Clement: Herr Minister Jung, Sie sind nun einige Tage Verteidigungsminister. Was hat Sie eigentlich bewogen, ein Amt zu übernehmen, wo Sie jeden Tag gewärtigen können, dass Sie schlechte Nachrichten aus Afghanistan haben - erst letzte Woche bekamen wir die Nachricht von einem Toten dort -, wo Sie mit Haushaltsrisiken kämpfen müssen, wo man davon spricht, dass die Bundeswehr schlecht ausgestattet ist. Was bewegt einen Politiker, ein solches Amt zu übernehmen?
Jung: Also, ich will mal sagen, natürlich eine Verantwortung für unser Land. Ich habe insgesamt auch in den gesamten Koalitionsverhandlungen, aber auch dann im Zusammenhang mit der Frage der Regierungsbildung mich schon gefreut, als Angela Merkel dann diesen Vorschlag gemacht hat, dass ich dieses Amt übernehmen soll. Ich weiß, dass es ein Amt ist, das einen unmittelbar fordert, Sie haben jetzt ein paar Themen angesprochen.
Auch in den Verhandlungen ging es jetzt erst einmal auch entscheidend darum, die finanziellen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Bundeswehr ihren wichtigen Auftrag, der ja gerade jetzt auch im Transformationsprozess zur "Armee im Einsatz" von großer Bedeutung ist, auch erfüllen kann. Denn eines kann nicht sein: Dass wir Verpflichtungen übernehmen zur Friedenssicherung im Ausland, aber dann vielleicht nicht die Mittel und Möglichkeit haben, um unsere Soldaten erstens ordentlich auszubilden, aber zweitens auch ordentlich auszustatten und auszurüsten bei diesen gefährlichen Einsätzen.
Clement: Sie haben nun Ihren ersten Truppenbesuch gemacht, gleich am ersten oder zweiten Amtstag. Wie war das, was haben Sie dort erfahren, was haben Sie dort erlebt?
Jung: Also, es war für mich sehr interessant. Ich habe ja bewusst die Kaserne gewählt, wo ich 1968 als Rekrut in der Grundausbildung angefangen habe. Und ich muss sagen, es war insofern deshalb besonders interessant, weil man den Transformationsprozess unmittelbar erlebt hat. Ich habe 1968 noch erlebt den letzten scharfen Alarm der Bundeswehr, das heißt, als die Sowjetunion in die Tschechoslowakei einmarschiert ist und wir in einer mehr als schwierigen Situation als Bundeswehr waren. Und deshalb kann man heute froh und glücklich sein, dass wir erstens die Einheit unseres Vaterlandes erreicht haben, aber damit auch der Eiserne Vorhang fiel und der Kalte Krieg beendet wurde.
Aber das ist die nächste Konsequenz, dass jetzt die Bundeswehr im Transformationsprozess sich befindet, damit auch die friedenssichernde Funktion im Auslandseinsatz herstellt. Das war schon von großem Interesse, dass mittlerweile beispielsweise im Gefechtsstand Sie per Satellit direkte Videokonferenzen mit Afghanistan führen können oder mit entsprechenden Orten, wo die Bundeswehr im Einsatz ist. Also man sieht diesen Prozess, der hier unmittelbar stattfindet.
Und was auch insofern neu war im Gegensatz zu damals 1968: Jetzt sind Frauen mit dabei, und das gibt ein neues Bild der Bundeswehr. Es gibt auch ein neues Bild in der gesamten Führungsfunktion. Die Teamfähigkeit in der Truppe scheint mir, hat sich dort doch anders entwickelt, und das finde ich eigentlich sehr positiv.
Clement: Das war ja eine Einheit, wo auch Grundwehrdienstleistende ihren Dienst versehen haben. Sie gehören zu den Befürwortern der Wehrpflicht, der Koalitionsvertrag hat das auch entsprechend so bestätigt. Trotzdem die Frage: Wir diskutieren über Wehrgerechtigkeit sehr viel. Wie begegnen Sie den Vorhaltungen, dass das zurzeit nicht gerecht ist?
Jung: Also, ich will zunächst einmal festhalten: Wir haben gerade 50 Jahre Bundeswehr gefeiert, und ich glaube, zurecht hat die Bundeswehr ein großes Ansehen in der Bevölkerung. Aber das bedeutet auch, dass die Bundeswehr unmittelbar in unserer Demokratie verankert ist. Und das ist, glaube ich, das Entscheidende, was die Wehrpflicht ausmacht. Die Verwurzelung in der Gesellschaft, auch die demokratische Entwicklung der Bundeswehr, der Staatsbürger in Uniform - das ist die entscheidende Grundlage mit, die die Wehrpflicht darstellt. Und deshalb glaube ich, sollten und müssen wir auch festhalten an der Wehrpflicht.
