Das hier ist die Zugangsabteilung. Hier sind die Jungs die ersten 14 Tage nach der Ankunft. Und da wird eine Anamnese erstellt durch Interviews, Test-Fragebögen, durch Aktenstudium. In der Zugangskommission sind alle Fachdienste und der allgemeine Vollzugsdienst versammelt, mit erfahrenen Leuten, die nach 14 Tagen den ersten Erziehungsplan erstellen, mit dem Jungen besprechen, und dann eben festlegen: Macht Schule, geht in den intern gelockerten Vollzug.
... oder in den geschlossenen Vollzug: Hofgang alle zwei Tage. Wenn der Pressesprecher der baden-württembergischen Vollzugsanstalt Adelsheim, Klaus Brauch-Dylla, von den "Jungs" spricht, meint er nicht "schwere Jungs", sondern wörtlich: Jugendliche und Heranwachsende, zwischen 14 und 23 Jahren. Auch die aber natürlich mit einer Latte von Vorstrafen, das kann vom bloßen Betrug bis zum Tötungsdelikt reichen.
Mit dem Leben der schweren Jungs im Erwachsenen-Knast hat der Vollzug in Adelsheim erst einmal nicht viel zu tun: In den letzten acht Jahren, sagt Klaus Brauch-Dylla, gab es gerade mal zwei Prügeleien beim Hofgang. Das heißt nicht, dass die Jugendlichen und Heranwachsenden besonders einfach oder friedlich wären oder dass nicht immer wieder Drogen gefunden würden, auch harte Drogen. Trotzdem unterscheidet sich der Gefängnis-Alltag grundlegend von dem der Erwachsenen. Offizielles Ziel ist hier nicht – wie bei den Älteren - bloß die Resozialisierung, sondern die Erziehung der jungen Männer. Und ein wesentlicher weiterer Unterschied ist der, dass der Jugendstrafvollzug für die derzeit rund 8000 Jugendstrafgefangenen in Deutschland ohne gesetzliche Grundlage stattfindet.
Diesen gesetzlosen Zustand halten viele für verfassungswidrig, selbst Joachim Walter, Anstaltsleiter in Adelsheim.
Man kann nämlich nicht in zentrale Rechte der Bürger eingreifen, in Freiheitsrechte, in den Briefverkehr, Disziplinarmaßnahmen verhängen und viele solche Dinge, ohne dass das in einem förmlichen Gesetz vom Gesetzgeber festgelegt worden ist.
Das Problem ist bekannt, spätestens seit 1972. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall eines Erwachsenen, dass so einschneidende Grundrechtseingriffe, wie sie das Gefängnis mit sich bringt, nur auf Grund eines Gesetzes möglich sind. Der Druck aus Karlsruhe wirkte – allerdings nur für den Erwachsenenvollzug. Jugendliche werden auf der Grundlage bloßer Verwaltungsvorschriften eingesperrt. Zahlreiche Kommissionen und Arbeitsgruppen kamen zwar zu Entwürfen, die Umsetzung scheiterte aber jedes Mal.
Einem Jugendrichter im niedersächsischen Rinteln platzte im letzten Jahr der Kragen. Er ließ einen 18-Jährigen Delinquenten laufen – ihn einzusperren, entschied er, sei nach der momentanen Gesetzeslage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Fall liegt jetzt, zusammen mit anderen, wieder bei den Verfassungsrichtern in Karlsruhe.
Auch derzeit arbeitet wieder einmal eine Expertengruppe unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums an einem neuen Entwurf. Ob die Erfolg haben wird, hängt aber weniger vom Bund ab, denn Justizvollzug ist Ländersache. Also auch seine Finanzierung, und so scheiterte bisher jeder Anlauf letztlich an den Ländern. Gesetz oder Verwaltungsvorschrift, das ist für den Anstaltsleiter Joachim Walter keine bloße Formsache.
Diese Regeln, die es heute gibt, die so genannten Verwaltungsvorschriften für den Jugendvollzug, die sind abgeschrieben vom Strafvollzugsgesetz für Erwachsene. Und das Hauptproblem liegt also darin, dass man hergeht und sagt: Jugendliche sind offenbar nichts anderes als Erwachsene, die bloß noch nicht alt genug sind. Es ist aber das Jugendalter eine eigene Entwicklungsphase mit ganz anderen Gesetzen. Der entscheidende Unterschied beispielsweise ist: Jugendkriminalität wächst sich in aller Regel aus. Das kann man von Erwachsenenkriminalität nicht sagen. – Wo soll sie denn hinwachsen?
Soweit sind sich die Experten auch einig. Obwohl es, da stimmen Praktiker überein, kaum schlechtere Rahmenbedingungen für die Erziehung geben kann als in der Kunstwelt hinter Gittern und in Gesellschaft anderer straffälliger Jugendlicher.
Da sind möglicherweise Fehlentwicklungen, und da kann man – da ja Entwicklung stattfindet, ob wir etwas tun oder nicht, sie findet statt – kann man versuchen, diese Entwicklung zu beeinflussen. Beim Erwachsenen ist es – zumindest in unserem Rechtsverständnis – so, dass wir sagen: Wer 30 Jahre alt ist, der hat seine Entwicklung hinter sich. Da geht es dann nicht mehr so sehr um Entwicklung und Selbstverwirklichung, sondern allenfalls nur um Korrektur.
