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John Kerrys Leben und Wirken

Würden die im November anstehenden US-Präsidentschaftswahlen in Verlagshäusern des Alten Europa entschieden, George W. Bush hätte keine Chance. Nicht weniger als sieben deutschsprachige Biographien sind inzwischen zum Bush-Herausforderer John F. Kerry erschienen - zu Bush gibt es gerade mal zwei auf Deutsch, dafür aber unzählige mehr oder minder wütende Polemiken. Die Vielzahl der Kerry-Bücher zeigt wohl auch, welcher Stellenwert dem Ausgang der US-Wahlen gerade diesmal bei uns beigemessen wird. Würde Kerry im Fall seines Sieges die von der Bush-Administration mit Vehemenz betriebene unilaterale "America-First-Politik" revidieren? Würde er das unselige Wort "Präventivkrieg" ins Museum des Kalten Krieges zurückschicken? Würde er sein Land, z.B. durch Ratifizierung des Kyoto-Protokolls, wieder internationalen Konventionen unterwerfen? Wie sähe sein "Kampf gegen den Terror" aus? Es gibt viele Fragen zu dem eher blassen und widersprüchlichen Kandidaten Kerry.

Von Brigitte Baetz | 30.08.2004
    With great faith in the American people I accept your nomination for president of the United States.

    Auf den Schultern von John Kerry lasten große Hoffnungen. Nicht nur die der amerikanischen Demokraten, deren Kandidat er ist, sondern auch die eines Teiles der Weltöffentlichkeit, die den Amtsinhaber George W. Bush für einen Kriegstreiber hält. Und das ist auch gleichzeitig sein Problem: Bis heute wird er weniger als John Kerry denn als Widersacher von George Bush wahrgenommen. Die Leute sind weniger für ihn als eher gegen Bush. Wer die Bücher liest, die über ihn erschienen sind, lernt, dass diese Ignoranz ungerecht ist, denn Kerry gehört seit über 20 Jahren zum politischen Establishment der Vereinigten Staaten. Er ist Vietnamveteran, hat gegen den Krieg dort protestiert, war Vizegouverneur und Senator. Er hat sich Verdienste erworben bei der Aufklärung des Iran-Contra-Skandals und bei der Aussöhnung der USA mit Vietnam. Und doch versteht der Leser auch, warum John Kerry es trotz einer unbeliebten Regierung bis heute noch nicht geschafft hat, bei einer Mehrheit von Amerikanern als wirkliche Alternative zu erscheinen.

    Kerry hat in seinem Auftreten etwas Unverfrorenes, das ihm nicht nur Freunde macht. Egal, worum es geht, John F. Kerry polarisiert die Menschen. Als Aktivist der Antikriegsbewegung war er Richard Nixon ein Dorn im Auge, der den 27-Jährigen als "eine Art Schwindler" bezeichnete, aber befürchtete, er könne eine außerordentliche Wirksamkeit entfalten. Gleichzeitig wurde Kerry in der Comicserie Doonesbury (...) aufs Korn genommen und als reicher Schnösel verspottet. Bei Vietnamveteranen - denen, mit denen er gekämpft, und denen, mit denen er protestiert hatte - wird er entweder verehrt oder verachtet.

    Die drei Reporter des Boston Globe, Michael Kranish, Brian Moore und Nina Easton, porträtieren den Kandidaten mit großer Liebe zum Detail. Denn ihre Zeitung ist durch eine kontinuierliche Berichterstattung nahe dran an der Karriere des John Kerry. Für deutsche Leser ab und zu ermüdend ist die Vielzahl an Namen, mit denen wohl eher Amerikaner etwas anfangen können, doch gerade die sachliche Schilderung enthüllt die Widersprüche, ohne sie zu denunzieren. Denn die Person John Kerry ist vielschichtig und kaum zu greifen. Der Diplomatensohn ist polyglott und ohne Wurzeln, da er hauptsächlich in Internaten, u.a. in der Schweiz, groß wurde. Durch die Familie seiner Mutter gehört er zur Ostküstenelite, ist aber gleichzeitig ohne größeres eigenes Vermögen. Seinen Wohlstand verdankt er den reichen Frauen, die er geheiratet hat, und weniger seinem eigenen Verdienst. Er ist ungeheuer gebildet, schreibt Gedichte und spielt Gitarre und betreibt gleichzeitig Extremsportarten wie Kite-Surfing. Er hat sich freiwillig nach Vietnam gemeldet und kurz nach seinem Kriegseinsatz dagegen protestiert. Er hat dabei Orden über den Zaun des Kapitols geworfen, aber es waren nicht seine eigenen. Alles, was John Kerry in seinem Leben bisher getan hat, war auf Wirkung bedacht, zielte auf Aufstieg ab. Selbst der Protest gegen Vietnam erscheint kalkuliert, auch wenn kein Autor Kerrys ehrliches Engagement infrage stellen will. Beispielsweise das vom 22. April 1971, in der Beschreibung von Jochen Arntz und Jochen Schmale:

