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Josef Burg - ein Radioessay

Orte wie das einstige Scheunenviertel, dieses "Schtetl in der Stadt", bedeuten Josef Burg viel: Hier widerstanden die Juden des Ostens dem Sog und den Verheißungen der Assimilation, sie bewahrten ihre Kultur, besonders aber ihre Sprache, das Jiddische. Burg:

Brigitte van Kann |
    Orte wie das einstige Scheunenviertel, dieses "Schtetl in der Stadt", bedeuten Josef Burg viel: Hier widerstanden die Juden des Ostens dem Sog und den Verheißungen der Assimilation, sie bewahrten ihre Kultur, besonders aber ihre Sprache, das Jiddische. Burg:

    Soj, as ich red Jiddisch, das ist mein Muttersprach, das heißt "Mameloschn", aber ich spreche auch ein bißchen Deutsch.

    Der greise Josef Burg kokettiert natürlich: Er spricht mehr als nur "ein bißchen Deutsch". Immerhin hat er von 1934 - 1938 in Wien Germanistik studiert. Schon damals wußte er, dass er ein jiddischsprachiger Schriftsteller werden wollte: 1934 war seine erste Erzählung in den "Czernowitzer bletern" gedruckt worden, einer Zeitung, die Josef Burg fünfzig Jahre nach ihrem Verstummen 1990 wieder zum Leben erweckt hat. Nun erscheint sie einmal im Monat, ein dünnes Blatt, zwei Seiten jiddisch, zwei Seiten russisch - eine verdienstvolle Unternehmung, aber doch auch ein eher trauriger Abglanz der einst reichen jiddischsprachigen Kultur in Czernowitz. Burg:

    Czernowitz war eine alte jiddische Stadt. Ich unterstreiche das Wort "jiddisch" - an alte, jiddische Schtot... Der größte Teil der Bevölkerung war jüdisch, es gab eine große jüdische Kultur. Vor dem Krieg lebten fast vierzig Schriftsteller in Czernowitz, die jiddisch geschrieben haben. Ich spreche nicht von den Jüdischstämmigen, die deutsch geschrieben haben, wie Paul Celan und Rose Ausländer und so weiter, ich spreche, von denen, die jiddisch geschrieben haben. An der Spitze Elieser Steinbarg, der Fabeldichter, und Itzig Manger, der Balladendichter, und viele, viele andere. Heute ist leider nichts mehr davon da. Heute bin ich der einzige jiddische Schriftsteller, der noch in Czernowitz lebt, und der auch schon am Ende seines Lebenslaufs angekommen ist.

    Czernowitz und die Bukowina - was in diesen Namen nicht alles mitschwingt. Der strahlende Tenor Josef Schmidts, dessen Karriere hier als Kantor im jüdischen Tempel begann, Rose Ausländers sehnsuchtsvolle Gedichte an diese "Stadt von Schwärmern und Anhängern", wie sie Czernowitz nannte, Paul Celans Verzweiflung und Gregor von Rezzoris Zynismus, der Witz und die Weisheit der chassidischen Geschichten, die Martin Buber hier gehört und niedergeschrieben hat. Wer stammte nicht alles aus Czernowitz, diesem einstigen Miniatur-Wien am östlichen Rand der Habsburger Monarchie! Russen und Juden, Ukrainer, Rumänen und Österreicher lebten hier den Traum einer friedlichen Völkergemeinschaft. Ihren Aufstieg zu einem blühenden wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum verdankte die Stadt vor allem ihrer jüdischen Bevölkerung, deren traditionell orientierter Teil Jiddisch sprach, während assimilierte Kreise sich an der deutschen Sprache und Kultur orientierten. Nach dem Ersten Weltkrieg fielen Czernowitz und die Bukowina an Rumänien. Trotz oder vielleicht gerade wegen der massiven Rumänisierung des öffentlichen Lebens und der sich in den dreißiger Jahren zuspitzenden Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung erlebte das geistige Leben der des jüdischen Czernowitz, vor allem auch die jiddische Kultur, in den Zwischenkriegsjahren eine nie gewesene Blüte.

    1940 annektierte die Sowjetunion im Windschatten des Hitler-Stalin-Pakts die Nordbukowina und Czernowitz. Was als Befreiung deklariert war, endete mit der Deportation Tausender sogenannter bürgerlicher Elemente, darunter viele Juden, nach Sibirien. Im Juli 1941 nahmen rumänische Truppen die Stadt ein, mit ihnen kam die SS, die die jüdische Bevölkerung ins Ghetto und in Lager auf der anderen Seite des Dnjestr trieb. Nur ein Drittel der deportierten Czernowitzer überlebte die berüchtigten Todeslager in Transnistrien. Was die nationalsozialistische Verfolgung von der jiddischen Kultur übriggelassen hatte, zerstörte die stalinistische Politik in der Nachkriegszeit: Überall in der Sowjetunion wurden jiddische Theater und Verlage geschlossen, Zeitungen verboten, die Sprache durfte nicht mehr unterrichtet werden. 1952 wurden führende Vertreter der jiddischen Kultur der Sowjetunion, allesamt Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, in Moskau hingerichtet. Mit Stalins Tod endeten die Verfolgungen, doch es sollten weitere acht Jahre vergangen, ehe 1961 wieder eine jiddische Zeitschrift in der Sowjetunion erscheinen konnte, sie hieß Sowjetisch Hejmland und gab heimatlos gewordenen Autoren wie Josef Burg nach langen Jahren wieder die Möglichkeit, ihre Werke zu veröffentlichen.

