Kgafela oa Magogodi, einer der populärsten Lyriker Südafrikas. Er stammt aus Soweto, dem größten schwarzen Township von Johannesburg. In Jozi, wie die Stadt von seinen Bewohnern liebevoll genannt wird, brodelt es. Die vielfältige Literatur- und Kulturszene gilt als wichtiger Seismograph des gesellschaftlichen und politischen Wandels. Ich möchte herausfinden, was in Johannesburg gelesen wird, welchen Stellenwert Bücher haben und mache mich in der spannendsten Stadt des afrikanischen Kontinents auf Entdeckungsreise.
Am Beginn steht Melville, ein Vorort nicht weit vom Stadtzentrum der 13-Millionen-Metropole entfernt und seit jeher ein Viertel der Künstler und Literaten.
Hier lebt und arbeitet Corina van der Spoel. Die Buchhändlerin leitet seit elf Jahren das "Boekehuis". Corina van der Spoel erzählt von den Anfängen:
"Manchmal passieren Träume einfach so, ohne dass man davon träumt. Ich habe schon vorher in Verlagen gearbeitet, in Buchläden, weiß wie die Sache läuft und kenne mich wirklich gut mit Büchern aus. Und dann fing ich einfach an. Schließlich haben wir im Februar oder März 2000 unseren eigenen Laden aufgemacht. Ich wollte unbedingt einen Buchladen haben, in dem ich selbst gerne einkaufen würde.""
Das "Boekehuis" beeindruckt mit einem ausgesuchten Sortiment. In den Regalen findet der Buchliebhaber neben höchster Qualität auch einen ungewöhnlichen Mix aus südafrikanischen und internationalen Titeln.
"Ein wichtiger Schwerpunkt des Programms ist ganz klar die südafrikanische Literatur. In den letzten zehn Jahren ist der Markt für südafrikanische Literatur, südafrikanische Biographien und Geschichtsbücher förmlich explodiert. Es ist einfach toll, dass unser Buchladen ein Teil dieser Erfolgsgeschichte ist und man das alles bei uns kaufen kann. Ja!"
Treue Kunden wissen das zu schätzen
"Ja, dieser Laden hier ist auch für mich wie eine kulturelle Spritze. Ich brauche das in meinem Leben, hierherzukommen – fast jeden zweiten Tag. Auch wegen des guten Kaffees hier."
Und was sucht er heute?
"Ich suche ein deutsches Buch, ich sah im deutschen Fernsehen was über den Autor Abbas Khider. Sein Buch heißt "Die Orangen des Präsidenten" oder so ähnlich und wir konnten das Buch nicht in Englisch finden. Aber das war das Buch, nach dem wir gerade gesucht haben."
Der Psychologieprofessor ist typisch für Corina van der Spoels Kundschaft.
"Ich würde mal sagen, dass unsere Auswahl bestimmt, wer bei uns kauft. Ich glaube, das sind Leute, die sich intellektuell für alle möglichen Themen interessieren. Es gibt eine ganze Reihe von Akademikern, die hier ihre Bücher kaufen, aber auch viele andere aus allen Sprachgruppen kommen zu uns. Na, es gibt natürlich nicht viele Bücher, die es in den anderen Sprachen gibt. Meistens Kinderbücher und ja klar, die haben wir natürlich."
Im neuen Südafrika gibt es elf Nationalsprachen, neben den früheren Kolonialsprachen Englisch und Afrikaans neun afrikanische Sprachen. Aber steht im Regalen des Boekehuis auch ein Buch auf Zulu?
"Nein, wenn ich genau überlege, nein, nicht wirklich. Ich kann dir wirklich kein einziges zeigen. Keins, das übersetzt worden ist, äh, nein ich glaube, die Bücher zielen wohl eher auf den Schul- und Ausbildungssektor. Äh, sie haben eine andere Funktion und sind weniger literarisch. Das ist wohl der Grund, warum es so wenige davon gibt."
