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Journalismus im Wandel

Ähnlich wie vor der Einführung des kommerziellen Fernsehens vor zwanzig Jahren steht auch heute wieder der Journalismus vor einem Umbruch. Journalisten müssen in einer beschleunigten Medienwelt sich auf starke Veränderungen gefasst machen. Das "Nur-Schreiben und Redigieren" von Texten wird bald der Vergangenheit angehören - und auch die so genannten "Leserreporter" verändern das Gewerbe nachhaltig.

Von Michael Meyer | 13.01.2007
    "Journalisten fahren immer häufiger Taxi" - allerdings nicht als zahlende Kunden, sondern als Taxifahrer. Dieser Witz wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation vieler Journalisten, vor allem die des Print-Bereichs - oft können Journalisten von ihrem Hauptberuf einfach nicht mehr leben, was vor allem an den schmaler werdenden Redaktionsetats liege, meint der Hamburger Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg:

    "Vor allem aber greift man inzwischen sehr viel weniger auf hauptberuflich tätige freie Journalisten zurück. Das heißt, im 19. Jahrhundert sprach man von "Schmutzkonkurrenz", also Leute, die sozusagen untertariflich arbeiten, in bestimmten Bereichen der Medien wird sehr wenig bezahlt, das bedeutet, das man im Grunde mit unprofessionellem Personal zu tun hat, und da spricht man zum einen über Deprofessionalisierung und zum anderen in der Konsequenz über Reduktion von Qualität."

    Der berühmt- berüchtigte Praktikant, der in manchen Redaktionen einen Großteil der Arbeit erledigt, die eigentlich hauptberufliche Journalisten machen sollten, ist keine Seltenheit mehr. Auch das Phänomen der Leserreporter, die billig Texte und Fotos liefern, ist ein Sündenfall, meint Weischenberg. Aber: Je renommierter das Unternehmen, umso weniger wird man auf Praktikanten treffen.

    Der schleichende Qualitätsverlust des bundesdeutschen Journalismus ist allerdings kein Phänomen, das überall gleichermaßen zu beobachten ist, sondern er vollzieht sich bei manchen Medien stärker, als bei anderen, meint der Ex-"taz"-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen: Bei kleineren Regionalzeitungen etwa, wie zum Beispiel dem Bonner Generalanzeiger, gebe es seit Jahren ein schleichende Reduktion des journalistischen Anspruchs:

    "Hier ist auf der ersten Seite nicht eine einzige - Nicht - Agenturmeldung. Nicht eine einzige Meldung, die selbst im Haus geschrieben wurde. Wie die aus ihrer Sicht die Welt ihren Lesern erklären wollen, erschließt sich mir damit nicht. Das heißt für uns: Wir müssen diese handlungsrelevanten Informationen unter die Leute bringen und wir müssen daran arbeiten. Daran arbeiten heißt auch: Tatsächlich wieder recherchieren."

    Recherche steht allerdings nicht mehr ganz oben auf der Agenda vieler Journalisten - oft allerdings nicht aus Unwillen oder Unkenntnis, sondern aus wirtschaftlichem und zeitlichem Druck. Wenn zum Beispiel im Axel Springer Verlag das hauseigene Archiv für die Redaktionen kostenpflichtig wird, dann wirft das ein Licht auf die Wertigkeit, die man der investigativem Journalismus zubilligt.

    Der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Thomas Leif, setzt sich seit Jahren mit seiner Organisation für den Wert und die Wichtigkeit von Recherche ein, aber, so sagt Leif, die bundesdeutsche Realität sehe weitgehend trübe aus:

    "Man muss ganz nüchtern bilanzieren, Recherche ist als journalistisches Prinzip out. Es ist eine spezifische Tugend, die in Sonderredaktionen gemacht werden kann, es gibt bei Lokalblättern Chefreporter, die ein bisschen mehr Freiraum haben, es gibt da bei den Magazinen noch Ressourcen. Wir müssen uns nichts vormachen: Wir haben es mit einer starken Tendenz der Entwortung im Journalismus zu tun, immer weniger Leute müssen mehr produzieren, es muss immer schneller produziert werden, und das alles gestützt auf PR-Material, Agenturmaterial, auf Material von außen - was Recherche angeht, haben recherchierende Journalisten es schwer, sie müssen es im Grunde mit eigenem Engagement machen und können nicht damit rechnen, dass es bezahlt wird."