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Josef Grässle-Münscher: Terror und Herrschaft. Die Selbstbespiegelung der Macht.

"Terror und Herrschaft - Die Selbstbespiegelung der Macht" ist ein kleiner Aufsatz überschrieben, in dem ein Hamburger Anwalt, der mit den Grünen im Bunde steht, sich vor dem Hintergrund des 11. September Gedanken über Terrorismus und staatliche Repression macht. Was dabei herausgekommen ist, bewertet Stephan Wehowsky.

Stephan Wehowsky |
    Nach dem 11. September 2001 hat der amerikanische Präsident von einem "Kreuzzug" gegen den Terrorismus gesprochen, der deutsche Bundeskanzler von "bedingungsloser Solidarität" mit den Vereinigten Staaten. Entsprechende Taten folgten rasch: der militärische Einsatz in Afghanistan, die Ausweitung polizeilicher und geheimdienstlicher Aktionen weltweit, die Einrichtung von Militärtribunalen in den USA, die Planung von immer mehr Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Rechtfertigt der Kampf gegen den Terror alle diese Worte und Taten? Könnte es nicht auch sein, dass der weltweite Terror für manche Kreise ein willkommener Anlass ist, um Maßnahmen zu ergreifen, die sie schon immer haben ergreifen wollen?

    Josef Grässle-Münscher ist dieser Meinung. Er arbeitet als "Fachanwalt für Strafrecht" in Hamburg und hat an einem Gesetzentwurf der Grünen – es ging dabei um die Streichung der Straftatbestände der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a und der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach Paragraph 129 – mitgewirkt. Dieser Gesetzentwurf ist gescheitert. Unter dem Eindruck des 11. September 2001 hat Grässle-Münscher in kürzester Zeit ein Buch verfasst, das bereits im Frühjahrsprogramm der durchaus renommierten Europäischen Verlagsanstalt erscheinen konnte. Grundsätzlich stellt der Autor fest:

    Terrorismus bezeichnet ein historisches Verhältnis. Es ist das Verhältnis zwischen Herrschaft und Freiheit in seiner extremsten Ausprägung. Die Waffen sind dabei das wenigste und, wie es sich historisch durchgängig nachweisen lässt, dasjenige, was die Regierungen am wenigsten beunruhigt. Im "Feldzug gegen die RAF" und der damit einhergehenden Sicherheitsdebatte wird die Verfolgung von Ideen zum zentralen Anliegen des Staates.

    Um es einfacher zu sagen: Grässle-Münscher ist der Meinung, dass Terrorismus ein Kampfbegriff der Herrschenden ist, der lediglich zum Ausdruck bringt, dass sie sich in ihrem Machtanspruch bedroht sehen. Deswegen sind die eingesetzten Waffen für sie nicht von entscheidender Bedeutung, sondern die Ideen, die hinter diesen Waffen stehen. In endlosen Wiederholungen und Variationen finden sich Sätze wie diese:

    Das Verhältnis von Herrschaft und Terror ist das auf die Spitze getriebene Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft. In der Zeit der siebziger Jahre hat sich dieses Verhältnis erstmals in seiner ganzen Schärfe gezeigt. Herrschaft und Terror widerspiegeln einander. Im deutschen Herbst 1977 setzte die Definitionsarbeit, die dieses Verhältnis bestimmen sollte, ein. Am Ende stand die Bürgergesellschaft.

    Ja, ganz recht, der Autor meint, die Bürgergesellschaft hinreichend charakterisiert zu haben, wenn er von ihr einzig und allein behauptet, sie sei aus der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus marxistischer Prägung hervorgegangen:

    Die europaweite Etablierung des Terrorismus als Synonym für die sozialrevolutionären Bewegungen der siebziger Jahre war der Gründungsakt der Bürgergesellschaft.

    Wäre George W. Bush oder seinen Redenschreibern eine ähnlich simple Formulierung in Bezug auf den Islam eingefallen, stünde mal wieder das texanische Schulsystem zur Diskussion. Grässle-Münscher erweist sich auch radikalsten Vereinfachungen amerikanischer Provenienz als gewachsen, wenn er behauptet, dass grundsätzlich jeder Versuch, die herrschende Ordnung zu verändern, kriminalisiert wurde, von den Burschenschaften des 19. Jahrhunderts über Baader-Meinhof bis zu friedlichen Protestbewegungen. "Herrschaft und Terror widerspiegeln einander", schreibt der Autor immer wieder und behauptet damit indirekt, dass jeder Terror ebenso legitim beziehungsweise illegitim wie Herrschaft ist. Eine Unterscheidung zwischen bloßer Herrschaft und notwendiger Ordnung trifft er gar nicht erst. In der Nacht sind alle Katzen grau. Mit Baader-Mainhof beschäftigt er sich besonders breit. Er bezeichnet sie als eine "existenzialistische Bewegung", da sie im herkömmlichen Sinne nicht politisch gewesen sei.

    Die RAF kam nicht aus der Geschichte, machte keine Geschichte, sie war auf einmal Geschichte. ... Gerade weil sie ohne historischen Vergleich und ohne Anlehnung an relevante gesellschaftliche Gruppen war, über keine andere Abstützung als die ihrer eigenen Existenz verfügte, zog sie alles auf sich.

