Burkhard Müller-Ullrich: Die Meistersinger waren bürgerliche Dichter und Sänger im 15. und 16. Jahrhundert, die sich zunftartig zusammenschlossen. Ihre Dichtungen und Melodien leiteten sie aus dem Minnesang ab, gehorchten aber strengen Regeln. Unter den Künstlern überwogen die Handwerksmeister, doch zählten auch Priester, Lehrer und Juristen dazu. Die letzten Meistersinger wurden 1872 in Memmingen aufgelöst. Der letzte aktive Meistersinger starb 1922 ebenda. Soviel zum historischen Hintergrund aus Wikipedia.
Richard Wagner hat dieser Meistersingerei eine von seinen 13 Opern gewidmet, Spieldauer fünf Stunden. Und mit den Meistersingern von Nürnberg in der Inszenierung von Wolfgang Wagners 29-jähriger Tochter Katharina werden die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnet. Das ist ein Kulturereignis, bei dem die Medien auf Alarmstufe rot schalten, und deshalb konnten Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, schon heute Morgen erfahren, was von der Aufführung erwartet wird, und am späteren Abend können Sie erfahren, wie die Aufführung war. Aber nur hier und an dieser Stelle können Sie erfahren, wie die Aufführung ist, denn jetzt in diesem Augenblick findet die Pause nach dem ersten Akt statt. Und im Foyer des Festspielhauses steht unser Kritiker Christoph Schmitz. Herr Schmitz, wie hoch ist der Skandalfaktor Katharina auf der nach oben offenen Wagnerskala?
Christoph Schmitz: Kein Skandal, aber große Begeisterung. Also vor drei Minuten sind die letzten Takte des ersten Aktes abdirigiert worden. Ein erster lauter Buhruf, aber dann schon großer Jubel. Katharina Wagner, glaube ich, kann hier etwas ganz, ganz Großes geleistet haben, und nicht durch den Skandal, sondern durch eine wunderbar durchdachte, große, neugedachte Inszenierung, die in den Kern dieser Oper vordringt, nämlich die Frage nach der Kunst, nach der alten Kunst, nach der, was Neues hinzukommen darf, was Avantgarde bedeutet, wie sich das Traditionelle, der Kanon mit dem Neuen verträgt. Und das, glaube ich, wird was werden. Alle sind gespannt, ich bin sehr gespannt. Wenn sie diesen großen Bogen weiter hält, diese Klarsichtigkeit und diese tollen, großartigen, sehr deutlichen Bilder, dann wird das ein immenser Erfolg hier.
Müller-Ullrich: Sagen Sie doch mal was über die tollen Bilder, wie sieht das Durchdenken aus?
Schmitz: Das Durchdenken beginnt zuerst mal mit dem schon immer Gedachten, und für das schon immer Gedachte und die große Philosophie und die deutsche Kulturnation, für die großen Dichter und Denker steht ein riesiger Bibliothekssaal, ein Kulturtempel, mehrere Etagen hoch, mit Holz vertäfelt, sehr edel, auf Stelen rechts und links die Geistesgrößen in Marmor von Bach, Beethoven bis zu Wagner natürlich, verschiedene Plastiken. Das Ganze wird verwaltet, es scheint eine Art Internat zu sein, die Lehrbuben und Lehrmädchen sind Internatszöglinge mit Faltenröcken und Knickerbockern, sie gehen alle wie auf einem Kasernenhof sehr eckig. Und die Meister sind wohl der Lehrkörper, sie tragen Talare, sie tragen Doktorandenhüte und versammeln sich nun, um das große Fest vorzubereiten. Und da kommt so ein junger Schnösel rein in dunklem Anzug mit weißer Weste, langem Haar, Sonnenbrille, das ist Walter von Stolzing, der also begehrt, Meister zu werden. Und er tritt da auf als Künstler, in diese hochkulturelle Welt und malt und spielt Klavier, mimisch, gestisch, er spielt Violoncello und hat dort seinen fabelhaften Auftritt. Und hier kommt eben das Neue und das Alte auf spannende Weise zusammen.
Müller-Ullrich: Die Regisseurin hat ja im Vorfeld schon gesagt, sie wolle auch zu einer problematischen Rezeptionsgeschichte Stellung nehmen, die "Meistersinger" waren ja eine Lieblingsoper Adolf Hitlers, das heißt, der Nationalsozialismus sollte da besonders thematisiert werden. Merkt man davon schon was?