Seit den ersten freien Wahlen 1994 hat die neue ANC-Regierung umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Ungerechtigkeiten aus der Apartheidzeit zu beseitigen. Ganz gezielt kümmert sich Kulturminister Paul Mashatile um die Literaturen des schwarzen Südafrika. Das bedeutet, Verlegern und Übersetzern die Möglichkeit zu geben, Bücher aus den afrikanischen Sprachen ins Englische zu übersetzen oder in ihrer Originalsprache zu veröffentlichen.
Ich gehe nach in Brixton, einem ehemals weißen Stadtteil, der heute eine interessante Kulturszene mit Off-Theatern und Galerien beheimatet. Sandile Ngidi ist Lyriker, Übersetzer und Herausgeber des renommierten Literaturmagazins "Baobab". Gefördert wird das Magazin vom Kulturministerium. Sandile Ngidi ist Zulu. Seine Einstellung zum "Boekehuis":
"Leider zeigen solche Orte auch die Widersprüche eines gesellschaftlichen Umbruchs, der noch vieles schuldig bleibt. Der Umbruch ist bisher ein unerledigtes Geschäft. Es zeigt sich, dass heute immer noch nur die Leute Zugang zu Literatur und Büchern, zu Buchläden haben, die in den ehemals weißen Vororten Südafrikas leben. Natürlich ist ein Ort wie dieser sehr wichtig, und man kann Menschen wie Corina van der Spoel gar nicht genug für ihr Engagement danken. Aber leider gibt es viel mehr zu tun, wenn man mehr Leser und eine größere Aufmerksamkeit für die Literatur und die Geschichten unseres Landes erzielen will - sie dauerhaft verankern will. Das ist in Südafrika bisher nicht wirklich gelungen. Eine der größten Ironien ist, dass die indigenen Literaturen Südafrikas zu den ältesten Literaturen Afrikas zählen aber dennoch extrem an den Rand gedrängt werden."
Sandile Ngidi sieht durchaus den guten Willen der Regierung – doch damit ist es nicht getan. Bücher sind in Südafrika unverhältnismäßig teuer. Viele schwarze südafrikanische Haushalte müssen mit umgerechnet 300 Euro im Monat zurechtkommen. Der Lyrikband von Kgafela oa Magogodi kostet umgerechnet 25 Euro.
"In diesem Land, und das gilt besonders für die schwarzen Gemeinden, ist das Lesen als Zeitvertreib nicht mehr als ein Gerücht. Kaum jemand liest aus Freude am Lesen, es sind wirklich die wenigsten. Daher müssen wir realistisch sein, wenn wir daran gehen, Lesen und Literatur einer breiten Masse anzubieten und sollten dabei auch mit anderen Medien, wie den darstellenden Künsten oder anderen Wissensgebieten zusammenarbeiten. Dazu gehören natürlich besonders die Schulen. Kinder müssen an Bücher herangeführt werden, schon in der Vorschule und den ersten Schuljahren. Bei uns werden Bücher noch immer so vermarktet, als seien wir ein Land in Europa: Bücher werden in Buchläden weggesperrt. Dabei ist es so wichtig, dass man ein neues Publikum für die Literatur gewinnt, denn nur dadurch kann das Buch in diesem Land auf Dauer überleben."
Und wie traurig das manchmal in der Realität aussieht, das erleben ich jetzt.
Ich bin auf dem Weg raus aus der Stadt. Mein Ziel: Soweto. Circa vier Millionen Menschen leben hier. Hier begann der Widerstand gegen das Apartheid-Regime, heute ist Soweto eine quirlige Metropole mit Shopping-Malls und einer stabilen Mittelklasse. Dennoch gibt es Orte, an denen der Fortschritt spurlos vorbeigegangen ist. Wir sind in Kliptown, das Viertel gehört zu den ärmsten, viele Bewohner leben in Hütten.