Umstritten und deshalb regelungsbedürftig ist aber vieles im einzelnen. Der Adelsheimer Anstaltsleiter hat den Eindruck, dass die Rolle der Jugendstrafanstalten mehr und mehr im Wegschließen gesehen wird, weniger darin, die Jugendlichen an ein straffreies Leben in Freiheit heranzuführen.
Man stellt sich wohl vor: die totale Sicherheit, und die ist dann erreicht, wenn niemals mehr jemand aus einem Gefängnis entweicht. Dass die alle entlassen werden, scheint völlig egal zu sein. Und deshalb ist meine Einstellung eigentlich die: Es kommt entscheidend darauf an, wie die tausende und abertausende Gefangenen entlassen werden. Und wenn wir da auch nur einen einzigen Prozentpunkt bei der Rückfallquote uns verbessern könnten, dann wären das zigtausende weniger Opfer.
Wie Erziehung aussieht, das definiert zum großen Teil die Anstalt selbst. Beispiel Adelsheim: Hier landen erst einmal alle jungen Männer, die in den Baden-Württenbergischen Jugendstrafvollzug kommen. In der harten Knast-Hierarchie fällt meist in den ersten Tagen die Entscheidung: Chef oder Fisch. Unter anderem die "Fische", diejenigen, die sich nicht durchsetzen können, sind es, die oft in der Bastelgruppe beginnen. Oder diejenigen, die nicht mehr schulpflichtig sind, oder die nach Ansicht der Zugangskommission noch nicht wieder reif für den regelmäßigen Unterricht sind.
Man muss, wenn man dort anfängt zu arbeiten, muss man erst mit Ton arbeiten einen Monat lang. So Aschenbecher machen, oder Vasen. Da hab ich so Vasen gemacht, und jetzt darf ich mit Holz arbeiten. Und jetzt machen wir so Spielzeug, so Krane, die verkaufen sie hier beim Weihnachtsbazar und Ostern und so.
Das ist eine sinnliche Erfahrung, die die oft lange nicht gehabt haben. Und so kannst Du einem auch Erfolgserlebnisse geben, die er vielleicht braucht, damit er sich auch traut, an die Herausforderung Schule heranzugehen, weil ganz viele von unseren Jungs sind ja rausgeflogen in verschiedenen Schulen, sind in verschiedenen Heimen oder so in der Schule gewesen und haben auch da kein Zutrauen in ihre Möglichkeiten oder ihre Leistungsfähigkeit.
Die Schule ist aber dann für ein Fünftel der Insassen Pflicht. Jeder Dritte ist Auszubildender, die anderen arbeiten, innerhalb oder außerhalb der Anstalt. Joachim Walter:
Diese Schule hat neuneinhalb Lehrer und ihre Aufgabe ist, die schulischen Versäumnisse unserer Jugendlichen aufzuarbeiten. Das geht vom noch nicht mal Lesen und Schreiben können bis hin - jetzt im Augenblick bei dem, der das Anspruchvollste macht - bis hin zum Abitur. Das heißt, es wird sehr stark individualisiert, obwohl wir als Kernstück der Sache ständig drei Turbo-Hauptschulkurse laufen haben.
Die Insassen haben sich schon vor Jahren innerlich vom Schulbetrieb verabschiedet. Diese jungen Männer versuchen die Lehrer mit der lernpädagogischen Abteilung wieder zu integrieren.
Die Idee bei dieser lernpädagogischen Abteilung ist, dass man sagt: Irgend was wird Dich, Schulflüchtling, der Du bist, möglicherweise doch interessieren. Der spricht den also individuell an, geht da hin und sagt: Du hockst da auf der Zelle, in die Schule kommst Du nicht. Irgend was muss Dich doch interessieren. Da sagt er: Ja, das Mittelalter und die alten Ritter, aber das kommt ja bei Euch in der Schule nicht dran, ihr kommt mir da ja mit Deutsch, Mathematik und so Sachen. Und dann sagen wir dem: Wenn Dich das interessiert, dann kommst Du in die Schule, und wir machen das, was Du möchtest mit Dir. Mittelalter, aber richtig. Mit Lernmaterial, mit allem drum und dran. Das heißt, die werden dann herangeführt, über das was sie interessiert, weil jeder junge Mensch ist neugierig, an das schulische Lernen.
Ein Konzept, das – aller Skepsis gegen Erziehung im Knast zum Trotz -vielleicht nur im Strafvollzug funktionieren kann.
Funktioniert eine solche Schule hinter Mauern bei jungen Männern, die draußen nie was auf die Reihe bekommen haben und wo die Lehrer nie weitergekommen sind, funktioniert das vielleicht bloß weil, wie unser Schulleiter immer zu formulieren pflegt, er einen heimlichen Miterzieher hat: Die Mauer. Die Mauer, die nämlich verhindert, dass man weglaufen kann. Schulversager sind oft Eskapisten. Leute, die vor Problemen, wenn sie zu groß werden, weglaufen. Und hier kann man nicht weglaufen, weil die Mauer einen daran hindert. Es gibt einen Grundsatz in der Anstalt: Wer nicht zur Arbeit, zur Ausbildung oder in die Schule geht, hat abends keine Freizeit.
Wie der Nachmittag aussieht, hängt wieder von der Vollzugsform ab.
Wir gucken Fernsehen, wenn was Gescheites kommt, hören Musik, dann gibt’s hier auch Gruppen, so Gitarrengruppe, dann mit dem Pfarrer Gruppe, wo man über Probleme redet und so.
