Die FDP-Nahen Friedrich Naumann Stiftung hatte am 19. Mai zusammen mit dem Eichborn-Verlag zur Buchpräsentation eingeladen: Der 1975 geborene Schwede Johann Norberg stellte in Berlin "Das kapitalistische Manifest" vor. Die Stiftung, aber auch die wirtschaftsliberale Presse von Focus bis Frankfurter Allgemeine jubelte. Für sie verkörpert Johan Norberg, der von sich behauptet, in seiner Schulzeit einmal Anarchist gewesen zu sein, den idealen Kronzeugen: Endlich mal ein junger Mensch, der nicht die Thesen der Globalisierungskritiker teilt, sondern sie im Gegenteil in Frage stellt und widerlegen will.
Die Anti-Globalisierungsbewegung wiederholt immer wieder, dass 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der weltweiten Ressourcen konsumieren. Das stimmt. Aber das heißt nicht, dass wir diese Ressourcen dem Rest der Welt wegnehmen. Nein, Tag für Tag schaffen wir diese 80 Prozent der Produktionserträge!
Dieser Stolz auf den angeblich nur produktiven Segen der Industrienationen zieht sich wie ein roter Faden durch das "Kapitalistische Manifest". Der Reichtum der Industrieländer ist vermehrbar und verdient und hat nichts, aber auch gar nichts mit der Armut in den so genannten Entwicklungsländern zu tun. Im Gegenteil: Vom Siegeszug der kapitalistischen Globalisierung hätten nach Johan Norberg auch die armen Länder – zumindest die, die sich dem Weltmarkt geöffnet haben – profitiert. Denn der Freihandel befördere überall auf der Welt das Wirtschaftswachstum, von dem die armen Länder sogar überproportional viel abbekämen.
Nur wer Reichtum für ein größeres Problem hält als Armut, mag Probleme damit haben, dass einige Millionäre werden, während andere, gemessen an ihrer Ausgangsbasis, nur ein wenig reicher geworden sind.
Die Zahl der so genannten "absolut Armen", dass heißt der Menschen, die weniger als einen Dollar pro Tag verdienen, habe sich in den vergangenen zwei Dekaden um mehr als ein Drittel auf 20 Prozent der Weltbevölkerung reduziert. Norberg schreibt sogar – unter anderem mit Verweis auf Weltbankpublikationen - dass sich zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht nur der Anteil, sondern die absolute Zahl der Armen weltweit verringert habe. Setzt man die Armutsgrenze bei zwei Dollar an, hat sich die Zahl in den vergangenen Jahren jedoch erhöht und selbst der Weltbankpräsident James Wolfensohn musste erst im Dezember zugeben, dass fast die Hälfte der Menschheit – 2,8 Milliarden – in Armut lebt.
Was Norberg zudem außer Acht lässt: Die Zahl der Lohnabhängigen weltweit – wie er an anderer Stelle selbst eingesteht - hat in den vergangenen Jahren um 800 Millionen Menschen zugenommen – das sind mehr als 15 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Menschen betreiben keine Subsistenzwirtschaft mehr, sondern sind lohnabhängig geworden, viele von ihnen erwerbslos oder beschäftigt im informellen Sektor, meist für einfache Dienstleistungen oder im Handel. Zuvor, als sie ihr eigenes Stück Land bebauten, kamen sie mit einem Bruchteil des Geldes aus. Von einem, zwei oder auch drei Dollar kann ein Lohnabhängiger nirgends ein erträgliches Leben führen. Nur in 16 Ländern mit insgesamt 11,4 Prozent der Weltbevölkerung können alle Bewohner ihren Kalorienbedarf nach den Richtlinien der Welternährungsorganisation FAO zu decken und eine ausreichende Ernährung der Kinder sichern.
