessen ist inhaltlich so weit weg von der FDP, dass wir aus innerlichen Gründen heraus keine Politik mit denen und schon mal gar nicht eine Koalition machen konnten. Das hat nichts mit Verbocktheit oder Sturheit der FDP in Hessen zu tun.

    Kaess: Sie haben die Jamaika-Koalition angesprochen. Die CDU bemüht sich jetzt sehr intensiv um die Grünen. Haben Sie Bedenken, sollte es doch noch zu einer sogenannten Jamaika-Koalition kommen, dass Ihre politischen Belange durch zuviel Rücksichtnahme auf die Grünen verdrängt werden?

    Hahn: Ganz im Gegenteil, Frau Kaess. Ich bin der festen Überzeugung, eine Jamaika-Koalition in Hessen klappt nur, wenn die FDP weiterhin und noch intensiver die Rolle des Vermittlers, des Brückenbauers übernimmt. Die hessische CDU und die hessischen Grünen sind ja auch weit auseinander. Und das gilt insbesondere persönlich. Al-Wazir hat Koch vor wenigen Wochen, Mitte Januar, noch nicht einmal die Hand bei einer Wahlkampfveranstaltung gegeben. Da muss vieles mit viel Reden und viel Arbeit überbrückt werden. Die hessischen Liberalen sind die Diplomaten, die dieses versuchen zu tun. Und dann werden wir hoffentlich in einer Politik enden, die für die Bürger von Hessen gut ist. Und lassen Sie mich ein Beispiel sagen, wo ich hoffe, dass die Grünen sich in Hessen auch bewegen. Ich drängele sie nicht, denn ich weiß, was drängeln ist. Das hat Frau Ypsilanti und die SPD mit uns gemacht, Studiengebühren.

    In Hamburg ist jetzt gerade an diesem Wochenende ein Kompromiss zwischen CDU und den Grünen gemacht worden, dass die Studiengebühren, wenn man denn als Akademiker denn einen Job hat, nachträglich bezahlt werden muss. Ich kann mir vorstellen, dass wir Derartiges in Hessen dann auch umsetzen können. Hier ist Flexibilität von allen gefragt, und ich sage, insbesondere die drei Spitzenpolitiker sollten sich doch ein bisschen persönlich zurücknehmen und die Sache entscheiden lassen und nicht ihre persönlichen Wünsche.

    Kaess: Aber Herr Hahn, warum könnten Sie denn mit den Grünen in einer Koalition regieren, die Ihnen doch mindestens genauso fern liegt wie die SPD? Die FDP gilt ja nicht gerade als linksliberal?

    Hahn: Die FDP gilt nicht als linksliberal? Das weiß ich nicht. Ich bin überhaupt ungern ein Bindestrich-Liberaler. Wir haben in Hessen eine dezidierte rechtsstaatliche Politik in den letzten Jahren gemacht. Wir haben gerade als FDP den hessischen Innenminister Volker Bouffier immer dort angegriffen, wo er in den Rechtsstaat zu sehr eingegriffen hat, wo er Datenschutzrecht nicht beachtet hat. Das sind auch Themen, die wir mit den Grünen zusammen bearbeiten können. Ich glaube, dass wir alle von diesem Weltbild heruntermüssen, es gibt das Lager und jenes Lager. Und da gibt es für mich zwei ganz wesentliche Punkte, die für die Grünen, aber auch für die FDP zu beachten sind. Sowohl die Grünen haben jetzt an diesem Wochenende, wie aber auch die FDP, Guido Westerwelle und ich schon vor vier, fünf Wochen erklärt, dass wir aus den Lagern herausmüssen, dass es nicht mehr so feste Koalitionsaussagen gibt. Das ist doch auch schon eine Öffnung.

    Kaess: Sie plädieren für mehr Offenheit. Ist denn dann Roland Kochs Entscheidung, nicht mit der Linken zu reden, ein Fehler?

    Hahn: Ich glaube, dass wir da, auch wenn es sehr hektisch im Journalismus zugeht, differenzieren müssen. Roland Koch hat eindeutig am Samstag in der Plenarsitzung am Samstag gesagt, dass er die Linken im Parlament genauso behandelt wie alle anderen Fraktionen. Ich halte es im Übrigen für eine Selbstverständlichkeit. Ich bin Anfang der 70er Jahre in die Politik gekommen mit Voltaires Spruch: "Sie haben eine vollkommen andere Auffassung, als ich, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie diese Auffassung sagen können." Das setzt jetzt Koch, so hat er das jedenfalls angekündigt, im Parlament um. Auf der anderen Seite hat er aber gesagt, dass er, wenn er für die CDU-Landesregierung, die jetzt geschäftsführend tätig ist, Mehrheiten sammeln will, diese mit den in seinen Worten demokratischen Fraktionen sammeln wird und nicht mit den Linken. Das ist ein Unterschied. Er geht davon aus, und da hat er doch recht, sind wir doch nicht albern in der Politik, es wird keine Gesetzesinitiative von Roland Koch und seiner geschäftsführenden Regierung geben, die die Linken unterstützen werden, weil sie inhaltlich eine ganz andere Republik wollen. Das haben wir leider schon am Samstag hören müssen.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch auf die Inhalte, die auf Sie zukommen werden. Hat die Übergangsregierung eine realistische Chance, die Haushaltsberatungen, die im Frühjahr nächsten Jahres in die heiße Phase gehen werden, zu überstehen.

    Hahn: Frau Kaess, Sie sprechen genau den wunden Punkt und den entscheidenden Punkt an. Wir werden jetzt die nächsten Wochen bis zum Sommer jetzt erst einmal schauen, ob wir in dem einen oder anderen inhaltlichen Punkt gemeinsam mit den Grünen und mit der CDU etwas machen können. Da bin ich derzeit übrigens gar nicht optimistisch, weil ich merke, dass die Grünen sich offensichtlich in der konstituierenden Sitzung und gerade auch in der danach anschließenden Ältestenratsitzung sehr mit dem Linksbündnis und mit den Sozialdemokraten solidarisch gezeigt haben. Aber schauen wir mal, vielleicht schaffen wir es ja zum Beispiel bei Studiengebühren. Ich kann da nur die hessischen Grünen auffordern, dasselbe zu tun, wie das die Hamburger gemacht haben. Und dann schauen wir, ob wir in den Haushaltsberatungen zu Potte kommen. Wenn wir zu Potte kommen, ist das die Grundlage für eine stabile Jamaika-Regierung. Wenn wir nicht zu Potte kommen, da, glaube ich, muss ich kein großer Prophet sein, wird es im Sommer nächsten Jahres Neuwahlen in Hessen geben.

    Christiane Kaess: Jörg-Uwe Hahn, Vorsitzender der FDP-Fraktion im hessischen Landtag.