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"Joseph de Torres - Cantadas"

Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely.

Norbert Ely |
    Manchmal findet man unvermutet Lohnenswertes in der Post. Da bringt die BMG, also die Bertelsmann Musik-Gruppe unter dem Label der "deutschen harmonia mundi" eine CD mit spanischen Kantaten unter die Menschheit, und voilà, es sind ausgesprochene Trouvaillen. Zum Beispiel erfährt man, was der spanische Komponist Joseph de Torres im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts unter einer Seguidilla verstand, einem Prototypen iberischer Musik, wie er sich vor allem Ende des neunzehnten, Anfang des 20. Jahrhunderts ganz anders in der Kunstmusik findet: * Musikbeispiel: J. de Torres - Seguidilla aus der Kantate "Bosques umbrosos" Dieses kurze Stück hat nun wirklich nichts mit jener Seguidilla zu tun, die man aus romantischer und impressionistischer Zeit kennt. Es ist ein ausgesprochen lebhafter Satz in einer weltlichen Kantate des José de Torres y Martínez Bravo, der bis 1738 lebte und fünfzehn Jahre älter war als Bach. Und damit sind wir mitten in der reizvollen Problematik dieser CD, die übrigens englisch untertitelt ist: "Spanish Solo Cantatas". Der Haupttitel ist lapidar: "Joseph de Torres: Cantadas". Drei von ihnen sind geistlichen Inhalts. Von diesen besingen wiederum zwei den Allerhöchsten - "Cantada al Santísimo" - und eine das Weihnachtsgeschehen: "Divino hijo de Adam - Göttlicher Sohn des Adam". Indes: Geistliches und Weltliches mischen sich untrennbar, und der gute Torres, Organist und später Maestro der Königlichen Kapelle in Madrid, verwendet Texte, die die christlichen Inhalte mit humanistischen, im Grunde heidnischen Allegorien durchsetzen, so daß man schon den Verdacht hat, der Komponist habe eigentlich Musik über die Liebe schreiben wollen, und es sei wohl dem übermächtigen Einfluß der römischen Kirche zu danken, daß er sie mehr oder weniger in ein geistliches Gewand hüllen mußte. Gewiß dürfte sein, daß seine Zuhörer ihn so verstanden haben. In der Kantate "Afectos amantes - Liebesaffekte", immerhin einem Werk zum Lob des Allerhöchsten, wird die Musik wörtlich beschworen, die Solmisation, die Konsonanz und Dissonanz, die Liebesquinte und die Oktav, und dann folgt ein so gewagtes Bild wie: "Cisne fue para espirar en la Cruz - Zum Schwan geworden verhaucht er sein Leben am Kreuz", und im anschließenden Rezitativ heißt es: "Dieser ist der wahre Orpheus", nämlich Jesus. Es ist dies eine höchst artifizielle Sprache, und Torres schrieb dazu eine ebenso artifizielle Musik, die immer wieder voll iberischer Wendungen ist, vor allem in den abrupt verkürzten Abgesängen, in harmonischen Varianten. Und da erweist sich die Besetzung der Einspielung als Glücksfall. Die Sopranistin Marta Almajano beherrscht das Idiom mit einer Leichtigkeit und einem Charme, daß einem, auch wenn einem das Spanische nicht geläufig ist, beim Zuhören sehr weltlich zumute werden kann. * Musikbeispiel: J. de Torres - "Afectos amantes" Das Ensemble "Al Ayre Espanol" hat inzwischen eine Menge Renommé erspielt. Es steht unter der Leitung des Musikforschers, Herausgebers und Cembalisten Eduardo López Banzo und ist, wie dies in der Szene der Brauch, international zusammengesetzt: Paolo Grazzi ist ein geübter Virtuose auf der barocken Oboe, Barry Sargent und Tjamke Roelofs spielen die Violinen, Richte van der Meer hat ein wunderbares altes Pariser Cello von 1719 zur Hand, Mike Fentross und Juan Carlos Rivera greifen bei Chitarrone, Gitarre und Theorbe in die Saiten. Und das Ergebnis ist ein inwendig unerhört lebendiger Klang, der durchaus rhythmische Aggressivität entwickelt. Die Lust am Virtuosen, am brillant hingetupften Affekt ist allenthalben spürbar. Die vielleicht interessanteste Kantate ist "O, quien pudiera alcanzar - O wer könnte nur ein Leben voller Liebe erlangen", die ebenfalls dem Allerhöchsten gilt. Darin gibt es einen Despazio, in dem die Vögel und die Bäume und Sträucher beschworen werden. Die anschließende Fuge beklagt die Treulosigkeit - die Form der Fuge wird da ganz nach dem Brauch der weltlichen Kantate eingesetzt. Die nachfolgende Arie mündet in ein Grave, das den alttestamentarischen Herrn beschwört, den "Adonai", wie in der jüdischen Tradition der Name des Allerhöchsten, den man nicht ausspricht, umschrieben wird. * Musikbeispiel: J. de Torres - "O, quien pudiera alcanzar" Neben einer ziemlich unbedeutenden Sonata prima des seinerzeit in Italien lebenden Spaniers Francisco José de Castro findet sich jedoch, wie gesagt, auch eine weltliche Kantate "Bosques umbrosos - schattiger Sträucher", in der Trauer um den Verlust der Geliebten und bukolische Tradition ineinander verwoben sind. Was mag hier weltlich, was wiederum geistlich inspiriert sein? Der abschließende Lamento "Muere corazon - Stirb, Herz" zeigt, wie wenig in dieser höchst geistvollen Musik des spanischen Hofmusikers José de Torres diese Kategorien wert sind. Es ist eine Musik von überraschender Lebendigkeit und Intensität, die da, um es zu wiederholen, für die neue CD der "deutschen harmonia mundi", erschienen bei BMG, eingespielt worden ist. Eine Trouvaille eben.

    Am Mikrofon verabschiedet sich Norbert Ely mit einem Dankeschön dafür, daß er Sie Ihnen hat vorstellen dürfen. * Musikbeispiel: J. de Torres - "Bosques umbrosos", - Grave. "Muere corazon"