Nicht zu viel, sondern zu wenig Freihandel sei das Problem, kritisiert Norberg. Deshalb greift er auch den Agrarprotektionismus der USA und der Europäischen Union an, die mit Einfuhrzöllen, direkten und indirekten Subventionen Produkte aus der Dritten Welt, wie z.B. Zucker und Baumwolle, von ihren Märkten fern halten. So könnten die Entwicklungsländer ihre "komparativen Kostenvorteile", wie er das nennt, nicht zur Geltung bringen. Neben einigen klimatischen und geographischen Bedingungen zählen zu diesen komparativen Kostenvorteilen vor allem Niedriglöhne und schlechte Umwelt- und Sozialstandards. Norberg glaubt der Fortschritt träte ein, wenn die komparativen Kostenvorteile extensiv genutzt würden. Dafür nimmt er Öko- und Sozialdumping, das sich seit den so genannten Reformen der sozialen Sicherungssysteme offensichtlich auch auf die Bevölkerung in den Industrienationen auswirkt, als notwendiges Übel in Kauf. Der Zweck heilige die Mittel. Mit zunehmendem Wohlstand, so Norberg, würden sich in den Entwicklungsländern die Ansprüche der Menschen vergrößern, sie bekämen dann höhere Löhne und eine bessere Umwelttechnologie. Als Beispiel dienen ihm ausgerechnet wieder die protektionistischen USA und die EU, die sich zunehmend zu Dienstleistungsgesellschaften entwickelt und ihre Produktion von Waren, die arbeitsintensiver und schmutziger sei, mehr und mehr ausgelagert hätten. "Komparative Kostenvorteile" sind für Norberg etwas Naturwüchsiges; es werde immer Nachzügler geben, die dazu verdammt seien, den anderen nachzueifern.
Norberg greift in seinem Buch zahlreiche Forderungen auf, die in der globalisierungskritischen Bewegung zum guten Ton gehören: Umweltschutz, Frauenrechte, Staatsbürgerschaft für Einwanderer und gute Arbeitsbedingungen. Dies alles sei nur zu erreichen, wenn alle Handelsschranken und Grenzen niedergerissen würden, denn erst dann blühe den Menschen wahre Freiheit.
Der größte Nutzen des Freihandels liegt darin, dass er Freiheit bringt: Freiheit für die Menschen, das zu kaufen, was sie wollen und bei wem sie wollen, aber auch die Freiheit, ihre Produkte an denjenigen zu verkaufen, der sie kaufen will. Wirtschaftlich gesehen führt dies zu einer effizienten Ausnutzung von Ressourcen und Kapital.
Ebenso auf die Ökonomie reduziert wie seine mehr als schlichte Vorstellung von Freiheit ist das, was er als Demokratie ausgibt. Norberg ist ein Verfechter der repräsentativen Variante und geht davon aus, dass alles weitere der Markt regelt. Seine Analyse: Diktatur, Protektionismus und wirtschaftlicher Misserfolg seien genauso untrennbar miteinander verbunden, wie auf der anderen Seite Freihandel, Demokratie und wirtschaftliche Prosperität. Als Belege für die sonnige Seite der Welt nennt er asiatische Tigerstaaten, einige Staaten Lateinamerikas und Uganda, Botswana und Mauritius, nicht zuletzt die Staaten der EU und die USA. So ganz genau mit den Fakten nimmt es sein dichotomes Weltbild allerdings nicht: In Singapur etwa herrscht seit der Unabhängigkeit eine Einparteiendiktatur. Dass in den demokratischen Vorzeigestaaten der EU und den USA unter dem Mantel der Terrorismusbekämpfung demokratische Rechte eingeschränkt oder abgeschafft werden und auch schon vor dem 11.September unter dem Stichwort "wehrhafte Demokratie" des Öfteren beschnitten wurden interessiert ihn nicht. Beispiele, die nicht in sein Weltbild passen, lässt er gänzlich aus. Kann man in Südafrika seit dem Sieg der Demokratie über das Apartheidregimes etwa von ökonomischem Erfolg sprechen, wenn es trotz eines dreiprozentigen Wirtschaftswachstums eine Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent gibt? Voll des Lobes ist Norberg für das weltweit erste neoliberale Experiment in Chile: Zwischen 1975 und 1995 habe sich dort das Realeinkommen verdoppelt. Aber das war unter der von den USA geförderten Militärdiktatur Augusto Pinochets, was Norberg an dieser Stelle geflissentlich verschweigt.