In Kliptown setzt die NGO SKY, das heißt übersetzt Himmel und ist ein Acronym für Soweto Kliptown Youth genau das um, was Sandile Ngidi für notwenig hält. Kinder und Jugendliche sollen durch kulturelle Aktivitäten gefördert werden, finanziert wird das ganze durch ehrenamtliche Arbeit und private Spenden. Im Hüttenmeer sind die drei quietschbunten Steinhäuser von SKY nicht zu übersehen. Zum Konzept gehört eine Bibliothek. Oder vielmehr gehörte, denn vor einigen Wochen hat ein Brand alles zerstört. Bob Nameng gründete die NGO 1987 und leitet sie bis heute.
"Wir fördern das Lesen, immer schon. Deshalb hatten wir eine Bibliothek, die ist kürzlich abgebrannt. Aber wir geben nicht auf und kämpfen. Ich seh es noch vor mir als es brannte, nachts kamen die Kids, ich meine die Zehnjährigen, die neun, elf- und zwölfjährigen und starrten auf die Explosion, die großen Flammen. Sie alle weinten so sehr, das hat mich überrascht und gerührt. Und als ein Kind plötzlich rief: WOW, wir haben unsere Bücher verloren! Da ist mir klar geworden, wie wichtig diesen Kids die Bücher sind. So wichtig für ihr Leben."
Einer von den Jungs, die diese Nacht miterlebten ist Thabo.
"Ich war so traurig, mein Herz brach. Wir haben doch soviel gemacht für diese Bibliothek. Gerade hier im Armenviertel war sie so wichtig. Normalerweise findet man kaum Bibliotheken, die nicht von der Stadt verwaltet werden. Und ganz bestimmt findet man keine in einem Viertel wie Kliptown. Denn, klar, nur über Bildung kommt man hier raus. Das gilt besonders für Leute wie uns. Wir haben kein Wasser, die paar öffentlichen Waschbecken sind ständig verstopft, es gibt keine Kanalisation. Wir haben keinen Strom und keine richtige Infrastruktur. Der einzige Weg aus der Armut und aus dem ständigen Überlebenskampf ist Bildung. Der Brand hat einen großen Teil unserer Bildungschancen zerstört. Ich war und bin am Boden zerstört. So schrecklich traurig!"
Aber Bob Nameng gibt nicht auf. Er weiß genau, warum seine Arbeit so wichtig ist.
"Unsere Regierung tut einfach nicht genug, um Lesen zu fördern oder eine Kultur des Lesens für die Menschen attraktiv zu machen. Ich bin aber nicht der Typ, der da sitzt, auf die Regierung zeigt und meckert. Nein, wir bitten um Bücher, wir bitten Leute um Bücher, die sie inspiriert haben, damit die Kids hier auch Zugang zu unserer Kultur und unserem Erbe haben und lesen können. Lesen ist doch so wichtig und ich ermutige besonders unsere Kids, afrikanische Autoren und afrikanische Geschichten zu lesen, weißt du! Menschenliebe fängt zuhause an! Sie müssen mehr über ihren Kontinent erfahren, erst dann können sie weiter in die Welt hinaus! Ohne Lesen gibt es doch keine Zukunft! Es gibt kein besseres Leben ohne Bücher, denn alles Wissen verbirgt sich in einem Buch."
Zurück im "Boekehuis" in Melville, sitze ich mit Corina van der Spoel auf der Terrasse. Sie will wissen, was ich in Soweto erlebt habe. Ich erzähle von dem großen Engagement und der grenzenlosen Lesefreude. Corina van der Spoel ist da eher skeptisch:
"Ach, ich würde so gerne hoffen, dass es mehr Bücher afrikanischer Autoren gibt. Qualitativ anspruchsvolle Bücher, egal ob in den afrikanischen Sprachen oder...Nun, das wäre wirklich was! Aber das sehe ich einfach nicht kommen. Ich glaube, dass sich der Markt mehr und mehr konzentriert. Das wird auch an den Verlagen nicht spurlos vorbeigehen. Und es wird leider wohl weniger Neuveröffentlichungen geben."
