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Judentum und Islam
Du sollst Dir kein Bildnis machen?

Die Idee, sich kein Bildnis Gottes zu machen, hat das Judentum und den Islam geprägt. Doch in beiden monotheistischen Weltreligionen gibt es zahlreiche Beispiele, die alles andere als eine Bildfeindlichkeit zu Tage fördern.

Von Carsten Dippel |
    Eine Frau spiegelt sich im Martin-Gropius-Bau in Berlin im Schutzglas einer Kopie des Korans.
    Zwar gibt es eigentlich kein Bildverbot - dennoch ist die heilige Schrift im Koran eine Art Antwort. (dpa/Alina Novopashina)
    "Also der Gedanke, dass es ein Bilderverbot im Judentum gibt, geht von einer Gesetzgebung aus: Die Juden dürfen das nicht, und wenn es doch gemacht wird, ist das eine Überschreitung. Das Umgekehrte ist wahrscheinlich der Fall."
    Der Amsterdamer Schriftexperte Emile Schrijver hat die Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin mit Objekten aus der Sammlung des Schweizers René Braginsky kuratiert. Er verweist gern auf die vielen illustrierten Gebetbücher, die auf den ersten Blick so gar nicht zum biblischen Bilderverbot zu passen scheinen. Ungern gesehen wurden sie jedoch aus Angst, der Vorbeter könne sich ablenken lassen im Gottesdienst – und nicht, weil die Illustration an sich verboten sei. Das Bilderverbot habe jüdische Kunst schließlich nicht verhindert. Die Darstellung Gottes sei natürlich untersagt. Nicht aber die Herstellung sakraler Bilder. Vor ihnen durfte man sich nur nicht verbeugen oder dienen.
    "Aber die Tatsache, dass die Fragen immer wieder gestellt wurde: Darf man Wandmalereien haben in einer Synagoge? Darf man die Bibel dekorieren? Und darf man hebräische Texte verwenden und kleingeschrieben als Dekorationstechnik? Die Tatsache, dass diese Fragen gestellt wurden, zeigt, dass es gemacht wurde. Und nicht umgekehrt."
    Es hat zum zweiten biblischen Gebot immer wieder Interpretationen und Präzisierungen gegeben. Praktisch jede große rabbinische Gestalt, so die Wiener Kuratorin und Judaistin Felicitas Heimann-Jelinek, habe dazu etwas dargelegt. Bis um das Jahr 1300 die Debatte abebbt, weil im Grunde alles gesagt ist.
    "Diese Präzisierungen machen schon klar, dass es nicht um generell eine Bildfeindlichkeit oder Kunstfeindlichkeit des Judentums geht, sondern um die Abwehr vom Götzendienst: nicht das Falsche anbeten und abbilden."
    Kunst im Kontext
    Nach Einschätzung der Gelehrten sollte man keine menschlichen Gestalten abbilden, die zur Anbetung dienen könnten oder denen göttliche Attribute beigegeben sind. Auch die Planeten, Sonne und Mond sollten nicht dargestellt werden, eben weil sie oft in der antiken Welt angebetet wurden. Doch selbst in den Zeiten des alten Israels, so berichtet es die Bibel, war der Jerusalemer Tempel reich ausgestattet. Schon die Bundeslade im Stiftszelt wurde von zwei goldenen Cherubim mit Gesichtern beschützt. Felicitas Heimann-Jelinek:
    "Diesen Widerspruch gibt es von Anfang an, und um das aufzulösen, heißt es ja extra: Es geht nicht um das Abbild von etwas, sondern es geht darum, das Abbild des Falschen anzubeten. Was man wirklich nicht finden würde, wäre eine Abbildung Gottes."
    So hing der Umgang mit Bildern im Judentum immer auch von der sie umgebenden Kultur ab. Immer wieder wurden christliche Bildmotive übernommen, während man im arabischen Raum etwas zurückhaltender und weniger illustrativ war. Der Islam kennt jedoch selbst zahlreiche Beispiele für einen eher großzügigen Umgang mit dem Bilderverbot, weiß Doris Behrens-Abouseif, Professorin für Islamische Kunst und Archäologie in London:
    "Das Bilderverbot gehört nicht zu den kategorischsten Verboten in islamischer Kultur. Es ist flexibel in der Praxis. Von Anfang an wurde ein Unterschied zwischen dem sakralen und dem profanen Bereich gemacht. Die große Moschee von Damaskus war sehr stark beeinflusst von byzantinischer Kunst. Aber sie vermeiden es hier, figürliche Darstellungen hineinzunehmen. Während zur gleichen Zeit Paläste, Lustschlösser der Kalifen voller Bilder waren, die Menschen in freizügiger Form zeigen, und auch Bildern, die eine politische Botschaft haben."
