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Journalisten im Visier des Staates

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag die Untersuchung der "Cicero"-Redaktionsräume durch die Staatsanwaltschaft Anfang 2005 als verfassungswidrig verurteilt. Das Urteil sei zwar - wie schon frühere Entscheidungen des Verfassungsgerichts - im Sinne der Pressefreiheit, so der Medienkritiker Henrik Schmitz. Die Überwachung von Journalisten sei in Deutschland aber weiterhin ein Problem, das durch neue Entwicklungen wie die Vorratsdatenspeicherung noch verschärft werde.

Moderation: Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Der Journalist Bruno Schirra hatte für einen Artikel in der Zeitschrift "Cicero" Anfang 2005 aus einem internen Papier des Bundeskriminalamtes über den Terroristen Al-Sarkawi zitiert. Die Staatsanwaltschaft sah eine Beihilfe zum Geheimnisverrat gegeben und lies im Herbst 2005 die "Cicero"-Redaktion in Potsdam und das Wohnhaus Schirras durchsuchen und Computerdaten beschlagnahmen. Zu einem Verfahren kam es nicht. Das mediale Interesse war umso größer. "Cicero"-Chef Weimer beschwerte sich beim Bundesverfassungsgericht. Das urteilte heute klar: Die Aktion der Staatsanwaltschaft gegen das Magazin war verfassungswidrig. Henrik Schmitz, Medienkritiker, war mit diesem Urteil zu rechnen gewesen?

    Henrik Schmitz: Aus zwei Gründen eigentlich ja. Wer die mündliche Verhandlung in Karlsruhe beobachtet hat, dem ist auch aufgefallen, dass die Richter die Vertreter der Bundesregierung sehr kritisch zu Durchsuchungen gefragt haben. Das gilt vor allem auch für den Berichterstatter des Prozesses, Richter Hoffmann-Riem, der schon während der Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass es im Fall Cicero ja anders als 1966 beim Spiegelurteil nicht um Landesverrat ging. Die Abwägung zwischen dem Grundrecht der Pressefreiheit und dem Geheimhaltungsinteresse des Staates war also ein anderes als damals. Ein anderer Punkt ist, dass die Durchsuchungen ja mit einem Konstrukt begründet worden sind, nämlich dieser Beihilfen zum Geheimnisverrat, dass zwar von verschiedenen Gerichten, vor allem Amtsgerichten angewandt wird, was aber gleichzeitig von der juristischen Lehrmeinung abgelehnt wird. Wenn der Informant ein Geheimnis verraten hat, dann ist die Tat, jetzt mal ganz juristisch gesprochen, vollendet. Die Veröffentlichung liegt also hinter dem Vollendungszeitpunkt dieser Tat und kann dann schwerlich eine Beihilfe zu etwas sein, was sich bereits ereignet hat.

    Christoph Schmitz: Herr Schmitz, da muss ich mal nachfragen: Die Verfassungsrichter verweisen heute auch auf das Spiegelurteil von '66, das Sie gerade erwähnt haben, dass nämlich ein Verfahren gegen Journalisten unzulässig sei, wenn es den Ermittlern ausschließlich darum gehe, den Informanten des Dienstgeheimnisses herauszufinden. Was aber ist denn, wenn der Journalist aktiv, also etwa durch Bestechung, ein Dienstgeheimnis entlockt?

    Henrik Schmitz: Die Richter haben zwar entschieden, dass Durchsuchungen verfassungswidrig sind oder die Durchsuchungen in diesem Fall verfassungswidrig waren, aber sie haben den Straftatbestand der Beihilfe zum Geheimnisverrat nicht als verfassungswidrig erklärt. Das heißt, Journalisten können weiterhin wegen dieses Vergehens beschuldigt werden, und sie machen auch strafbar, wenn sie zum Beispiel einem Polizisten Geld dafür geben, dass er bestimmte Akten herausgibt.