Als schlagendsten Beweis für seine Erfolgstheorie führt Johan Norberg immer wieder Europa an, das dank der industriellen Revolution den anderen "davongezogen" sei. Mit dieser Behauptung offenbart der studierte Historiker die ideologische Verkümmerung geschichtlichen Wissens. Kolonialisierung und Imperialismus haben für ihn nichts mit der damaligen und heutigen Verteilung der Ressourcen zu tun. Sie sind für ihn nicht mehr als eine historische Randerscheinung. So wundert es nicht, dass Norberg die Geschichte des europäischen Imperialismus und die ökonomischen, politischen und kulturellen Zusammenhänge zwischen kolonialer Ausbeutung und Aufstieg europäischer Nationen schlicht leugnet:
Gewiss wurden die natürlichen Ressourcen im Zeitalter des Imperialismus gestohlen, aber dieser Diebstahl ist für den Wohlstand der westlichen Welt und für die Armut der Armen unbedeutend gewesen.
Kein Wort verliert Norberg außerdem über den internationalen Waffenhandel, der vor allem aus den Industrieländern in die Dritte Welt getätigt wird; kein Wort über Emissionshandel, Giftmüllexporte und den Raubbau an Bodenschätzen.
Wer Norbergs "Kapitalistisches Manifest" aufmerksam liest, wird schnell feststellen, dass er an vielen Stellen die Worte Menschen und Unternehmen synonym verwendet. Jeder ist seine eigene Ich-AG – die Jung-Yuppies in den Metropolen und die Armen in den so genannten Entwicklungsländern. Der Bürger soll: "sparen, investieren und arbeiten". Dieser Ratschlag geht auf zynische Weise an der Realität der Weltbevölkerungsmehrheit weit vorbei. Aber um deren Interessen geht es Norberg auch gar nicht, er möchte offenbar denjenigen Absolution erteilen, die heute mit dem Elend anderer Menschen ihr Geld verdienen und sich von den Argumenten ihrer Kritiker gestört fühlen. Wer auf dieses Buch gemäß des schwedischen Originaltitels zur "Verteidigung des Kapitalismus" zurückgreift, wird mit dessen dürftigen Argumenten nicht überzeugen können. Die wohlwollenden Besprechungen in der neoliberalen Presse sind vor allem eines: Ein Hinweis auf die manifeste Legitimationskrise der Vertreter dieser Ideologie.
Das Kapitalistische Manifest; Warum allein die globalisierte Marktwirtschaft den Wohlstand der Menschen sichert von Johan Norberg, erschienen im Eichborn Verlag. 302 Seiten hat das Buch und kostet 22.90 €.
Die Anti-Globalisierungsbewegung wiederholt immer wieder, dass 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der weltweiten Ressourcen konsumieren. Das stimmt. Aber das heißt nicht, dass wir diese Ressourcen dem Rest der Welt wegnehmen. Nein, Tag für Tag schaffen wir diese 80 Prozent der Produktionserträge!
Dieser Stolz auf den angeblich nur produktiven Segen der Industrienationen zieht sich wie ein roter Faden durch das "Kapitalistische Manifest". Der Reichtum der Industrieländer ist vermehrbar und verdient und hat nichts, aber auch gar nichts mit der Armut in den so genannten Entwicklungsländern zu tun. Im Gegenteil: Vom Siegeszug der kapitalistischen Globalisierung hätten nach Johan Norberg auch die armen Länder – zumindest die, die sich dem Weltmarkt geöffnet haben – profitiert. Denn der Freihandel befördere überall auf der Welt das Wirtschaftswachstum, von dem die armen Länder sogar überproportional viel abbekämen.
Nur wer Reichtum für ein größeres Problem hält als Armut, mag Probleme damit haben, dass einige Millionäre werden, während andere, gemessen an ihrer Ausgangsbasis, nur ein wenig reicher geworden sind.
Die Zahl der so genannten "absolut Armen", dass heißt der Menschen, die weniger als einen Dollar pro Tag verdienen, habe sich in den vergangenen zwei Dekaden um mehr als ein Drittel auf 20 Prozent der Weltbevölkerung reduziert. Norberg schreibt sogar – unter anderem mit Verweis auf Weltbankpublikationen - dass sich zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht nur der Anteil, sondern die absolute Zahl der Armen weltweit verringert habe. Setzt man die Armutsgrenze bei zwei Dollar an, hat sich die Zahl in den vergangenen Jahren jedoch erhöht und selbst der Weltbankpräsident James Wolfensohn musste erst im Dezember zugeben, dass fast die Hälfte der Menschheit – 2,8 Milliarden – in Armut lebt.
