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Journalistnrecherche führt zu Todschlagsprozess

Vor 16 Jahren verschwand die Rheinbacher Arzthelferin Trudel Ulmen spurlos. Ihr Ehemann behauptete, sie sei mit einem südländischen Liebhaber durchgebrannt. Die Kriminalpolizei hat ihm geglaubt, nach vier Tagen die Ermittlungen eingestellt und später die Akten vernichtet. Dank der Recherchen eines Journalisten hat der damalige Ehemann ein Geständnis abgelegt, seine damalige Frau nach einem Streit erstickt zu haben.

Von Henning Hübert | 06.10.2012
    Ohne einen Tipp hätte auch der Zeitungsreporter Wolfgang Kaes gar nicht erst angefangen, den Fall der seit 16 Jahren vermissten Ehefrau Trudel Ulmen zu recherchieren:

    "Man muss den Anfang des Fadens haben. Das war in dem Fall eine kleine Anzeige in der Zeitung. Eine amtliche Bekanntmachung des Amtsgerichts Rheinbach. Trudel Ulmen sollte nach dem sogenannten Verschollenheitsgesetz für tot erklärt werden. Das setzt aber voraus, dass sie noch einmal öffentlich aufgefordert wird, über eine geeignete Tageszeitung, so steht das im Gesetz, sich binnen einer gewissen Frist zu melden. Weil sie andernfalls für tot erklärt werde."

    Zufällig landet diese Bekanntmachung nicht in der Anzeigenabteilung des Bonner Generalanzeigers, sondern auf dem Schreibtisch der Redaktion. Hellhörig wurde Wolfgang Kaes, weil er und die Vermisste im selben Städtchen geboren wurden - in Mayen in der Eifel. Seine Recherchen begann er noch ohne Anfangsverdacht. Dafür aber mit einer großen Portion Neugierde:

    "Mich hat interessiert: Gibt's das, dass Leute einfach so aus ihrem bisherigen Leben verschwinden. Und wie sind solche Menschen gestrickt, die das tun? Im Lauf der Recherchen - ich hab mit - ich hab es mal durchgezählt - 62 Menschen gesprochen - alten Freunden, Arbeitskollegen, Familie und so weiter - bin ich zu der Überzeugung gelangt: Nein, diese Frau würde nie und nimmer einfach so aus ihrem Leben verschwinden."

    Die Kriminalpolizei hat 1996 offenbar nie ernsthaft nach der vermissten Frau gesucht. Und auch keinen Zusammenhang herstellen können mit einer wenig später im Wald gefundenen Frauenleiche. Die Kripo hatte vielmehr dem Ehemann geglaubt, der behauptete, Trudel Ulmen sei mit ihrem südländischen Liebhaber durchgebrannt, ins Ausland, und habe von dort auch noch einmal angerufen. Von diesem angeblichen Liebhaber fand Wolfgang Kaes aber gar keine Spuren in Deutschland. Grund, erst recht weiterzumachen mit Interviews. Nur der Ehemann, von dem die Legenden ihres Verschwindens stammten, wollte nicht mit ihm reden. Umso mehr andere Menschen, die mit dem Opfer zutun hatten. Auf das Informationsfreiheitsgesetz musste er sich nie beziehen.

    "Eine entscheidende Rolle hat gespielt der Vertrauensvorschuss, den eine lokale Tageszeitung genießt. Zu sagen: Guten Tag, ich komme vom "Bonner Generalanzeiger" ist was anderes als zu sagen: Guten Tag, ich komme von der "Bild"-Zeitung. Und ich war erstaunt, wie viele Menschen dann doch bereit waren, mit mir zu reden. Sonst hätte das alles nicht funktioniert."

    Dann geht alles ganz schnell. Ein DNA-Test der wieder ermittelnden Kripo bringt Gewissheit, dass die 1996 gefundene Leiche Trudel Ulmen ist. Der Ehemann legt ein 500-seitiges Geständnis ab. Nachdem er auch mit den Rechercheergebnissen des Reporters konfrontiert worden war. Inzwischen hat die Kriminalpolizei eingeräumt, dass der Mann sie 1996 auf die falsche Fährte gelenkt hatte. Und sie klar versäumt hat, sich rückzuversichern, ob die Frau wirklich mit ihrem Liebhaber durchgebrannt war. Hans-Willi Kernenbach, Kriminaldirektor der Polizei Bonn:

    "Aus heutiger Sicht trifft diese Sichtweise zu. Standardmäßig werden Vermisstenfälle überprüft. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Personen tatsächlich leben, wo sie sich aufhalten. Das ist in diesem Fall nicht geschehen. Nachdem, was wir bisher rekonstruieren konnten, da der Originalvorgang nicht mehr vorliegt, gehen wir davon aus, dass man den Angaben des Mannes geglaubt hat, der seit dieser Zeit und auch in der Folge systematisch die Spuren auch verwischt hat."
    Der Journalist Wolfgang Kaes hat im Gegensatz zur Polizei den Legenden nicht geglaubt. Sondern immer wieder in seiner Zeitung über Ungereimtheiten vor 16 Jahren geschrieben.
    "Ich habe zwei Dinge getan, die Journalisten eigentlich gar nicht tun: Ich hab die Polizei in allen Veröffentlichungen gelobt. Ich hab sie nie kritisiert, sondern habe immer geschrieben: So, jetzt sind die dran an der Geschichte und jetzt kümmern die sich und haben den Fall neu aufgenommen - wissend, dass da noch gar nicht so viel passiert war. Und das Zweite war: Ich hab nicht von meinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Irgendwann gab es ein langes Gespräch mit dem obersten Kripochef. Und ich hab alles, was ich hatte, auf den Tisch gelegt."

    Ende November beginnt der Strafprozess wegen Totschlags gegen den geständigen Ehemann, der heute in U-Haft sitzt. Wolfgang Kaes wird dann auch im Schwurgerichtssaal sitzen. Aber nicht auf der Zeugenbank, sondern hinten, in der letzten Zuschauerreihe. Um endlich den Täter zu sehen. Danach will der Journalist einen Krimi über den Fall schreiben.