Das nächste Thema ist, dass dadurch, dass immer mehr reduziert wurde im Bereich der Wehrpflicht, sich zurecht die Frage der Wehrgerechtigkeit stellt. Das heißt, die Wehrpflicht ist ja unmittelbar gekoppelt mit der Dienstpflicht, mit dem Zivildienst. Und ich denke, dass es deshalb nicht der richtige Weg wäre, wenn wir weiterhin zurückfahren, weil dann das Thema der Wehrgerechtigkeit auf keinen Fall mehr zu halten ist, sondern dass wir eher versuchen, erstens diesen Prozess zu stoppen, und wenn wir die Möglichkeit und finanziellen Voraussetzungen haben, doch umzustrukturieren, um vielleicht wieder dagegen zu steuern, denn das Thema der Wehrgerechtigkeit, das bewegt insbesondere auch die jungen Menschen. Und ich kann das auch sehr gut nachvollziehen, und deshalb, glaube ich, ist es notwendig, dass wir der Wehrpflicht wieder die Bedeutung zukommen lassen, die sie auch haben muss auch in der zukünftigen Entwicklung der Bundeswehr.
Clement: Das heißt aber, Sie müssen natürlich mehr Geld in die Hand nehmen, um mehr Grundwehrdienstleistende einzustellen.
Jung: Ja, das habe ich gerade eben angedeutet. Das hat etwas mit finanziellen Rahmenbedingungen zu tun. Das hat gegebenenfalls etwas mit Umstrukturierung zu tun. Das ist nicht ein Thema von heute auf morgen. Deshalb ist es mir aber wichtig, erst einmal deutlich zu machen: Der Prozess, der dazu geführt hat, immer mehr zu reduzieren, dass man diesen Prozess beendet und dass man die Voraussetzungen schaffen muss, hier dagegen zu steuern und die Wehrpflicht insofern zu sichern.
Denn wir haben ja schon teilweise erstinstanzliche Urteile, die sich kritisch mit diesen Themen Wehrgerechtigkeit und Wehrpflicht auseinandersetzen, und deshalb denke ich, ist es notwendig, dass wir der Wehrpflicht die Bedeutung zukommen lassen, die ihr gebührt und hier nicht weiterhin zurückfahren.
Clement: In Sachen Finanzen wird ja nun im Zusammenhang mit der Wehrpflicht darüber diskutiert, ob man den Grundwehrdienstleistenden das Weihnachtsgeld und das Entlassungsgeld streichen muss im Zusammenhang mit den Sparbeschlüssen, die die Bundesregierung noch zu fassen hat. Was denkt der Verteidigungsminister Jung darüber?
Jung: Also, darüber werden wir noch zu reden haben. Tatsache ist, dass ich eine Sonderbelastung für die Soldaten, insbesondere für die Wehrpflichtigen, für den falschen Weg erachte. Und ich bin auch dankbar, dass teilweise mein Amtsvorgänger jetzt in seiner Funktion des Fraktionsvorsitzenden auch deutlich gemacht hat, dass er mich in dieser Frage unterstützt. Also, wir werden darüber noch zu sprechen haben. Ich bin nicht dafür, sondern ich werde mich dafür einsetzen, dass hier nicht eine einseitige Belastung für die Soldaten, insbesondere auch für die Wehrpflichtigen, erfolgt.
Clement: Ihren ersten Truppenbesuch haben Sie schon gemacht. Was sind denn die nächsten Schritte, die Sie jetzt unternehmen?
Jung: Also, ich werde selbstverständlich jetzt auch die entsprechenden Antrittsbesuche bei unseren Partnern, sowohl den europäischen Partnern als auch im transatlantischen Bündnis machen. Ich werde beispielsweise am Montag jetzt in Paris sein bei meiner Kollegin und dort die entsprechenden Gespräche führen, auch selbstverständlich dann nachher das Thema NATO. Aber ich werde auch in den Auslandseinsätzen hier versuchen, auch noch in diesem Jahr in den Kosovo zu gehen, werde auch noch, denke ich, vor Weihnachten nach Afghanistan gehen und hier auch die Truppenbesuche fortsetzen.
