Zu Beginn der Korrespondenz war Herbert Wehner achtzehn Jahre alt, Max Baumann einundzwanzig. Kennengelernt hatten sie sich vermutlich auf einem der damals beliebten Jugendtreffen. Warum der Briefwechsel so abrupt endete, ist nicht bekannt. Wehner war Sohn eines Schuhmachers, Baumann eines Bäckermeisters. Beide hatten mit überdurchschnittlichem Volksschulabschluss Zugang zur "höheren Bildung" erworben. Baumann besuchte das Lehrerseminar und fand an einer Hamburger Reformschule Anstellung, Wehner qualifizierte sich für den Staatsdienst. Er wurde aus politischen Gründen abgelehnt und musste sich als Kontorist einer Maschinenfabrik verdingen. Das "Berufsverbot" war die Antwort auf eine Gesinnung, die Wehner und Baumann mehr als alles andere verband: Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Brieffreundschaft Anhänger der anarchistisch-syndikalistischen Bewegung, Erich Mühsam ihr Vorbild.
"Ich glaube, Du hast Recht, als Du schriebst, Du wolltest lieber unfrei sein, um den Brüdern, den Unerlösten, zur Erlösung zu helfen. Den Proleten fehlt meiner Meinung nach dies: Die Erkenntnis ihrer Lage und der Wille, aus ihr herauszukommen. Dies ihnen zu vermitteln, sind wir da. Wir müssen hämmern, hämmern!"
Baumann teilt Wehners martialischen Sprachgebrauch nicht, formuliert eher pragmatisch als agitatorisch, ist aber auch nicht frei von Hybris.
"Ich habe sehr viel in der Gruppe arbeiten müssen, da ich allein - ich will mich damit, das weißt Du, nicht loben - die nötige Weite des Horizonts, den nötigen Wissenshorizonts hatte. "
Baumann und Wehner tauschen sich aus über ihre Probleme mit dem anderen Geschlecht und leiden unter unerfüllten sexuellen Sehnsüchten. Ihre Frustration können sie allerdings nicht in Worte fassen. Sie kompensieren mit ihrem Ekel vor den Menschen und mit homoerotischen Bekenntnissen zu ihrer "einzigartigen Freundschaft". Von diesem, in fast allen Briefen gespielten Motiv ist es nicht weit bis zum Hauptthema ihrer Korrespondenz, dass die Revolution einer Avantgarde bedürfe, und selbstverständlich zählten sie sich zu den Führern..
"Wenn die Zeit gekommen ist, da das Proletariat handeln muss oder untergeht, dann wird nicht Parteizugehörigkeit entscheiden, denn Revolution ist nicht Sache einer Partei. Darum gilt es, sich zu rüsten auf die soziale Revolution, dann brauchen die Arbeiter Köpfe, oder sie gehen elend zu Grunde."
Drei Jahre, nachdem er das geschrieben hatte, begann Herbert Wehner seinen Aufstieg in jener von Moskau formierten Bewegung, die zwar die Partei über alles setzte, aber wie Wehner davon ausging, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk ihrer Führer sein könne. Auch Max Baumann suchte eine Form für seinen Messianismus. Er kündigte den Schuldienst, ging zum Hamburger Tageblatt, trat 1935 der NSDAP bei und wurde Hauptschriftleiter dieser Zeitung.
Das sind nur auf den ersten Blick extrem unterschiedliche Ausgänge aus einer Seelenverwandtschaft. Der von Friedemann Bedürftig dokumentierte Briefwechsel und die sich daran anschließenden Karrieren der Korrespondenten sind Material, das zum Nachdenken über gemeinsame Dispositionen von jungen, radikalen Intellektuellen am Ende der Weimarer Republik anregen könnte. Doch dem verweigert sich der Herausgeber. Der Briefwechsel gibt Hinweise auf die Grundierung von Wehners Habitus, die Klaus Harpprecht treffend als "wütende Inbrunst" und als "fast reißenden Hunger nach Erlösung" beschrieben hat. Doch auch diese Spur nimmt Friedemann Bedürftig nicht auf. Immerhin deutet er in seinem Kommentar auf den Widerspruch zwischen Wehners Messianismus und seiner Verachtung der Massen hin. Der auf der Hand liegenden Frage aber, ob dieser Widerspruch Wehners Bereitschaft zur Denunziation befördert hat, geht er aus dem Weg. So entsteht der Eindruck, dass die Macher dieser für das Verständnis Wehners erhellenden Dokumentation über ihren Fund selbst erschrocken waren und die sozialdemokratische Geschichtsidylle nur dosiert irritieren wollten.
Das mag man akzeptieren. Nicht aber den abschließenden Aufsatz des einstigen SPD-Abgeordneten Hartmut Soell. Der emeritierte Geschichtsprofessor hat Helmut Schmidt als Biograph gedient und 1991 eine eigene Wehner-Biographie vorgelegt. Was Soell darin zur Entschuldung von Wehners Zuarbeit zu Stalins Terror vorgetragen hat, ist inzwischen vor allem durch die Arbeiten des Hamburger Historikers Reinhard Müller relativiert und zum Teil widerlegt worden. In dem hier besprochenen Buch setzt Soell sich damit allerdings nicht ernsthaft auseinander, sondern versucht, Müllers Recherchen mit einer denunziatorischen Spekulation über das Recherchemotiv des Autors ins Abseits zu stellen.
"Müller hat sich seit eineinhalb Jahrzehnten mit besonderem Eifer an die Fersen Wehners geheftet, weil er dessen Moskauer Zwangsaufenthalt wie Wehners Biographie insgesamt als Vehikel benutzt, um seine DKP-Vergangenheit vergessen zu machen."