    Worin besteht aber dieses "alles, was sie auf sich zog"? Auch das erfährt der Leser nicht. Er kann bestenfalls vermuten, dass es sich dabei um die staatlichen Reaktionen handeln könnte, die der Autor breit in anklägerischem Gestus darstellt. Die Herrschenden hätten nicht nur bei der Bekämpfung von Baader-Meinhof, sondern auch bei der kurdischen PKK grundsätzlich völlig unverhältnismäßige Mittel angewendet. Dabei bemerkt der Autor aber nicht, dass er sich in einen fundamentalen Widerspruch begibt. Einerseits schildert er die RAF als gewissermaßen autistische Bewegung ohne irgendeinen Anhang in der Arbeiterbewegung oder anderen relevanten oppositionellen Gruppen, auf der anderen Seite behauptet er, die Herrschenden würden den Terrorismus nur bekämpfen, um ihre Macht zu behalten. Wenn die Baader-Meinhof-Terroristen aber, wie er selbst herausstellt, gesellschaftlich isoliert waren, wie sollten sie dann eine ernsthafte Gefahr für die Herrschenden darstellen ? Diese Frage stellt er nicht, verweist aber darauf, dass die Baader-Meinhof-Terroristen ihre Anschläge gegen Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft gerichtet, den durchschnittlichen Bürger also nicht bedroht hätten. Die Macht der Politiker stützt sich aber gerade auf die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler, also einer Mehrheit, die im Falle der Terrorismusbekämpfung ganz auf Seiten der Regierung war. Das heißt, die Öffentlichkeit identifizierte sich mit den Opfern der Entführungen und Anschläge. Man könnte dies als eine Fehlidentifikation deuten, die beispielsweise auf perfide Manipulationen der Springer Presse zurück geht und die Macht der Herrschenden unerschütterlich zementierte. Das behauptet Grässle-Münscher aber nicht. Er behauptet nur, dass kein normaler Bürger durch die RAF bedroht gewesen sei, und vergisst dabei zynisch diejenigen, die als Polizisten, Fahrer oder Insassen der entführten Lufthansamaschine Landshut sehr wohl zu Opfern geworden sind. Dafür beklagt Josef Grässle-Münscher andere Opfer: die Ideen nämlich, die mit der Terrorismusbekämpfung angeblich verschwinden.

    Die Gesellschaft hat mit diesen Ideen und Bewegungen gleichzeitig ihre Utopien verloren. Der Sicherheitsstaat der Bürgergesellschaft besteht in der Sicherheit gegen Ideen. Die Bürgergesellschaft hat sich zu einer Festung der Selbstgenügsamkeit entwickelt.

    Allerdings versäumt es der Autor, die Ideen vorzustellen, auf die wir jetzt so schmerzlich verzichten müssen, weil es keine Baader-Meinhofs mehr gibt. Vage weist er lediglich darauf hin, dass Baader-Meinhof ebenso ein Teil der deutschen Intelligenz gewesen sei wie die Brigate Rosse ein Teil der italienischen und die Action Directe ein Teil der französischen gewesen sei. Er begründet diese Behauptung mit den Büchern und Filmen, die sich auch heute noch mit Baader-Meinhof beschäftigen. Darin geht es aber um die damaligen Konflikte, nicht um die angeblich so wertvollen Ideen, die er vermisst. Diese verlorenen Ideen wiederum bilden die Brücke zu seiner Beschäftigung mit dem 11. September, deren Attentäter er in seiner blumigen Sprache wie folgt schildert:

    Die Attentäter des 11. September ... sind das absolut Fremde. Sie sind keine Sozialrevolutionäre, sie diskutieren mit niemandem, und interessieren sich für niemanden. Niemand diskutierte mit ihnen über Marx und Lenin, über den Kommunismus und den Anarchismus, über die Arbeiterbewegung und die Utopisten. Sie waren unter sich, und unter sich diskutierten sie den Islam. Nicht einmal ihre religiösen Lehrer kannten ihre religiösen Überzeugungen.

    Dann fragt der Autor, ob die Attentäter im Gegensatz zu ihren marxistisch orientierten Vorgängerinnen und Vorgängern niemanden mehr überzeugen wollten.

    Dies wäre ein Bruch mit dem Dagewesenen und ist noch nicht ausgemacht.

    Diese Stilblüte kennzeichnet die ganze Wirrnis dieses Autors. Und wie um sie zu steigern, fährt er fort:

    Es ist unmöglich zu sagen, keiner darf Terrorist sein, ebenso wie es unmöglich ist zu sagen, keiner darf schwul sein. Jedes Zusammentreffen mit dem Recht ist in diesem Bereich wie der Austausch von Feindseligkeiten, nicht wie die Feststellung von Recht und Unrecht.

    Man wüsste gern, warum diese Argumentation nicht auch für Ladendiebe oder Kinderschänder gelten soll. Der Autor weiß das auch nicht so genau, denn immer wieder stellt er den Sinn des Strafrechts überhaupt in Frage.

    Josef Grässle-Münscher ist angeblich "Fachanwalt für Strafrecht" in Hamburg. Man erführe gerne, ob er je etwas für seine Mandanten hat erreichen können oder ob seine Plädoyers nicht grundsätzlich strafverschärfend wirken. Das Buch jedenfalls liest sich, als ob jemand die 68er mit Baader-Meinhof hat gleichsetzen und sich darüber hinaus den Spaß machen wollen, das Gedankengut der 68er in übelster Weise zu persiflieren, indem er jede argumentative Logik zerstört.

    Stephan Wehowsky über Josef Grässle-Münscher, Terror und Herrschaft. Die Selbstbespiegelung der Macht. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 165 S., 15,-- Euro.