Donnerstag, 28. März 2024

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Jugendsozialarbeit an Schulen
"Die Lage ist verheerend"

Wolfgang Pabel, stellvertretender Vorsitzender des Bundeselternrates, fordert eine Vereinheitlichung der Jugendsozialarbeit an Schulen. Sowohl die Finanzierung als auch die Inhalte der Arbeit müssten fest geregelt sein, sagte er im DLF. Er sieht den Bund in der Verantwortung, da es sich um eine gesellschaftspolitische Aufgabe handele.

Wolfgang Pabel im Gespräch mit Benedikt Schulz | 08.01.2015
    Benedikt Schulz: Seit 2011 hat der Bund Mittel für die Schulsozialarbeit bereitgestellt aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Inzwischen aber ist das Programm ausgelaufen und die Kommunen sollen die Sozialarbeiter jetzt aus eigener Tasche bezahlen. Das ist aber längst nicht das einzige Problem. Denn unter Schulsozialarbeit versteht im Prinzip jeder etwas anderes. Was genau diese Arbeit leisten soll und kann, das ist nirgendwo einheitlich so richtig geregelt. Der Bundeselternrat fordert nun genau das: eine einheitliche Regelung und eine langfristige Finanzierung, und zwar durch den Bund. Ein Bundesprogramm Schulsozialarbeit. Am Telefon ist jetzt der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Pabel, ich grüße Sie!
    Wolfgang Pabel: Ja, hallo, schönen guten Tag!
    Schulz: Ich muss mich jetzt direkt korrigieren: Sie wollen kein Programm Schulsozialarbeit, sondern Jugendsozialarbeit. Erklären Sie uns erst mal den feinen Unterschied!
    Pabel: Der feine Unterschied ist, dass Jugendsozialarbeit an Schule die Schnittstelle beschreibt zwischen Schule und der Jugendarbeit. Das heißt, sie ist nicht Kernarbeit der Schule, sondern die Schnittstelle zwischen Eltern und Schule betreuen. Deswegen Jugendsozialarbeit, weil wir den Bereich der Jugendhilfe ganz besonders im Fokus sehen.
    Schulz: Seit Jahren fordern ja Verbände, Lehrer, natürlich auch Sozialarbeiter selbst, dass es endlich eine einheitliche und vor allem langfristige finanzielle Absicherung dieser Arbeit gibt. Wie sieht denn die finanzielle Lage der Schulsozialarbeit oder der Jugendsozialarbeit aus in der Bildungsrepublik Deutschland derzeit?
    Pabel: Aus meiner Perspektive als Vater an meiner Schule finde ich die Lage zurzeit verheerend. Weil diese Stellen in der Regel immer nur auf Zeit, also befristet genehmigt werden. Das, was an Stunden da bezahlt wird, ist aus meiner Sicht auch eher an der unteren Grenze, weit von dem entfernt, was Lehrer verdienen. Also eigentlich Arbeitsbedingungen, wo ich jetzt mir selber schwer überlegen würde, ob ich unter diesen Bedingungen arbeiten möchte.
    "Nicht nur Teil der Schule, sondern auch in Abgrenzung zur Schule"
    Schulz: Ich habe jetzt gerade das Stichwort Bildungsrepublik Deutschland schon mal genannt. Gestern gab es eine Studie vom Deutschen Gewerkschaftsbund und das Ergebnis ist, dass wichtige Bildungsziele in der Bildungsrepublik, in Deutschland voraussichtlich verfehlt werden. Und zwar waren das Bildungsziele, die man 2008 auf dem Bildungsgipfel in Dresden vereinbart hatte, und man hat damals auch über Schulsozialarbeit gesprochen, man hat sich aber auf keine Maßnahmen über Schulsozialarbeit verständigen können. Woran liegt das, dass Schulsozialarbeit oder Jugendsozialarbeit so einen geringen Stellenwert in der Politik hat?