Auch das literarische Leben ist in Südafrika heute nach wie vor getrennt in Schwarz und Weiß. Gerade im Leseverhalten sind die Spuren der Apartheid allgegenwärtig. Es wird lange dauern, bis sich das ändert. Allein schon wegen der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit. Und doch nimmt in der Literatur und der Kultur allgemein das Interesse am "Anderen" zu. Ein wichtiger Schritt, der Hoffnung macht.
Am Beginn steht Melville, ein Vorort nicht weit vom Stadtzentrum der 13-Millionen-Metropole entfernt und seit jeher ein Viertel der Künstler und Literaten.
Hier lebt und arbeitet Corina van der Spoel. Die Buchhändlerin leitet seit elf Jahren das "Boekehuis". Corina van der Spoel erzählt von den Anfängen:
"Manchmal passieren Träume einfach so, ohne dass man davon träumt. Ich habe schon vorher in Verlagen gearbeitet, in Buchläden, weiß wie die Sache läuft und kenne mich wirklich gut mit Büchern aus. Und dann fing ich einfach an. Schließlich haben wir im Februar oder März 2000 unseren eigenen Laden aufgemacht. Ich wollte unbedingt einen Buchladen haben, in dem ich selbst gerne einkaufen würde.""
Das "Boekehuis" beeindruckt mit einem ausgesuchten Sortiment. In den Regalen findet der Buchliebhaber neben höchster Qualität auch einen ungewöhnlichen Mix aus südafrikanischen und internationalen Titeln.
"Ein wichtiger Schwerpunkt des Programms ist ganz klar die südafrikanische Literatur. In den letzten zehn Jahren ist der Markt für südafrikanische Literatur, südafrikanische Biographien und Geschichtsbücher förmlich explodiert. Es ist einfach toll, dass unser Buchladen ein Teil dieser Erfolgsgeschichte ist und man das alles bei uns kaufen kann. Ja!"
Treue Kunden wissen das zu schätzen
"Ja, dieser Laden hier ist auch für mich wie eine kulturelle Spritze. Ich brauche das in meinem Leben, hierherzukommen – fast jeden zweiten Tag. Auch wegen des guten Kaffees hier."
Und was sucht er heute?
"Ich suche ein deutsches Buch, ich sah im deutschen Fernsehen was über den Autor Abbas Khider. Sein Buch heißt "Die Orangen des Präsidenten" oder so ähnlich und wir konnten das Buch nicht in Englisch finden. Aber das war das Buch, nach dem wir gerade gesucht haben."
Der Psychologieprofessor ist typisch für Corina van der Spoels Kundschaft.
"Ich würde mal sagen, dass unsere Auswahl bestimmt, wer bei uns kauft. Ich glaube, das sind Leute, die sich intellektuell für alle möglichen Themen interessieren. Es gibt eine ganze Reihe von Akademikern, die hier ihre Bücher kaufen, aber auch viele andere aus allen Sprachgruppen kommen zu uns. Na, es gibt natürlich nicht viele Bücher, die es in den anderen Sprachen gibt. Meistens Kinderbücher und ja klar, die haben wir natürlich."
Im neuen Südafrika gibt es elf Nationalsprachen, neben den früheren Kolonialsprachen Englisch und Afrikaans neun afrikanische Sprachen. Aber steht im Regalen des Boekehuis auch ein Buch auf Zulu?
"Nein, wenn ich genau überlege, nein, nicht wirklich. Ich kann dir wirklich kein einziges zeigen. Keins, das übersetzt worden ist, äh, nein ich glaube, die Bücher zielen wohl eher auf den Schul- und Ausbildungssektor. Äh, sie haben eine andere Funktion und sind weniger literarisch. Das ist wohl der Grund, warum es so wenige davon gibt."
Seit den ersten freien Wahlen 1994 hat die neue ANC-Regierung umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Ungerechtigkeiten aus der Apartheidzeit zu beseitigen. Ganz gezielt kümmert sich Kulturminister Paul Mashatile um die Literaturen des schwarzen Südafrika. Das bedeutet, Verlegern und Übersetzern die Möglichkeit zu geben, Bücher aus den afrikanischen Sprachen ins Englische zu übersetzen oder in ihrer Originalsprache zu veröffentlichen.
