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Jünger und Heidegger: Brüder im Geiste

Ernst Jünger und Martin Heidegger sind zwei Geistesgrößen, die gemeinsam eine lange, bewegte Zeit durchlebten: das Kaiserreich, den Hurrah-Patriotismus des 1. Weltkriegs, die zaghafte Demokratie der Weimarer Republik... Diese ruhelose Zeit war zweifellos für beide prägend - ein Briefwechsel dokumentiert sie.

Von Klaus Englert | 13.08.2008
    Der letzte Weltkrieg war gerade beendet und die ersten Aufbauarbeiten abgeschlossen, da entschlossen sich zwei angegraute Eminenzen des deutschen Geisteslebens zu einem groß angelegtes Zeitschriftenprojekt. "Pallas" sollte es heißen, benannt nach Athene, der Göttin der Weisheit bei den alten Griechen. Der Titel war nicht zufällig, denn der kleine Kreis der Mitarbeiter dachte an die geistige Erneuerung der Republik. Eingefädelt wurde das Vorhaben hauptsächlich von dem Schriftsteller Ernst Jünger und dem Verleger Ernst Klett. Ihr Ziel war, bekannte Geistesgrößen für das Projekt zu gewinnen. Zu den auserwählten Autoren gehörte auch der Philosoph Martin Heidegger, den der politische Bereinigungsausschuß wegen seines Freiburger Rektorats zu Beginn des Dritten Reichs zwangsemeritiert hatte. Als Herausgeber war Armin Mohler vorgesehen, Intimus des einstigen NS-Juristen Carl Schmitt und Ideologe der konservativen Revolution. Gemeinsam war den Autoren ein rechtskonservativer Aristokratismus, der sie vorübergehend in die Nähe des NS-Regimes gebracht hatte. Man war davon überzeugt, wie Jünger äußerte, "ein Organ für die letzten selbständig Denkenden und Schaffenden zu bilden". Heidegger war der erste, der aus der gemeinsamen Linie ausscherte. Offenbar fürchtete er - kurz nach der einigermaßen glücklich überstandenen Entnazifizierung - die kritische Öffentlichkeit. Und so schrieb er im Juni 1949 an Jünger:

    "Der Wille, das Eigene der abendländischen Überlieferung ursprünglicher zu entdecken und sichtbar zu machen, die Wahrheit zu sammeln, Suchende zu stärken, muss bezaubern. Aber dies alles geht, wie ich heute deutlich sehe, nur auf dem Wege eines Rückfalls in die abgenützt Form der Zeitschrift. Die Diktatur der Öffentlichkeit lässt sich innerhalb ihrer nicht brechen. Das geeinte Auftauchen unserer Namen ( ... ) würde zu einem Politikum, das vielleicht unsere letzte gewährte Position erschütterte oder doch endgültig verwirrte"

    Ernst Jünger verstand sehr gut. Auch er bekam 1945 Probleme mit den neuen Machthabern, als er sich der Entnazifizierung entzog. Wegen kriegsverherrlichender Prosa verfügte die britische Militärverwaltung ein mehrjähriges Publikationsverbot. Es gab keinen Zweifel, Jünger und Heidegger sahen sich einmütig als politisch Gebranntmarkte. Beide beklagten, man habe Pressekampagnen gegen sie angezettelt. Schließlich erkannte Jünger, dass "Schweigen die stärkste Waffe ist" und gab das Zeitschriftenprojekt ganz auf.
    Das schrieb Jünger, kurz nachdem er den Briefkontakt mit Heidegger aufgenommen hatte. Auch Mitte der sechziger Jahre, als der befreundete Kurt Georg Kiesinger in Bonn die Große Koalition leitete, hielt Jünger an seinem antidemokratischen Kurs fest. Er pflegte die alten Ressentiments und genoß es, ab und zu gegen die konsenshafte Wohlanständigkeit zu löcken. So schreibt er 1966 unverblümt an den französischen Psychoanalytiker Jean Reboul:

    "Was mich betrifft, so schätze ich Martin Heidegger nicht nur seines Werkes wegen, sondern auch deshalb, weil er sich politisch exponiert hat, während es viel billiger gewesen wäre, das nicht zu tun. Kann man ihm zum Vorwurf machen, dass die politischen Mächte sein Vertrauen enttäuscht haben? Ihnen als Psychoanalytiker braucht man nicht anzudeuten, was sich hinter der Anschwärzung eines überlegenen Geistes verbirgt"."

    Ernst Jünger nahm offenbar den Kontakt zu dem Psychoanalytiker auf, weil sich dieser als Heidegger-Anhänger zu erkennen gab. Gepflegt wurde der Umgang mit Gleichgesinnten, die alljährlich bei den Kolloquien im schweizerischen Amriswil zusammenkamen, wo man sogar den "Heidegger-Marsch" aufspielte. Ansonsten zieht sich durch die Korrespondenz der beiden Briefpartner ein klares Freund-Feind-Schema. Den geistigen Wahlverwandten Oswald Spengler, Armin Mohler und Mircea Eliade standen die Linksintellektuellen und Journalisten gegenüber. Einmal schickte Jünger einen FAZ-Artikel, indem sich der Kritiker Karl Korn hämisch über die "fröhliche Sprachmetaphysik" des Freiburger Professors hermachte. Martin Heidegger antwortet wenig später kurz und bündig aus dem heimatlichen Meßkirch:

    " "Ich danke Ihnen für den Hinweis aus dem Blatt, das ich nicht lese. ( ... ) Dass dem Journalismus auch nichts anderes mehr einfällt, entspricht der Lage".

