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Journalist über Operation "Pollino"
"Die Zukunft der Verbrechensbekämpfung der Mafia in Europa"

Mit einem Jahresumsatz von geschätzten 56 Milliarden Euro sei die ’Ndrangheta weltweit die wichtigste Mafia, sagte Buchautor Maik Meuser im Dlf. Die seit heute laufende Polizeiaktion sei "etwas ganz Neues", um den hierarchisch strukturierten Machtapparat erfolgreich zu bekämpfen.

Maik Meuser im Gespräch mit Kolja Unger |
    Polizisten stehen bei einer Razzia gegen die Mafia in einem Eiscafé in der Duisburger Innenstadt.
    Die Operation "Pollino" findet neben Deutschland auch in Belgien, den Niederlanden und Italien statt. (dpa / picture alliance / Christoph Reichwein)
    Kolja Unger: Razzien in Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien: Es war die bisher größte internationale Polizeiaktion gegen die Mafia-Organisation Ndrangheta. Darunter viele Einsätze in NRW und in Bayern. Rund 90 mutmaßliche Mitglieder wurden in den Morgenstunden festgenommen. Etwa zwei Millionen Euro und eine große Menge Drogen sind beschlagnahmt worden.
    "Ndrangheta in Deutschland besonders groß"
    Maik Meuser ist Mitautor des Buchs "Die Mafia in Deutschland". Herr Meuser, bei der Ndrangheta denkt man ja erstmal an Süditalien - welche Bedeutung hat die Mafia in Deutschland?
    Maik Meuser: Die Ndrangheta ist ja in Deutschland besonders groß. Sie hat, sagt das BKA, im Moment ein bisschen mehr als 350 Mitglieder, wobei die Dunkelziffer deutlich höher ist. Und sie ist damit die einflussreichste Mafia-Gruppierung aus Italien in Deutschland. Weil wenn man sich mal als Vergleich daneben die Cosa Nostra aus Sizilien anschaut, die die Ur-Mafia ist, sage ich mal, die haben nur 125 Mitglieder in Deutschland. Die Ndrangheta spielt eine sehr große Rolle, ist auch weltweit die wichtigste und relevanteste Mafia, macht einen Jahresumsatz von geschätzten 56 Milliarden Euro.
    Unger: Was sind die Hauptgeschäftsfelder der Ndrangheta?
    Meuser: Kokain. Mit Kokain lässt sich sehr viel Geld verdienen. Man muss sich das so vorstellen: Die kaufen in Südamerika das Kilo bei sechs bis 8.000 Euro ein, schmuggeln es hier herüber über Rotterdam, Antwerpen, Amsterdam oder auch Hamburg, wie wir letzten Monat gesehen haben. Da sind ja 1,3 Tonnen sichergestellt worden. Und das, was sie dann hier vor Ort haben und verkaufen können, hat einen Verkaufswert von 36.000 bis 38.000 Euro das Kilo. Das heißt, das hat sich versechsfacht. Und wenn man die 1,3 Tonnen, die in Hamburg beschlagnahmt wurden, mal mit diesem Preis gegenrechnet, dann kommt man auf einen Verkaufswert von fast 50 Millionen Euro.
    Unger: Mich würde jetzt auch noch interessieren: Wer sind eigentlich genau diese Menschen, die jetzt festgenommen wurden? Wo kommen die her, wer sind die?
    Meuser: Na ja, ganz genau weiß ich das selbst noch nicht, weil das BKA wird ja erst um 15 Uhr eine große Pressekonferenz geben. Dann weiß man mehr zu den genauen Köpfen. Aber im Prinzip sind das Menschen, die hier in Deutschland fest angekommen sind, seit vielen Jahren hier Geschäfte betreiben, eine legale Fassade aufbauen, sei es über eine Pizzeria, über einen Autoshop oder ähnliche Geschäfte, und die dann hinten herum sehr straff und hierarchisch organisiert kriminelle Banden groß machen, die auch vor nichts zurückschrecken.
    "Die sind hier richtig gut angekommen"
    Unger: Wie stark sind diese kriminellen Banden mit der italienischen Community in Deutschland verbunden?
    Meuser: Das ist sehr unterschiedlich. Ich warne davor zu sagen, die Italiener sind Mafia. Aber es ist natürlich so, dass die Mafiosi in Deutschland dort andocken, wo sie andocken können, nämlich in ihrer Community und Sprache. Aber es gibt auch Versuche innerhalb der italienischen Community – ich denke mal an "Mafia nein danke" und ähnliche Telefonseelsorge-Rufnummern-, wo man versucht, wirklich gegen die Mafia zu kämpfen.
    Es ist ein kleiner Teil, aber der ist extrem gut organisiert, und wenn man sich anschaut, was Anfang des Jahres in Stuttgart passiert ist – da haben die deutschen Behörden ja nur umgesetzt, was die Italiener ihnen hingelegt haben -, da hat man schon mal einen Einblick bekommen. Da wurden auch von der Ndrangheta aus Restaurantbesitzer dazu verdonnert, das Öl nur bei bestimmten Großhändlern einzukaufen, zu völlig überteuerten Preisen, Kaffee genauso. Die sind hier richtig gut angekommen und machen hier ordentlich Geld.
    Unger: Auch in Pulheim bei Köln ist ein 45-jähriger Gastwirt als mutmaßlicher Haupttäter festgenommen worden. Was bedeutet das eigentlich, Haupttäter?
    Meuser: Das bedeutet, die Ndrangheta – um die handelt es sich ja in diesem Fall bei der Operation Pollino, die jetzt seit heute Morgen läuft -, das sind hierarchisch sehr klar strukturierte Machtapparate, und die haben natürlich ihre Köpfe. Pulheim ist insofern ganz besonders spannend, weil es dort vor knapp zehn Jahren schon einmal einen großen Kopf gab, der verhaftet und verurteilt wurde. Pulheim liegt für die, die das nicht so genau wissen, in der Nähe von Köln, ist quasi Einzugsgebiet einer großen Stadt, wo sowohl die Ndrangheta als auch die Cosa Nostra sehr gute Geschäfte machen – seit Jahren, seit vielen Jahren schon.
    "Joint Investigation Teams sind die Zukunft"
    Unger: Ich habe es eben erwähnt: Es gab Razzien in mehreren europäischen Ländern. Es war eine groß angelegte Polizeiaktion. Wie kann man diese Art von Polizeiaktionen bewerten?
    Meuser: Das ist was ganz Neues. Das ist, so würde ich sagen, die Zukunft der Verbrechensbekämpfung der Mafia in Europa. Man muss sich das so vorstellen: Europa hat irgendwann gesagt, wir wollen den Kokain-Handel in Europa eindämmen. Wie machen wir das? Wir können das nicht alleine den Italienern überlassen, wir können das nicht den einzelnen Staaten überlassen, also hat man bei Eurojust ein Modell entwickelt, das sich "Joint Investigation Teams" nennt. Das ist genau das, was hier auch jetzt in Deutschland passiert ist und in Belgien und in Italien. Es gibt nicht Vorgaben aus Italien, die dann hier umgesetzt werden, sondern seit zwei Jahren arbeiten deutsche Staatsanwälte, deutsche Beamte als Ermittler eng zusammen mit den italienischen Behörden, mit den niederländischen Behörden, mit den belgischen Behörden. Das nennt sich dann JIT, Joint Investigation Teams und das ist die Zukunft, wie die Mafia in Europa kleingemacht wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.