Ich gehe nach in Brixton, einem ehemals weißen Stadtteil, der heute eine interessante Kulturszene mit Off-Theatern und Galerien beheimatet. Sandile Ngidi ist Lyriker, Übersetzer und Herausgeber des renommierten Literaturmagazins "Baobab". Gefördert wird das Magazin vom Kulturministerium. Sandile Ngidi ist Zulu. Seine Einstellung zum "Boekehuis":
"Leider zeigen solche Orte auch die Widersprüche eines gesellschaftlichen Umbruchs, der noch vieles schuldig bleibt. Der Umbruch ist bisher ein unerledigtes Geschäft. Es zeigt sich, dass heute immer noch nur die Leute Zugang zu Literatur und Büchern, zu Buchläden haben, die in den ehemals weißen Vororten Südafrikas leben. Natürlich ist ein Ort wie dieser sehr wichtig, und man kann Menschen wie Corina van der Spoel gar nicht genug für ihr Engagement danken. Aber leider gibt es viel mehr zu tun, wenn man mehr Leser und eine größere Aufmerksamkeit für die Literatur und die Geschichten unseres Landes erzielen will - sie dauerhaft verankern will. Das ist in Südafrika bisher nicht wirklich gelungen. Eine der größten Ironien ist, dass die indigenen Literaturen Südafrikas zu den ältesten Literaturen Afrikas zählen aber dennoch extrem an den Rand gedrängt werden."
Sandile Ngidi sieht durchaus den guten Willen der Regierung – doch damit ist es nicht getan. Bücher sind in Südafrika unverhältnismäßig teuer. Viele schwarze südafrikanische Haushalte müssen mit umgerechnet 300 Euro im Monat zurechtkommen. Der Lyrikband von Kgafela oa Magogodi kostet umgerechnet 25 Euro.
"In diesem Land, und das gilt besonders für die schwarzen Gemeinden, ist das Lesen als Zeitvertreib nicht mehr als ein Gerücht. Kaum jemand liest aus Freude am Lesen, es sind wirklich die wenigsten. Daher müssen wir realistisch sein, wenn wir daran gehen, Lesen und Literatur einer breiten Masse anzubieten und sollten dabei auch mit anderen Medien, wie den darstellenden Künsten oder anderen Wissensgebieten zusammenarbeiten. Dazu gehören natürlich besonders die Schulen. Kinder müssen an Bücher herangeführt werden, schon in der Vorschule und den ersten Schuljahren. Bei uns werden Bücher noch immer so vermarktet, als seien wir ein Land in Europa: Bücher werden in Buchläden weggesperrt. Dabei ist es so wichtig, dass man ein neues Publikum für die Literatur gewinnt, denn nur dadurch kann das Buch in diesem Land auf Dauer überleben."
Und wie traurig das manchmal in der Realität aussieht, das erleben ich jetzt.
Ich bin auf dem Weg raus aus der Stadt. Mein Ziel: Soweto. Circa vier Millionen Menschen leben hier. Hier begann der Widerstand gegen das Apartheid-Regime, heute ist Soweto eine quirlige Metropole mit Shopping-Malls und einer stabilen Mittelklasse. Dennoch gibt es Orte, an denen der Fortschritt spurlos vorbeigegangen ist. Wir sind in Kliptown, das Viertel gehört zu den ärmsten, viele Bewohner leben in Hütten.
In Kliptown setzt die NGO SKY, das heißt übersetzt Himmel und ist ein Acronym für Soweto Kliptown Youth genau das um, was Sandile Ngidi für notwenig hält. Kinder und Jugendliche sollen durch kulturelle Aktivitäten gefördert werden, finanziert wird das ganze durch ehrenamtliche Arbeit und private Spenden. Im Hüttenmeer sind die drei quietschbunten Steinhäuser von SKY nicht zu übersehen. Zum Konzept gehört eine Bibliothek. Oder vielmehr gehörte, denn vor einigen Wochen hat ein Brand alles zerstört. Bob Nameng gründete die NGO 1987 und leitet sie bis heute.
