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Johannesburg
Ponte Tower - einst höchstes Wohnhaus der Südhalbkugel

Johannesburg hat den Ruf, Welthauptstadt der Kriminalität zu sein. Gewalt und eine heruntergekommene Innenstadt gelten als "Markenzeichen" der südafrikanischen Metropole. Aber die Zeiten haben sich geändert. Ein Symbol dafür ist der Ponte Tower.

Von Gaby Mayr | 10.04.2016
    Die Skyline der südafrikanischen Stadt Johannesburg, aufgenommen am 22.11.2008.
    Die Skyline der südafrikanischen Stadt Johannesburg (picture-alliance / dpa / Gero Breloer)
    Dieser Blick hat es in sich: Tief unter uns Dachterrassen, darauf grüne Wassertanks - die dazugehörigen Häuser haben zehn bis 20 Stockwerke. In den Straßenschluchten winzige bunte Punkte - Autos. Im Dunst am Horizont ein Hügel: Eine der blassgelben Abraumhalden, die der Goldbergbau in Johannesburg hinterlassen hat.
    Unser Aussichtspunkt ist eine Wohnung ganz oben im Ponte Tower - der ist über 170 Meter hoch und kreisrund. Bis vor Kurzem hat Nick Bauer in dem Apartment gelebt. Jetzt zeigt er Besuchern den ungewöhnlichen Wolkenkratzer und den umliegenden Stadtteil Hillbrow. Warum, erklärt Nick so:
    "Wir wollen die Wahrnehmung von der Johannesburger Innenstadt ändern."
    Der Ponte Tower war von Anfang an eine Attraktion:
    "Bei seiner Eröffnung 1975 war er das höchste Wohnhaus der Südhalbkugel, die Wohnungen waren extrem teuer. Dieses Apartment hier ging über drei Stockwerke."
    Der Wohnturm, zur Hochzeit der Rassentrennung erbaut, ist ein innen hohler Betonzylinder: Unten sieben Etagen offene Parkdecks, darüber 54 Stockwerke mit Platz für über 2000 Menschen.
    Anfangs lebten im Ponte Tower viele Ausländer aus Europa und Nordamerika, ausschließlich Weiße. Aber auch Lesben, Schwule und Transgender-Leute fanden in dem Turm und in Hillbrow ein Zuhause. Wenn schwarz-weiße Paare von der Polizei angehalten wurden, mussten sie sich erklären:
    "Die übliche Entschuldigung war: Das ist nicht meine Frau, das ist meine Hausangestellte. Oder: Das ist nicht mein Mann, sondern mein Butler."
    Die Apartheidbehörden erklärten die Johannesburger Innenstadt zum grauen Gebiet und drehten den Geldhahn zu. Es wurde nicht mehr investiert. Wer es sich leisten konnte, zog weg.
    In den 1990er-Jahren war die Rassentrennung Geschichte, auch Nichtweiße durften sich nun frei bewegen. Johannesburgs Innenstadt, darunter der Ponte Tower, erlebte einen beispiellosen Ansturm. Menschen vom Land und aus anderen afrikanischen Staaten zogen ins Stadtzentrum. Sie hofften auf Ausbildung, Arbeit, ein besseres Leben. Aber es gab viel zu wenig Wohnungen.
    "Als Ponte im Jahr 2002 zum senkrechten städtischen Slum erklärt wurde, lebten hier acht- bis zehntausend Menschen. Es gab kein fließendes Wasser mehr und keine Elektrizität."
    Stattdessen Gangsterbanden. Waffen, Drogen, Prostitution. Nur die knallrote Coca-Cola-Werbung an der Spitze des Wohnturms blieb erhalten. Heute wirbt dort ein Telefonanbieter. Und auch sonst haben sich die Zeiten geändert.
    Der Fahrstuhl bringt uns hinunter ins Erdgeschoss. Ein Paar mittleren Alters fährt mit uns.
    "Ich wohne gerne hier, es ist ruhig und sauber."
