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Jonas Jonasson: "Der Massai"
Ein Afrikaner als lächerliche Witzfigur

Seit Wochen steht Jonas Jonassons neuer Roman auf der Bestseller-Liste des "Spiegel": eine verwickelte Geschichte um einen Afrikaner in Stockholm. Die ironische Überzeichnung macht allerdings aus dem Afrikaner einen tumben Hinterwäldler. Auch sprachlich ist das Buch voller rassistischer Klischees.

Von Birgit Morgenrath | 10.12.2020
Zeichnung: Massai-Krieger und Buchcover: Jonas Jonasson: „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“
Tumb, triebhaft und roh - Jonas Jonassons Geschichte über einen Massai in Schweden ist voller rassistischer Klischees (Bild: imago images / agefotostock, Buchcover: C. Bertelsmann Verlag)
Wenn Jonas Jonasson mit seinem neuen Roman Rechtspopulismus, Migranten- und Kunstfeindlichkeit aufs Korn nehmen will, wie Teile der Literaturkritik befinden, ist ihm das kaum gelungen. Denn die zentrale Figur, Ole Mbatian von der Bevölkerungsgruppe der Massai im Süden Kenias, ist zwar ein freundlicher, neugieriger Plauderer, offen und ehrlich. Aber vor allem verkörpert er eins der ältesten Klischees über Afrikaner: Er ist ein unwissender, total naiver Mensch; ein tumber Hinterwäldler.
Dieser Eindruck wird auch nicht dadurch gemildert, dass der Autor anfangs den "Häuptling" in Oles Dorf dafür verantwortlich macht. Dieser habe die Moderne, wie etwa Strom, verboten, erzählt er:
"Wir sind nicht für übermäßiges Interesse an neumodischen Dingen bekannt. Weil wir nämlich einen halb zahnlosen Dickschädel zum Häuptling haben."
Rassistische Begriffe
"Häuptling" - seit fast 20 Jahren werden Begriffe wie dieser als rassistisch disqualifiziert, wie die Bayreuther Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt in ihrem Standardwerk "Afrika und die deutsche Sprache" erklärt:
"Viele heute gebräuchliche Begriffe zu ,Afrika' im weitesten Sinne haben eine kolonialistisch geprägte, rassistisch wirkende Bedeutungsgeschichte, die immer noch zum Ausdruck kommt."
Schlechte Witze auf Kosten des Afrikaners
Mit dem europäischen Wort "Häuptling" ignorierten die Kolonisatoren bewusst die politischen Strukturen und Eigenbezeichnungen der Kolonisierten. Die Herkunft des Massai aus der afrikanischen Wildnis ist zudem ein plumper Trick, um etliche schlechte Witze auf Kosten des Afrikaners zu machen.
"So reist Ole Mbatian lediglich mit seinem traditionellen Umhang und Sandalen bekleidet plus Wurfkeule in den schwedischen Winter.
Er kennt weder Pässe noch Visa, weder Flugzeuge noch Flughäfen."
Und wundert sich, als ihm die Security in Stockholm seinen Speer und sein Messer abnimmt.
",Warum?', fragte der Massai.
,Weil sie andere gefährden können', sagte der Mann von der Security.
,Warum sollte ich sie denn sonst dabeihaben?'
Die Leute wurden immer merkwürdiger, je weiter er von zu Hause wegkam."
Zahlungsmittel Kühe
Selbst Geld ist dem Afrikaner fremd. Bei ihm zu Hause wird mit Kühen bezahlt – ein extrem plattes Vorurteil, das sich durch den ganzen Roman zieht. So kennt Ole Mbatian auch keine Kreditkarten, wörtlich "Plastikkärtchen":
"Sie waren wie ein Zahlungsmittel, und doch auch wieder nicht. Offenbar behielt der Käufer die Karte, ohne dass sich der Verkäufer darüber ärgerte."
Als der Kenianer aufgrund seines ständig missverständlichen Verhaltens in Stockholm in Untersuchungshaft landet,
"...will er den Polizisten auf beide Wagen und die Stirn küssen und freut sich über seine Zelle als bequemes ,Zimmer' plus ,Abendessen'."
"Natürliche" Rohheit
Selbstredend zeigt sich die unzivilisierte Herkunft des Afrikaners auch in quasi "natürlicher" Rohheit: Ole Mbatian, "mehrfacher Dorfmeister im Keulenwurf", tötet versehentlich seinen Gegenspieler, den gierigen Kunsthändler, als er ihm aus weiter Entfernung einen Holzhammer an die Schläfe schleudert. Eigentlich wollte er ihn nur zu Fall bringen.
Reaktionär ist bei Jonasson auch der Blick der Massai-Männer auf ihre Frauen.
"Neben seiner großen Kuhherde besaß Ole drei Hütten und zwei Frauen. Beim Häuptling verhielt es sich genau umgekehrt: zwei Hütten und drei Frauen. Ole war schleierhaft, wie das gut gehen sollte."
Glasklar ist dagegen, welches Geschlecht der Polygamist bei seinen Nachkommen bevorzugt: So quält ihn,
"dass er vier Kinder mit seiner ersten Frau und vier mit seiner zweiten hatte – acht Töchter, und nicht einen einzigen Sohn!"
Der triebhafte Afrikaner
Das kann der Medizinmann nicht beeinflussen – dafür aber kann er "ausufernden Kindersegen" behandeln. Auch dies ein uraltes Vorurteil: der triebhafte Afrikaner, dem die Frauen zu Diensten sein müssen. So verkündet das Oberhaupt in Ole Mbatians Dorf:
"Der Gast solle sich aussuchen, bei welcher Frau er nächtigen wolle. Zwei der drei hatten bereits Interesse bekundet, die dritte wäre sicher auch nicht abgeneigt, wenn man etwas mit Zuckerbrot und Peitsche nachhalf."
Soll das ein Witz sein? Zu allem Überfluss bedient Jonas Jonasson auch noch das abgedroschene Bild vom technikfremden Wilden: Seine Bewunderung für Rolltreppen wird zum albernen Running Gag.
Rassistischer Sprachgebrauch
So gerät der "Feel-Good-Roman" zum abgedrehten Klamauk. Jonas Jonasson, der sich, so sagt er, ernsthaft um den "Zustand der Welt" sorgt und Afrika bewundert, tappt in eine böse Falle. Die seinem Stil eigene ironische Überzeichnung seiner Figuren – scheinbar naiv, aber lebensklug – macht in diesem Falle aus dem Afrikaner eine lächerliche Witzfigur. Das bezeichnen WissenschaftlerInnen eindeutig als rassistischen Sprachgebrauch.
Dass der Roman trotzdem zum Bestseller wurde, ist daher bestürzend. Offenbar sind die zunehmenden rassismus-kritischen Diskurse hierzulande einem großen Teil der Leserschaft nach wie vor fremd. Rassistische Klischees können anscheinend an die Vorurteile der Lesegemeinde andocken und als humorvoll rezipiert werden. Und das in Zeiten von "Black Lives Matter", in denen Schwarze Menschen weltweit ihrer Wut über Alltags-Diskriminierungen Ausdruck verleihen. Zu diesen Diskriminierungen gehört ganz zentral die Sprache.
Jonas Jonasson: "Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte"
Aus dem Schwedischen von Astrid Arz
C. Bertelsmann Verlag, München. 400 Seiten, 22 Euro.