Von dem Angebot der Freizeitgruppen machen zwar viele Insassen nicht Gebrauch. Teilweise vertreiben sich die jungen Straffälligen aber auch mit erstaunlichen Beschäftigungen die Zeit. Beim Trockenblumenstecken unter der Betreuung einer älteren Dame etwa.
Es fällt dabei eben auf, wenn dieser Betreuer oder diese Betreuerin einen jungen Menschen anspricht, vom Wesen her, also vom Gefühl: Wie werde ich akzeptiert, bin ich ein Krimineller, oder bin ich einfach ein junger Mann, der Probleme hat, und dann gehe ich auch lieber in eine Gruppe. Und das, denke ich, ist wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit überhaupt: Werde ich akzeptiert, werde ich angenommen, kann ich auf den Jugendlichen zugehen, oder merkt der junge Mann, dass ich ihn ablehne aufgrund seiner Delikte oder seines Vorlebens zum Beispiel.
Die Psychologin Marie-Louise Portugal hat die Erfahrung gemacht, dass sie, um an die meisten Jugendlichen heranzukommen, ihnen nicht nach dem Mund reden muss.
Die Dinge, die zum Teil dann in der Familie gefehlt haben: Die nötige Konsequenz. Das, was erforderlich ist zum Beispiel an Mitarbeit. Schule, Ausbildung oder Drogenkonsum: Dass das dem jungen Mann erklärt wird und nicht nur als "Muss" in den Raum gestellt wird, sondern ihm auch erklärt wird: Warum ist das wichtig, warum sollte ich das machen. Eben an die Vernunft appelliert wird. Und dass man dann die Erfahrung macht, dass doch die meisten jungen Männer eben, wenn man sich die Zeit nimmt, auf diese Dinge auch ansprechen und eher mal bereit sind, das zu akzeptieren und anzunehmen beziehungsweise umzusetzen.
Dieses Maß an Konsequenz und Berechenbarkeit, so stellt es auch der Vollzugsbeamte Kurt Essig dar, ist etwas, das vielen der Insassen bisher gefehlt hat. Er glaubt nicht, dass sich ein allzu großes Gefühl an Gemeinschaft zwischen denen herstellen lässt, die den Schlüssel haben, und denen, die eingesperrt sind. Aber auf einzelne, denkt er, kann er großen Einfluss haben.
Ich denke, dass wir für einige oder für viele sogar das Vorbild, ja, des Vaters vielleicht teilweise haben. Einige kennen ihren Vater gar nicht, oder der Vater, der unter Alkoholproblemen leidet. Sie kommen heim von der Schule. Hier sitzt nur der besoffene Vater und ich empfang sofort Prügel. Dann sind wir in diesem Bereich sicherlich ein positives Vorbild.
Wir brauchen den ganz normalen Mitbürger, der auch durch sein eigenes Beispiel, wie das in der Erziehung notwendig ist, den jungen Leuten vorlebt, wie man sozusagen gekonnt und auf dem Boden der Gesetze an dieser Gesellschaft Teil hat.
Die Gefahr, dass sich stattdessen gerade solche Leute für die Arbeit im Gefängnis bewerben, die glauben, Fehlverhalten müsse mit sofortigem Gegenschlag geahndet werden, ist aber groß, die Erfahrung hat Anstaltsleiter Joachim Walter gemacht. Wer jetzt im uniformierten Dienst arbeitet, hat dieselbe Ausbildung wie die Beamten im Erwachsenenvollzug. Mit dem Leiter der Vollzugsschule in Baden-Württemberg hatte Walter eine Zusatzausbildung für den Umgang mit Jugendlichen entwickelt. Durchgeführt wird sie derzeit nicht, das Land sieht sich außerstande, für die Ausfallzeiten der ohnehin überlasteten Angestellten Ersatz zu schaffen.
Besonders gefordert sind die Beamten im Haus G3, der Adelsheimer Vorzeige-Einrichtung für gesellschaftlich-demokratische Erziehung.
Das Haus steht direkt an der Mauer, trotzdem ist der Vollzug hier so offen wie möglich. Es gibt einen Grill, eine Tischtennisplatte, solange es hell ist, ist die Tür offen, die Vollzugsbeamten tragen in der Regel keine Uniform, der Sozialpädagoge, der das Haus leitet, ohnehin nicht.
Seit den siebziger Jahren wird hier Mitsprache trainiert. Nicht über die sicherheitsrelevanten und damit für die jungen Männer vor allem entscheidenden Fragen, wie Freigang oder frühzeitige Entlassung. Aber doch über mehr oder weiniger wichtige Fragen der Alltags-Struktur. Da gibt es Punkte, erklärt Joachim Walter, bei denen die Anstalt ein Vetorecht hat, und andere, bei denen Vollzugsbeamte, Psychologe und Insassen die gleiche Stimme haben.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Insassen in aber-hunderten von Sitzungen, ganz am Anfang aber auch in einer Art verfassungsgebenden Versammlung zusammen mit den Beamten die Regeln festgelegt haben, und das ist der entscheidende Unterschied, den man eben nicht sehen kann. Jede Woche findet eine Vollversammlung statt, Anwesende: 13 Insassen, drei Beamte. Um auch deutlich zu machen, wie die Mehrheitsverhältnisse dort sind. Und um was es geht, zeigt uns jetzt grade mal dieses Protokoll Erstens: LK, das ist eine Abkürzung, heißt Leitungskomitee, stellt fest: Die Toiletten waren wieder einmal verschissen. Wie das halt so ist in einem solchen Haus. Zweitens: in der Küche bleibt wieder mal Geschirr stehen, das sollte weggeräumt werden.