Was Norberg zudem außer Acht lässt: Die Zahl der Lohnabhängigen weltweit – wie er an anderer Stelle selbst eingesteht - hat in den vergangenen Jahren um 800 Millionen Menschen zugenommen – das sind mehr als 15 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Menschen betreiben keine Subsistenzwirtschaft mehr, sondern sind lohnabhängig geworden, viele von ihnen erwerbslos oder beschäftigt im informellen Sektor, meist für einfache Dienstleistungen oder im Handel. Zuvor, als sie ihr eigenes Stück Land bebauten, kamen sie mit einem Bruchteil des Geldes aus. Von einem, zwei oder auch drei Dollar kann ein Lohnabhängiger nirgends ein erträgliches Leben führen. Nur in 16 Ländern mit insgesamt 11,4 Prozent der Weltbevölkerung können alle Bewohner ihren Kalorienbedarf nach den Richtlinien der Welternährungsorganisation FAO zu decken und eine ausreichende Ernährung der Kinder sichern.
Nicht zu viel, sondern zu wenig Freihandel sei das Problem, kritisiert Norberg. Deshalb greift er auch den Agrarprotektionismus der USA und der Europäischen Union an, die mit Einfuhrzöllen, direkten und indirekten Subventionen Produkte aus der Dritten Welt, wie z.B. Zucker und Baumwolle, von ihren Märkten fern halten. So könnten die Entwicklungsländer ihre "komparativen Kostenvorteile", wie er das nennt, nicht zur Geltung bringen. Neben einigen klimatischen und geographischen Bedingungen zählen zu diesen komparativen Kostenvorteilen vor allem Niedriglöhne und schlechte Umwelt- und Sozialstandards. Norberg glaubt der Fortschritt träte ein, wenn die komparativen Kostenvorteile extensiv genutzt würden. Dafür nimmt er Öko- und Sozialdumping, das sich seit den so genannten Reformen der sozialen Sicherungssysteme offensichtlich auch auf die Bevölkerung in den Industrienationen auswirkt, als notwendiges Übel in Kauf. Der Zweck heilige die Mittel. Mit zunehmendem Wohlstand, so Norberg, würden sich in den Entwicklungsländern die Ansprüche der Menschen vergrößern, sie bekämen dann höhere Löhne und eine bessere Umwelttechnologie. Als Beispiel dienen ihm ausgerechnet wieder die protektionistischen USA und die EU, die sich zunehmend zu Dienstleistungsgesellschaften entwickelt und ihre Produktion von Waren, die arbeitsintensiver und schmutziger sei, mehr und mehr ausgelagert hätten. "Komparative Kostenvorteile" sind für Norberg etwas Naturwüchsiges; es werde immer Nachzügler geben, die dazu verdammt seien, den anderen nachzueifern.
Norberg greift in seinem Buch zahlreiche Forderungen auf, die in der globalisierungskritischen Bewegung zum guten Ton gehören: Umweltschutz, Frauenrechte, Staatsbürgerschaft für Einwanderer und gute Arbeitsbedingungen. Dies alles sei nur zu erreichen, wenn alle Handelsschranken und Grenzen niedergerissen würden, denn erst dann blühe den Menschen wahre Freiheit.
Der größte Nutzen des Freihandels liegt darin, dass er Freiheit bringt: Freiheit für die Menschen, das zu kaufen, was sie wollen und bei wem sie wollen, aber auch die Freiheit, ihre Produkte an denjenigen zu verkaufen, der sie kaufen will. Wirtschaftlich gesehen führt dies zu einer effizienten Ausnutzung von Ressourcen und Kapital.