    An diesem Tag tritt John Kerry vor den Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen. Der Saal ist völlig überfüllt, Fotografen und Journalisten, viele Kriegsveteranen sind gekommen. Vorne vor dem Mikrophon sitzt ein 27 Jahre alter Mann in Uniform, die er am Hals aufgeknüpft trägt. Darunter ist ein weißes T-Shirt zu sehen. Der Mann hat einen dichten Haarschopf, ein langes eckiges Kinn und gute Manieren; er erinnert einen Reporter an diesem Tag an Abraham Lincoln. Kurz gesagt: Er sieht nicht so aus, wie Richard Nixon sich die Kriegsgegner vorstellt. Er ist nicht wirklich langhaarig, nicht bärtig, er ist kein Freak, er ist ein vorzeigbarer Kriegsheld, aus dem ein vorzeigbarer Kriegsgegner wurde.

    Typisch für Kerry, da sind sich alle Autoren einig: Er ist Teil des Vietnamprotests, und doch geht er nicht in der allgemeinen Kultur der Vietnamgegner auf, bleibt ein Außenseiter. Das nutzt ihm bis heute so viel, wie es ihm schadet. Er kann sich sowohl zum Mann des Friedens stilisieren, als auch als tapferer Soldat auftreten, der weiß, was Krieg bedeutet.

    I will be a commander-in-chief which will never mislead us into war.

    Doch gerade dieses "sowohl als auch" nehmen ihm die Amerikaner nicht so recht ab. Auch wenn er in Vietnam ausgezeichnet wurde und bei seinen Wahlkampfauftritten Veteranen um sich schart, seine politischen Gegner sind durchaus erfolgreich, wenn sie versuchen, seine Kriegsvergangenheit zu diskreditieren.

    Den Versuch, mit falschen Aussagen den politischen Gegner zu denunzieren, gibt es nicht erst in diesem Wahlkampf. Biograph Paul Alexander, renommierter Reporter u.a. für Time und den Rolling Stone, entwickelt John Kerrys Leben, indem er von den Primaries, also dem Nominierungswettlauf, innerhalb der Demokratischen Partei erzählt. Er schildert die Begegnung zwischen Kerry und Max Cleland, einem dreifach amputierten Vietnam-Veteran, der von den Republikanern mit übler Nachrede um seinen Senatsposten gebracht worden war.

    Cleland wusste von Kerrys Absicht, sich um die Präsidentschaft zu bemühen; falls er die Nominierung seiner Partei erreichen sollte, würde er mit Bushs politischer Maschine zu rechnen haben. "Hör mal, John, sie werden diese unglaubliche Dreckschleuder auf dich loslassen, die dich, deinen Ruf, deine Familie, deine Vergangenheit, deine Leistungen im Senat, dein ganzes Erscheinungsbild im öffentlichen Leben zerstören wird. Diese massive, unglaubliche, von Unternehmen finanzierte Dreckschleuder wird dich zum Wahnsinn treiben und dich auf jede erdenkliche Weise zerstören."

    Alexanders Buch ist mit solchen Beschreibungen mehr als eine Biographie, sondern ein lebendiger Einblick in die Mechanismen amerikanischer Wahlkämpfe. Auch wenn der Autor deutlich Sympathien mit dem Objekt seines Interesses zeigt, so unterschlägt er nicht die Doppelbödigkeiten der Kampagne Kerrys, wie die Geschichte von der alleinstehenden Mutter beispielsweise, die sich in einem Restaurant an den Kandidaten wendet.

