"Null Zoff" und "Voll Busy"
...zu, diese Generation will etablierte Ordnungen nicht mehr zerstören. Ganz im Gegenteil, sie sehnt sie sich herbei. Die Siegener Forscher drücken das so aus:
Anders als bei der Jugend der 70er und 80er Jahre ist ihr Hauptinteresse nicht, enge und autoritäre Ordnungen zu sprengen. Sie leiden vielmehr am Zerfall der stabilen Welt, in die sie doch hineinwachsen sollen und wollen. Das Zerbrechen alter Ordnungen haben sie in Familie, Schule, Gemeinde und Gesellschaft zur Genüge miterleben müssen: Scheidung, Tod und Krankheit, Schulversagen und als Medienereignis Terror und Krieg. Ihre Hauptsorge ist daher, dass alles weiter zusammenhält und keine weitere Katastrophe über ihr Leben hereinbricht.
Wenn diese Analyse stimmt, dann haben wir es mit einer konservativen Generation zu tun. Sie ist das Produkt der liberalen Erziehung ihrer Eltern und hat unter ihr nicht selten gelitten. Sie schätzt Rituale und die Erneuerung von Traditionen. Und was ihre Eltern, die der alternativen oder gar Punk-Bewegung entstammen, auf die Palme bringen könnte: Sie orientiert sich an Respektspersonen, an Lehrern, Polizisten, Ärzten. Ein Grund für dieses Sicherheitsbedürfnis könnte der Zerfall der klassischen Kleinfamilie sein. Kinder und Jugendliche von heute haben Familie als eine Art flexibles Netzwerk kennen gelernt, das nicht mehr viel mit der hergebrachten lebenslangen Gemeinschaft miteinander Verheirateter und Blutsverwandter zu tun hat. Die Frage der Forscher...
"Welche Menschen gehören zu Deiner Familie?"
... hat ein überraschendes Ergebnis erbracht. Die Kinder und Jugendlichen rechnen jede Menge Nicht-Verwandte zur Familie. Zu ihr gehören sowohl gleichaltrige als auch erwachsene Bezugspersonen.
Zwischen acht und fünfzehn Prozent aus allen Altersgruppen finden, dass ihre gute Freundin und ihr guter Freund zur Familie gehören. Einige Kinder addieren noch einzelne Mitschüler aus ihrer Schulklasse dazu. Bei manchen Jugendlichen kommen noch Erwachsene hinzu, die ihnen - und wahrscheinlich auch den Eltern - nahe stehen, die Klassenlehrerin, Trainer, Nachbarn, Eltern von Freunden.
Andererseits werden Blutsverwandte wie Großeltern und Cousins nicht mehr automatisch zur Familie gezählt. In der Bestenliste der Bezugspersonen rangiert das Haustier noch vor dem Opa oder dem Onkel. Zur Familie also gehört, wer in der Nähe und im Alltag präsent ist. Die Forscher entdecken hier interessanterweise die Wiederkehr eines Reliktes aus der europäischen Familiengeschichte: Das vorindustrielle so genannte "Ganze Haus".
Dieses "Ganze Haus" war - weit über die Kernfamilie hinausreichend - zugleich Arbeits- und Versorgungsstätte, Bleibe sowohl für das Personal als auch für viele Verwandte. Statt des Gesindes, das früher dazugehörte, finden wir heute - außerhalb des Familienhaushaltes - die dienstleistenden Trainer und Lehrer der Familienkinder.
Wenn Kinder und Jugendliche sich heute nach verlässlichen Größen sehnen, dann liegt das auch daran, dass sie den Zerfall von Ordnungen besser kennen als noch ihre Elterngeneration, die einige Energie aufgewandt hat, um gegen Autoritäten anzurennen. - Mitten in dem Befragungszeitraum von August bis Oktober 2001 lagen die Terror-Anschläge vom 11. September. Die Forscher hatten nun Ergebnisse von vor und nach dem Ereignis, die deutlich voneinander abwichen:
Hast Du das schon mal erlebt? Angst bei schlechten Nachrichten im Fernsehen? Vor dem 11. September bejahten diese Frage 46 Prozent der Befragten. Nach dem 11. September schnellte der Anteil derer, die von Angst berichten, auf 72 Prozent hoch.
Die Terroranschläge könnten in vielen Fällen auch maßgeblich für die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Eltern sein: Sie erleben, dass auch Erwachsene schockiert sind und unfähig, den jüngeren die Ängste zu nehmen. Gleichzeitig rücken die Generationen emotional zusammen, in ihrer Angst sind sie vereint. Diese und andere Erkenntnisse über den Erfahrungshorizont der 10 bis 18jährigen erlauben den Autoren, ein recht genaues Portrait einer Generation zu zeichnen.
Die erste Jugendgeneration des neuen Jahrtausend hat ein Profil mit Januskopf.
Sie schaut grundsätzlich optimistisch in die Zukunft, beschränkt sich aber darauf, das private Glück zu finden. Politisches Denken ist out. Ihr Credo:
Man sollte sein Leben leben und froh sein, wenn man nicht von außen belästigt wird.
Weitere Eigenschaften:
Sie sind bildungsambitioniert und setzen auf gute Abschlüsse. Sie akzeptieren erwachsene Vorbilder. Sie möchten ihre Kinder einmal so erziehen, wie die Eltern es ihnen vorgelebt haben. Sie sind kommunikationsfreudig und in vielfältige soziale Beziehungen eingebunden. Sie sind fasziniert von den Möglichkeiten des Konsums und träumen von einem Leben, das durch Wachstum und Reichtum abgesichert ist.
Eine angepasste Generation auf der Suche nach dem privaten Glück. Das ist das Fazit der Studie. Allerdings wirken die Aussagen der Siegener Jugendforscher in Teilen recht plakativ. Da sind komplizierte Sachverhalte zu eingängigen Thesen vereinfacht worden. Das macht das Buch leicht konsumierbar, befördert aber beim kritischen Leser Seite für Seite die Zweifel, ob hier nicht zu oberflächlich gearbeitet wurde.
"Null Zoff & Voll Busy". Die Studie des Siegener Autorengespanns Jürgen Zinnecker, Imbke Behnken, Sabine Maschke und Ludwig Stecher ist im Verlag Leske und Budrich erschienen. Sie hat 176 Seiten und kostet 12 Euro und 80.