So hat auch Herbert Wehner immer gebellt und versucht, seine Kritiker zu verscheuchen. Das ist ihm meist gelungen. Historische Auseinandersetzungen funktionieren aber nach anderen Mustern. Die um Wehner wird diese Dokumentation bereichern, trotz mancher Erkenntnisverweigerung in den Kommentaren.
Hermann Theißen war das über Die Leiden des jungen Wehner herausgegeben von Friedemann Bedürftig. Das Buch aus dem Parthas Verlag mit 14 Faksimiles und 60 Abbildungen hat 160 Seiten für 28 Euro.
"Ich glaube, Du hast Recht, als Du schriebst, Du wolltest lieber unfrei sein, um den Brüdern, den Unerlösten, zur Erlösung zu helfen. Den Proleten fehlt meiner Meinung nach dies: Die Erkenntnis ihrer Lage und der Wille, aus ihr herauszukommen. Dies ihnen zu vermitteln, sind wir da. Wir müssen hämmern, hämmern!"
Baumann teilt Wehners martialischen Sprachgebrauch nicht, formuliert eher pragmatisch als agitatorisch, ist aber auch nicht frei von Hybris.
"Ich habe sehr viel in der Gruppe arbeiten müssen, da ich allein - ich will mich damit, das weißt Du, nicht loben - die nötige Weite des Horizonts, den nötigen Wissenshorizonts hatte. "
Baumann und Wehner tauschen sich aus über ihre Probleme mit dem anderen Geschlecht und leiden unter unerfüllten sexuellen Sehnsüchten. Ihre Frustration können sie allerdings nicht in Worte fassen. Sie kompensieren mit ihrem Ekel vor den Menschen und mit homoerotischen Bekenntnissen zu ihrer "einzigartigen Freundschaft". Von diesem, in fast allen Briefen gespielten Motiv ist es nicht weit bis zum Hauptthema ihrer Korrespondenz, dass die Revolution einer Avantgarde bedürfe, und selbstverständlich zählten sie sich zu den Führern..
"Wenn die Zeit gekommen ist, da das Proletariat handeln muss oder untergeht, dann wird nicht Parteizugehörigkeit entscheiden, denn Revolution ist nicht Sache einer Partei. Darum gilt es, sich zu rüsten auf die soziale Revolution, dann brauchen die Arbeiter Köpfe, oder sie gehen elend zu Grunde."
Drei Jahre, nachdem er das geschrieben hatte, begann Herbert Wehner seinen Aufstieg in jener von Moskau formierten Bewegung, die zwar die Partei über alles setzte, aber wie Wehner davon ausging, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk ihrer Führer sein könne. Auch Max Baumann suchte eine Form für seinen Messianismus. Er kündigte den Schuldienst, ging zum Hamburger Tageblatt, trat 1935 der NSDAP bei und wurde Hauptschriftleiter dieser Zeitung.
Das sind nur auf den ersten Blick extrem unterschiedliche Ausgänge aus einer Seelenverwandtschaft. Der von Friedemann Bedürftig dokumentierte Briefwechsel und die sich daran anschließenden Karrieren der Korrespondenten sind Material, das zum Nachdenken über gemeinsame Dispositionen von jungen, radikalen Intellektuellen am Ende der Weimarer Republik anregen könnte. Doch dem verweigert sich der Herausgeber. Der Briefwechsel gibt Hinweise auf die Grundierung von Wehners Habitus, die Klaus Harpprecht treffend als "wütende Inbrunst" und als "fast reißenden Hunger nach Erlösung" beschrieben hat. Doch auch diese Spur nimmt Friedemann Bedürftig nicht auf. Immerhin deutet er in seinem Kommentar auf den Widerspruch zwischen Wehners Messianismus und seiner Verachtung der Massen hin. Der auf der Hand liegenden Frage aber, ob dieser Widerspruch Wehners Bereitschaft zur Denunziation befördert hat, geht er aus dem Weg. So entsteht der Eindruck, dass die Macher dieser für das Verständnis Wehners erhellenden Dokumentation über ihren Fund selbst erschrocken waren und die sozialdemokratische Geschichtsidylle nur dosiert irritieren wollten.
Das mag man akzeptieren. Nicht aber den abschließenden Aufsatz des einstigen SPD-Abgeordneten Hartmut Soell. Der emeritierte Geschichtsprofessor hat Helmut Schmidt als Biograph gedient und 1991 eine eigene Wehner-Biographie vorgelegt. Was Soell darin zur Entschuldung von Wehners Zuarbeit zu Stalins Terror vorgetragen hat, ist inzwischen vor allem durch die Arbeiten des Hamburger Historikers Reinhard Müller relativiert und zum Teil widerlegt worden. In dem hier besprochenen Buch setzt Soell sich damit allerdings nicht ernsthaft auseinander, sondern versucht, Müllers Recherchen mit einer denunziatorischen Spekulation über das Recherchemotiv des Autors ins Abseits zu stellen.
"Müller hat sich seit eineinhalb Jahrzehnten mit besonderem Eifer an die Fersen Wehners geheftet, weil er dessen Moskauer Zwangsaufenthalt wie Wehners Biographie insgesamt als Vehikel benutzt, um seine DKP-Vergangenheit vergessen zu machen."
So hat auch Herbert Wehner immer gebellt und versucht, seine Kritiker zu verscheuchen. Das ist ihm meist gelungen. Historische Auseinandersetzungen funktionieren aber nach anderen Mustern. Die um Wehner wird diese Dokumentation bereichern, trotz mancher Erkenntnisverweigerung in den Kommentaren.
Hermann Theißen war das über Die Leiden des jungen Wehner herausgegeben von Friedemann Bedürftig. Das Buch aus dem Parthas Verlag mit 14 Faksimiles und 60 Abbildungen hat 160 Seiten für 28 Euro.