Das heißt im Klartext, ich möchte den unmittelbaren Bezug zur Truppe, sowohl in ihrer Funktion zur Landesverteidigung, des Schutzes Deutschlands, aber auch in ihrer friedenssichernden Funktion im Ausland. Das sind jetzt die wichtigsten Maßnahmen, die ich noch vor Weihnachten herstellen will.
Clement: Im Koalitionsvertrag liest man, dass die jetzige Regierung mit Auslandseinsätzen ein bisschen vorsichtiger umgehen will, zurückfahren will, nicht mehr so schnell "ja" sagen will. Wie stellen Sie sich das praktisch vor, wenn solche Anfragen kommen?
Jung: Also natürlich haben wir auch internationale Verpflichtungen, die wir wahrzunehmen haben. Aber ich glaube … ich möchte das einmal verdeutlichen: Wir können nur Auslandseinsätze rechtfertigen, wenn die nötigen, auch finanziellen Mittel dafür da sind, diese Soldaten optimal auszurüsten, um ihnen die optimalen Schutzfunktionen mitzugeben. Und das ist, glaube ich, ein entscheidendes Kriterium. Und deshalb müssen wir in der Gesamtverantwortung dafür sorgen.
Wir sind jetzt, wenn man so will, dominierend mit dem Einsatz in Afghanistan, wir haben unsere Verantwortung im Kosovo, wir sind in Bosnien, wir sind auch in anderen Bereichen, beispielsweise in Afrika. Und wir nehmen dort schon breit unsere Verpflichtungen wahr, so dass ich glaube, dass bei der derzeitigen Struktur wir die Koalitionsvereinbarung so verstehen müssen, dass, wenn wir nicht weiterhin finanzielle Mittel aus anderen Haushalten gegebenenfalls bekommen, wir aus der eigenen Situation, aus dem eigenen Haushalt, nicht weitere Verantwortung übernehmen können, weil dafür die Grundlage nicht da ist.
Clement: Die Bundesregierung diskutiert zurzeit darüber, ob Polizisten im Nahen Osten eingesetzt werden sollen im Zusammenhang mit der Grenzkontrolle zwischen Israel und Palästina. Wenn es da mal ein Friedensabkommen geben sollte: Können Sie sich vorstellen, dass in einer europäischen oder einer NATO-Blauhelm-Truppe dann auch deutsche Soldaten bei dieser Friedenssicherung mitwirken?
Jung: Also, darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren, da eine solche Situation nun leider Gottes noch nicht real am Horizont erscheint. Ich halte es allerdings für richtig und wichtig, und wir haben ja auch im Kabinett das entsprechend zu beraten und noch zu entscheiden, dass wir auch bereit sind, auch im europäischen Verbund hier mit Polizeikräften zu helfen, um einen Prozess, einen Friedensprozess zu ermöglichen, mit zu stabilisieren. Wir sind ja auch in anderen Ländern mit Polizeikräften beispielsweise tätig. Und deshalb glaube ich, ist das ein wichtiger und richtiger Akzent im Friedensprozess, dass hier auch deutsche Polizeikräfte im europäischen Verbund hier mit eingesetzt werden.
Clement: Wenn Sie darüber nachdenken, was die US-Regierung an Wünschen an Sie herantragen könnte, wenn Sie dort Ihren Antrittsbesuch machen: Erwarten Sie da einiges, was noch an Wünschen an Deutschland herangetragen wird?
Jung: Ich denke, das wichtigste Signal ist, dass wir die Beziehungen, die transatlantischen Beziehungen wieder positiv gestalten und hier die Dinge, die dort in der Vergangenheit vielleicht im Raum standen, ausräumen. Wir haben ein hervorragendes Verhältnis zu unseren amerikanischen Freunden, nicht nur, weil wir ihnen zu großem Dank verpflichtet sind für den Aufbau unseres Landes, in der Gestaltung der Einheit unseres Vaterlandes, aber auch im Hinblick auf die Sicherheit unseres Landes im transatlantischen Bündnis. Und deshalb, glaube ich, geht es darum, dass wir hier deutlich machen, dass im transatlantischen Bündnis wieder eine neue Atmosphäre entstehen und sich entwickeln muss. Und das, glaube ich, ist der wichtigste Punkt, der insbesondere zu unseren Freunden in Amerika gesetzt werden muss.