Seit acht Jahren gibt sich jede neue Knastbesetzung neue Regeln – etwa für Aufstehen, Küchendienst oder Telefonzeiten.
Nun könnte man natürlich sagen: Das ist ja lästig! Nur: Der entscheidende Punkt ist, dass man daraus etwas lernt. Nämlich zum Beispiel, dass Normen auf gesellschaftlichen Kompromissen beruhen. Und dass man miteinander reden muss, und dass nicht die Faust regiert.
Werden die Jugendlichen dadurch tatsächlich demokratiefähiger und akzeptieren sie tatsächlich gesellschaftliche Normen nach dem Aufenthalt im Haus G 3 lieber? Einer der Insassen sagt: ja.
Das ist schon wichtig für das Haus. Dass das alles gut läuft und so. Weil es gibt schon manchmal so ein paar Probleme. Damit halt alles regelmäßig läuft, wenn einer zum Beispiel Dreck macht, wir besprechen das alles. Und dann, wenn einer kommt und dumm anmacht oder so oder irgend was, wir besprechen, warum des, warum des.
Solche positiven Äußerungen will der Vollzugsbeamte Kurt Essig, der von Anfang an bei dem Projekt G 3 dabei ist, allerdings auch nicht überbewerten. Seit einmal eine Journalistin die Insassen ausfragte und keiner wusste, was da eigentlich trainiert werden soll, wird den Jugendlichen der Sinn der oft auch lästigen Abstimmungen regelmäßig erklärt. Und so gibt wohl die nicht ganz freiwillige Demokratiebegeisterung dieses Insassen realistischer die Stimmung wieder.
So gesagt muss es funktionieren. Weil das ist ja eine demokratische Gemeinschaft, wie der Name schon sagt. Das ist anders als alle anderen Häuser. Hier hat man die Chance, wenn man herkommt. Hier stehen die Möglichkeiten offen. Hier gibt es keine Gitter, hier sind die Türen offen und alles. Und wenn man so dumm ist und auch so ein Sturkopf wie die im Regelvollzug, dann ist man halt selbst schuld. Das geht schnell. Man kommt schwer hier rein, aber schnell wieder raus.
Der Vollzugsbeamte Kurt Essig ist eher skeptisch, was die Langzeitwirkungen solcher Gesellschaftserziehung betrifft.
Wir haben hier ja Erziehungsvollzug, das ist unsere Aufgabe. Aber ich denke, wenn 14, 15 Jahre was versäumt worden ist, dann können wir bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zehn Monaten hier niemanden mehr erziehen. Deshalb: Das sind ein paar Zehntel, wo wir vielleicht irgend was geben können. Ob wir das beurteilen können, diese paar Zehntel – ich glaub’s nicht.
Trotzdem ist er überzeugt von dem Konzept. Auch er mit dem Argument: Solange wir die jungen Männer hier haben, müssen wir schließlich zumindest versuchen, mit ihnen zu arbeiten. Der Sozialpädagoge Uli Waschek führt außerdem noch einen ganz praktischen Grund an für die Entscheidung in der Gruppe:
Die Insassen lassen sich mit Sicherheit mehr sagen, wenn’s aus der Gruppe rauskommt, wie wenn’s von oben runterkommt. Wenn Insassen irgend welche Entscheidungen mittragen und weitervermitteln, dann wirkt das oft intensiver nach, wie wenn einfach wir kommen und definieren: Irgend was hat so und so zu sein.
Für die Erziehungsprojekte in Adelsheim, genauso wie für oft ganz andere in anderen Vollzugsanstalten, fehlt bis zu einem Gesetz jede Absicherung. Ein Federstrich des Justizministeriums würde reichen, sie abzuschaffen. Den Erziehungsvollzug festzuschreiben, das hält Anstaltsleiter Joachim Walter denn auch für den wichtigsten Punkt in einem neuen Gesetz. Auf seinem persönlichen Wunschzettel an das Parlament stehen manche anderen Projekte, auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die wenigen Mädchen im Strafvollzug etwa.
Weil nämlich für die sehr wenigen weiblichen Jugendstrafgefangenen nahezu nirgendwo was passiert, weil die Zahl so klein ist, dass es kaum möglich ist, für die eine Palette moderner Berufsausbildungsmöglichkeiten – oder auch schulischer Ausbildungsmöglichkeiten – aufzutun. Das meiste aber, was in einem Jugendstrafvollzugsgesetz stehen müsste, hält er schlicht für Pflichtstoff. In vielen wesentlichen Fragen gibt es in den Bundesländern derzeit einen Flickenteppich an Regeln. Joachim Walter 40" Die Unterschiede zeigen sich beispielsweise bei Vollzugslockerungen. Bei der Häufigkeit der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen. Ja sogar bei der Frage, ob man Schusswaffengebrauch gegen Jugendliche gestattet. Es geht um die Ausstattung der Anstalten. Die Beteiligung von Verteidigern im Disziplinarverfahren. Es gibt also eine riesige Anzahl von Themen. Insbesondere auch das sträflich vernachlässigte Beteiligungsrecht der gesetzlichen Vertreter. Da finden sie in den Verwaltungsvorschriften für den Jugendvollzug überhaupt nichts. Die scheinen nicht zu existieren. Das Elternrecht gibt es kaum im Jugendstrafvollzug.
