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Jubiläum für den modernen Bühnen-Klassiker

Henrik Ibsen ist einer der meistgespielten Dramatiker weltweit. 1906 starb er im Alter von 78 Jahren als hoch verehrter Nationaldichter. Seine Landsleute feiern die Wiederkehr seines 100. Todestages am 23. Mai fast ein ganzes Jahr lang. Für sie gilt er als wichtigster Theaterautor der Welt nach William Shakespeare. Mit einer Festgala im Osloer Rathaus wurden gestern in Oslo die offiziellen Feierlichkeiten des norwegischen Ibsenjahres eingeläutet.

Von Agnes Bührig |
    Hedda Gabler ist in rote Chinaseide gehüllt, hat das Haar zu einem kunstvollen Dutt aufgetürmt und trippelt in kleinen Schrittchen über die Bühne im Osloer Rathaus. Die Hauptfigur von Ibsens gleichnamigen Stück wird von Yu jun Zhou aus China gespielt, denn Henrik Ibsen ist in Asien kein Unbekannter. Feminismus heißt dort vielerorts Noraismus – eine Anspielung auf die Hauptfigur Nora aus "Ein Puppenheim". Ibsen ist weltweit anerkannt, freut sich auch der Regisseur der Ibsengala und Leiter des Ibsenjahres, Bentein Baardson:

    "Ibsen ist im Ausland bekannter als in seiner Heimat. Deshalb fanden wir es an der Zeit, dass die Welt nach Oslo kommt und uns zeigt, was Ibsen für die internationale Theaterwelt bedeutet. "

    Und das schafft Baardson mit einer Ansammlung kleiner Kostproben großer Bühnen: Vom Schleiertanz Ballett der Oper in Kairo zur Musik von Edvard Grieg über Ibsenrap aus Dänemark bis hin zur indischen Interpretation ist alles dabei. Dazwischen werden Preise an die großen Ibsenmimen Angela Winkler, Isabelle Huppert und Liv Ullmann vergeben und es gibt kleine Informationsblöcke auf Grossbildschirmen, die die Zuschauer über das Leben des großen Dramatikers informieren. Zum Beispiel über seinen großen Drang, seiner Heimat fernzubleiben:

    "Ibsen hatte ein sehr gespaltenes Verhältnis zu seiner Heimat. Er hat einmal gesagt, dass Norwegen ein freies Land ist, bevölkert von lauter Unfreien. Seine Vision war, dass seine Landsleute das Engstirnige ablegen. Er selbst hat an die 30 Jahre im Ausland gewohnt. Das Merkwürdige ist nur, dass seine Stücke aber zu 90 Prozent in seiner Heimat spielen. Norwegen ist seine Basis. "

    Mit 30 zieht der Sohn eines Kaufmanns nach Rom, wohnt später mehr als 20 Jahre in München und Dresden. In dieser Zeit entstehen die sozialkritischen Dramen "Die Stützen der Gesellschaft", "Ein Puppenheim" und "Gespenster". In ihnen prangert er das ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, Doppelmoral und Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft an und wird so einer der ersten Vertreter des Realismus in Norwegen. In den 80er Jahren folgen Rosmersholm, Die Wildente und Hedda Gabler. Im Mittelpunkt stehen erneut Frauen, die nach Selbstverwirklichung und persönlicher Freiheit suchen. Als Feminist sieht sich der Dramatiker selbst aber nicht – auch, wenn es oft die mutigen Frauenfiguren sind, die mit seiner Theaterarbeit verbunden werden. Angela Winkler, die auf der Gala in Oslo für ihre Ibsen-Interpretation ausgezeichnet wird, hat vor allem die Aktualität der Stücke beeindruckt:

    "Ich finde ihn sehr heutig. Deswegen wird er ja auch in Deutschland sehr viel gespielt. Er ist so scharf. Er sucht schon sehr die Wahrheit, er lässt nicht nach. Und in unserer heutigen Welt, wo immer so alles drübergeht, bloß nicht nachdenken, da ist er schon sehr sehr wichtig. "

    Zum Nachdenken soll auch die neue Ausstellung in der Nationalbibliothek anregen, die heute eröffnet wurde. "Ibsens Frauen” heißt sie und zeigt Bronzeplastiken der Bildhauerin Nina Sundbye neben Originalhandschriften Ibsens, dazu ertönen Ausschnitte aus Hörspielen, wie etwa Liv Ullmanns Kastagnettenklänge in Ein Puppenheim. Daniela Büchten ist Kuratorin der Schau:

    "Wichtig war uns, zu zeigen, dass Ibsens Manuskripte, die Originalquellen, zu einer wichtigen Inspirationsquelle für Künstler geworden sind. Und Nina Sundbye ist ja eine der bekanntesten Bildhauerinnen in Norwegen und sie hat sich sehr lange mit Ibsen beschäftigt. Und hier sieht man ihre Skulpturen und die Manuskripte sind aufgeschlagen an der Stelle, die zur Skulptur passt. "

    Sicher eine passendere Würdigung als die bunte Gala am Samstagabend, die ob des Mediums Fernsehen auf Tiefe und Besinnung verzichten musste. Ein Jubiläumswochenende, das dennoch Lust macht auf mehr Ibsen!