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Joshua Ferris: "Männer, die sich schlecht benehmen"
Alles klappt prima, bis die Frauen auftauchen

Der US-amerikanische Autor Joshua Ferris hat die männlichen Protagonisten seiner Short-Stories-Anthologie noch schonungsloser negativ dargestellt als zunächst geplant - auf die Rückmeldung von Leserinnen hin. Dennoch sind seine Charaktere nicht eindimensional.

Von Paul Stoop | 08.01.2019
    Der Autor Joshua Ferris und sein Roman "Männer, die sich schlecht benehmen"
    Der Autor Joshua Ferris und sein Roman "Männer, die sich schlecht benehmen" (Cover Luchterhand Verlag / Autorenportrait © Sebastian Kim/August)
    Die erste Sammlung mit Short Stories von Joshua Ferris ist keine bunte Mischung, wie sie als Best-of-Auswahl üblich ist. Vielmehr ist es ein programmatischer Band. Die Männer, um die sich alles dreht, sind jung und alt, arm und reich, kommen aus Manhattan und Ohio. Sie verhalten sich unbeholfen oder schlicht primitiv. Sie sind Ehebrecher, Angeber, Einsame, Loser.
    Wenn Gastgeber versetzt werden
    Das wäre wohl langweilig, gäbe es da nicht die lebensnahen Situationen, in denen schlechtes Männer-Benehmen zum zwischenmenschlichen Dramolett führt. Nämlich immer dann, wenn Frauen ins Spiel kommen. Mal ist das komisch, mal bitterböse, wie in der Geschichte "Die Dinnerparty". Ein Paar bereitet das Essen mit ihrer langjährigen Freundin und deren Mann vor. Der namenlose Er trinkt schon mal vor und schildert angewidert den erwarteten Ablauf der kommenden Stunden:
    "Wir betäuben uns mit Alkohol, wir diskutieren bis zur Erschöpfung jeden Scheiß. Natürlich ist es auch ein lustiger Abend, es wird viel gelacht, obwohl später niemand mehr weiß, was eigentlich witzig war. Klar, und großes Lob an die Köchin! Gefolgt von ein paar Monologen. Irgendwann gähnt einer, am Ende gähnen alle. Und sie sagen: 'Ich glaube, wir sollten langsam.' "
    Er und Sie warten, aber die Gäste kommen nicht. Sie macht sich Sorgen um die Freundin, Er vermutet dagegen Absicht als wahren Grund für das Ausbleiben der Gäste. Spät am Abend fährt Er zum Haus der Freunde. Diese feiern gerade selbst eine große Party – offenbar war das Ignorieren der Dinner-Einladung ein kalkulierter Affront. Mitten auf der Party stellt der versetzte Gastgeber die Freundin seiner Frau zur Rede – ein brüllender Mann, der sich öffentlich unmöglich macht.
    Joshua Ferris gibt in seiner Danksagung zu, nach Rückmeldungen von Leserinnen seine Geschlechtsgenossen noch schonungsloser negativ darzustellen als zunächst geplant. Dennoch sind seine Charaktere nicht eindimensional. Leonard zum Beispiel – erfolgloser, trinkender und prokrastinierender Drehbuchautor in der Geschichte "Der Pilot" – ist sich seiner eigenen Lächerlichkeit durchaus bewusst. Hilflos treibt er sich auf der Party einer erfolgreichen Serien-Autorin herum:
    "Irgendwann setzte er sich auf ein freies Stück Sofa. Links von ihm eine zierliche Blonde, deren angeregtes Schulterblatt Zeugnis davon ablegte, wie blendend sie sich unterhielt. Auf der rechten Flanke sah es nicht besser aus, dort hatten zwei weitere Rücken mit insgesamt vier Schulterblättern alles dichtgemacht. Er kaute nervös auf seinem Zahnstocher, bis er selber bemerkte, wie das aussehen musste. Jeder aufmerksame Beobachter hätte in ihm den nächsten Amokläufer erkannt, der ohne Vorwarnung alles niederballern konnte."
    Physische Männergewalt gegen Frauen kommt in den Storys nicht vor, aber an Gewaltfantasien und Fast-Ausbrüchen mangelt es nicht, wie in der Kurzgeschichte mit dem Titel "Verlassenheit". Das Setting erinnert an Ferris’ großen Büro-Roman "Wir waren unsterblich".