    Das Bilderverbot war, so Behrens-Abouseif, stets abhängig von Zeit und Region. Im Iran habe es das etwa nie gegeben. Dort seien figürliche Abbildungen des Propheten Mohammed selbstverständlich zu finden. Anders als im Judentum hat es im Islam jedoch kaum eine Debatte um das Verbot gegeben.
    "Das Bilderverbot hat sich auf jeden Fall im Allgemeinen nicht durchsetzen können in der Praxis. Fakt ist, dass die Moscheen fast ohne Ausnahme bilderfrei geblieben sind. Aber den Rest konnte man nicht verhindern: Objekte des Alltages, des Luxus der Herrschaftsrepräsentation und auch Objekte der Kleinkunst."
    Der besondere Stellenwert der Toraschreiber
    Im Judentum wie im Islam kommt dem Akt des Schreibens heiliger Texte eine ungemein hohe Bedeutung zu. So darf ein Toraschreiber nur mit koscheren Materialien arbeiten. Bevor er mit dem Schreiben beginnt, spricht er ein Gebet. Präzision ist gefragt, das Zeilenmaß muss stimmen, die Buchstaben müssen exakt gesetzt werden. In der islamischen Welt ist es die Kalligraphie, die Kunst des schönen Schreibens, die eine ganz besondere Blüte erfahren hat. Deniz Erduman, Kuratorin für Islamische Kunst in München:
    "Es ist nicht eine direkte Reaktion auf das Bilderverbot, das es ja in dem Sinne gar nicht gibt. Es ist eher so, dass die Schrift das wiedergibt, das Wort Allahs, offenbart im Koran. Das natürlich in möglichst schöner Art und Weise wiedergegeben werden soll und als Königin der islamischen Künste über allem thront und viel wichtiger ist, als jedes Bild es sein kann."
    Kalligraph konnte im Grunde jeder werden, auch Frauen. Sie mussten sich viele Jahre in die Lehre bei einem Meister begeben, um am Ende die hohe Kunst in Perfektion zu beherrschen. Es hat bezeichnender Weise bis ins 19. Jahrhundert gedauert, bis der erste Koran in arabischer Sprache gedruckt wurde. Man traute dem Buchdruck mit seinen beweglichen Lettern schlicht nicht zu, keine Fehler zu machen. Ganz anders ein Kalligraph, der das über Jahre gelernt hatte und den Koran aus dem Kopf Sure für Sure aufs Papier/Pergament brachte.
    "Es ist eine ganz besondere Ästhetik, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Es ist die Kombination von Horizontalen und Vertikalen und gleichzeitig auch Schwüngen, die Verbindung. Und natürlich auch um die Gesamtkomposition, die einer ganz bestimmten Ästhetik folgt."
    Die Heiligkeit der Buchstaben
    Dass den Buchstaben Heiligkeit zukommt, jede Linie, jeder Schwung seine Bedeutung hat, wussten auch die jüdischen Mystiker. In der Kabbala ging man sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter. Es ging längst nicht mehr um den zu transportierenden Inhalt, sondern um die Form, das Bild selbst, erklärt die Philosophin Shulamit Bruckstein Coruh.
    "Buchstaben für die Kabbalisten und Sufimeister und Mystiker des 12. und 13. Jahrhunderts sind in ihrer Form wichtig, in ihrer Körperlichkeit, in ihrer Struktur. Und nicht, weil sie Bedeutungsträger sind von bestimmten symbolischen Auslegungen. Es ist ist im Grunde genommen eine sehr ungriechische Art und Weise, mit der Schrift umzugehen, dass man die Materialität der Schrift vor Augen hat. Und insofern haben die Kabbalisten Worte geschnitten, umgedeutet, umgeordnet, mit Zahlen versehen, praktisch das Atomistische der Umordnung der Dinge, da sind die Kabbalisten Meister darin."
    Dass Graphik und Ornamentik im Islam diesen hohen Stellenwert haben, ist für Deniz Erduman kein Ausdruck einer fehlenden Bildwelt.
    "Das ist irgendwie eine sehr westliche Denkweise, dass man Ersatz für Bilder haben will. Die Kalligraphie ist so wichtig und so schön und gegenwärtig in Kombination mit Ornamentik, die Betrachtung dieser Ornamentik die einen in die Tiefe zieht, eine transzendentale Annäherung, das alles hat so seine eigene Wichtigkeit, dass eigentlich Bilder gar nicht fehlen. Es ist nicht so, dass man das als Ersatz sehen kann, sondern als Alternative vielleicht."