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Journalisten in Mexiko
Schutzprogramm ist wirkungslos

Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Journalisten. Mehr als 100 Reporter wurden dort in den vergangenen 15 Jahren ermordet. Seit knapp vier Jahren gibt es nun ein staatliches Schutzprogramm. Dessen Erfolg hält sich in Grenzen: In diesem Jahr wurden schon mindestens zehn Pressevertreter getötet.

Von Sebastian Erb | 12.11.2016
    Mexikanische Journalisten halten Bilder ihres ermordeten Kollegen und weiße Blume als Zeichen der Trauer in den Händen.
    Der Fotoreporter Ruben Espinosa wurde 2015 in Mexiko-Stadt ermordet. Kollegen zeigen sein Bild und halten eine weiße Blume als Zeichen der Trauer in den Händen. (AFP/HECTOR GUERRERO)
    Norma Trujillo ist seit 1991 Journalistin und arbeitet als Reporterin für die "Jornada de Veracruz". Veracruz, das ist ein Bundesstaat am Golf von Mexiko, in keinem anderen werden so viele Journalisten bedroht und getötet. Norma Trujillo bekam im Jahr 2013 Todesdrohungen und wurde in das staatliche Schutzprogramm aufgenommen.
    "Sie geben dir einen Panikknopf, der nützt dir aber im Ernstfall nicht viel, weil alles viel zu lange dauert. Vergangene Woche erst haben sie bei mir im Haus dann auch noch Kameras installiert und vor dem Haus helle Lampen und einen Elektrozaun", erzählt Norma Trujillo.
    Wirklichen Schutz verspricht sie sich von all diesen Maßnahmen nicht: "Zumindest kann die Regierung dann aber nicht behaupten, dass sie von den Bedrohungen nichts wusste. Das erhöht die politischen Kosten, wenn uns etwas zustößt."
    Sicherheitsanlage bringt vor allem eine enorme Stromrechnung
    Viele ihrer Kollegen haben schlechte Erfahrungen mit dem staatlichen Schutzprogramm gemacht. Marta Durán de Huerta wurde 2014 in den "Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger und Journalisten" aufgenommen, wie es offiziell heißt. Als bei ihr zu Hause endlich Sicherheitsausstattung installiert wurde, erschrak sie beim Blick auf die Stromrechnung: "Früher hatte ich eine Rechnung von 800 Pesos im Monat und plötzlich waren es 6000, 6500. Und der Mechanismus sagte, ne, tut uns Leid, wir können das nicht bezahlen."
    Marta Durán ist freie Journalistin in Mexiko-Stadt, viele Jahre lang war sie Korrespondentin für das spanische Programm von Radio Nederland. Auch sie war telefonisch bedroht worden.
    "Nach anderthalb Jahren in dem Mechanismus sagte die Polizei: Wir haben den Täter gefunden. Es war ein zehnjähriges Kind, das mit dem Telefon rumgespielt und die Morddrohungen ausgesprochen hat."
    Stammen Drohungen von Regierungsleuten selbst?
    Das Schutzprogramm ließ sie fallen. Kann man den Behörden bei solchen Behauptungen überhaupt trauen? Jesús Lemus hat da eine sehr klare Meinung:
    "Ich kann nicht zur Regierung gehen und sagen, dass sie mich beschützen soll. Ich bin sicher, dass einige der Drohungen von Regierungsleuten kamen. Wenn sie mir nun einen Bodyguard bereitstellen würden, wer kann mir garantieren, dass nicht er meinen Standort verrät?"
    Jesús Lemus hat allen Grund, misstrauisch zu sein. Drei Jahre saß er in Michoacán unschuldig im Gefängnis. Heute berichtet er für "Reporte Indigo" über das organisierte Verbrechen und wie der Staat darin verwickelt ist. Aus Sicherheitsgründen hat der 49-Jährige keinen festen Wohnsitz. Er reist durchs Land und recherchiert, wohnt mal bei Freunden, mal in billigen Hotels. Seine Tochter sieht er nur selten. Trotzdem gibt er seinen Beruf nicht auf.
    "Ich kann nichts anderes und ich will auch nichts anderes machen", sagt er. "Ich werde als Journalist sterben, sei es morgen oder in 20 Jahren."
    Sonderstaatsanwaltschaft hat noch keinen einzigen Fall aufgeklärt
    Dass die Regierung die größte Gefahr für Journalisten ist, sehen etwa auch die Experten der Menschenrechtsorganisation "Artículo 19" so. Es fehlt der politische Wille, etwas gegen die Straflosigkeit zu tun. Die Sonderstaatsanwaltschaft für "Delikte gegen die Meinungsfreiheit" hat noch keinen einzigen Fall aufgeklärt. Und vor einigen Monaten erst wurde ein Journalist ermordet, der sich im Schutzprogramm befand.
    Selbst offizielle Vertreter sind skeptisch. Balbina Flores arbeitet in der Menschenrechtskommission des Hauptstadtdistriktes, die für das Schutzprogramm zuständig ist. Davor war sie viele Jahre für Reporter ohne Grenzen tätig und wurde nach Drohungen selbst in das Programm aufgenommen. Können die Journalisten diesem vertrauen? Balbina Flores windet sich:
    "Das Vertrauen muss von beiden Seiten aufgebaut werden. In irgendwen muss ich ja vertrauen. Und wenn nicht in den Staat, in wen denn dann?"