Schmitz: Bisher noch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das besonders hervorgekehrt wird. Das Interessante ist, dass sie eben, meine ich, damit nicht so arbeiten möchte, sondern sie lässt das eben außen vor. Weil: Das ist ja schon so bearbeitet worden in zahllosen Inszenierungen in der ganzen Republik, also, da noch mal anzuknüpfen wäre vielleicht genau das, was sie nicht mehr will. Sie will andere Dinge hervorheben. Das Interessante hier ist, dass sie den Beckmesser, der ja der Schrullige, der Verlachte, der Komische, der Hyperpedant ist, dass sie an dem anknüpft, und das merkt man hier schon. Also Beckmesser ist im Moment noch der sehr Verkrampfte, derjenige, der am Alten ganz festhält, Hans Sachs, alle kommen sehr gestriegelt mit glänzenden Schuhen, die zwischendurch immer wieder geputzt werden, in diesen Raum hinein. Hans Sachs kommt barfuß.
Müller-Ullrich: Was ist denn das wirklich Moderne an der Inszenierung? Nach allem, was Sie bis jetzt erzählt haben, scheint es mir noch nicht ganz diese Erwartungshaltung, die auch von Katharina Wagner selber geschürt wurde, zu rechtfertigen. Denn sie sagte ja, dass sie eigentlich starke Ablehnung und wenig Beifall erwarte. War das nur fishing for compliments?
Schmitz: Na, das weiß man nicht, wie sie strategisch im Vorfeld vorgegangen ist. Das Interessante wird vielleicht an der Musik deutlich. Sebastian Weigle geht so etwas sehr nüchtern, sehr kühl, über die romantischen Motive hinweg, auch das Meistersinger-Motiv wird sehr knapp, sehr klar, aber ganz unpathetisch abgehakt. Was er aufwertet, das sind die Beckmesser-Motive, dieses verkleinerte Meistersinger-Motiv, das wird sehr polyphon, sehr prägnant, sehr klar, sehr lebendig, also überhaupt nicht verstockt dargestellt. Und ich glaube, hier ist musikalisch das interpretiert, was in der Inszenierung wohl dann auch noch kommen wird.
Müller-Ullrich: Also, ein angekündigter Skandal, von dem wir das dicke Ende erst wohl noch zu erwarten haben. Das war eine Zwischenbilanz nach dem ersten Akt aus Bayreuth von Christoph Schmitz gezogen, dort beginnen die Bayreuther Festspiele gerade zur Stunde mit der Premiere der "Meistersinger" in der Inszenierung von Katharina Wagner.
Richard Wagner hat dieser Meistersingerei eine von seinen 13 Opern gewidmet, Spieldauer fünf Stunden. Und mit den Meistersingern von Nürnberg in der Inszenierung von Wolfgang Wagners 29-jähriger Tochter Katharina werden die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnet. Das ist ein Kulturereignis, bei dem die Medien auf Alarmstufe rot schalten, und deshalb konnten Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, schon heute Morgen erfahren, was von der Aufführung erwartet wird, und am späteren Abend können Sie erfahren, wie die Aufführung war. Aber nur hier und an dieser Stelle können Sie erfahren, wie die Aufführung ist, denn jetzt in diesem Augenblick findet die Pause nach dem ersten Akt statt. Und im Foyer des Festspielhauses steht unser Kritiker Christoph Schmitz. Herr Schmitz, wie hoch ist der Skandalfaktor Katharina auf der nach oben offenen Wagnerskala?
Christoph Schmitz: Kein Skandal, aber große Begeisterung. Also vor drei Minuten sind die letzten Takte des ersten Aktes abdirigiert worden. Ein erster lauter Buhruf, aber dann schon großer Jubel. Katharina Wagner, glaube ich, kann hier etwas ganz, ganz Großes geleistet haben, und nicht durch den Skandal, sondern durch eine wunderbar durchdachte, große, neugedachte Inszenierung, die in den Kern dieser Oper vordringt, nämlich die Frage nach der Kunst, nach der alten Kunst, nach der, was Neues hinzukommen darf, was Avantgarde bedeutet, wie sich das Traditionelle, der Kanon mit dem Neuen verträgt. Und das, glaube ich, wird was werden. Alle sind gespannt, ich bin sehr gespannt. Wenn sie diesen großen Bogen weiter hält, diese Klarsichtigkeit und diese tollen, großartigen, sehr deutlichen Bilder, dann wird das ein immenser Erfolg hier.
