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Jules Verne im All

Raumfahrt. - Nur einen Monat nach dem erfolgreichen Andocken des Raumlabors Columbus stehen für Europas Raumfahrer schon wieder hektische Zeiten an: Gestern früh ist Europas neues Raumschiff "Jules Verne" mit einer Ariane-5-Rakete zur Internationalen Raumstation gestartet. Anfang April soll es an der Internationalen Raumstation andocken.

Von Dirk Lorenzen |
    Kourou, Europas Raketenstartgelände in Französisch Guayana, Sonntagmorgen, 01:03 Uhr Ortszeit. Die einsame Gegend im Norden Südamerikas liegt bei Nieselregen in pechschwarzer Nacht – nur die Startrampe mit der Ariane-5-Rakete ist hell erleuchtet. Dann beginnt der Countdown, der für Europas Raumfahrt den großen Sprung bedeuten könnte.

    "Dix, neuf, huit, sept, six, cinq, quatre, trois, deux, top - .... decollage!"

    Laut dröhnend stemmt sich die Ariane in die Wolken. Der strahlende Feuerschein erleuchtet den Urwald in der Umgebung für gut eine Minute taghell. Dann verstummt das Knattern, und die Ariane entschwindet im All – mitsamt der kostbaren Fracht an ihrer Spitze: Europas Raumtransporter ATV, dem Automatischen Transfer Vehikel. Erst 67 Minuten nach dem Start ist das ATV auf der richtigen Bahn. Jörn Tjaden, dem Standortleiter der Europäischen Raumfahrtagentur Esa in Französisch-Guayana, ist einige Stunden später die große Erleichterung anzusehen:

    "Wunderbar. Deutlich besser, etwas wenig geschlafen, aber wir fühlen uns alle gut, nach dem erfolgreichen Start. Bei dem guten Wetter: Etwas Regen. Gut, das hat uns nicht so viel ausgemacht. Die Rakete ist ja wasserdicht. Trotzdem sind wir alle sehr froh, dass das so gut geklappt hat, auch mit der Wiederzündung der Oberstufe. Das war schon gut."

    Während die US-Space Shuttle schon mal von ein paar Wolken am Boden gehalten werden, startet die Ariane ungerührt auch im tropischen Regen. Der Start ist nur der erste Schritt – Anlass zu Jubel bestand gestern noch nicht. Denn der Flug des vollautomatisch fliegenden Raumtransporters ist erst dann ein Erfolg, wenn Anfang April wirklich das Andocken an die Internationale Raumstation glückt. Bis dahin stehen noch viele Sicherheitstests auf dem Programm – und eine erste Reparatur, erklärt Nicolas Chamussy, ATV-Programm-Manager bei EADS Astrium:

    "Wir haben offenbar in einem Antriebssystem einen etwas anderen Druck als erwartet. Das hat ATV selbst bemerkt, den Fehler lokalisiert und den entsprechenden Bereich abgeschaltet und durch einen anderen ersetzt. Die Fehlerkontrolle an Bord hat optimal funktioniert. Jetzt werden wir in Ruhe die Ursache suchen. Es besteht kein Grund zur Hektik: ATV ist auf einer sicheren Bahn, die Solarzellenflächen sind ausgeklappt und liefern viel Strom, das Navigationssystem funktioniert, et cetera. Wir nehmen uns alle Zeit, die wir brauchen, um alle Systeme zu überprüfen."

    Alle wichtigen Systeme sind auf dem ATV doppelt und dreifach vorhanden. Die jetzt abgeschalteten Düsen werden nicht zwingend gebraucht. Zudem lässt der Zeitplan des ersten ATV-Fluges viel Spielraum, beruhigt John Ellwood, ATV-Missionsleiter bei der Esa.

    "Mit der Nasa ist abgesprochen, dass wir erst abwarten, bis der Shuttle wieder von der Raumstation abgelegt hat. Wir haben also Zeit, um den Fehler zu finden. ATV hat Hunderte von Sensoren, die Temperatur, Druck und so weiter messen. Diese Daten spielen wir jetzt in unseren Simulator auf dem Boden ein. Die Firma Astrium hat bei Paris eine volle Kopie des ATV, mit Andocksystem et cetera. Alles, was wir oben im All machen wollen, um das Problem zu lösen, testen wir erst im Simulator."

    Morgen früh soll die US-Raumfähre Endeavour zur ISS starten und mindestens bis zum 24. März bleiben. Frühestens Anfang April dockt das ATV an der Raumstation an – und bringt damit Europas Raumfahrt weit voran, hofft Jan Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR.

    "ATV und Columbus sind zwei wichtige Bausteine, die für auch die zukünftige Arbeit auf der ISS von Bedeutung sind. Für mich ist es ganz wichtig, dass dieser Punkt jetzt nicht ein Endpunkt ist, sondern diese Arbeiten auch weitergehen. Wir müssen sehen, dass die eigenständige Möglichkeit Europas, jetzt Lasten zur Raumstation zu bringen, weiter ausbaufähig ist, nämlich auch Experimente und Material von der Raumstation zurück zu transportieren, um dann gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt einen eigenständigen bemannten Zugang zum All dann zu realisieren."