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Julius H. Schoeps: Preußen, Geschichte eines Mythos. be.bra.verlag., Berlin. 2001 und Patrick Bahners/Gerd Roellecke (Hrsg.): Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück

Vor allem Berlin und Brandenburg zelebrieren in diesem Jahr den 300. Jahrestag der Gründung des preußischen Staates. Nun ließe sich über Preußen und seine Geschichte trefflich streiten, doch lehrt die Erfahrung, dass die politischen Eliten in diesem Lande, wenn es um Preußen geht, eher zu Nostalgie und Affirmation neigen als zu kritischer Auseinandersetzung. So konnte man, als 1981 Westberlin und Potsdam den Preußen jeweils große Ausstellungen widmeten, beobachten, dass man in beiden Teilen Deutschlands mit großer Unbefangenheit die Geschichte Preußens verklärte. Aus den vielen angekündigten oder bereits ausgelieferten Neuerscheinungen zum diesjährigen Preußenjubiläum haben wir für die heutige Sendung zwei Bände herausgegriffen: "Preußen: Geschichte eines Mythos", ist eine Bild-Text-Sammlung überschrieben, die Julius H. Schoeps herausgegeben hat, Patrick Bahners und Gerd Roellecke haben ihren Sammelband "Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück" überschrieben.

Peter Gugisch |
    Die beiden hier vorliegenden Bücher, für die im ersten Falle Julius H. Schoeps und das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, im anderen Falle Patrick Bahners und Gerd Roellecke als Herausgeber zeichnen, zählen zu den dankenswerten Veröffentlichungen, die aus dem strengen Zirkel der Fachliteratur heraustreten und die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten an eine breite interessierte Leserschaft weitergeben. Beide Bücher sind Sammelbände. Nicht die Zentralperspektive eines Verfassers, sondern die facettenreiche Sicht vieler Beiträge bestimmt ihren Charakter. Das reicht bis in die Sprache: ein Teil der Autoren spricht von "Friedrich dem Großen", ein anderer Teil versagt ihm strikt das ehrende Beiwort. Das äußert sich auch in historischen Ableitungen. Wenn Frank-Lothar Kroll (bei Schoeps) feststellt, dass sich die Diskussion

    über den Wiederaufbau der 1950 bis 1968 auf Veranlassung Walter Ulbrichts zerstörten Berliner bzw. Potsdamer Residenzschlösser (... ) auf ein gutes Ende hin zu bewegen scheint,

    dann nimmt er dezidiert Partei für die Schlösser-Fraktion. Dieter Bartetzko (bei Bahners und Roellecke) aber bemerkt skeptisch:

    ... der Enthusiasmus, mit dem beispielsweise die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses auch als Wiedererstehen eines preußischen Baukunstwerks, eines Nationaldenkmals fast, beschworen wird, gibt zu denken.

    Das Buch von Julius H. Schoeps ist ein Text-Bild-Band, der in Zusammenarbeit mit dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz entstanden ist. Die elf Wortkapitel, die in chronologischer Folge brandenburgisch-preußische Geschichte darstellen, sind von opulenten Bild-Teilen unterbrochen. Damit ergeben sich produktive Wechselbeziehungen. So steht im Text, dass der martialische "Soldatenkönig" nur 1,50 Meter groß war. Ein kleiner Mann. Und dann erscheint irgendwo im Bildteil einer von den "Langen Kerls", die bekanntlich des Königs Lieblingsspielzeug waren. Aus der Bildunterschrift geht hervor, dass dieser "Lange" (er hieß Samuel Meißner) nur 1,78 m groß war. So schrumpft historische Größe auf bescheidenes Mittelmaß.

    Schoeps und die meisten seiner Autoren arbeiten an der Universität Potsdam. Ihr Buch ist gleichsam ‚vor Ort' entstanden.

    Bahners (von der FAZ) und Roellecke (ein emeritierter Rechtsprofessor) sind einen anderen Weg gegangen. Sie haben um sich 26 Autoren aus nah und fern geschart. Ihr Buch enthält 28 Aufsätze, die sieben thematischen Gruppen zugeordnet sind. Er enthält einen umfänglichen wissenschaftlichen Apparat und einen schmalen Bildteil. Warum die Bildunterschriften durchgängig ironisiert werden, bleibt unerfindlich. Dass der 550-Seiten-Band trotz der wissenschaftlichen Erdenschwere ‚Leichtigkeit' besitzt, ist den sehr vielfältigen Beiträgen zu danken, die von der strengen Abhandlung bis zum eleganten Essay reichen. Man lese die Beiträge von Thomas Wirtz (über Carl Schmitt) und Friedrich Dieckmann (über das Grab Friedrich des Großen), und man wird zwei Arten des Lesevergnügens kennenlernen.

    Natürlich sind die beiden Bücher (nur Frank-Lothar Kroll ist hie und da vertreten) nicht ‚zum Vergleich' geschrieben. Dennoch gibt es Parallelstellen, die dazu anregen.

