Arthur und Rickie: Die Reise muss dich gar nichts kosten! - Du weißt gar nicht, was mich diese Reise kostet!
Der etwas strapazierte Topos - eine Reise als Seelentrip in die Vergangenheit - ist bei Herzberg eine Begegnung zweier völlig unterschiedlicher Charaktere mit viel Trenn- und Tiefenschärfe. Regisseur Peter Hailer und seine Schauspieler aber machen aus den Figuren nur grobe Klötze, die trotz aller übertriebenen Gestik nicht mehr als hölzerne Dialoge auf die Bühne bringen. Die tragikomische Dimension der Geschichte wird so komplett verspielt, dass die Zuschauer Holper- und Stolperpantomimen in rumänischen Ferienorten komisch finden müssen. Schade.
Im Zentrum der Inszenierung, auf einem mit Linoleumparkett bezogenen erhöhten spitzwinkligen Dreieck, stehen aber drei Frauen: Die Sängerin Madeleine, die sich mit eisenharter Schale abgeschottet hat von allem was war; Hilde, ihre Assistentin und Lebensgefährtin, die das in gelassener Bewunderung erträgt und Madeleines Tochter Gwen, die zu Besuch gekommen ist und von ihrem neuen Freund erzählt, der für die Mutter - nicht zum ersten Mal und nicht zufällig - der falsche ist. Ein viel zu alter Mann, der vor langer Zeit für sechs Jahre im Gefängnis saß. Was damals passiert ist, bleibt auf der Bühne unausgesprochen, nur dass Madeleine "Erpressung" nennt, was Gwens Leben plötzlich einen Sinn zu geben scheint, deutet an, dass die Lebensgeschichte der beiden Frauen wieder um einen nicht ausgesprochenen, geheimen, verdrängten Kern kreist. Der jede Kommunikation überschattet, ja scheitern lässt.
"Vielleicht Reisen" ist ein Stück über misslingendes Verstehen und falsche Fragen, über Freundschaft und wie viel gemeinsame Geschichte dafür nötig ist, über zufällige Schnittmengen von Lebensgeschichten und darüber, dass es keinen Zufall gibt. Für die Angehörigen von Überlebenden - egal, ob es sich um die Überlebenden einer chilenischen Diktatur oder des Holocaust handelt - gibt es keine Normalität, nur die Unausweichlichkeit von Katastrophen, mit denen man zu leben lernt, im Zweifel, indem man das Radio ausschaltet. Die riesige schlingpflanzenähnliche Zimmeraralie im hinteren Bühneneck ist ein starkes, überdeutliches Symbol für Judith Herzbergs Lebensthema und charakterisiert auch diese Aufführung. Das Attribut "stark" gehört dabei eindeutig den Frauen.