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"Jugend politisch motiviert"

Benjamin Schwarz erlebt als deutscher Gaststudent in Wien derzeit die dortigen Studentendemonstrationen. Die Heftigkeit der Proteste führt Schwarz auf die prekären Verhältnisse in Österreich zurück.

Benjamin Schwarz im Gespräch mit Armin Himmelrath | 29.10.2009
    Armin Himmelrath: Besetzte Universitäten, gestürmte Hörsäle, Protestdemonstrationen – das aktuelle Wintersemester an den österreichischen Universitäten ist von heftigen Studentenprotesten geprägt. Wir haben darüber hier im Deutschlandfunk schon berichtet. Dabei ist es in der österreichischen Hochschulpolitik so ein bisschen Mode geworden, die vermeintliche Piefke-Lawine für die Überfüllung der Unis verantwortlich zu machen: Deutsche Studenten, die wegen strikter Numerus-clausus-Regelungen in ihrem Heimatland keinen Studienplatz bekommen, weichen demnach nach Wien, Salzburg oder Linz aus und sorgen dort für Probleme. Karlheinz Töchterle ist Rektor der Universität Innsbruck und er erklärte heute im Morgenecho auf WDR 5:

    Karlheinz Töchterle: Wir haben in der Tat in den letzten Jahren eine Verdreifachung der deutschen Studierendenzahlen feststellen müssen. Das hat mich veranlasst, vor zwei, drei Wochen nachzudenken, laut darüber nachzudenken, ob Deutschland hier nicht gewisse Ausgleichszahlungen leisten könnte. Aber ich möchte betonen, dass die Deutschen und auch die vermehrten Deutschen nicht das Hauptproblem der österreichischen Hochschulpolitik sind und vor allem, dass uns die Deutschen auch in größeren Mengen durchaus willkommen sind, wenn wir sie denn aufnehmen können.

    Himmelrath: Karlheinz Töchterle, der Rektor der Uni Innsbruck. Skepsis also gegenüber deutschen Gaststudenten in Österreich, aber wie erleben das die Betroffenen selber? Benjamin Schwarz ist 21 Jahre alt, kommt aus Münster und studiert derzeit in Wien. Ich habe ihn kurz vor der Sendung gefragt, wie er die aktuelle Protestwelle und die Debatten dort im Moment erlebt.

    Benjamin Schwarz: Also doch eigentlich ziemlich direkt und in größerem Ausmaße, da ich eigentlich fast jeden Tag dort an der Uni auch vorbeischaue. Und gestern gab es auch eine riesige Studentendemonstration, da waren bis zu 50.000 oder 60.000 Teilnehmer. Also, es gibt in Wien so den Ring, das ist so die Straße, die den inneren Bezirk sozusagen einteilt, und da war wirklich von der einen Seite bis zur anderen Seite, das waren ungefähr fünf Kilometer, eine riesige Menschenmasse, die ist dafür auf die Straßen gegangen. Das war wirklich sehr eindrucksvoll. Und sonst haben sie jetzt mittlerweile glaube ich drei Unis besetzt, drei Hörsäle, die TU, dann die Angewandte, und halt die Hauptuni. Also, hier kriegt man es wirklich ... auch wenn man zur Uni geht, man sieht einfach überall Leute, die mit Plakaten rumlaufen, also, man kriegt schon sehr viel mit wirklich.

    Himmelrath: Grundforderung ist ja sozusagen der freie Zugang zur Bildung. Was man hier in Deutschland mitbekommt, ist, dass das Ganze auch immer wieder verbunden wird mit der Aussage, das Problem sei im Grunde an den Universitäten in Österreich nur dadurch entstanden, dass so viele deutsche Studierende da sind. Wie werden Sie denn als deutscher Gaststudent dort aufgenommen?

    Schwarz: Es gibt natürlich dieses Klischee, was gerade auch von den Medien und von Politikern auch immer wieder hier reingeworfen wird, also gerade auch eher von Kreisen der rechtsgerichteten Politiker, dass das eben das große Problem sei, aber von den Studierenden selber und von den Professoren kriegt man in dieser Richtung eigentlich gar nichts mit, dass man irgendwie als Deutscher oder generell als EU-Bürger ausgeschlossen werden sollte, gar nicht. Und das Problem ist eben auch, dass diesen ganz freien Zugang gibt es ja nur für EU-Bürger, und die setzen sich jetzt extra dafür ein, dass quasi jeder Mensch auf der ganzen Welt, der nach Österreich kommen will und dort studieren will, quasi einen freien Zugang zur Bildung hat. Aber es ist immer noch so, dass, wenn man jetzt nicht EU-Bürger ist, dass man sehr hohe Studiengebühren zum Teil zu zahlen hat, und dagegen lehnen die sich jetzt auch auf.