"Wir fördern das Lesen, immer schon. Deshalb hatten wir eine Bibliothek, die ist kürzlich abgebrannt. Aber wir geben nicht auf und kämpfen. Ich seh es noch vor mir als es brannte, nachts kamen die Kids, ich meine die Zehnjährigen, die neun, elf- und zwölfjährigen und starrten auf die Explosion, die großen Flammen. Sie alle weinten so sehr, das hat mich überrascht und gerührt. Und als ein Kind plötzlich rief: WOW, wir haben unsere Bücher verloren! Da ist mir klar geworden, wie wichtig diesen Kids die Bücher sind. So wichtig für ihr Leben."
Einer von den Jungs, die diese Nacht miterlebten ist Thabo.
"Ich war so traurig, mein Herz brach. Wir haben doch soviel gemacht für diese Bibliothek. Gerade hier im Armenviertel war sie so wichtig. Normalerweise findet man kaum Bibliotheken, die nicht von der Stadt verwaltet werden. Und ganz bestimmt findet man keine in einem Viertel wie Kliptown. Denn, klar, nur über Bildung kommt man hier raus. Das gilt besonders für Leute wie uns. Wir haben kein Wasser, die paar öffentlichen Waschbecken sind ständig verstopft, es gibt keine Kanalisation. Wir haben keinen Strom und keine richtige Infrastruktur. Der einzige Weg aus der Armut und aus dem ständigen Überlebenskampf ist Bildung. Der Brand hat einen großen Teil unserer Bildungschancen zerstört. Ich war und bin am Boden zerstört. So schrecklich traurig!"
Aber Bob Nameng gibt nicht auf. Er weiß genau, warum seine Arbeit so wichtig ist.
"Unsere Regierung tut einfach nicht genug, um Lesen zu fördern oder eine Kultur des Lesens für die Menschen attraktiv zu machen. Ich bin aber nicht der Typ, der da sitzt, auf die Regierung zeigt und meckert. Nein, wir bitten um Bücher, wir bitten Leute um Bücher, die sie inspiriert haben, damit die Kids hier auch Zugang zu unserer Kultur und unserem Erbe haben und lesen können. Lesen ist doch so wichtig und ich ermutige besonders unsere Kids, afrikanische Autoren und afrikanische Geschichten zu lesen, weißt du! Menschenliebe fängt zuhause an! Sie müssen mehr über ihren Kontinent erfahren, erst dann können sie weiter in die Welt hinaus! Ohne Lesen gibt es doch keine Zukunft! Es gibt kein besseres Leben ohne Bücher, denn alles Wissen verbirgt sich in einem Buch."
Zurück im "Boekehuis" in Melville, sitze ich mit Corina van der Spoel auf der Terrasse. Sie will wissen, was ich in Soweto erlebt habe. Ich erzähle von dem großen Engagement und der grenzenlosen Lesefreude. Corina van der Spoel ist da eher skeptisch:
"Ach, ich würde so gerne hoffen, dass es mehr Bücher afrikanischer Autoren gibt. Qualitativ anspruchsvolle Bücher, egal ob in den afrikanischen Sprachen oder...Nun, das wäre wirklich was! Aber das sehe ich einfach nicht kommen. Ich glaube, dass sich der Markt mehr und mehr konzentriert. Das wird auch an den Verlagen nicht spurlos vorbeigehen. Und es wird leider wohl weniger Neuveröffentlichungen geben."
Auch das literarische Leben ist in Südafrika heute nach wie vor getrennt in Schwarz und Weiß. Gerade im Leseverhalten sind die Spuren der Apartheid allgegenwärtig. Es wird lange dauern, bis sich das ändert. Allein schon wegen der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit. Und doch nimmt in der Literatur und der Kultur allgemein das Interesse am "Anderen" zu. Ein wichtiger Schritt, der Hoffnung macht.