Müller-Ullrich: Sagen Sie doch mal was über die tollen Bilder, wie sieht das Durchdenken aus?
Schmitz: Das Durchdenken beginnt zuerst mal mit dem schon immer Gedachten, und für das schon immer Gedachte und die große Philosophie und die deutsche Kulturnation, für die großen Dichter und Denker steht ein riesiger Bibliothekssaal, ein Kulturtempel, mehrere Etagen hoch, mit Holz vertäfelt, sehr edel, auf Stelen rechts und links die Geistesgrößen in Marmor von Bach, Beethoven bis zu Wagner natürlich, verschiedene Plastiken. Das Ganze wird verwaltet, es scheint eine Art Internat zu sein, die Lehrbuben und Lehrmädchen sind Internatszöglinge mit Faltenröcken und Knickerbockern, sie gehen alle wie auf einem Kasernenhof sehr eckig. Und die Meister sind wohl der Lehrkörper, sie tragen Talare, sie tragen Doktorandenhüte und versammeln sich nun, um das große Fest vorzubereiten. Und da kommt so ein junger Schnösel rein in dunklem Anzug mit weißer Weste, langem Haar, Sonnenbrille, das ist Walter von Stolzing, der also begehrt, Meister zu werden. Und er tritt da auf als Künstler, in diese hochkulturelle Welt und malt und spielt Klavier, mimisch, gestisch, er spielt Violoncello und hat dort seinen fabelhaften Auftritt. Und hier kommt eben das Neue und das Alte auf spannende Weise zusammen.
Müller-Ullrich: Die Regisseurin hat ja im Vorfeld schon gesagt, sie wolle auch zu einer problematischen Rezeptionsgeschichte Stellung nehmen, die "Meistersinger" waren ja eine Lieblingsoper Adolf Hitlers, das heißt, der Nationalsozialismus sollte da besonders thematisiert werden. Merkt man davon schon was?
Schmitz: Bisher noch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das besonders hervorgekehrt wird. Das Interessante ist, dass sie eben, meine ich, damit nicht so arbeiten möchte, sondern sie lässt das eben außen vor. Weil: Das ist ja schon so bearbeitet worden in zahllosen Inszenierungen in der ganzen Republik, also, da noch mal anzuknüpfen wäre vielleicht genau das, was sie nicht mehr will. Sie will andere Dinge hervorheben. Das Interessante hier ist, dass sie den Beckmesser, der ja der Schrullige, der Verlachte, der Komische, der Hyperpedant ist, dass sie an dem anknüpft, und das merkt man hier schon. Also Beckmesser ist im Moment noch der sehr Verkrampfte, derjenige, der am Alten ganz festhält, Hans Sachs, alle kommen sehr gestriegelt mit glänzenden Schuhen, die zwischendurch immer wieder geputzt werden, in diesen Raum hinein. Hans Sachs kommt barfuß.
Müller-Ullrich: Was ist denn das wirklich Moderne an der Inszenierung? Nach allem, was Sie bis jetzt erzählt haben, scheint es mir noch nicht ganz diese Erwartungshaltung, die auch von Katharina Wagner selber geschürt wurde, zu rechtfertigen. Denn sie sagte ja, dass sie eigentlich starke Ablehnung und wenig Beifall erwarte. War das nur fishing for compliments?
Schmitz: Na, das weiß man nicht, wie sie strategisch im Vorfeld vorgegangen ist. Das Interessante wird vielleicht an der Musik deutlich. Sebastian Weigle geht so etwas sehr nüchtern, sehr kühl, über die romantischen Motive hinweg, auch das Meistersinger-Motiv wird sehr knapp, sehr klar, aber ganz unpathetisch abgehakt. Was er aufwertet, das sind die Beckmesser-Motive, dieses verkleinerte Meistersinger-Motiv, das wird sehr polyphon, sehr prägnant, sehr klar, sehr lebendig, also überhaupt nicht verstockt dargestellt. Und ich glaube, hier ist musikalisch das interpretiert, was in der Inszenierung wohl dann auch noch kommen wird.
Müller-Ullrich: Also, ein angekündigter Skandal, von dem wir das dicke Ende erst wohl noch zu erwarten haben. Das war eine Zwischenbilanz nach dem ersten Akt aus Bayreuth von Christoph Schmitz gezogen, dort beginnen die Bayreuther Festspiele gerade zur Stunde mit der Premiere der "Meistersinger" in der Inszenierung von Katharina Wagner.