    Was ist Preußen?

    fragen Patrick Bahners und Gerd Roellecke in ihrem "Vorwort" und lassen dieser ersten Frage viele weitere folgen. Das preußische Erbe, dem wir uns nicht entziehen können, steckt voller Fragen. Julius H. Schoeps schreibt unumwunden, warum der Umgang mit diesem Erbe so schwierig ist.

    Eine der Hypotheken des preußischen Erbes ist der Sachverhalt, dass die "preußischen Tugenden", wie wir Pflichtgefühl, Pünktlichkeit, Sparsamkeit beziehungsweise Maßhaltenkönnen, Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit nennen, im Hitler-Deutschland pervertiert worden sind.

    Natürlich ist Alt-Preußen nicht dafür verantwortlich, dass sein Wahlspruch "Jedem das Seine" von den Nazis über das Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald geschrieben wurde. Aber die Inschrift des Schwarzen Adlerordens steht dort. Und niemand kann sie wegwischen aus dem Gedächtnis der Zeit.

    Auch dieser Band kann die alten Fragen nicht beantworten. Aber er fasst sie schärfer, weil er nicht an preußische Macht, sondern an preußische Ohnmacht anknüpft.

    Bahners und Roellecke zitieren dazu den Ausspruch Friedrich Wilhelm III., als er - ein Jahr nach Jena und Auerstedt - der Gründung der Berliner Universität zustimmte:

    Der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat.

    Das ist ein guter Ansatz für ein Preußenbuch. Nicht die Schlachtengemälde werden nachgezeichnet, sondern die gesellschaftlichen Bewegungen, die Preußen geprägt haben. Dazu gehören natürlich die Könige, dazu gehören die Reformer, Humboldt und Hardenberg, die großen Baumeister, Schlüter und Schinkel, auch Moltke der Ältere, auch Moeller van den Brucks.

    Aufregend und - wie Johann Peter Hebel sagt - des Lesens zweimal wert sind die Kapitel zu den Reformen, die den Staat Preußen begleitet haben. Gerrit Walther schreibt über den Soldatenkönig:

    So darf sein eklatanter Mangel an sympathischen Charakterzügen nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser despotische Neurotiker unter Preußens Herrschern der bedeutendste Reformer überhaupt gewesen ist.

    Friedrich Zwo dagegen (natürlich gesteht ihm Gerrit Walther nicht das Epitheton "groß" zu!) erscheint hier als ein rechter Reform-Muffel:

    Die Reformen, zu denen er sich gleichwohl entschloss, wirken nach den Revolutionen seines Vaters dann auch geradezu reaktionär.

    Bahners/Roellecke stellen den Reform-Komplex unter dem Haupttitel "Reformationen" an den Beginn ihres Bandes und widmen ihm drei Kapitel. Bei Schoeps untersucht Jürgen Luh "Die Zeit der Reformen", nun bezogen auf die Jahre 1806 bis 1812. Wieder ergeben sich instruktive Querverweise. Schoeps und seine Beiträger bieten eine gedrängte Gesamtschau. Bahners/Roellecke wählen aus. Die Anlage des Buches ist breiter, im einzelnen aber auch enger, weil stärker fokussiert. Es gibt ein Kapitel "Jesuiten in Preußen", aber kein eigenes Kapitel "Juden in Preußen", obwohl die (in manchem vorbildliche) Judenpolitik Preußen in beiden Büchern mehrfach anklingt. Es gibt ein verdienstvolles Kapitel über Jochen Klepper, aber kein Kapitel über Heinrich von Kleist. Es gibt kein Kapitel über die Arbeiterbewegung in Preußen, wie überhaupt die Sicht von "unten" nur von Fall zu Fall gewählt wird. Die Alltagsgeschichte bleibt - salopp gesagt - ‚außen vor'. Und wo, bitte, bleiben Preußens Frauen? Schoeps gibt seinem Buch den Titel:

    Preußen. Geschichte eines Mythos

    Bahners und Roellecke stellen ihr Buch unter die Generalüberschrift

    Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück

    Beide Titel arbeiten mit Begriffen, die aus anderen Zusammenhängen stammen und in der Geschichtswissenschaft allenfalls als Lehnwörter gelten dürfen. Widerspiegelt das den Stand der Preußendiskussion? Ist die Unschärfe mit Bedacht gewählt? Wie auch immer: Die Titel wecken unsere Aufmerksamkeit. Und das ist eine gute Empfehlung für die beiden Bücher!

    "Preußen, Geschichte eines Mythos", ist die von Julius H. Schoeps herausgegebene Bild-Text-Sammlung überschrieben. be.bra.verlag., Berlin. 232 Seiten, 243 farbige Abbildungen zum Preis von 59,90 DM. Patrick Bahners und Gerd Roellecke sind die Herausgeber von "Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück", Klett Cotta Verlag, Stuttgart, 576 Seiten, DM 58,--.