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"Johanna von Orléans" bei den Salzburger Festspielen

Schonungslos geht Michael Thalheimer mit der Jungfrau von Orléans um, reduziert den Text auf das Notwendigste. Seine Hauptprotagonistin verliert er dabei nicht aus den Augen, die Vielschichtigkeit seiner Vorlage allerdings schon.

Von Karin Fischer | 29.07.2013
    Johanna steht, in ein weißes Hemdchen gekleidet, mit Schwert und stierem Blick rechts vorne auf der Bühne, ausgeleuchtet und wie ausgeschnitten von einem starken Lichtstrahl, der von hinten oben auf sie fällt.

    Die blonde Kathleen Morgeneyer mit ihren starken Zügen wird diesen Platz nur ein einziges Mal verlassen, ansonsten steht sie da, den ganzen Abend, mit entschlossenem, fast stierem Blick, der später zorniger wird, und noch später weicher wie verwundert.

    Ähnlich armselig fällt das Sprach-, Gesten- und Bewegungs-Repertoire aus, das Michael Thalheimer den anderen Figuren zugesteht. Alle scheinen schimpfend zu rufen oder rufend zu schimpfen, wobei man sie praktisch nicht sieht, denn der Rest der Bühne ist stockdunkel. Dreieinhalb Menschen haben in Johannas Lichtkegel Platz, die Szene am Hof von König Karl spielt hier, die Jungfrau wird dabei umstellt und übersehen, als ob sie ein Geist wäre. Christoph Franken als König ist ein weichlicher Ästhet und ausgemachter Feigling, das Hervorstechendste an Meike Droste als die Geliebte Agnes ist ihr scheußliches rot geblümtes Kleid. Auch Almut Zilcher, als Karls Mutter hier auch das feindliche Gegenüber, ist hexenhaft steif und hässlich ausstaffiert mit grauem Dutt. Immerhin vertreten die Frauen aber eine Haltung, während die Männer, tapfere Kämpfer zumeist, wie Herolde ihren Text ausrufen. Oder, bevor sie ihr Leben aushauchen, einen großen Schluck Theaterblut ästhetisch sicher Johanna über die Schulter und ins Scheinwerferlicht spucken.

    Michael Thalheimers Markenzeichen ist diese entindividualisierte Sprache, diese Reduktion des Textes auf das Notwendige, diese Schmalspur-Charakterisierung von Menschen, die dann aber – wie mit Johannas Lichtkegel – zur besseren Kenntlichkeit heraus modelliert werden. Thalheimer lässt weg, um Positionen zu markieren. Schwierig wird es immer dann, wenn er Textmassen zu verarbeiten hat, wie bei Kleist oder Schiller. Das geht häufig schief, wie jetzt in Salzburg.

    Denn Schillers "Jungfrau von Orleans" ist ein Hammer, weil er Krieg, Katholizismus, Glauben, Aufklärung, die Französische Revolution für eine Debatte geschichtsphilosophischer Fragen seiner Zeit nutzt: Kann der Glaube an die innere Bestimmung größer sein als alle Vernunft? Oder: Darf man im Namen eines "höheren Auftrags" töten? Und was, wenn man plötzlich irre wird an diesem Glauben?

    Ob Mitleid, menschliche Rührung oder Liebe: Johanna ist wie vom Blitz getroffen. Der Blitz, der ihre Seelenrüstung sprengt, heißt Lionel und ist Engländer aus dem gegnerischen Heer. Die starke Jungfrau wird schwach, ihr Absolutheitsanspruch ist nicht mehr aufrechtzuerhalten, sie zweifelt, stirbt. Die echte Johanna wurde verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, Schiller lässt seine Heldin in einer letzten wundersamen Fügung den König retten und in der Schlacht sterben. Eigentlich aber lässt er einen Menschen an einer Idee scheitern – und erhöht sie dafür.

    Dass Thalheimer aus dem Stoff keine Kriegs-Soap um Macht und Moral und auch keine Terror-Warnung machen würde, war klar. Ihm geht es nicht mal – moderner – um die Frage nach dem selbstbestimmten Handeln in einer zerfallenden, orientierungslosen Welt. Aber worum dann? Mit den Schauspielern bleibt jede Idee für das Drama im Dunkeln. Wenn ganz zum Schluss die Szene hell und die geniale Bühnen-Idee von Olaf Altmann endlich sichtbar wird, ist es leider zu spät für einen inhaltlichen Aha-Effekt.

    Michael Thalheimers Figuren sind oft steif, hölzern, gemeißelt, mit körperlichen oder sprachlichen Ticks versehen. Im Vergleich zu dieser statischen Salzburger Aufführung waren sein Frankfurter Fallada oder der Berliner Horváth nachgerade Ausbrüche von Emotionalität. Wenn Thalheimer mit seiner "Johanna" eine neue Radikalität im Ausdruck gesucht hat, ist ihm das gelungen. Nur hat er die Vieldimensionalität von Schillers Drama damit auch radikal verfehlt.
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    Jeanne d'Arc (dpa/PHOTOPQR/L'EST REPUBLICAIN/Alexandre MARCH)