Es sei wichtig, dass es eine Stimme der Religion im Parlament gebe, denn Belgien sei eine sehr säkulare Nation. Seinen Ankündigungen im Wahlkampf muss Michael Freilich nun Taten folgen lassen. Ganz gezielt war der orthodoxe Jude im Wahlkampf nicht nur auf Mitglieder seiner Gemeinde, sondern auch auf Menschen anderer Religionen zugegangen.
"Viele Protestanten unterstützen mich mit dem Argument, dass wir zwar eine andere Religion haben, aber die Basis identisch ist: Die jüdisch-christlichen Werte. Dass ich offen für Religion eintrete, sehen sie als Vorteil, denn nur ganz wenige Menschen bekennen sich heutzutage offen zu ihrer Religion. Und wenn ich im Parlament den Respekt für egal welche Religion einfordere, dann ist das in ihrem Sinne. Deshalb gehe ich gezielt auf andere Religionen zu, auch Muslime. Neulich traf ich eine Frau und sie sagte, sie sei Muslima und stimme für Michael Freilich!"
Partei mit brauner Vergangenheit
12 Jahre lang war Michael Freilich Chefredakteur von Joods Actueel - der wohl bedeutendsten jüdischen Publikation in Antwerpen. Dann nahm er ein Angebot der Nieuw-Vlaamse Alliantie, N-VA an, auf einem sicheren Listenplatz für die belgische Abgeordnetenkammer zu kandidieren.
Die N-VA ist die moderatere der beiden flämischen Nationalisten-Parteien. Die fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Elemente tummeln sich eher beim Vlaams Belang, der bei der Wahl enormen Zulauf bekam. Auch die N-VA freilich hat eine braune Vergangenheit, kollaborierte während der Besatzung mit den Nazis bei der Deportation von schätzungsweise 30 000 Juden. Michael Freilich:
"Als Jude konnte ich einer solchen Partei nur beitreten, wenn es keinerlei Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart gibt. Und ich muss feststellen, dass die N-VA sich klar von der Vergangenheit abgegrenzt hat."
Unterschiede in der Haltung
Bart de Wever, der Vorsitzende der N-VA und amtierende Bürgermeister von Antwerpen, hat sich für die Kollaboration entschuldigt und seine Partei davon distanziert. Bart und auch sein älterer Bruder Bruno de Wever, Geschichtsprofessor an der Uni Gent, stammen aus einer Familie strammer Nationalisten, die dem Gedankengut der Nazis sehr aufgeschlossen war. In den Nachkriegsjahren wurde die Volkunie Sammelbecken der flämischen Nationalisten, bis die Partei 2001 zerbrach.
Die N-VA ist das Relikt. Bereits zuvor hatte sich der Vlaams Blok gebildet, nach dessen Verbot – wegen Rassismus – entstand der Vlaams Belang. Somit etablierten sich zwei starke nationalistische Parteien in Flandern, die sich in ihrer Haltung zur Vergangenheit deutlich unterscheiden. Bruno de Wever von der Uni Gent:
"In der Frage der Kollaboration war die Volksunie doppeldeutig, sehr vage. Das kann man von der N-VA nicht mehr behaupten. Beim Vlaams Belang können die Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg aber immer noch verehrt werden."
"Pro-jüdisch, pro Israel, einfach nette Menschen"
Für den orthodoxen Juden Michael Freilich wäre deshalb auch ein Engagement beim Vlaams Belang nie in Frage gekommen. Dass die N-VA eine Kooperation mit den Rechtsradikalen vom Vlaams Belang nicht so kategorisch wie die anderen Parteien ausschließt, dürfte den ehemaligen Journalisten ins Grübeln bringen. Mit der N-VA indes verbindet Freilich vor allem auch das konservative Wirtschafts- und Sozialprogramm.
"Ich glaube die Linke verfolgt unrealistische Ideen, ich glaube die Grünen gehen zu weit, wenn sie alle Autos von der Straße verbannen wollen, wenn Du nicht mehr fliegen kannst…. Abgesehen von all diesen Punkten, in denen ich voll hinter meiner Partei stehe, sind es die Leute angefangen von Bart de Wever, Jan Jambon und so viele andere, die pro-jüdisch, pro Israel eingestellt und einfach nette Menschen sind, mit denen man reden kann."
Vor allem über Sicherheit. Michael Freilich und die jüdische Gemeinde in Antwerpen waren Bürgermeister Bart de Wever und der N-VA dankbar, dass im Zuge der Attacken durch islamistische Terroristen – unter anderem auch auf das jüdische Museum in Brüssel – die Polizeipräsenz im jüdischen Viertel in Antwerpen massiv verstärkt wurde.
"Kampf gegen Extremismus verstärken"
"Wenn jemand in diesem Land mit einem muslimischen Kopftuch herumläuft, dann ist das kein Problem. Wenn ich aber mit einer Kippa oder zwei Männer händchenhaltend herumlaufen oder eine Frau im Sommer ein kurzes Kleid trägt, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie angeschrien oder beleidigt werden. Das ist aber nicht der Ort, an dem ich leben möchte. Deshalb müssen wir unseren Kampf gegen Extremismus verstärken. Ich habe konkrete Pläne: Ich möchte Leute aus verschiedenen Gemeinden in Begleitung von Polizisten rausschicken, um herauszufinden, wo Übergriffe stattfinden, um die Täter ausfindig zu machen."
Als Abgeordneter hofft Michael Freilich solche Vorschläge umzusetzen und noch ein Thema liegt ihm und der orthodoxen jüdischen Gemeinde aus Antwerpen am Herzen: Das rituelle Schlachten, das Schächten zu erlauben. Jacov Hoffmann betreibt mit seinen Brüdern seit Jahrzehnten ein koscheres Restaurant im Herzen Antwerpens:
"Ich weiß nicht, was die Politik ist mit dem Verbot von dem Schächten, aber ja manchmal müssen wir länger warten auf Fleisch, wir bekommen nicht alle Sorten von Fleisch."
Das ist offensichtlich einer der Punkte, bei denen der orthodoxe Jude Michael Freilich mit seiner Partei nicht - wohl aber mit den Muslimen im Land - auf einer Linie liegt. In Flandern ist nämlich auf Betreiben der flämischen Nationalisten das rituelle Schlachten untersagt worden.