Irgendwie wursteln sich derzeit alle Jugendstrafanstalten durch. Für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft sollte das nicht genügen. Sollten sich die politischen Selbstblockaden nicht schon im Gespräch lösen lassen, dann möglicherweise mit Druck aus Karlsruhe. Die Richter könnten noch in diesem Jahr über den gesetzlosen Jugendstrafvollzug entscheiden.
... oder in den geschlossenen Vollzug: Hofgang alle zwei Tage. Wenn der Pressesprecher der baden-württembergischen Vollzugsanstalt Adelsheim, Klaus Brauch-Dylla, von den "Jungs" spricht, meint er nicht "schwere Jungs", sondern wörtlich: Jugendliche und Heranwachsende, zwischen 14 und 23 Jahren. Auch die aber natürlich mit einer Latte von Vorstrafen, das kann vom bloßen Betrug bis zum Tötungsdelikt reichen.
Mit dem Leben der schweren Jungs im Erwachsenen-Knast hat der Vollzug in Adelsheim erst einmal nicht viel zu tun: In den letzten acht Jahren, sagt Klaus Brauch-Dylla, gab es gerade mal zwei Prügeleien beim Hofgang. Das heißt nicht, dass die Jugendlichen und Heranwachsenden besonders einfach oder friedlich wären oder dass nicht immer wieder Drogen gefunden würden, auch harte Drogen. Trotzdem unterscheidet sich der Gefängnis-Alltag grundlegend von dem der Erwachsenen. Offizielles Ziel ist hier nicht – wie bei den Älteren - bloß die Resozialisierung, sondern die Erziehung der jungen Männer. Und ein wesentlicher weiterer Unterschied ist der, dass der Jugendstrafvollzug für die derzeit rund 8000 Jugendstrafgefangenen in Deutschland ohne gesetzliche Grundlage stattfindet.
Diesen gesetzlosen Zustand halten viele für verfassungswidrig, selbst Joachim Walter, Anstaltsleiter in Adelsheim.
Man kann nämlich nicht in zentrale Rechte der Bürger eingreifen, in Freiheitsrechte, in den Briefverkehr, Disziplinarmaßnahmen verhängen und viele solche Dinge, ohne dass das in einem förmlichen Gesetz vom Gesetzgeber festgelegt worden ist.
Das Problem ist bekannt, spätestens seit 1972. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall eines Erwachsenen, dass so einschneidende Grundrechtseingriffe, wie sie das Gefängnis mit sich bringt, nur auf Grund eines Gesetzes möglich sind. Der Druck aus Karlsruhe wirkte – allerdings nur für den Erwachsenenvollzug. Jugendliche werden auf der Grundlage bloßer Verwaltungsvorschriften eingesperrt. Zahlreiche Kommissionen und Arbeitsgruppen kamen zwar zu Entwürfen, die Umsetzung scheiterte aber jedes Mal.
Einem Jugendrichter im niedersächsischen Rinteln platzte im letzten Jahr der Kragen. Er ließ einen 18-Jährigen Delinquenten laufen – ihn einzusperren, entschied er, sei nach der momentanen Gesetzeslage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Fall liegt jetzt, zusammen mit anderen, wieder bei den Verfassungsrichtern in Karlsruhe.
Auch derzeit arbeitet wieder einmal eine Expertengruppe unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums an einem neuen Entwurf. Ob die Erfolg haben wird, hängt aber weniger vom Bund ab, denn Justizvollzug ist Ländersache. Also auch seine Finanzierung, und so scheiterte bisher jeder Anlauf letztlich an den Ländern. Gesetz oder Verwaltungsvorschrift, das ist für den Anstaltsleiter Joachim Walter keine bloße Formsache.
Diese Regeln, die es heute gibt, die so genannten Verwaltungsvorschriften für den Jugendvollzug, die sind abgeschrieben vom Strafvollzugsgesetz für Erwachsene. Und das Hauptproblem liegt also darin, dass man hergeht und sagt: Jugendliche sind offenbar nichts anderes als Erwachsene, die bloß noch nicht alt genug sind. Es ist aber das Jugendalter eine eigene Entwicklungsphase mit ganz anderen Gesetzen. Der entscheidende Unterschied beispielsweise ist: Jugendkriminalität wächst sich in aller Regel aus. Das kann man von Erwachsenenkriminalität nicht sagen. – Wo soll sie denn hinwachsen?
Soweit sind sich die Experten auch einig. Obwohl es, da stimmen Praktiker überein, kaum schlechtere Rahmenbedingungen für die Erziehung geben kann als in der Kunstwelt hinter Gittern und in Gesellschaft anderer straffälliger Jugendlicher.
Da sind möglicherweise Fehlentwicklungen, und da kann man – da ja Entwicklung stattfindet, ob wir etwas tun oder nicht, sie findet statt – kann man versuchen, diese Entwicklung zu beeinflussen. Beim Erwachsenen ist es – zumindest in unserem Rechtsverständnis – so, dass wir sagen: Wer 30 Jahre alt ist, der hat seine Entwicklung hinter sich. Da geht es dann nicht mehr so sehr um Entwicklung und Selbstverwirklichung, sondern allenfalls nur um Korrektur.
Umstritten und deshalb regelungsbedürftig ist aber vieles im einzelnen. Der Adelsheimer Anstaltsleiter hat den Eindruck, dass die Rolle der Jugendstrafanstalten mehr und mehr im Wegschließen gesehen wird, weniger darin, die Jugendlichen an ein straffreies Leben in Freiheit heranzuführen.