    Nachts allein im Büro
    Der einsame Protagonist Joe Pope bleibt über Nacht in der Firma. Er stromert herum, inspiziert die Arbeitsplätze der Kollegen und setzt sich in den Chefsessel. Von dort stammelt er der Kollegin Eve eine lange Nachricht auf den Büro-Anrufbeantworter und gesteht der verheirateten und schwangeren Frau seine jahrelang verheimlichte Liebe ein. Joe spürt, dass es zu einem Eklat kommen kann, rechtfertigt sich aber vor sich selbst:
    "Irgendwann musste er ihr alles sagen, nicht wahr? (...) Es war lange überfällig. Ihr Mann, das Baby – was spielen sie eigentlich für eine Rolle? Für Joe Pope gar keine. Er ist sich nicht einmal sicher, ob seine konstante Verehrung überhaupt noch ihr gilt. Inzwischen ist es eher eine fixe Idee, eine Obsession. Seine Tage sind die Hölle, seine Nächte noch mehr, irgendetwas musste geschehen."
    Joe kommt wieder zu Sinnen und versucht nun, sein Bekenntnis auf Eves Anrufbeantworter zu löschen. Da das technisch nicht möglich ist, zerstört er ihr gesamtes Büro, vertauscht die Fotos an den Arbeitsplätzen anderer Kolleginnen und bedient sich an deren persönlichen Gegenständen. Auch hier: schlechtes Benehmen, selbstzerstörerische Blödheit – gleichzeitig aber ein Akt der Befreiung.
    Hypochonder unter Beobachtung
    Joshua Ferris ist ein guter Beobachter. Mit wenigen Sätzen skizziert er eine Umgebung, eine Stimmung, eine Person, manchmal in karikatural verzerrter Manier wie in der Story "Der Hypochonder":
    "Mrs. Zegerman glich einem Moskito – mit ihren langen, dünnen Gliedmaßen und dem kleinen, hochkonzentrierten Gesichtsschädel, dessen scharfe Züge wie nach vorne gesaugt aussahen und in der spitzen Nase zusammenliefen."
    Mrs. Zegerman spioniert ihrem Nachbarn Arty Groys nach. Der lebt nach dem Tod seiner Frau allein und gibt sich ganz seiner Hypochondrie hin. Mrs. Zegerman empört sich über sein schamloses Verhalten. Arty hat nämlich von seinem Freund Jimmy den Besuch einer Prostituierten geschenkt bekommen. Die von der Nachbarin beobachtete Party scheint in einem Desaster zu enden. Völlig zerzaust liegt Arty halbtot in seiner Wohnung – und Mrs. Zegerman wittert ihre Chance, den Witwer zu retten, natürlich ganz uneigennützig. Am Ende einer wilden Autofahrt zum Krankenhaus kommen Arty und seine Nachbarin zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Arty sieht sich gerettet durch den bezahlten Damenbesuch, Mrs. Zegerman empfindet sich selbst als sein Schutzengel.
    Dienstreise nach Prag
    Ferris kann Kurzgeschichte, das beweist er mit originellen Hauptdarstellern, manch treffendem Dialog und den genussvoll drastischen Zuspitzungen. Das schließt ein Scheitern im Einzelfall nicht aus. Die Geschichte "Leben inmitten von Toten" stellt uns einen Mann auf Dienstreise nach Prag vor, dem der Leser in der richtungslosen Geschichte nicht näher kommt. Die Story hat zu viele Themen, die weder vertieft noch miteinander verbunden werden: die neukapitalistische Verzerrung Prags, die Geschichte Tschechiens, der etwas tumbe männliche Blick auf eine Frau, die nur zufällig zweimal durchs Bild läuft.
    Ähnlich unbestimmt bleibt das Bild von Antonin, der den Gast durch seine Heimatstadt führt. Die Lehre, die der amerikanische Besucher aus Prag mitnimmt, ist banal:
    "Von Antonin hatte ich den ersten Geschichtsunterricht meines Lebens bekommen, jedenfalls den ersten, der wirklich zählte, weil er den menschlichen Faktor einschloss: Geschichte nicht als Abfolge bestimmter Ereignisse oder als Touristeninformation an irgendeiner Hauswand, sondern als etwas, das im Gedächtnis der Menschen fortexistiert."
    Eine solche Schwäche mindert die Qualität dieses Bandes nicht, sondern unterstreicht eher die Perfektion der anderen Geschichten. Ferris zeigt, dass eine Abspaltung von Gefühlen keineswegs das große Männerproblem ist, sondern eher ein Übermaß an Gefühlen, für die die Protagonisten in ihrer Selbstbezogenheit und seelischen Trägheit keine sozial angemessene Ausdrucksweise finden. Diese Perspektive ist zutiefst kritisch, ermöglicht uns aber trotzdem einen sympathisierenden Blick auf die vielen traurigen Gestalten, die den Herausforderungen des Mann- und Menschseins nicht gewachsen sind.
    Joshua Ferris: "Männer, die sich schlecht benehmen"
    Luchterhand Verlag, München
    288 Seiten, 20 Euro