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Johann Gottlieb Fichte
Unter den Gesetzen der Kausalität

Fichte, der Denker des gesellschaftlichen und historischen Fortschritts im Sinne der Freiheit, ist vor 200 Jahren mit 51 Jahren gestorben. Für den Philosophen Manfred Frank ist Fichtes Ansatz über das Selbstbewußtsein bis heute einzigartig.

Manfred Frank im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: "Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung" – soweit der Philosoph Johann Gottlieb Fichte über den zentralen Begriff seines Denkens: das "absolute Ich". Formuliert in seiner "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre".
    Fichte, der Denker der Autonomie, der Freiheit, des gesellschaftlichen und historischen Fortschritts im Sinne der Freiheit, er ist heute vor 200 Jahren gestorben, mit 51 Jahren, an Fleckfieber, wie es damals hieß.
    Ein Kongress an der Humboldt-Universität befasst sich ab heute bis Freitag mit seinem Werk. "Mit Fichte philosophieren" so heißt die Veranstaltung. - Müsste man heute nicht, um mit Fichte zu philosophieren, gegen das Heute philosophieren, das den Menschen weniger frei denkt als bestimmt durch genetische, hirnphysiologische und soziale Voraussetzungen? Das habe ich den Philosophen Manfred Frank gefragt.
    Manfred Frank: Das sieht so aus. Es scheint mir, ein Missverständnis zu sein. Fichte war Idealist und kein Materialist, aber er leugnete nicht, dass im Bereich der erscheinenden Welt, wie er die materielle Welt nannte, alles unter Gesetzen der Kausalität stand, genau wie sein Meister Kant, dem er ja weitgehend folgt. Er war nur der Meinung – und dabei war er wahrscheinlich falsch beraten -, dass freie Handlungen, die sittlich relevant sind, in irgendeinem Sinne mit den Naturgesetzen brechen müssen, und deswegen hat er auch nicht behauptet, dass der Mensch frei ist, sondern dass, wenn er sich sittliche Handlungen zuschreibt, er sich Quellen der Freiheit postulierend zuschreiben muss. Er muss unterstellen, dass das möglich ist, dessen theoretische Möglichkeit wir nicht einsehen können.
    Schmitz: Was würde Fichte denn, um weiter mit wichtigem philosophischem, soziologischem Denken ihn zu konfrontieren, vom postmodernen Relativismus halten einerseits, ...
    Frank: Gar nichts!
    Schmitz: ... , andererseits auch von der Diskurs-Theorie von Jürgen Habermas?
    Frank: Er würde den Relativismus zum Beispiel von Rorty nehmen, denn von den neueren Franzosen, Foucault, Derrida, Deleuze und so weiter, gibt es über dieses Thema ja genau genommen gar keine Theorie. Wo hätte Derrida sich als Relativist geoutet? Meistens meint man Richard Rorty, der wirklich ein gnadenloser Relativist und ein sehr kluger war.
    Fichte war hingegen das Gegenteil eines Relativisten: Er war, wie man das nennt, Fundamentalist. Er glaubte nämlich, dass wir Wahrheitsansprüche, also den Anspruch darauf, dass einige unserer Überzeugungen wahr sind, nicht anders begründen können, als dass wir ein höchstes Prinzip annehmen, das auf Evidenz beruht, das also schlechterdings einleuchtend ist und das gar nicht mit Sinn bezweifelt werden kann, und das war für ihn das sich selbst setzende Ich. Da er dieses Prinzip annahm, hat man seine Position Fundamentalismus genannt, und zwar einen subjektiven Fundamentalismus, der haargenau das Gegenteil der Rortyschen postmodernen Position ist, sodass, wenn diese Denker des Postmodernismus sich überhaupt je mit Fundamentalismen auseinandergesetzt haben – bei Rorty ist das der Fall -, dann sicher nicht mit Fichte.
    Schmitz: Ein Satz zu Jürgen Habermas und seiner Diskurs-Theorie?
    Frank: Der berühmte Begriff der wechselseitigen Anerkennung, der oft auf Hegel zurückgeführt wird, stammt de facto von Fichte, und natürlich hat Fichte gewusst, dass nicht das Individuum, sondern ein absolutes Ich der Vergeber von Wahrheitsansprüchen ist. Das heißt: Anders als Habermas glaubt er nicht, dass wir über das Gespräch mit anderen Subjekten zur Begründung der Gültigkeit unserer Überzeugung kommen, sondern dass wir andere Subjekte überhaupt erst als andere Subjekte erkennen können, wenn wir zuvor mit Subjektivität überhaupt bekannt waren. Das scheint mir richtig zu sein und ein starkes Argument gegen den apriorischen Intersubjektivismus von Habermas und seiner Schule.
    Schmitz: Herr Frank, als Philosophie-Professor, einst in Genf und später in Tübingen, und auch als Autor zahlreicher Schriften haben Sie sich unter anderem intensiv mit dem Phänomen des Selbstbewusstseins beschäftigt.
    Frank: Ja.
    Schmitz: Fichte hat die Selbstsetzung des Ich zum Angelpunkt seines Denkens gemacht. Sie haben es auch gerade skizziert. In welcher Form hat das Ihr Bild vom Menschen inspiriert und wie?
    Frank: Ganz entscheidend, denn er hat eine von nur wenigen Philosophen vertretene Ansicht zum ersten Mal publiziert, nämlich dass Selbstbewusstsein erstens ein Prinzip ist, und zweitens, dass es eine andere Struktur hat, als sie normalerweise von Hirnforschern oder Bewusstseinsphilosophen ihm zugeschrieben wird. Bewusstsein ist prä-reflexiv.
    Schmitz: Das heißt?
    Frank: Es ist unmittelbar, nicht durch einen zweiten Akt, der einen ersten Akt erst ins Bewusstsein bringt, schon bewusst.
    Schmitz: Manfred Frank, Tübinger Emeritus der Philosophie, über Johann Gottlieb Fichte anlässlich seines 200. Todesjahres.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.