Man stellt sich wohl vor: die totale Sicherheit, und die ist dann erreicht, wenn niemals mehr jemand aus einem Gefängnis entweicht. Dass die alle entlassen werden, scheint völlig egal zu sein. Und deshalb ist meine Einstellung eigentlich die: Es kommt entscheidend darauf an, wie die tausende und abertausende Gefangenen entlassen werden. Und wenn wir da auch nur einen einzigen Prozentpunkt bei der Rückfallquote uns verbessern könnten, dann wären das zigtausende weniger Opfer.
Wie Erziehung aussieht, das definiert zum großen Teil die Anstalt selbst. Beispiel Adelsheim: Hier landen erst einmal alle jungen Männer, die in den Baden-Württenbergischen Jugendstrafvollzug kommen. In der harten Knast-Hierarchie fällt meist in den ersten Tagen die Entscheidung: Chef oder Fisch. Unter anderem die "Fische", diejenigen, die sich nicht durchsetzen können, sind es, die oft in der Bastelgruppe beginnen. Oder diejenigen, die nicht mehr schulpflichtig sind, oder die nach Ansicht der Zugangskommission noch nicht wieder reif für den regelmäßigen Unterricht sind.
Man muss, wenn man dort anfängt zu arbeiten, muss man erst mit Ton arbeiten einen Monat lang. So Aschenbecher machen, oder Vasen. Da hab ich so Vasen gemacht, und jetzt darf ich mit Holz arbeiten. Und jetzt machen wir so Spielzeug, so Krane, die verkaufen sie hier beim Weihnachtsbazar und Ostern und so.
Das ist eine sinnliche Erfahrung, die die oft lange nicht gehabt haben. Und so kannst Du einem auch Erfolgserlebnisse geben, die er vielleicht braucht, damit er sich auch traut, an die Herausforderung Schule heranzugehen, weil ganz viele von unseren Jungs sind ja rausgeflogen in verschiedenen Schulen, sind in verschiedenen Heimen oder so in der Schule gewesen und haben auch da kein Zutrauen in ihre Möglichkeiten oder ihre Leistungsfähigkeit.
Die Schule ist aber dann für ein Fünftel der Insassen Pflicht. Jeder Dritte ist Auszubildender, die anderen arbeiten, innerhalb oder außerhalb der Anstalt. Joachim Walter:
Diese Schule hat neuneinhalb Lehrer und ihre Aufgabe ist, die schulischen Versäumnisse unserer Jugendlichen aufzuarbeiten. Das geht vom noch nicht mal Lesen und Schreiben können bis hin - jetzt im Augenblick bei dem, der das Anspruchvollste macht - bis hin zum Abitur. Das heißt, es wird sehr stark individualisiert, obwohl wir als Kernstück der Sache ständig drei Turbo-Hauptschulkurse laufen haben.
Die Insassen haben sich schon vor Jahren innerlich vom Schulbetrieb verabschiedet. Diese jungen Männer versuchen die Lehrer mit der lernpädagogischen Abteilung wieder zu integrieren.
Die Idee bei dieser lernpädagogischen Abteilung ist, dass man sagt: Irgend was wird Dich, Schulflüchtling, der Du bist, möglicherweise doch interessieren. Der spricht den also individuell an, geht da hin und sagt: Du hockst da auf der Zelle, in die Schule kommst Du nicht. Irgend was muss Dich doch interessieren. Da sagt er: Ja, das Mittelalter und die alten Ritter, aber das kommt ja bei Euch in der Schule nicht dran, ihr kommt mir da ja mit Deutsch, Mathematik und so Sachen. Und dann sagen wir dem: Wenn Dich das interessiert, dann kommst Du in die Schule, und wir machen das, was Du möchtest mit Dir. Mittelalter, aber richtig. Mit Lernmaterial, mit allem drum und dran. Das heißt, die werden dann herangeführt, über das was sie interessiert, weil jeder junge Mensch ist neugierig, an das schulische Lernen.
Ein Konzept, das – aller Skepsis gegen Erziehung im Knast zum Trotz -vielleicht nur im Strafvollzug funktionieren kann.
Funktioniert eine solche Schule hinter Mauern bei jungen Männern, die draußen nie was auf die Reihe bekommen haben und wo die Lehrer nie weitergekommen sind, funktioniert das vielleicht bloß weil, wie unser Schulleiter immer zu formulieren pflegt, er einen heimlichen Miterzieher hat: Die Mauer. Die Mauer, die nämlich verhindert, dass man weglaufen kann. Schulversager sind oft Eskapisten. Leute, die vor Problemen, wenn sie zu groß werden, weglaufen. Und hier kann man nicht weglaufen, weil die Mauer einen daran hindert. Es gibt einen Grundsatz in der Anstalt: Wer nicht zur Arbeit, zur Ausbildung oder in die Schule geht, hat abends keine Freizeit.
Wie der Nachmittag aussieht, hängt wieder von der Vollzugsform ab.
Wir gucken Fernsehen, wenn was Gescheites kommt, hören Musik, dann gibt’s hier auch Gruppen, so Gitarrengruppe, dann mit dem Pfarrer Gruppe, wo man über Probleme redet und so.
Von dem Angebot der Freizeitgruppen machen zwar viele Insassen nicht Gebrauch. Teilweise vertreiben sich die jungen Straffälligen aber auch mit erstaunlichen Beschäftigungen die Zeit. Beim Trockenblumenstecken unter der Betreuung einer älteren Dame etwa.
