
"Jemand hat mir mal gesagt, dass er jemand mal gesagt hat, ach der Willi, der hat - auf Englisch sagt man -, der hat Religion, also für ihn ist es irgendwie wichtig in seinem Leben. Ja.", sagt William Wolff.
Wir sehen einen kleinen, schmalen Mann im Anzug und einem Hut, der auf einem weißen Haarschopf sitzt. Darunter erscheint ein jungenhaft verschmitztes Lächeln. Rabbi William Wolff:
"Er ist fast neunzig Jahre alt, er ist Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, immer noch", sagt Britta Wauer. Für ihren Film "Im Himmel unter der Erde"über den jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee suchte die Regisseurin einen Rabbiner, der über jüdische Jenseitsvorstellungen und Trauerrituale erzählen konnte.
"Und er war auch sofort einverstanden und ist dann zum Interview erschienen und eben nicht nur als Rabbiner, sondern kam mit einer Menge Witz und Charme und Humor und ich fand auch sehr viel schauspielerischen Talent zum Dreh. Bei der ersten Premiere eigentlich haben die Zuschauer gefragt, wer ist dieser Mann, erzählen Sie uns mehr von ihm, und so ging das weiter.", so Wauer.
Zwischen Yoga und Fasten
Britta Wauer entschloss sich, Willi Wolff oder Rabbiner William Wolff einen eigenen Film zu widmen. "Er lebt in einem kleinen Häuschen außerhalb von London, völlig allein, er hat keine eigene Familie, hat sehr viele verrückte Hobbies, einen riesigen Freundeskreis, macht Yoga, um sich fit zu halten, geht zur Fastenkur einmal im Jahr. Ist jede Woche irgendwo woanders, pendelt hin und her zwischen England und Deutschland, auf einer Basis wie andere Leute in die Straßenbahn oder in den Zug einsteigen würden, so ist er im Flugzeug unterwegs und hat nie Gepäck dabei, oder nur im Ausnahmefall. Eigentlich trägt er nur Unmengen von Plastiktüten mit Zeitungen und Büchern mit sich herum, weil das eine seiner großen Leidenschaften ist."
Drei Jahre lang begleitete Britta Wauer Willi Wolff in seinem Alltag, das heißt sie war viel unterwegs mit ihm: Bei seinen ultra-orthodoxen Verwandten in Israel, Besuchen bei Freunden, dem jährlichen Pferderennen in Ascot und vor allem den wöchentlichen Fahrten von London nach Deutschland in seine Gemeinden in Mecklenburg Vorpommern, wo er seit 2002 die Jüdischen Gemeinden in Rostock und Schwerin als Rabbiner betreut. Beides Gemeinden, in denen es nach der Wende wenig Mitglieder und kaum noch jüdische Traditionen gab.
"Also da wo ich war, war überhaupt nichts. Es kam dann die russische Zuwanderung und vom Innenministerium wurden sie hier und da hingeschickt. Es waren 900, die nach Schwerin kamen und 700, die nach Rostock kamen und die mussten von Grund auf neu anfangen und dann hatten sie das Gefühl, da könnte ein Rabbiner bei helfen und dann wurde mir der Posten angeboten."
Späte Bekanntschaft mit dem liberalen Judentum
Rabbi Wolff versteht sich als liberaler Rabbiner, obwohl er in einem orthodoxen Elternhaus aufwuchs. Seine Familie ging während der Nazizeit zunächst in die Emigration in die Niederlande, später nach England. Dort lernte er, wie er sagt, erst relativ spät das liberale Judentum kennen. Erst mit 50 Jahren entschloss er sich, Rabbiner zu werden.
"Ich bin Rabbiner geworden, weil ich mir plötzlich gesagt habe, Du bist eigentlich doch ein religiöser Mensch. Also geh mal den Weg."
Da blickte er schon auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Journalist zurück, als Ressortleiter beim Daily Mirror und als politischer Berichterstatter aus dem Unterhaus.
"Ja, ja, ich habe im Ganzen 25 Jahre lang eine Zugangskarte für das englische Parlament gehabt", erzählt er.
Das Schöne in der Welt sehen
William Wolff ist ein Mensch, dem man sein Gottvertrauen im wahrsten Sinne des Wortes jederzeit anmerkt. Darin, wie sicher und aufgehoben er sich durch die Welt bewegt. Der das Schöne in der Welt sieht und genießt. Religiosität versteht er als etwas, das über die einzelnen Religionen hinausgeht.
"Aber da ich eben im Judentum aufgewachsen bin, ich es im Grunde genommen auch liebe, bin ich dabei geblieben. Aber es war mir sehr klar, ich konnte kein orthodoxer Rabbiner werden und es war etwas spät, dass ich das liberale Judentum kennengelernt habe und dann wurde mir eines Tages bewusst, dass ich vielleicht eine Rolle haben könnte."
Zunächst betreut er über zwanzig Jahre lang Gemeinden in England, aber als Gastrabbiner wird er immer wieder nach Deutschland eingeladen.
Britta Wauer: "Und als dann klar wurde, in England fängt man an, sich etwas Sorgen um sein Alter zu machen, er war dann Anfang oder Mitte 70, dachte er, dann gehe ich da hin, wo man sich keine Sorgen um mein Alter macht, sondern froh ist, wenn sie mich haben."
Englischer Gentleman
Im Film heißt es: "Erstmal waren einige Leute misstrauisch, viele haben erwartet sozusagen einen jüdischen Rabbiner mit großem Bart und so weiter und da kam eigentlich ein englischer Gentleman."
13 Jahre lang pendelt er zwischen dem kleinen Ort Henley-on-Thames und seinen Gemeinden in Schwerin und Rostock hin und her. Für seine Gemeinde hat er Russisch gelernt und mit seiner Leichtigkeit und faszinierenden Formulierungsgabe, seinem Wissen und Charme vertrat er sie in der Öffentlichkeit. Die Hauptsache aber war für ihn die Gemeindearbeit:
"Die Arbeit als Rabbiner besteht aus zweierlei, das ist die seelsorgerische Arbeit und die zeremonielle, also die Gottesdienste leiten. Sie müssen den Menschen verständlich sein und ich muss auch bei Predigten zweierlei in Betracht halten. Erstmal, dass sie nicht zu lang werden und zweitens, dass sie nicht zu langweilig werden."
2015 hat die Gemeinde einen Nachfolger für Rabbi Wolff bestellt, aber seinen Titel als Landesrabbiner von Mecklenburg Vorpommern, den trägt er weiterhin, und an wichtigen Feiertagen repräsentiert er seine Gemeinden nach wie vor.
Im Film spricht er den Segen: "Der Chef sagt, dass ich dran bin, es kommen die Worte des Segens, die Schlussworte des Segens, ein Segen, der im Grunde genommen nur von Gott kommen kann und um den wir Menschen nur beten und bitten können."