"Johann Sebastian Bach - Italienisches Konzert BWV 971 etc."
Auf der neuen Orfeo-CD der Pianistin Elena Kuschnerova geht es erstaunlich konventionell zu. Die zweifellos zu Recht geschätzte Russin, die seit 1992 in Deutschland lebt, hat Bach-Aufnahmen vorgelegt, die vor zwanzig Jahren womöglich noch entzückt hätten, heute aber eher beiläufig wirken. Italienisches Konzert, Französische Suite Nr. 2, Partita Nr. 6, Toccata e-moll und Präludium mit Fuge c-moll aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Klaviers werden in klarer Diktion und mit kultiviertem Anschlag ziemlich geradeaus gespielt. Dass man im c-moll-Präludium einen offenkundigen Fehler stehen ließ, ist wohl mehr auf die Schlamperei der Editoren zurückzuführen. Natürlich kann die Kuschnerova die Schlusskadenz spielen, ohne einen Knoten in die Finger zu kriegen. Aber dass sie das Präludium so egalweg nimmt, mit geradezu stereotypem Nonlegato und in einem keineswegs berauschenden Tempo, das zeigt, dass diese Pianistin sich noch längst nicht von den Traditionen der 60er und 70er Jahre befreit hat. Anderseits fehlt ihr aber auch offenbar der selbstverständliche Ernst der Verinnerlichung, wie ihn ein Anschlagsmeister wie Peter Rösel bei Bach aufbringt, oder das streng analytische Moment einer Heidrun Holtmann. Der Konzertflügel wirkt eigentümlich reduziert in seinen Möglichkeiten. Dahinter steht wohl doch jene Ästhetik, die einst vom Pianisten forderte, aus dem Flügel ein imaginäres Cembalo zu machen, wozu sowohl der Flügel als auch das Cembalo eigentlich zu schade sind. Kurz: die Kuschnerova spielt Bach wie gedruckt. Dafür muss man ihn freilich nicht hören; da reicht auch das Notenlesen. Das alles geschieht auf zweifellos hohem pianistischem Niveau. Und so fragt man sich: Wer zum Teufel hat dieser Künstlerin das Temperament aus ihrem Bach-Spiel ausgetrieben? Haltet den Dieb! * Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach - 1. Satz aus: Italienisches Konzert BWV 971 Elena Kuschnerova mit dem ersten Satz zum Italienischen Konzert von Johann Sebastian Bach. Aus jedem Takt hört man da den gestrengen Klavierlehrer heraus, und man möchte einen Satz Immanuel Kants variieren: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus unverschuldeter Schulbildung. Vielleicht wird diese fabelhafte Pianistin eines Tages sehen, dass man auch bei Bach nicht hören möchte, was ein Pianist gelernt hat, sondern was er uns mitzuteilen imstande ist: über seine Einsichten, Gedanken, Gefühle und Leidenschaften.