Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Judentum ist nicht nur Holocaust"

Das Jüdische Theater in Berlin ist das einzige jüdische Theater mit einem durchgehenden Spiel- und Repertoirebetrieb in Deutschland. Die Theatermacher haben es sich zur Aufgabe gemacht, viel über jüdische Traditionen, Kultur und Religion zu vermitteln.

Von Rocco Thiede | 23.04.2013
    In Berlin ist das Jahr 2013 dem Gedenken an Schriftsteller, Musiker und Theaterkünstler gewidmet, die nach der Machtergreifung 1933 ihre Heimat verlassen mussten und aus Deutschland emigriert sind. Auch das Jüdische Theater Berlin nimmt mit mehreren Produktionen an diesem Themenjahr teil.

    "Wir sind, indem was wir machen, einzigartig. Mit unserem Intendanten einzigartig. Wir sind schon besonders, weil wir eine bestimmte Sparte und weil wir ein bestimmtes Thema bedienen, vor dem viele Menschen Angst haben … oder dem viele Menschen mit Skepsis begegnen."

    Janina Klinger arbeitet seit gut einem Jahr im Ensemble des Jüdischen Theaters in Berlin. Die junge Schauspielerin kam durch Vorsprechen an die Bühne hinter dem Bahnhof Friedrichstraße.

    Obwohl sie um die besondere Geschichte des Jüdischen Theaters in Berlin weiß, unterstreicht sie, dass an der Bühne nicht nur der Holocaust thematisiert wird.

    "Das ist uns sehr wichtig eigentlich, dass wir nicht nur Holocaust machen. Dass wir wirklich verschiedenes Theater machen und wirklich jüdische Kultur präsentieren. Also das heißt jüdische Autoren, jüdische Thematik, jüdische Folklore oder wie in 'Shabat Shalom', dass man etwas lernt übers Judentum. Weil: Judentum ist nicht nur Holocaust, sondern wird meistens nur darauf reduziert. Das bedienen wir auch für die Geschichtsaufarbeitung oder zum Angedenken, aber das ist nicht ausschließliches Thema."

    "Shabat Shalom" inszeniert Theatergründer Dan Lahav seit mittlerweile 19 Jahren. Die szenische Aufführung bringt einem nicht-jüdischen Publikum die jüdische Religion und Tradition didaktisch geschickt nahe.

    "Ich mache hier in dieser Stadt seit 19 Jahren ein sehr wichtiges Projekt einmal im Monat: 'Shabat Shalom – Ein Besuch bei einer jüdischen Familie Freitagabend'. Dort lasse ich die Leute reingucken ins Judentum. Das ist – um Gotteswillen – kein missionarischer Abend. Dieser Abend hat einen ganz großen Erfolg. Ich leite dieses Stück für drei Stunden und stehe drei Stunden auf der Bühne, mit dem Kantor von Berlin und mit noch zwei Schauspielern und einer Pianistin."

    Einer der Schauspieler in "Shabat Shalom" ist Joachim Kelsch Der gebürtige Berliner, ist seit Oktober 2010 am Jüdischen Theater engagiert. Er selbst hat durch "Shabat Shalom" Seiten des Judentums kennengelernt, die auch er vorher so nicht kannte.
    "Durch 'Shabat Shalom' habe ich einen Einblick davon bekommen, wie sieht es in einer jüdischen Familie an einem Shabat aus. Ich habe das nie kennengelernt, mich fasziniert das."

    Einst hatte Berlin eine blühende, jüdische Theaterlandschaft mit mehreren Bühnen. Doch die endete bekanntlich jäh. Intendant Dan Lahav:

    "Das letzte jüdische Theater war – und das ist ein trauriges Kapitel – nicht weit vom Alexanderplatz und der letzte Abend, das war übrigens ein Theater von Juden über Juden mit jüdischen Inhalten und jüdischem Publikum. Und wie der letzte Vorhang gefallen ist, hat man die Türen geöffnet und die Gäste wurden alle auf Transportwagen direkt nach Auschwitz transportiert. Und das war der letzte Vorhang. Und seitdem hat sich auch keiner getraut, diesen für mich sehr, sehr wichtigen Weg zu gehen, um ein jüdisches Theater zu öffnen."

    Heute hat das Jüdische Theater in der Berliner Schauspielwelt längst wieder seinen Platz. Doch um dem kulturverwöhnten Publikum etwas zu bieten, müsse man schon ausgefallene Ideen haben.

    "Ich habe sehr viele Jugendliche und das freut mich - ich möchte gerne einmal eine Auseinandersetzung, aber in gleicher Augenhöhe, mit Leuten, die von der rechten Szene kommen. Das habe ich leider nicht erreicht. Schwierig ist es immer, wenn wir die ganz ernsten Sachen nehmen. Ich kriege immer zu hören, dass man es etwas satthat: schon wieder Holocaust. Und ich hab mit dem nichts zu tun. Und dann erinnere ich immer die Leute daran, dass sie weiter mit ihren Steuergeldern diese Parteien unterstützen. Versucht alles zu machen, damit die NPD aus der ganzen Politik raus ist."

    Dan Lahav wurde 1946 in Haifa geboren und studierte in Tel Aviv Theaterwissenschaft und Schauspiel. Drei Jahre ging er bei Marcel Marceau in die Pantomimeschule. Viele Jahre arbeitete er für das Nationaltheater Habima, am berühmten Kindertheater Thilon und später an einer von Emigranten gegründeten deutschsprachigen Bühne. In den 60er-Jahren kam er zum ersten Mal nach Berlin, wo er 2001 das Jüdische Theater "Bimah" gründete.

    "So wichtig wie das jüdische Museum, genauso wichtig ist das jüdische Theater mit einer riesengroßen Tradition und mit einer ganz großen Aufgabe. Und ich habe immer gesagt, bevor es jemand schlechter macht als ich, werde ich erst einmal ein jüdisches Theater aufbauen und das habe ich auch gemacht."

    Neben Theateraufführungen gibt es auch regelmäßig Lesungen aus Büchern, die von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. Dass Prominente daraus vorlesen, hat für Dan Lahav einen ganz pragmatischen Grund:

    "Wenn ich heute jungen Leuten über Mascha Kaleko oder Else Lasker-Schüler erzähle, dann wissen jugendliche Leute nicht, von was ich spreche. Aber wenn Hannelore Elsner oder Judy Winter oder andere Prominente diese Werke lesen von diesen wichtigen Frauen, dann kommen die Leute, um erst einmal diese Prominenten zu hören. So habe ich einen Weg gefunden, unsere jüdische Kultur, die in Vergessenheit geriet, wieder frisch zu bringen."

    Das Ensemble kommt mit seinen sieben festen Schauspielern geradezu familiär daher. Selbst Jude zu sein, ist freilich keine Voraussetzung, um am Jüdischen Theater ein Engagement zu bekommen. Schauspielerin Janina Klinger:

    "Ich bin auch nicht jüdisch und ich wüsste es auch gar nicht, wer hier jüdisch ist. Das ist Gott sei Dank so und ist sehr eng zusammen gewachsen und eine lustige kleine Familie: Mischpoche, wie das hier immer heißt."

    Und ihr Kollege Ari Gosch fügt hinzu:

    "Wir müssen ja die ganze Geschichte nicht umdrehen: erst gar keine Juden und jetzt nur Juden. Wir sind Schauspieler und versuchen bestimmte Dinge zu vermitteln. Und da ist es völlig unerheblich, ob wir Juden sind oder Christen oder gar nix oder Atheisten, so wie ich."