Archiv


Jugendschutz überflüssig?

"Schafft die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ab!" Dieser Aufruf aus der katholischen Theologie kam überraschend, so kurz vor dem Jahrestag von Erfurt. Professor Thomas Hausmanninger, Professor für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg, hat für seine Forderung gute Gründe:

Von Pascal Fischer |
    Die Indizierung von Medien verhindere, dass ein Lehrer z.B. einen Horrorfilm mit seinen Schülern bespricht. Nur so aber können Schüler kritische Medienkompetenz erwerben.

    Gewaltfilme allein reizen kaum zur sofortigen Nachahmung. Auch die Vorbildrollen von Gewalttätern im Film sieht Hausmanninger nicht. Schließlich identifiziere sich ein Zuschauer oft mit dem Opfer - sonst wäre der Film ja nicht so beängstigend spannend. Darüberhinaus komme es eher selten zur Verwechslung von Realität und Fiktion. Dazu sind die Welten voller Werwölfe, Vampire oder Terminators doch zu weit von der Wirklichkeit entfernt.

    Die Realität lautet: Robert Steinhäuser war zweimal durch das Abitur gefallen. Er hätte - gemäß Thüringer Schulgesetz - die Schule ohne Abschluss verlassen müssen. Das wäre der Weg in Billigjobs oder in die Arbeitslosigkeit gewesen – so kurz vor dem Ziel. Selbst, wenn das Massaker damit nicht vollständig erklärt wird: Die strukturelle Gewalt war einer der Auslöser.

    Was aber hat sich im letzten Jahr in unserer Gesellschaft getan? Ein Mehr an Pädagogik - wie es sich aus den Forderungen von Hausmanninger ergibt, wurde im vergangenen Jahr nicht realisiert. Zwar wurde das Schulgesetz in Thüringen geändert. Robert Steinhäuser hätte heute das Recht auf ein Zeugnis, das dem Realschulabschluss entspricht. Als eine politische Errungenschaft im Kampf gegen die Gewalt in unserer Gesellschaft kann das aber kaum gewertet werden.

    Bundesweit greift seit Anfang April das neue Jugendmedienschutzgesetz. Computerspiele erhalten eine Altersbeschränkung. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kann Produkte auf eigene Initiative hin überprüfen. Vertreibern von Medien mit verbotenen Inhalten drohen Strafen bis zu 50.000 Euro. Kriegsverherrlichende cD-ROMS und Videospiele können ohne Indizierung mit einem Vertriebsverbot belegt werden. In Zeiten von Downloads und raubkopierter Software verhindert das den Zugang zu den indizierten Materialien aber nicht, im Gegenteil: Die Indizierung gilt als eine Art Garantie für den Massenverkauf.

    Seit Anfang dieses Monats gilt der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder. Was jene verbotenen Inhalte angeht, müssen sich Rundfunk- und Internet-Anbieter selbst kontrollieren. Nur bei deren Versagen greift die neu geschaffene Kommission für Jugendmedienschutz ein.

    Auch mit der Verschärfung des Waffengesetzes Anfang April werden allein Symptome behandelt: Wer vor seinem 25. Geburtstag eine Schusswaffe kaufen möchte, muss ein so genanntes "fachpsychologisches Gutachten über seine geistige Eignung zum Waffenbesitz" vorlegen. Sportschützen müssen 21 Jahre alt sein, nicht 18, um eine Waffe kaufen zu können. Wirkungslose Maßnahmen: Die meisten Straftäter besorgen sich ihre Waffen auf dem Schwarzmarkt.

    Der vollmundig angekündigten Diskussion über Werte folgten also ein paar zweifelhafte Verbote. Selbst ein so brutaler Amoklauf wie in Erfurt bewirkt keine wirklichen Veränderungen in unserer Gesellschaft.

    Das Geld für mehr Lehrer, Schulpsychologen, Sozialpädagogen oder Medienerzieher bringen wir immer noch nicht auf.

    Von den Ursachen von Gewalt - Demütigung, Deklassierung, strukturelle Gewalt - wird abgelenkt, indem man hysterisch Videos und Computerspiele zu Sündenböcken erklärt.

    Es ist sarkastische Heuchelei, zu behaupten, dass gerade erfundene Filmstoffe und Computerspiele allein für die Verrohung der Jugend verantwortlich sind. Wochenlang konnten wir alle im Fernsehen das Livebombardement des Irak verfolgen – inclusive der zweifelhaften Rechtfertigung dieser Gewalt. Das ist die Realität. Aus ihr lernen Jugendliche.

    Link: mehr ...

    1122.html