    Der Briefwechsel enthüllt sehr gut, wie in den Zeiten des eskalierenden Kalten Krieges selbst die intellektuellen Grabenkämpfe mit schwerem Gefecht ausgetragen wurden. So mokierte sich Heidegger im Sommer 1966 bei Jünger, man habe "den Wiesengrund-Adorno ans Collège de France bestellt, um gegen mich zu hetzen". Das ist nicht ohne antisemitische Häme gemeint - gegenüber einem marxistischen Exilanten, der aus Überlebensnot den jüdischen Nachnamen streichen musste. Besonders abstoßend, ja infam äußerte sich Jünger über den jüdischen Schriftsteller und Linksintellektuellen Kurt Hiller:

    "Ich halte Hiller für einen der Hauptschuldigen an den Judenpogromen, er war es, der durch jahrzehntelange Beschmutzung alles Deutschen dem Stürmer das Material lieferte. Hiller und Streicher, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille ( ... )". "

    Die Absendeorte der Briefe verraten einiges über die beiden Autoren. Ernst Jünger schreibt einmal aus Island, dann aus dem exotischen Djibouti. Dabei erweist er sich als neugieriger und weltoffener Schriftsteller. Ganz anders Martin Heidegger. Der schrieb 1934 im NS-Blatt "Der Allemanne", am liebsten setze er sich "abends mit den Bauern auf die Ofenbank oder an den Tisch im Herrgottswinkel", um gemeinsam schweigend Pfeife zu rauchen. Heidegger verachtete das Reisen, er war heimatverbunden und bodenständig. Deswegen hoffte er, wie er damals schrieb, "aus unserem schwäbischen Land [werde] der abendländische Geist erwachen".

    Auf den ersten Blick könnte man meinen, durch die Korrespondenz hätten sich zwei ungleiche Briefpartner gefunden - einerseits der ratsuchende Schriftsteller, andererseits der belehrende Philosoph. Doch diese Meinung greift zu kurz. Denn Heidegger hatte sich immer wieder sehr ausführlich mit dem Jünger-Text "Der Arbeiter" von 1932 beschäftigt. In ihm fand er wichtige Anregungen für die eigene Auseinandersetzung mit der Technik. Nach der Lektüre schrieb er lobend:

    " "Ernst Jünger ist der einziger echte Nachfolger Nietzsches; seine Schriften machen die bisherige Schriftstellerei 'über' Nietzsche wesenlos und überflüssig, denn Jünger übernimmt den Willen zur Macht nicht als Lehrmeinung, die noch beredet und vielleicht ausgebessert werden soll. Jünger sieht das Seiende mit kalten und scharfen Augen überall als Willen zur Macht. Nirgends zergliedert und beschreibt dieser denkende Krieger nur eine vorhandene geschichtliche 'Situation'; sein Denken selbst ist eine Gestalt des Willens zur Macht; in Jüngers Sprache: das Denken hat 'Arbeitscharakter'"."

    Ernst Jünger beschrieb den Arbeiter als metaphysische Gestalt des neuen Menschentums, die ihre Macht durch die stählernen Apparaturen ausübt. Und die letztlich mit der Technik innerlich verschmilzt. Heideggers kurzer Text "Zur Seinsfrage", der der Briefkorrespondenz beigefügt ist, würdigt ausführlich Jüngers Gedanken. Gleichzeitig äußert er kritisch: Jünger bleibe bei der Diagnose des vorherrschenden Nihilismus, der globalen Aushöhlung der Werte, stehen. Es gelinge ihm keine denkerische Auseinandersetzung mit dem Wesen des Nihilismus. Er sage nichts zu Ursache und Überwindung des Nihilismus. Kurz: Heidegger sah in Jünger letztlich nur den "Beschreiber", nicht den "Denker". Die folgende Äußerung Heideggers von 1955, die zweifellos noch heute gültig ist, zollt dem Briefpartner trotz allem Tribut:

    ""Was wir heute als Film- und Fernsehtechnik, als Verkehrs-, im besonderen Flugtechnik, als Nachrichtentechnik, als medizinische Technik, als Nahrungsmitteltechnik kennen, stellt vermutlich nur ein grobes Anfangsstadium dar. (...) In allen Bereichen seines Daseins wird der Mensch immer enger umstellt von den Kräften der technischen Apparaturen und Automaten. Die Mächte, die den Menschen überall und stündlich in irgendeiner Gestalt einer technischen Anlage und Einrichtung beanspruchen, fesseln, fortziehen und bedrängen - diese Mächte sind längst über den Willen und die Entscheidungsfähigkeit des Menschen hinausgewachsen."

    Heidegger empfand den Menschen als hineingestellt in eine technische Entwicklung, über die er selbst nicht verfügt. Dabei gingen seine Gedanken zwar von Jüngers Analysen aus, überwanden sie aber auch. Heidegger dachte das Verfügt-Sein von Mensch und Technik. In den fünfziger Jahren war seine Klarsicht schlichtweg visionär:

    ""(...) so denke ich an das, was sich heute als Biophysik entwickelt, dass wir in absehbarer Zeit imstande sind, den Menschen so zu machen, das heißt in seinem organischen Wesen so zu konstruieren, wie man ihn braucht: Geschickte und Ungeschickte, Gescheite und Dumme. So wird es kommen! "."


    Ernst Jünger, Martin Heidegger: Briefwechsel.
    Unter Mitarbeit von Simone Maier, herausgegeben von Günter Figal.
    Klett-Cotta und Vittorio Klostermann Verlag, Stuttgart 2008, 317 Seiten