Ebenso auf die Ökonomie reduziert wie seine mehr als schlichte Vorstellung von Freiheit ist das, was er als Demokratie ausgibt. Norberg ist ein Verfechter der repräsentativen Variante und geht davon aus, dass alles weitere der Markt regelt. Seine Analyse: Diktatur, Protektionismus und wirtschaftlicher Misserfolg seien genauso untrennbar miteinander verbunden, wie auf der anderen Seite Freihandel, Demokratie und wirtschaftliche Prosperität. Als Belege für die sonnige Seite der Welt nennt er asiatische Tigerstaaten, einige Staaten Lateinamerikas und Uganda, Botswana und Mauritius, nicht zuletzt die Staaten der EU und die USA. So ganz genau mit den Fakten nimmt es sein dichotomes Weltbild allerdings nicht: In Singapur etwa herrscht seit der Unabhängigkeit eine Einparteiendiktatur. Dass in den demokratischen Vorzeigestaaten der EU und den USA unter dem Mantel der Terrorismusbekämpfung demokratische Rechte eingeschränkt oder abgeschafft werden und auch schon vor dem 11.September unter dem Stichwort "wehrhafte Demokratie" des Öfteren beschnitten wurden interessiert ihn nicht. Beispiele, die nicht in sein Weltbild passen, lässt er gänzlich aus. Kann man in Südafrika seit dem Sieg der Demokratie über das Apartheidregimes etwa von ökonomischem Erfolg sprechen, wenn es trotz eines dreiprozentigen Wirtschaftswachstums eine Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent gibt? Voll des Lobes ist Norberg für das weltweit erste neoliberale Experiment in Chile: Zwischen 1975 und 1995 habe sich dort das Realeinkommen verdoppelt. Aber das war unter der von den USA geförderten Militärdiktatur Augusto Pinochets, was Norberg an dieser Stelle geflissentlich verschweigt.
Als schlagendsten Beweis für seine Erfolgstheorie führt Johan Norberg immer wieder Europa an, das dank der industriellen Revolution den anderen "davongezogen" sei. Mit dieser Behauptung offenbart der studierte Historiker die ideologische Verkümmerung geschichtlichen Wissens. Kolonialisierung und Imperialismus haben für ihn nichts mit der damaligen und heutigen Verteilung der Ressourcen zu tun. Sie sind für ihn nicht mehr als eine historische Randerscheinung. So wundert es nicht, dass Norberg die Geschichte des europäischen Imperialismus und die ökonomischen, politischen und kulturellen Zusammenhänge zwischen kolonialer Ausbeutung und Aufstieg europäischer Nationen schlicht leugnet:
Gewiss wurden die natürlichen Ressourcen im Zeitalter des Imperialismus gestohlen, aber dieser Diebstahl ist für den Wohlstand der westlichen Welt und für die Armut der Armen unbedeutend gewesen.
Kein Wort verliert Norberg außerdem über den internationalen Waffenhandel, der vor allem aus den Industrieländern in die Dritte Welt getätigt wird; kein Wort über Emissionshandel, Giftmüllexporte und den Raubbau an Bodenschätzen.
Wer Norbergs "Kapitalistisches Manifest" aufmerksam liest, wird schnell feststellen, dass er an vielen Stellen die Worte Menschen und Unternehmen synonym verwendet. Jeder ist seine eigene Ich-AG – die Jung-Yuppies in den Metropolen und die Armen in den so genannten Entwicklungsländern. Der Bürger soll: "sparen, investieren und arbeiten". Dieser Ratschlag geht auf zynische Weise an der Realität der Weltbevölkerungsmehrheit weit vorbei. Aber um deren Interessen geht es Norberg auch gar nicht, er möchte offenbar denjenigen Absolution erteilen, die heute mit dem Elend anderer Menschen ihr Geld verdienen und sich von den Argumenten ihrer Kritiker gestört fühlen. Wer auf dieses Buch gemäß des schwedischen Originaltitels zur "Verteidigung des Kapitalismus" zurückgreift, wird mit dessen dürftigen Argumenten nicht überzeugen können. Die wohlwollenden Besprechungen in der neoliberalen Presse sind vor allem eines: Ein Hinweis auf die manifeste Legitimationskrise der Vertreter dieser Ideologie.
Das Kapitalistische Manifest; Warum allein die globalisierte Marktwirtschaft den Wohlstand der Menschen sichert von Johan Norberg, erschienen im Eichborn Verlag. 302 Seiten hat das Buch und kostet 22.90 €.