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Jugendliche Gefängnisinsassen
Resozialisierung durch Fußball

Die Fußballer des SV 1936 Ophoven sind in der Kreisliga C zurzeit nur Tabellen-Zehnter. Doch nun ist der Club hoch dekoriert - er bekam jetzt die Sepp-Herberger-Urkunde für die Resozialisierung junger Strafgefangener. Denn seit gut zwei Jahren trainieren junge Männer aus der naheliegenden Justizvollzugsanstalt mit der Mannschaft.

Von Daniela Müllenborn | 06.04.2015
    Zwei Bälle mit dem Logo von Kappa liegen auf dem Rasen
    Beim SV Ophoven dürfen auch Insassen der JVA Heinsberg mittrainieren. (picture alliance / dpa)
    Training beim SV Ophoven. Es ist eine überschaubare Gruppe an diesem Abend. Viele sind krank oder verletzt. Bloß sieben Spieler sind gekommen. Darunter der junge Mann, der sonntags im zentralen defensiven Mittelfeld spielt. Für ihn ist es immer etwas ganz Besonderes mit den anderen auf dem Platz zu stehen: "Jetzt seit ungefähr einem Jahr darf ich Fußball spielen und ich bin einer der längsten, der das jetzt darf und es hat mir viel gebracht."
    Der defensive Mittelfeldspieler ist 21 Jahre alt. Groß. Typ: Modell-Athlet. Er sitzt seit zweieinhalb Jahren in Heinsberg im Knast. Seit etwa einem Jahr genießt er gelockerten Vollzug und das Fußballspielen beim SV Ophoven: "Man sieht halt andere Menschen, das Leben ist draußen anders, man hat nicht immer denselben Tagesablauf, man spricht anders, die Leute sind besser, gut gelaunt."
    Für die zweite Mannschaft fehlten Spieler - dann rief der Vorsitzende in der JVA an
    Insgesamt spielen aktuell vier jugendliche Straftäter aus der JVA Heinsberg beim SV Ophoven. Einem kleinen Verein, der lange Zeit ausschließlich aus einer Alte-Herren-Mannschaft bestand. Bis Dirk Schulze die Führung des Klubs übernahm: "2009 als ich Vorsitzender wurde, wollte ich noch eine zweite Mannschaft gründen, dazu fehlten mir aber zwei, drei Spieler. Und da wir 1985, als ich noch gespielt habe, schon mal nen Spieler aus der JVA hatten, hab ich da angerufen und gefragt, ob ich die Möglichkeit hätte, Spieler zu bekommen. Ja und da wurde mir nicht zwei, sondern gleich acht angeboten."
    Fußball war damals nämlich ohnehin schon ein großes Thema in der JVA Heinsberg. Die hatte gerade eine eigene Fußballgruppe gegründet und sich auch am bundesweiten Projekt "Anstoß für ein neues Leben" beteiligt, initiiert vom Deutschen Fußball-Bund. Die Kooperation mit dem SV Ophoven war sozusagen der nächste Schritt: Nicht nur Fußballspielen im Knast, sondern auch draußen.
    "Draußen" spielen zu spielen als Motivation für gute Führung
    Eine Fußball-Frei-Zeit der anderen Art. Die koordiniert der JVA-Beamte Herbert Stolz: "Draußen zu spielen ist für die ein Bonbon. Sie wissen, es ist was Besonderes, also muss ich mich auch hier einigermaßen vernünftig führen, ansonsten wird das auf Eis gelegt und ich darf nicht mehr raus. Und das wissen die doch sehr zu schätzen, wenn die raus können, in Freiheit, draußen Fußballspielen ist schon ne schöne Sache für die."
    Der SV Ophoven bietet Abwechslung vom Knast-Alltag. Das Umfeld des Vereins und auch gegnerischen Mannschaften mussten sich erst mal daran gewöhnen. Gerade in der Anfangszeit schlug Dirk Schulze viel Skepsis entgegen: "Da kam jemand und hat gesagt, ja du bist doch der mit den Knackis. Da hab ich gesagt, ich bin er mit den straffällig gewordenen Jugendlichen. Da meinte er ich solle ihm mal zeigen, wen ich da so habe. Da hab ich gesagt, guck da drüben, die Mannschaft macht sich gerade warm, nenn mir ne Nummer und ich sag dir ja oder nein. Da meinte er: ja ich find keinen. Da hab ich gesagt: siehst du."
    Und auch innerhalb seiner eigenen Mannschaft – das muss der Klubchef zugeben – gab es anfangs Vorbehalte: "Wenn man in der Kabine ist und sagt, der letzte nimmt die Wertsachen mit. Plötzlich bekam dieser Satz "wer nimmt die Wertsachen mit" ne andere Stellung. Das war damals neu, auch für unsere Spieler, man hatte ein bisschen Angst, man wusste nicht, was sind das für Leute, die da zu uns kommen."
    Vorbehalte geschmolzen - der Trainer bedauert große Fluktuation
    Inzwischen muss weder der Klubchef noch sein Spieler-Trainer Jan Schmitz mannschaftsintern Überzeugungsarbeit leisten. Es interessiert auch nicht, warum die Spieler im Knast sind. Die einen erzählen es schon mal von sich aus. Andere nicht. Dem Trainer ist es egal. "Wir sehen in den Leuten nicht die Inhaftierten, sondern ganz normale Leute. Die bekommen bei uns die zweite Chance, und die integrieren sich bei uns in die Mannschaft und da werden Witze gemacht, da wird rumgealbert, raue Töne kommen auch vor. Das funktioniert ganz prima."
    Dass er die Spieler, die aus der JVA kommen, immer persönlich abholen und auch zeitnah nach Training oder Spiel wieder abliefern muss, nimmt der Trainer gerne in Kauf. Bedauerlich findet Jan Schmitz bloß die große Fluktuation.
    40 Spieler hat er seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren schon „durchgeschleust", wie sie es in Ophoven nennen. In der Regel bleiben die Gäste aus der JVA nämlich bloß drei, vier Monate. Dann werden sie aus der Haft entlassen und gehen fort. Auch der defensive Mittelfeldspieler ist im Sommer weg. Und das schmerzt den Trainer sehr: "Da häng ich schon dran. Also er ist der, der am längsten dabei gewesen ist, seit über nem Jahr fast. Und da entwickeln sich auch Freundschaften und dann ist das schon ein bisschen schade, wenn die dann gehen, aber (schluckt) so ist der Gang der Dinge halt."
    Noch ist der 21jährige aber da. Sein Plan: "Ja die Saison auf jeden Fall zu Ende bringen, meinen Kameraden helfen, so gut ich kann und dann draußen ein neues Leben anfangen. Auf jeden Fall auch mit Fußball. Denn das hat mir einiges gezeigt."