    Pabel: Ich würde sagen, das ist weniger eine inhaltliche als eine finanzielle Frage. Wenn man zurzeit sieht, wie Schulsozialarbeit aufgestellt ist, dann splitten die sich auf in verschiedenste Träger. Das heißt, wir haben kommunale Träger, wir haben Europa, ESF, wir haben Bundesmittel, wir haben Landesprogramme. So haben wir teilweise bei uns Schulen mit drei Schulsozialarbeitern mit drei verschiedenen Trägern und unterschiedlichen Arbeitsaufträgen. Ich denke, das zeigt dann schon im Bereich Schule, dass das eigentlich so, wie es zurzeit läuft, schwer umsetzbar ist. Also, diese Vereinheitlichung, inhaltlich wie auf der monetären Seite, ist aus meiner Sicht dringend notwendig, um diese Arbeit überhaupt erst möglich zu machen. Sie hatten noch mal nachgefragt, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit, ich sehe diese Arbeit auch nicht nur als Teil der Schule, sondern auch in Abgrenzung zur Schule. Es ist eine eigene Profession, die nichts mit Schulbildung zu tun hat, sondern da geht es über die reine Schulbildung hinaus.
    Schulz: Sie wollen ein einheitliches Programm auch inhaltlich, haben Sie gesagt. Wie soll denn das inhaltlich aussehen?
    Pabel: Ich denke, es geht um die Aufgabenbeschreibung. Das, was Jugendsozialarbeit hier leisten soll - und hier sehe ich eben nicht nur oder nicht ausschließlich schulinterne Probleme wie Mobbing, Gewaltprävention et cetera, was zu dieser Arbeit primär dazugehört - sondern ich sehe eben vor allen Dingen die Arbeit an den Schnittstellen, und zwar da, wo Schule mit der Umwelt in Kontakt kommt. Das ist natürlich primär das Elternhaus, denn ich denke, Schule steht und fällt mit den Eltern, und das sind natürlich auch die anderen Bereiche: das soziale Umfeld, die Jugendarbeit in der Gemeinde, die Unternehmen, Berufsorientierung, also alles das, was um Schule herum läuft. Und da sind diese Personen, denke ich, ein ganz wichtiger Verknüpfungspunkt.
    "Eine gesellschaftspolitische Aufgabe"
    Schulz: Noch mal zur monetären Ebene: Sie wollen, dass der Bund das Geld gibt. Halten Sie das für realistisch, wenn man bedenkt, dass ja schließlich gerade eben noch Bund und Länder mit der Lockerung des Kooperationsverbots ein deutliches Zeichen gesetzt haben, dass alles, was nicht Hochschule ist, weiterhin bei den Ländern verbleibt? Halten Sie es also für realistisch?
    Pabel: Jugendsozialarbeit ist nicht Kernaufgabe der Schule. Und ich denke, daher fordern wir ja auch die Anbindung der Jugendsozialarbeit an die Jugendhilfe. Jugendhilfe ist nicht an das Kooperationsverbot gebunden, sondern hier ist der Bund natürlich in der Lage, landesübergreifend zu finanzieren. Wir haben ja zurzeit diese verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten, der Bund hat ja zum Beispiel über dieses Bundes- und Teilhabepaket finanziert, weil er genau wusste, dass er das nach der geltenden Gesetzgebung im Bereich Schule nicht darf. Der Bund kann aber sagen, wir nehmen eine Summe X, unsere Vorstellungen liegen so ungefähr bei dreieinhalb Milliarden Euro im Jahr, die man vorhält, um Schul- oder in unserem Fall Jugendsozialarbeit möglich zu machen. Ich denke, unter diesen Bedingungen haben wir eine feste Maßgabe, Kommunen müssen nicht mehr gucken, können sie es finanzieren oder können sie es nicht finanzieren, wir haben einen Haushalt, wir haben Vorgaben, zu denen gearbeitet werden muss. Ich denke, hier ist der Bund in der Verantwortung, denn Jugendsozialarbeit ist eine landesübergreifende, eine gesellschaftspolitische Aufgabe und keine Aufgabe der einzelnen Kommunen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.