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Jung, fit und arbeitslos

Die griechische Jugend hat alles, was es für den modernen Arbeitsmarkt braucht: Sie ist gut ausgebildet, technisch-mobil versiert und motiviert, allein: Es gibt keine Jobs.

Von Anna Koktsidou | 01.06.2011
    Musik hören, im Internet surfen, über Facebook mit Freunden kommunizieren – so sieht die Freizeit von Eva aus. Nicht immer, aber immer öfter. Für Discos, Bars oder Tavernen hat die 26-Jährige zu wenig Geld. Eva ist ausgebildete Erzieherin, in Griechenland eine Hochschulausbildung. Seit 2008 ist sie fertig, seitdem jobbt sie mal hier, mal dort und wohnt bei ihren Eltern in Thessaloniki:

    "Es ist ein unschönes Gefühl. Meine ganze Ausbildung, das Geld, das meine Eltern dafür ausgegeben haben – alles umsonst. Als ich mit dem Studium fertig war, dachte ich, ich könnte mir Zeit geben, etwas zu suchen, was mir wirklich gefällt. Mittlerweile würde ich alles nehmen. Wenn ich mit meinen Freunden im Cafe bin, blättert jeder in den Anzeigen einer Zeitung. Aber für Uniabsolventen gibt es keine Arbeit."

    Ein Café in einem Vorort von Thessaloniki. Am späten Nachmittag haben sich ein paar Jugendliche eingefunden, unterhalten sich, spielen Karten; sie entfliehen der räumlichen Enge zu Hause, aber ein Jugendzentrum gibt es für sie nicht. Stundenlang können sie hier sitzen und nur einen Kaffee oder eine Cola trinken, für mehr reicht das Taschengeld nicht. Die 20-jährige Maria hat gerade ihre Schicht beendet. Die Studentin der Politikwissenschaft jobbt hier als Kellnerin für fünf Euro die Stunde:

    "Ich arbeite drei bis vier Tage die Woche. Es herrscht ein angenehmes Klima und wir sind froh, dass der Laden noch läuft. Mit dem Geld entlaste ich meine Eltern. Sie brauchen nichts mehr zuzuschießen, nicht mal für die Uni. Ich zeige ihnen, dass ich ihre Situation verstehe, dass sie sich auf mich verlassen können."

    Bei rund 16 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit momentan in Griechenland. Bei den jungen Menschen bis 24 Jahre ist sie mehr als doppelt so hoch. Noch nie gab es in diesem Land eine so gut ausgebildete Jugend - mit so wenigen Chancen. Marias Freundin Alexandra lernt Krankenschwester, in Griechenland eine Ausbildung an einer Fachhochschule. Ihre Eltern hatten vor Jahren eine Versicherung abgeschlossen, mit der nun das Studium finanziert wird. Zum Glück, denn sie studiert in einer anderen Stadt. Aber auch Alexandra jobbt immer wieder nebenher – und wagt es nicht, in die Zukunft zu schauen:

    "Unsere Eltern hatten noch die Chance, etwas aufzubauen, sie konnten für ihre Kinder etwas tun, ihnen etwas hinterlassen, eine Wohnung, ein Auto. Sie hatten die Voraussetzungen dafür, nämlich Arbeit. Wir werden froh sein, wenn wir überhaupt ein Einkommen haben, das uns ernährt."

    Wütend auf ihre Eltern sind sie nicht. Im Gegenteil. Bei der einen wird der Vater alle paar Monate bezahlt, bei der anderen verdienen die Eltern gerade mal so viel, dass sie selbst über die Runden kommen. Und so halten sich die Kinder mit Wünschen und Forderungen mehr als zurück. Wer soll es bezahlen? Und auch Demos sind keine Lösung, meinen die beiden 20-jährigen:

    "Ich gehe nicht auf die Straße, um für meine Rechte zu kämpfen. Ich gehe nicht mehr wählen, das ist mein Protest. Auf der Straße regiert nur die Anarchie, das will ich nicht. Es ist nicht mein Ding, Vitrinen einzuschlagen, Menschen, daran zu hindern, ihrer Arbeit nachzugehen, Häuser oder Autos anzuzünden. Nein."

    "Auch wenn man nur friedlich protestieren will - es mischen sich immer ein paar Gewalttäter unter die Demonstranten. Darauf läuft es immer hinaus."

    Eva dagegen überlegt sich sehr wohl, auf die Straße zu gehen. Noch folgt sie den Tausenden von Aufrufen über Facebook nicht, aber im selbst organisierten Widerstand sieht sie einen Ausweg.

    "Ich will meinen Zorn öffentlich machen, und hoffen, dass ich gehört werde. Gemeinsam mit anderen, jung und alt, aber alle ohne ein Partei im Hintergrund und alle friedlich. Wir stehen doch am Abgrund. Entweder gehen wir alle einen Schritt zurück oder wir nehmen Anlauf und stürzen ab."

    Den etablierten Parteien traut sie nicht. Sie machten leere Versprechungen, die sie nicht einhalten würden. Alle hätten beispielsweise in der Vergangenheit vollmundig erklärt, es müssten die Leistungen und nicht die Beziehungen zählen. Stattdessen bedienten sie nur ihre jeweilige Klientel. Ein Licht im Dunkel sieht Eva nicht. Jetzt perfektioniert sie ihr Englisch – wer weiß, wofür sie es brauchen wird:

    "Die bisherigen Maßnahmen der Regierung haben keinen Erfolg gebracht. Sie scheint keinen Plan B zu haben. Ich muss nun über meinen Plan B nachdenken. Ich überlege, ins Ausland zu gehen. Früher hätte ich davor Angst gehabt, weit weg von zu Hause, von meinen Freunden, meinem Umfeld. Aber mittlerweile kann ich mir das sehr gut vorstellen."

    Die verlorene Generation - Vierteilige Serie über die Ursachen der Jugendproteste in Europa