    Christoph Schmitz: In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in Hamburg gegen Stern- und Financial Times Deutschland-Redakteuren ermittelt, auch wegen Beihilfen zum Geheimnisverrat. Es geht um mehrere Artikel zur Entführung des Deutsch-Libanesen el Masri. Sind investigative Journalisten also weiter im Visier des Staates?

    Henrik Schmitz: Das sind sie, und das werden sie auch bleiben, und das ist aus Sicht der Ermittlungsbehörden ganz verständlich, weil Journalisten oft über Informationen verfügen, die die Ermittler gerne hätten, zum Beispiel den Aufenthaltsort von Straftätern. Zum anderen haben eben die Ermittlungsbehörden oft Lecks in den eigenen Stellen, und sie möchten wissen, wo diese liegen und wo die Geheimnisverräter in den eigenen Reihen sitzen. Es gibt auch noch weitere Fälle. Aktuell wurden zum Beispiel Verbindungsdaten von Journalisten bei der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung überwacht oder auch bei der Dresdener Morgenpost. Seit 1987 hat der Deutsche Journalistenverband insgesamt sogar 178 Fälle von Durchsuchungen und Beschlagnahmen gegen Journalisten gezählt.

    Christoph Schmitz: Welche andere Beispiele für Überwachung von Journalisten gibt es denn außerdem?

    Henrik Schmitz: Aktuell ist ganz stark in der Debatte die Vorratsdatenspeicherung. Ab Herbst 2007 müssen alle Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten ihrer Kunden auf Vorrat speichern, und dann kann nachvollzogen werden, wer wann mit wem wie lange und von wo aus telefoniert hat, und dabei werden auch die Daten von Journalisten gespeichert, anders als etwa die Daten von Priestern. Und diese Speicherung ist vor dem Hintergrund des Informantenschutzes und der Pressefreiheit hoch problematisch.

    Christoph Schmitz: Ist denn die Pressefreiheit in Deutschland dennoch gewahrt?

    Henrik Schmitz: Ja und Nein. Also die Pressefreiheit in Deutschland bewegt sich natürlich insgesamt eigentlich auf einem sehr hohen Niveau, also wir spielen nicht in einer Liga mit Diktaturen wie Nordkorea. Auf der anderen Seite bringt aber zum Beispiel die Organisation "Reporter ohne Grenzen" jährlich eine Liste der Pressefreiheit heraus, und da liegt Deutschland unter 170 Ländern nur auf dem 23. Platz, und das liegt zum einen an den Durchsuchungen. Das liegt auch daran, dass in Deutschland jahrelang Journalisten vom Bundesnachrichtendienst bespitzelt worden sind. Und dann gibt es noch einen ganz wichtigen Punkt: Das Bundesverfassungsbericht entscheidet eigentlich seit Jahren schon immer wieder zu Gunsten der Pressefreiheit. Nur: Wenn es zu diesen Urteilen kommt, ist das Kind im Grunde schon in den Brunnen gefallen. Oft werden Durchsuchungen von Staatsanwaltschaften oder Amtsgerichten veranlasst oder angeordnet, um die Informanten und die Journalisten abzuschrecken, und wenn die nächsten Instanzen diese Durchsuchungsbefehle dann aufheben, ist der Abschreckungseffekt schon längst eingetreten.

    Christoph Schmitz: Das heißt, das neue Verfassungsgerichtsurteil hat bestimmte Auswüchse der Staatsmacht auch nur temporär eindämmen können. Das ist aber keine Signalwirkung, sagen Sie unterschwellig, für die reale Rechtspraxis in Deutschland, was die Pressefreiheit angeht?

    Henrik Schmitz: Halt eben nicht unbedingt, und deshalb gibt es jetzt auch Forderungen verschiedener Parteien, und FDP und Grüne haben auch schon Entwürfe vorgelegt, bestimmte Gesetze zu ändern und den Staatsanwaltschaften da auch noch stärkere Riegel für Durchsuchungen vorzuschieben.