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Journalisten im Visier der Drogenbosse

In Mexiko herrscht ein blutiger Konflikt mit den Drogenkartellen. Und die Drogenbosse ermorden auch immer häufiger kritische Journalisten. Die reagieren mit Selbstzensur oder Exil - und entdecken das Web als Organ für offene Worte.

Von Florian Paulus Meyer | 03.07.2010
    "Ich bin der Boss aller Bosse", singt die mexikanische Band Los Tigres del Norte. "Jeder kennt mich und jeder respektiert mich. Mein Name wird trotzdem nie in der Zeitung stehen, denn was in die Medien gerät, entscheide ich."

    Das Lied ist eine ironische Hommage an den größten mexikanischen Drogenboss: Miguel Angel Felix Gallardo, genannt der Herr der Himmel. Es beschreibt, wie der Drogenkonflikt die mexikanische Kultur und die Medien prägen. Das Lied ist aus dem Jahr 1997, und es ist aktueller denn je: Denn der Einfluss der Kartelle auf die Medien wächst und die Zahl der Übergriffe auf Journalisten steigt: In zehn Jahren wurden über 60 Medienschaffende ermordet, 13 gelten als vermisst. Wer in das Visier der Narcos, der mexikanischen Drogenmafia, gerät, der lebt in großer Gefahr, sagt Jaime Martinez Ochoa.

    "Die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert. Wir Journalisten sind heute zwar freier als früher, man kann zum Beispiel die Regierung kritisieren, oder auch die Kirche und das Militär, aber wir geraten viel öfter in gefährliche Situationen mit Kriminellen."

    Jaime Martinez Ochoa ist Chefredakteur der Tageszeitung "Cambio de Michoacán". Die Gefahr bestimmt seinen Berufsalltag, seit zwei seiner Mitarbeiter entführt wurden. Vor acht Monaten erschien die Reporterin María Esther nicht zur Arbeit. Niemand wusste, wo sie war, doch niemand forderte Lösegeld. Keine Nachricht erreichte die Redaktion. Viele Journalisten greifen deshalb zum einzigen Mittel, das ihnen bleibt, sagt Balbina Flores von Reporter ohne Grenzen: Sie zensieren sich selbst.

    "Wir von Reporter ohne Grenzen wissen von einigen Medienunternehmen, die sich selbst zensieren. Die Redaktionen sagen zu ihren Reportern, dass sie nicht mehr alles veröffentlichen werden. Diese Selbstzensur ist eine Art Schutz."

    Betroffen sind vor allem kleine Medienunternehmen in der Provinz, Lokalzeitungen und örtliche Fernsehsender, die nicht mit einem landesweit publizierenden Medium zusammenarbeiten. In abgeschwächter Form trifft es aber auch die Großen: Immer wieder werden Informationen von einzelnen Redakteuren oder der gesamten Redaktion zurückgehalten. Mittlerweile kommt es sogar zu Fällen von Zensur, zu teils gewalttätigen Übergriffen auf Redaktionen, die von bewaffneten Banden gezwungen werden, Nachrichten nicht zu veröffentlichen oder umzuschreiben. Die Arbeit der mexikanischen Journalisten gleiche immer mehr der eines Kriegsreporters, sagt der Zeitungsredakteur Jaime Contreras Vega:

    "Als Kriegsreporter bist du auch ständig in Gefahr und versuchst zu überleben – genau wie hier. In einem Krieg erkennst du die Gefahr zumindest an den Uniformen. Hier schießen Zivilisten. Es könnte sogar sein, dass du denjenigen kennst, der dich jagt. Es könnte dein Nachbar von früher sein, der jetzt für die Mafia arbeitet."

    Einige Journalisten mussten wegen Morddrohungen schon aus dem Land fliehen. Manche wechselten ihren Arbeitsort, zogen in eine andere Stadt oder hörten auf, als Reporter zu arbeiten. Andere veröffentlichen ihre Texte im Netz unter falschem Namen. Menschenrechtsorganisationen loben die Webseiten, denn sie bieten Journalisten die Möglichkeit, das zu sagen, was andere lieber verschweigen.