    "Auch wenn ich mehrere Stellen annehmen muss, ist mir das egal", sagte sie zu Kerry, "ich will, dass diese Kinder aufs College kommen. Und wenn man mir die Gelegenheit gibt, werde ich alles tun, damit dieses Land stärker wird." Kerry schien richtig ergriffen zu sein. "Das ist rührend", sagte er und wischte sich eine Träne aus einem Auge. So ergreifend die Geschichte auch war - mehr als eine Lokalzeitung setzte das Bild von Kerry, wie er sich die Träne abwischt, auf die Titelseite -, so war sie doch ganz offensichtlich inszeniert, einschließlich der wie Filmstatisten wirkenden Leute, die in den Sitzgruppen des Diner saßen, um den Anschein zu erwecken, als finde dort ganz normaler Betrieb statt, obwohl der Laden von Kerrys Wahlkampfteam für den ganzen Tag gemietet worden war, und so hörte man denn auch einen CBS-Producer einem untergeordneten Kerry-Mitarbeiter zurufen: "Das ist die größte Heuchelei, die mir jemals untergekommen ist."

    Doch jenseits des Wahlkampfes: Wie wird John Kerry als Präsident sein? Sowohl die beiden Redakteure der Berliner Zeitung, Jochen Arntz und Holger Schmale, als auch Wolfgang Koydl, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sind sich einig: Er wird durch seine europäische Prägung viel mehr als George Bush auf die Verbündeten eingehen. Er legt Wert auf Umweltschutz und will durch eine Wende in der Energiepolitik der amerikanischen Wirtschaft zu neuem Aufschwung verhelfen. Doch die Variationsbreite seiner Handlungen ist viel beschränkter, als wir in Europa das gemeinhin wahrnehmen, so Wolfgang Koydl:

    Weil es der Präsident ist, der in unseren auf das Bild fixierten Mediengesellschaften immer im Mittelpunkt steht, und nicht einer der Hunderten von Abgeordneten, wird zudem immer wieder übersehen, dass es in vielen Fällen der Kongress und nicht die Administration ist, welche das Verhältnis zu den Partnern Amerikas belastet. Einige der am heißesten debattierten Streitpunkte zwischen Europäern und Amerikanern, wie beispielsweise das Kyoto-Klimaschutz-Protokoll oder der Internationale Strafgerichtshof, haben im Kongress genauso wenige Befürworter wie im Weißen Haus von Präsident George Bush. Bill Clinton, der diese Stimmung kannte, leitete entsprechende Vorlagen daher gar nicht erst zur Ratifizierung an das Hohe Haus weiter. Er wusste, dass er unterlegen wäre, selbst wenn seine Partei die Mehrheit in den beiden Kammern gehabt hätte.

    Für die Europäer könnte sich also durch einen Präsidenten John Kerry weniger ändern, als sie erhoffen. Und doch machen alle Bücher über ihn deutlich: Für die Amerikaner wäre es die Möglichkeit zu einer entscheidenden Imagekorrektur, wenn ein wesentlich nachdenklicherer und gebildeterer Mann als George Bush Präsident würde.

    Good night. Thank you. And God bless the United States of America.

    Brigitte Baetz über vier der zahlreichen jüngst erschienenen Kerry-Biographien. Im Einzelnen: Paul Alexander: John Kerry. Erschienen im Berlin Verlag, 302 Seiten zum Preis von 19 Euro und 90 Cent.
    Michael Kranish, Brian C. Mooney, Nina J. Easton: John F. Kerry. Der Herausforderer. Im Rowohlt Berlin Verlag, 336 Seiten ebenfalls für 19 Euro und 90 Cent,
    sowie die beiden Paperbacks "John F. Kerry. Kandidat gegen Bush. Amerika vor der Entscheidung" von Jochen Arntz und Holger Schmale, im Kiepenheuer & Witsch Verlag Köln, 160 Seiten für 7 Euro und 90 Cent sowie das ebenso teure, 208 Seiten starke Bändchen "John Kerry. Eine neue Politik der Weltmacht USA" von Wolfgang Koydl, veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main.