Dienstag, 30. April 2024

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John, Yoko und André Perry
50 Jahre "Give Peace A Chance"

50 Jahre ist es her, dass in Montréal ein Song aufgenommen wurde, der in die Musikgeschichte eingegangen ist: "Give Peace A Chance". Yoko Ono und John Lennon protestierten mit ihren so genannten "Bed-Ins For Peace" gegen den Vietnam-Krieg. André Perry war nicht nur Zeitzeuge sondern nahm den Song auf.

Von Dennis Kastrup | 25.05.2019
John Lennon und Yoko Ono liegen in einem Hotelbett und telefonieren
Kuscheln für den Frieden 1969 in Montréal (UPPA/Photoshot (dpa))
André Perry: "Hey Dennis, you made it!"
Dennis Kastrup: "Ja, ich war mir nicht sicher, ob ich auf dem richtigen Weg war. Aber es ist wunderschön hier."
Eine Stunde Autofahrt nördlich von Montréal in der Kleinstadt St-Sauveur. Versteckt hinter Bäumen, gelangt man über einen kleinen Weg zu dem Haus von André Perry. Hier lebt der Kanadier seit einigen Jahren abgelegen und ruhig mit seiner Frau Yaël Brandeis. Der Empfang ist herzlich.
Nach einem schnellen Kaffee werde ich in einen Raum mit unzähligen Auszeichnungen, Fotos und goldenen Schallplatten an der Wand geführt. Ein schwarz-weißes Poster mit den gezeichneten Köpfen von John Lennon und Yoko Ono sticht heraus: "Das nennt sich 'Hair-Peace-Poster'. Es ist ein Poster, das wohl nie wirklich verkauft wurde. Es war nie kommerziell erhältlich. John hat es besonderen Menschen und engen Freunden geschenkt. Als ich die Aufnahmen gemacht habe, gab er mir das mit kleinen Zeichnungen verziert. Er dankte mir und schrieb das Datum drunter."
An der anderen Wand hängt die Original-45er-Vinyl-Single. Diese hat Perry am 1. Juni 1969 im "Queen Elizabeth Hotel" mit seinem 4-Spur-Gerät aufgenommen. Zimmer 1742 stand seit Tagen offen für alle: Reporter, Musiker, Fans und Angestellte des Hotels versammelten sich um das weiße Bett herum.
Kein Fan von John Lennon
Lennon wollte spontan einen Song aufnehmen. Seine Plattenfirma suchte schnell nach einem Toningenieur und rief Perry an. Der erste Eindruck des Hotelzimmers ließ den damals 32-Jährigen aber erst einmal erschauern: "Es hatte eine sehr tiefe Decke und parallele Wände. Dann waren da auch noch die Krishnas. All diese Menschen haben auf Stühle, Tische und Aschenbecher geschlagen. Manche haben total schief gesungen. Manche waren neben dem Rhythmus. Als ich das gesehen habe, dachte ich: 'Du meine Güte, das wird unmöglich sein!'"
Dabei war es vom Vorteil, dass der Jazzschlagzeuger Perry kein großer Fan von John Lennon und seiner Musik war. So konnte er sich ganz auf die Mammutaufgabe konzentrieren, das Durcheinander von Klängen aufzunehmen: "Ich war da nicht, um beeindruckt zu sein, sondern um professionell zu arbeiten. Ich glaube, Lennon hat das gespürt.
Das Stück wurde in zwei Takes aufgenommen. Wir haben eine Aufnahme gemacht und danach habe ich dann vier Stunden damit verbracht, die B-Seite 'Remember Love' aufzunehmen. Das war eine wundervolle Erfahrung. Ich bin dann vielleicht gegen 6 oder 7 Uhr früh am Morgen mit dem Material in mein Studio gegangen."
Nur nicht professionell
Dort passierte dann das, was die Aufnahme so besonders macht: Perry hatte das Gefühl, der Klang sei nicht voll genug. Er rief seine Musikerfreunde aus Québec an und bat sie, den Hintergrundchor neu einzusingen. Da viele von ihnen Französisch sprachen, mussten sie aufpassen, nicht mit Akzent zu singen und vor allem: nicht besonders gut, eben so, wie es Stunden vorher im Hotelzimmer auch passiert ist.
"Ich wollte das nicht in eine Richtung lenken oder in einer professionellen Studiosituation aufnehmen. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass sie keine Harmonien gesungen haben, um eben nicht professionell zu klingen."
Als Perry den fertigen Mix am nächsten Tag John Lennon vorspielen wollte, hat der ihn zuerst verständnisvoll gefragt: "Das ist nicht gut, oder?" Ich antwortete: "Hör zu, die Stimme ist toll. Die Stimmung ist super. Die Gitarre klingt gut. Du kannst dich entscheiden: Geh' mit dem Vierspurgerät nach England und mach' was immer du mit den Aufnahmen machen willst - oder du nimmst meine Version!"
Start einer großen Produzentenkarriere
Lennon nahm seine Version, die später weltberühmt wurde. Um Perry zu würdigen, entschied er sich, den Namen und Kontakt des Toningenieurs auf das Cover zu drucken. Es war der Beginn einer großen Karriere als Produzent. 1972 entstand das "Le Studio", ein Aufnahmestudio in der Abgelegenheit der Morin-Heights in Québec. The Police, die Bee Gees, Cat Stevens und David Bowie produzierten dort Alben.
David Bowie bei einem Auftritt in den 70er-Jahren.
Auch David Bowie nahm mit André Perry auf (imago/ZUMA Press)
1988 verkaufte Perry das Gebäude. 2003 wurde es offiziell geschlossen und seit einem Brand vor zwei Jahren, rottet es vor sich hin.
MP3-Format ist eine Katastrophe
Heute versucht er ein bisschen, die Magie von damals zu konservieren. Zusammen mit seinem Partner René Laflamme bearbeitet er alte Aufnahmen mit der High-Resolution-Technik. Für ihn ist das MP3-Format eine Katastrophe: "Das Problem ist, dass es komprimiert ist, was bedeutet, dass das dynamische Spektrum nicht respektiert wird. Dazu kommt noch, dass die Harmonien sehr limitiert sind. High-Definition-Musik erlaubt den Hörern, den Klangverlust der Abspielgeräte heraus zu filtern und näher an das eigentliche Instrument heran zu kommen. Deshalb wird das auch besonders in der Klassik und Jazz-Musik geschätzt."
Die meisten der angebotenen Künstler stammen aus diesen beiden Genres. Es gibt ungefähr zehn Portale weltweit, auf denen man sich ein Album ohne Kompression herunterladen kann. Für diese Qualität muss man aber auch tiefer in die Tasche greifen: Um die 20 Euro kostet ein Download.
Wenn Perry redet, tut er das mit viel Leidenschaft, aber auch Verbitterung über das derzeitige Geschäft schimmert durch. Ihm gefällt es nicht, wie die Menschen heute Musik konsumieren. Als Beweis setzt er sich zum Abschied vor seine Anlage mit den großen Boxen. "Hotel California" erklingt im High-Definition-Sound. Perry hebt die Arme, als würde er das Stück dirigieren. Ich bin überwältigt vom Klang, schweige und höre seinen Worten zu: "Jetzt gehen wir zurück in die Vergangenheit. 40 Jahre früher. Hör' dir das an, wie viel wärmer das klingt. Wie pur das ist. Wir sind also überhaupt nicht weiter!"