Es fällt dabei eben auf, wenn dieser Betreuer oder diese Betreuerin einen jungen Menschen anspricht, vom Wesen her, also vom Gefühl: Wie werde ich akzeptiert, bin ich ein Krimineller, oder bin ich einfach ein junger Mann, der Probleme hat, und dann gehe ich auch lieber in eine Gruppe. Und das, denke ich, ist wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit überhaupt: Werde ich akzeptiert, werde ich angenommen, kann ich auf den Jugendlichen zugehen, oder merkt der junge Mann, dass ich ihn ablehne aufgrund seiner Delikte oder seines Vorlebens zum Beispiel.
Die Psychologin Marie-Louise Portugal hat die Erfahrung gemacht, dass sie, um an die meisten Jugendlichen heranzukommen, ihnen nicht nach dem Mund reden muss.
Die Dinge, die zum Teil dann in der Familie gefehlt haben: Die nötige Konsequenz. Das, was erforderlich ist zum Beispiel an Mitarbeit. Schule, Ausbildung oder Drogenkonsum: Dass das dem jungen Mann erklärt wird und nicht nur als "Muss" in den Raum gestellt wird, sondern ihm auch erklärt wird: Warum ist das wichtig, warum sollte ich das machen. Eben an die Vernunft appelliert wird. Und dass man dann die Erfahrung macht, dass doch die meisten jungen Männer eben, wenn man sich die Zeit nimmt, auf diese Dinge auch ansprechen und eher mal bereit sind, das zu akzeptieren und anzunehmen beziehungsweise umzusetzen.
Dieses Maß an Konsequenz und Berechenbarkeit, so stellt es auch der Vollzugsbeamte Kurt Essig dar, ist etwas, das vielen der Insassen bisher gefehlt hat. Er glaubt nicht, dass sich ein allzu großes Gefühl an Gemeinschaft zwischen denen herstellen lässt, die den Schlüssel haben, und denen, die eingesperrt sind. Aber auf einzelne, denkt er, kann er großen Einfluss haben.
Ich denke, dass wir für einige oder für viele sogar das Vorbild, ja, des Vaters vielleicht teilweise haben. Einige kennen ihren Vater gar nicht, oder der Vater, der unter Alkoholproblemen leidet. Sie kommen heim von der Schule. Hier sitzt nur der besoffene Vater und ich empfang sofort Prügel. Dann sind wir in diesem Bereich sicherlich ein positives Vorbild.
Wir brauchen den ganz normalen Mitbürger, der auch durch sein eigenes Beispiel, wie das in der Erziehung notwendig ist, den jungen Leuten vorlebt, wie man sozusagen gekonnt und auf dem Boden der Gesetze an dieser Gesellschaft Teil hat.
Die Gefahr, dass sich stattdessen gerade solche Leute für die Arbeit im Gefängnis bewerben, die glauben, Fehlverhalten müsse mit sofortigem Gegenschlag geahndet werden, ist aber groß, die Erfahrung hat Anstaltsleiter Joachim Walter gemacht. Wer jetzt im uniformierten Dienst arbeitet, hat dieselbe Ausbildung wie die Beamten im Erwachsenenvollzug. Mit dem Leiter der Vollzugsschule in Baden-Württemberg hatte Walter eine Zusatzausbildung für den Umgang mit Jugendlichen entwickelt. Durchgeführt wird sie derzeit nicht, das Land sieht sich außerstande, für die Ausfallzeiten der ohnehin überlasteten Angestellten Ersatz zu schaffen.
Besonders gefordert sind die Beamten im Haus G3, der Adelsheimer Vorzeige-Einrichtung für gesellschaftlich-demokratische Erziehung.
Das Haus steht direkt an der Mauer, trotzdem ist der Vollzug hier so offen wie möglich. Es gibt einen Grill, eine Tischtennisplatte, solange es hell ist, ist die Tür offen, die Vollzugsbeamten tragen in der Regel keine Uniform, der Sozialpädagoge, der das Haus leitet, ohnehin nicht.
Seit den siebziger Jahren wird hier Mitsprache trainiert. Nicht über die sicherheitsrelevanten und damit für die jungen Männer vor allem entscheidenden Fragen, wie Freigang oder frühzeitige Entlassung. Aber doch über mehr oder weiniger wichtige Fragen der Alltags-Struktur. Da gibt es Punkte, erklärt Joachim Walter, bei denen die Anstalt ein Vetorecht hat, und andere, bei denen Vollzugsbeamte, Psychologe und Insassen die gleiche Stimme haben.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Insassen in aber-hunderten von Sitzungen, ganz am Anfang aber auch in einer Art verfassungsgebenden Versammlung zusammen mit den Beamten die Regeln festgelegt haben, und das ist der entscheidende Unterschied, den man eben nicht sehen kann. Jede Woche findet eine Vollversammlung statt, Anwesende: 13 Insassen, drei Beamte. Um auch deutlich zu machen, wie die Mehrheitsverhältnisse dort sind. Und um was es geht, zeigt uns jetzt grade mal dieses Protokoll Erstens: LK, das ist eine Abkürzung, heißt Leitungskomitee, stellt fest: Die Toiletten waren wieder einmal verschissen. Wie das halt so ist in einem solchen Haus. Zweitens: in der Küche bleibt wieder mal Geschirr stehen, das sollte weggeräumt werden.
Seit acht Jahren gibt sich jede neue Knastbesetzung neue Regeln – etwa für Aufstehen, Küchendienst oder Telefonzeiten.
