Archiv


Joystick im Kopf

Die so genannte amyotrophe Lateralsklerose führt zum Schwinden aller Muskelfunktionen in kurzer Zeit, bis schließlich nur noch die Augen bewegt werden können. Ein neues System ermöglicht den Betroffenen jetzt die Kommunikation mit der Umwelt über eine spezielle Tastatur.

Von Wolfgang Noelke |
    Das am Bremer Institut für Automatisierungstechnik entwickelte Steuersystem läuft auf jedem PC. Der Bildschirm ist schwarz – die darauf abgebildete Tastatur dunkelrot und einer der Buchstaben ist umrandet von den dicken roten Linien eines Quadrats:

    "Wir haben in der Mitte des Bildschirms eine virtuelle Tastatur angebracht und da wird immer eine aktuelle Selektion oder Auswahl hervorgehoben, rot! Mit Hilfe von diesen Schaltflächen, die an den jeweiligen Bildschirmseiten platziert sind, können die Menschen diese Auswahl navigieren. Das heißt, wir können zu dem entsprechenden Buchstaben navigieren und dann mit einer weiteren Schaltfläche "Select" die Auswahl bestätigen lassen. So können wir Buchstabe für Buchstabe Texte schreiben."

    Die von Dr. Ivan Volosyak erwähnten Schaltflächen sind helle, flimmernde Streifen an allen vier Seiten des Bildschirmrahmens. Betrachtet man eine der vier Flächen, rutscht der Cursor – also der rote Rahmen, der gerade einen der Tastaturbuchstaben hervorhebt, um einen Buchstaben weiter in Richtung der betrachteten Fläche. Doch ganz so einfach funktioniert es noch nicht. Es bedarf einiger Vorbereitungen. Wer mit seinem Blick den Cursor bewegen will, muss zunächst einmal eine Gummikappe mit Elektroden aufsetzen, ähnlich wie beim EEG, der Elektroenzephalographie. Denn die Hirnströme sind die Steuersignale zwischen Mensch und Computer und die elektrische Schnittstelle dafür ist diese Kappe mit ihren Elektroden. Die Schnittstelle zum Hirn ist optisch: Es sind die menschlichen Augen und die vier flimmernden Flächen am Bildschirmrand:

    "Durch unsere Augen kommen diese Signale. Die passieren unsere visuellen Nervenbahnen und gehen in die Richtung des visuellen Kortex und da werden sie verarbeitet. Und genau an dieser Stelle versuchen wir unsere Elektroden zu platzieren, um diese Signale aufzufangen."

    Hier machen sich die Entwickler eine natürliche Eigenschaft des Gehirns zunutze: Die Hirnströme synchronisieren sich nämlich mit von außen kommenden Signalen, seien es nun akustische oder optische Signale:

    "Wir haben uns das Leben ein wenig vereinfacht: In diesem Fall haben wir auf dem Bildschirm blinkende Schaltflächen angebracht und die blinken mit unterschiedlichen Frequenzen und dadurch werden unsere Gehirne angeregt, die gleichen Frequenzen zu produzieren. Die können wir in dem EEG messen."

    Und weil vorher definiert ist, welches Schaltfeld sich mit welcher Blinkfrequenz auf einer bestimmten Bildschirmseite befindet, braucht das Programm nur noch zu vergleichen und "zieht" den Mauszeiger, also den roten Rahmen in diese Richtung. Das funktioniert sogar in Mono, mit nur einem Auge, allerdings sehr langsam. Um das Wort "Computer" aus Buchstaben zusammenzusetzen, benötigt man etwa zwanzig Sekunden, denn ein Nutzer muss jeden Buchstaben mit einem längeren Bestätigungsblick quittieren. Im Behindertenbereich wäre eine ähnliche Softwareapplikation denkbar wie beispielsweise T9 - die SMS-Schreibhilfe im Mobilfunk. Doch für einen alltagstauglichen Einsatz wollen die Bremer Entwickler noch einige technische Probleme lösen: Das System sollte eines Tages ohne angefeuchtete Elektroden funktionieren. Fremdquellen wie beispielsweise flackernde Neonröhren stören noch sehr. Und der Frequenzbereich des flimmernden "Discolichts" der Schaltflächen von etwa dreizehn bis siebzehn Hertz stört die Nutzer des Systems. Die Frequenzen zu erhöhen, dass weiterhin untrainierte Nutzer damit Computer steuern können, sei "augenblicklich" die aktuelle Aufgabe - sagt Ivan Volosyak:

    "Wenn wir irgendwelche blinkende Sachen mit der Frequenz über fünfundzwanzig Bildern pro Sekunde sehen, dann ist das für uns ein Video und da können wir das Flimmern eigentlich gar nicht wahrnehmen. Aus diesem Grund sind die Sachen nicht mehr störend für die Betrachter. Das Problem dabei ist, dass es dann mit einer geringeren Anzahl von Benutzern gehen wird. Aus diesem Grund haben wir es jetzt mit diesen tiefen Frequenzen gemacht."

    Mit den tiefen – den sichtbar flackernden Frequenzen funktioniert bei fast jedem ungeübten Nutzer. Dafür soll es zunächst eingesetzt werden. Mittlerweile lässt sich auf diese Weise sogar ein Roboterarm steuern.