    Im kreisrunden Innenhof stapelte sich bis vor ein paar Jahren der Abfall - zum Schluss 14 Etagen hoch. Denn die Aufzüge funktionierten nicht mehr - und wer will schon seinen Müll 50 Stockwerke hinunter tragen? Franck Leya, Nicks Kollege bei der Führung, erzählt von den gruseligen alten Zeiten:
    "Leute kamen, um sich von oben hinunter zu stürzen. Dann lagen sie hier, tot. Und es gab Ratten so groß wie Katzen."
    Frauen sind immer in den Innenhof gesprungen, manche Männer - gut sichtbar - außen auf die Straße. Aber gemütlich ist der Innenhof immer noch nicht. Es liegt viel Bauschutt herum. Nick winkt ab:
    "Im Ponte Tower wird gerade mal wieder ein Film gedreht, die Trümmer sind aus Styropor."
    Franck erklärt das Erfolgsgeheimnis des neuen Ponte Tower:
    "Die Regeln sind sehr, sehr streng. Wenn jemand etwas herunterschmeißt, wird ihm sofort gekündigt."
    Die Wiederbelebung des Ponte Tower begann vor gut zehn Jahren. Eine Investorengruppe überlegte, den Betonzylinder zu einem Gefängnis umzubauen. Aber dann beschloss man, dass Ponte wieder das werden sollte, was er einmal war: eine begehrte Wohnadresse - nun nicht mehr für weiße Ausländer, sondern für Menschen aus Südafrika, meist mit dunkler Hautfarbe.
    "Ich wohne hier mit meiner Frau. Es ist hundert Prozent gut. Bezahlbar."
    Im Eingangsbereich Securityleute. Ein zwei Meter hohes Drehkreuz, elektronisch gesichert und mit Metallzacken oben drauf, hält Unbefugte fern. Ein "Dringender Hinweis" stellt klar:
    "Keine Besucher vor zehn Uhr morgens und nach 21 Uhr."
    Ein geräumiges Ladenlokal im Erdgeschoss des Wohnturms ist als Jugendtreff eingerichtet. "Dlala Nje" steht über dem Eingang, das heißt in der Zulusprache "Spielen". Nick Bauer gehörte vor drei Jahren zu den Mitbegründern.
    "Es ist ein Raum für Kinder, wo sie Kinder sein können. In Hillbrow wird man mit sechs Jahren erwachsen, das nervt."
    In einer Ecke eine kleine Bühne mit Percussion-Instrumenten. Tischfußball, einige Computer. Ein paar Jungen sitzen gebannt vor einem Bildschirm und spielen auf der Playstation Fußball.
    Mädchen sind an diesem Samstag Vormittag nicht zu sehen. Dlala Nje hätte auch Angebote, für die sich Mädchen interessieren, erzählt Nick, der sein Geld als Journalist verdient. Yoga und Kunstunterricht zum Beispiel. Aber die Eltern hätten Angst vor Übergriffen auf ihre Töchter und lassen sie oft nicht aus der Wohnung.
    Südafrika ist bekannt für die Gewalt von Männern und Jungen gegen Frauen und Mädchen. Touristinnen sind davon allerdings nicht betroffen. Nach der Besichtigung des Wohnturms führen uns Franck und Nick durch die belebten Straßen von Hillbrow. Etliche Gebäude sind saniert. Aber es gibt auch noch gekaperte Häuser: Die Vorderfront aufgerissen, leer geräumte Zimmer mit Schutt auf dem Boden und Graffitis an den Wänden.
    Um die Ecke sind Straßenbauarbeiten im Gange, es entsteht eine Fußgängerzone. Einheimische und Besucher sollen wieder durch Hillbrow flanieren.
    Unsere Tour durch Johannesburgs einst berüchtigte Innenstadt endet in einer Kneipe. Lautes Stimmengewirr, es ist schummrig. Unsere Gruppe wird freundlich begrüßt und in Nullkommanichts haben wir unsere Bestellung in der Hand: Eine Dose Bier und einen Styroporteller mit Hähnchenkeule.