    Himmelrath: Haben Sie denn das Gefühl, dass diese Protestwelle auch von Österreichern deutlich mit unterstützt wird?

    Schwarz: Die Studenten auf jeden Fall. Wir haben ja eine Große Koalition hier gerade in Österreich aus SPÖ und ÖVP, und die ÖVP, auch der Kultusminister Hahn, plädiert auch eigentlich dafür, wieder die Studiengebühren einzuführen. Und Bundeskanzler Faymann ist eigentlich immer noch dagegen, meint, es sollte weiterhin keine Studiengebühren geben und jetzt ist gerade eben wieder die Debatte in der Regierung sozusagen, ob man sie einführen sollte oder nicht. Und deswegen ist es natürlich auch Anliegen der österreichischen Studenten, dass sie weiterhin freien Zugang zur Bildung haben.

    Himmelrath: Sie kennen jetzt ja wahrscheinlich auch Kommilitonen aus Deutschland, die sowohl in Österreich sind, als auch welche, die in Deutschland studieren. Wie erklären Sie sich denn, dass in Österreich tatsächlich so etwas wie ein heißer Herbst an den Universitäten offenbar entstehen konnte? In Deutschland ist ja die Protestlust doch etwas gebremst.

    Schwarz: Ich glaube, dass einfach die Zustände hier in Österreich in vielen Dingen noch prekärer sind, und das ist generell einfach in Österreich, ich weiß es nicht, ob man das verallgemeinern darf, aber es ist gerade bei der Jugend ein Großteil politischer Motivation manchmal noch da, und wenn da wirklich jetzt einige Leute was initiieren, dann ist es auch ansteckend. Und deswegen haben da jetzt auch so viele teilgenommen. Also jetzt, ich merke jetzt auch gerade bei meinem Studiengang. Unsere drei wichtigsten Professoren sozusagen mussten aufhören, weil ihre Verträgen nicht verlängert worden sind. Also, es sind einfach echt Zustände, wo man sich doch fragen muss, okay, dagegen sollte man sich auflehnen.

    Himmelrath: Wie, denken Sie, geht es jetzt weiter mit den Protesten? Wird sich diese Macht und die Wucht des Protests aufrecht erhalten lassen, oder muss man damit rechnen, dass das wieder abbröckelt?

    Schwarz: Jetzt ist die große Frage, ich denke, man macht sich durch Demonstrationen und Besetzungen jedenfalls sichtbar, ich meine, viele andere Möglichkeiten werden den Studenten ja auch nicht geboten erst mal, um ihre Meinung kundzutun, und das ist auch sehr gut. Aber ich denke, wenn man jetzt wirklich versucht, konkrete Ergebnisse zu erzielen, dann sollte man sich auch versuchen im Diskurs, einfach, dass man sich versucht, jetzt erst mal mit den Universitätsdirektoren, mit den ganzen Dekanen, mit den Professoren und die Studenten, dass sich vielleicht erst mal die Studenten sozusagen mit ihren Professoren zusammentun und dann versuchen, dass die sich auf einen Konsens irgendwie einigen können und dann zeitgleich aber auch die Dekane und die Direktoren sich zusammensetzen, dass man sich dann an einen großen Tisch setzt und versucht, in einem Polylog einfach irgendwie zu einem Ergebnis zu kommen und das dann gemeinsam an die Politik heranzutragen.

    Himmelrath: Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich das tatsächlich auch so erfüllen wird?

    Schwarz: Schwierig zu sagen. Die Hoffnung natürlich, aber den Glauben? Das wird sich jetzt in den nächsten Tagen zeigen einfach auch, was jetzt konkret erst mal rauskommt, weil, also, wie gesagt, ich habe ... wenn man wirklich was erreichen will, dann geht das nur über eine vernünftige Diskussion.

    Himmelrath: Benjamin Schwarz war das, deutscher Student, derzeit eingeschrieben in Wien an der Hauptuni, zu den aktuellen Protesten der österreichischen Studierenden. Wir haben hier bei Campus und Karriere schon öfter darüber berichtet und die schlechte Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.