Nun könnte man natürlich sagen: Das ist ja lästig! Nur: Der entscheidende Punkt ist, dass man daraus etwas lernt. Nämlich zum Beispiel, dass Normen auf gesellschaftlichen Kompromissen beruhen. Und dass man miteinander reden muss, und dass nicht die Faust regiert.
Werden die Jugendlichen dadurch tatsächlich demokratiefähiger und akzeptieren sie tatsächlich gesellschaftliche Normen nach dem Aufenthalt im Haus G 3 lieber? Einer der Insassen sagt: ja.
Das ist schon wichtig für das Haus. Dass das alles gut läuft und so. Weil es gibt schon manchmal so ein paar Probleme. Damit halt alles regelmäßig läuft, wenn einer zum Beispiel Dreck macht, wir besprechen das alles. Und dann, wenn einer kommt und dumm anmacht oder so oder irgend was, wir besprechen, warum des, warum des.
Solche positiven Äußerungen will der Vollzugsbeamte Kurt Essig, der von Anfang an bei dem Projekt G 3 dabei ist, allerdings auch nicht überbewerten. Seit einmal eine Journalistin die Insassen ausfragte und keiner wusste, was da eigentlich trainiert werden soll, wird den Jugendlichen der Sinn der oft auch lästigen Abstimmungen regelmäßig erklärt. Und so gibt wohl die nicht ganz freiwillige Demokratiebegeisterung dieses Insassen realistischer die Stimmung wieder.
So gesagt muss es funktionieren. Weil das ist ja eine demokratische Gemeinschaft, wie der Name schon sagt. Das ist anders als alle anderen Häuser. Hier hat man die Chance, wenn man herkommt. Hier stehen die Möglichkeiten offen. Hier gibt es keine Gitter, hier sind die Türen offen und alles. Und wenn man so dumm ist und auch so ein Sturkopf wie die im Regelvollzug, dann ist man halt selbst schuld. Das geht schnell. Man kommt schwer hier rein, aber schnell wieder raus.
Der Vollzugsbeamte Kurt Essig ist eher skeptisch, was die Langzeitwirkungen solcher Gesellschaftserziehung betrifft.
Wir haben hier ja Erziehungsvollzug, das ist unsere Aufgabe. Aber ich denke, wenn 14, 15 Jahre was versäumt worden ist, dann können wir bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zehn Monaten hier niemanden mehr erziehen. Deshalb: Das sind ein paar Zehntel, wo wir vielleicht irgend was geben können. Ob wir das beurteilen können, diese paar Zehntel – ich glaub’s nicht.
Trotzdem ist er überzeugt von dem Konzept. Auch er mit dem Argument: Solange wir die jungen Männer hier haben, müssen wir schließlich zumindest versuchen, mit ihnen zu arbeiten. Der Sozialpädagoge Uli Waschek führt außerdem noch einen ganz praktischen Grund an für die Entscheidung in der Gruppe:
Die Insassen lassen sich mit Sicherheit mehr sagen, wenn’s aus der Gruppe rauskommt, wie wenn’s von oben runterkommt. Wenn Insassen irgend welche Entscheidungen mittragen und weitervermitteln, dann wirkt das oft intensiver nach, wie wenn einfach wir kommen und definieren: Irgend was hat so und so zu sein.
Für die Erziehungsprojekte in Adelsheim, genauso wie für oft ganz andere in anderen Vollzugsanstalten, fehlt bis zu einem Gesetz jede Absicherung. Ein Federstrich des Justizministeriums würde reichen, sie abzuschaffen. Den Erziehungsvollzug festzuschreiben, das hält Anstaltsleiter Joachim Walter denn auch für den wichtigsten Punkt in einem neuen Gesetz. Auf seinem persönlichen Wunschzettel an das Parlament stehen manche anderen Projekte, auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die wenigen Mädchen im Strafvollzug etwa.
Weil nämlich für die sehr wenigen weiblichen Jugendstrafgefangenen nahezu nirgendwo was passiert, weil die Zahl so klein ist, dass es kaum möglich ist, für die eine Palette moderner Berufsausbildungsmöglichkeiten – oder auch schulischer Ausbildungsmöglichkeiten – aufzutun. Das meiste aber, was in einem Jugendstrafvollzugsgesetz stehen müsste, hält er schlicht für Pflichtstoff. In vielen wesentlichen Fragen gibt es in den Bundesländern derzeit einen Flickenteppich an Regeln. Joachim Walter 40" Die Unterschiede zeigen sich beispielsweise bei Vollzugslockerungen. Bei der Häufigkeit der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen. Ja sogar bei der Frage, ob man Schusswaffengebrauch gegen Jugendliche gestattet. Es geht um die Ausstattung der Anstalten. Die Beteiligung von Verteidigern im Disziplinarverfahren. Es gibt also eine riesige Anzahl von Themen. Insbesondere auch das sträflich vernachlässigte Beteiligungsrecht der gesetzlichen Vertreter. Da finden sie in den Verwaltungsvorschriften für den Jugendvollzug überhaupt nichts. Die scheinen nicht zu existieren. Das Elternrecht gibt es kaum im Jugendstrafvollzug.
Irgendwie wursteln sich derzeit alle Jugendstrafanstalten durch. Für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft sollte das nicht genügen. Sollten sich die politischen Selbstblockaden nicht schon im Gespräch lösen lassen, dann möglicherweise mit Druck aus Karlsruhe. Die Richter könnten noch in diesem Jahr über den gesetzlosen Jugendstrafvollzug entscheiden.