    Heute ist Czernowitz eine ukrainische Provinzstadt. An den Häusern, in denen Paul Celan und Rose Ausländer einmal gewohnt haben, hat man pflichtschuldigst Gedenktafeln angebracht - doch die Stadt lebt nicht mit ihrer Vergangenheit. Sie ist der Geschichtslosigkeit anheimgefallen, wie Paul Celan prophezeite. Viertausend Juden gibt es noch in Czernowitz, die meisten von ihnen alt, arm und krank. Wer kann, wandert aus, nach Amerika, nach Deutschland, nach Israel, wo immerhin Bukowiner und Czernowitzer Vereine die Erinnerung an bessere Zeiten wachhalten.

    Josef Burg gehört zu denen, die Czernowitz und der jiddischen Sprache treu geblieben sind. Nach zwanzig Jahren, die er in Russland zubrachte, kehrte er 1959 in die Stadt seiner Jugend zurück. Weitere zwanzig Jahre sollten vergehen, ehe er 1981 wieder ein Buch in seiner Muttersprache veröffentlichen konnte. Ein Beharrungsvermögen, für das man den hochbetagten Schriftsteller heute achtet und ehrt. Burg:

    Ein jüdischer Schriftsteller ist der, der jiddisch schreibt. Oder hebräisch - wir sind ein zweisprachiges Volk. Die Sprache bedingt die Literatur. Heine ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, obwohl er sehr viel Jüdisches hat und viel über Jüdisches geschrieben hat, über den Rabbi von Bacharach oder Jehuda Halevi. Und die Sprache ist eine selten deutsche bei Heine. "Sie sitzet und kämmt ihr goldenes Haar..." Die Sprache dominiert in der Literatur, und der jiddische Schriftsteller ist der, der jiddisch schreibt.

    Immer wieder, sagt Josef Burg, stelle man ihm die Frage, welche Zukunft er für die jiddische Sprache und damit auch für die Literatur sieht.

    Die Zukunft, das waren die anderthalb Millionen jüdischer Kinder, die jiddisch gesprochen haben und die vergast worden sind. Das war unsere Zukunft. Und das sind die sechs Millionen, von denen fünf Millionen jiddisch gesprochen haben. Das war der große Schlag, der der jiddischen Sprache, den jiddischen Kultur und dem jüdischen Leben allgemein versetzt wurde. Aber doch - Jiddisch lebt. Es erscheinen jiddische Bücher, es gibt jiddische Schriftsteller, eine junge Generation. Eine Zeitschrift erscheint in New York, die heißt "Jugendruf". Auf jiddisch heißt sie auch so. (lacht) Sehen Sie, wie ähnlich die beiden Sprachen sind. Und jetzt nach der Wendung, wo wie die Möglichkeit bekommen haben, die jiddische Kultur in den postsowjetischen Ländern zu pflegen. In Weißrußland, in Moldawien sind Schulen eröffnet worden, Jiddisch wird wieder gelernt... So dass Jiddisch weitergehen wird. Und ich bin überzeugt, dass eine Sprache, die eine Literatur geschaffen hat, die zur Weltliteratur gehört, nicht so leicht verschwinden kann.

    Das Interesse junger Menschen aus dem deutschsprachigen Raum, die in Potsdam, Düsseldorf, Trier oder Hamburg Jiddisch studieren oder zumindest lernen, sieht Josef Burg nicht mit Befremden, sondern mit Freude und Genugtuung.

    Es ist ein Wunder. Wissen Sie, wir sind ein Volk der Wunder, überhaupt. Unsere ganze Geschichte besteht aus Wundern. Die Juden sind vertrieben worden im Mittelalter und sind in den deutschen Raum gekommen und haben dort eine Sprache bekommen - ein Wunder! Die spanische Inquisition, die Maranen, die oben Spanier waren und in den Kellern Juden - ein Wunder! Sechs Millionen Juden sind umgekommen, es schien, das ist der Untergang des Judentums. Dann ist ein jüdischer Staat geschaffen worden, Erez Israel - und wir leben weiter, wir existieren weiter. So dass es mit der jiddischen Sprache und Literatur auch ein Wunder sein wird. Es wird weitergehen.

    Zur Zeit von Josef Burg in deutscher Übersetzung lieferbar:

    Ein verspätetes Echo, Erzählungen. P. Kirchheim Verlag, 220 S., EUR 20,90

    Jom Kippur. Winsener Hefte Nr. 14, Hans Boldt Verlag, 2001, EUR 4,10.

    Über Josef Burgs Leben gibt folgender Interview-Band Auskunft: Josef Burg - Michael Martens: Irrfahrten. Ein ostjüdisches Leben. Hans Boldt Verlag, 65 S., EUR 11,50