Clement: Sie erwarten nicht, dass die mit Wünschen an Sie herantreten und sagen: "Da müssten wir noch ein bisschen mehr von Euch haben, und da vielleicht noch ein bisschen ..."
Jung: ... das kann schon sein, das kann ich nicht ausschließen. Da muss man über das eine oder andere reden. Aber ich glaube, von der Grundstruktur geht es zunächst einmal darum, dass das Vertrauensverhältnis, das Verhältnis der unmittelbaren transatlantischen Beziehungen hier auf eine - ich will sagen - vielleicht doch neue Grundlage gestellt werden muss.
Clement: Herr Minister Jung, im Wahlkampf hat in einigen Wahlkreisen eine Rolle gespielt, ob die Bundeswehr dort wirklich, wie geplant, abgezogen wird, ob Standorte wirklich geschlossen werden. Sie haben einen dicken Aktenordner wahrscheinlich übernommen mit der Stationierungsplanung, die Ihr Vorgänger ja gemacht hat. Wollen Sie den Aktenordner noch einmal aufmachen?
Jung: Nein, also wir haben eindeutig vereinbart, dass das Stationierungskonzept so, wie das im Jahre 2004 auch beschlossen worden ist, bleibt und dass wir dort nicht noch einmal in neue Diskussionen eintreten. Ich habe ja selbst die Diskussionen im meinem eigenen Wahlkreis gehabt. Ich bin vielmehr der Auffassung - das habe ich aber auch bereits unserem Wirtschaftsminister geschrieben -, dass wir schauen müssen, wo wir insbesondere dort, wo sich strukturell solche Entscheidungen sehr schwierig auswirken, wo wir gegebenenfalls auch mit Unterstützung beispielsweise der Länder hier noch helfen können, damit derartige Härtefälle ein Stück ausgeglichen werden. Dort gibt es aber auch schon teilweise - ich sehe es beispielsweise bei mir im nordhessischen Bereich - ganz positive Entwicklungen. Und das ist, glaube ich, jetzt das Entscheidende. Aber ich sage noch einmal: Das Stationierungskonzept bleibt so wie beschlossen.
Clement: Auch im Wahlkampf hat die Union die Forderung erhoben, so eine Art Gendarmerietruppe aufzustellen, also eine Truppe, die in den Bereichen eingesetzt werden kann zwischen reinen Polizeiaufgaben und reinen militärischen Aufgaben. Das hat sich im Koalitionsvertrag noch nicht niedergeschlagen. Ist das so etwas, wo Sie in dieser Legislaturperiode noch einmal drauf zurückkommen werden?
Jung: Also, wir haben ja im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Schutz Deutschlands auch durch die zivile und militärische Zusammenarbeit gewährleistet werden muss. Und ich glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt, der sich fortentwickelt. Denn wir haben heute eine Bedrohungslage, wie sie natürlich auch durch den Terrorismus unmittelbar gegenwärtig ist. Und dort, glaube ich, muss und wird auch die Bundeswehr entsprechende Hilfestellung leisten, wenn es beispielsweise um Angriffe aus der Luft geht oder von See oder andere Maßnahmen, die die Bundeswehr in anderer Art und Weise wahrnehmen kann als beispielsweise die Polizei. Und das ist, glaube ich, das entscheidende Kriterium, dass wir das positiv fortentwickeln, um hier eine zusätzliche Sicherung des Schutzes Deutschlands zu gewährleisten.
Clement: Das kann man ja auch übertragen auf das Ausland. Die Bundeswehr übernimmt ja auch im Kosovo, in Afghanistan immer wieder Polizeiaufgaben. Warum macht das nicht eine Polizeitruppe? Das würde Sie entlasten. Die wären besser ausgebildet dafür.
Jung: Das ist richtig. Dort müssen wir auch im einen oder anderen Punkt vielleicht über zukünftige Entwicklung sprechen. Ich will nur deutlich sagen, und dort, glaube ich, muss man die Grenze ziehen: Auf der einen Seite ist es richtig und notwendig, dass Bundeswehr hilft dort, wo sie besser ausgestattet ist. Ich sage jetzt einmal Luftangriff, Terrorismus. Aber es darf auf der anderen Seite auch nicht sein, dass sie für Maßnahmen eingesetzt wird, für die sie gerade nicht ausgebildet ist, sozusagen - ich sage es einmal etwas salopp - so eine Hilfspolizeifunktion übernimmt. Das ist nicht die Aufgabe der Bundeswehr. Und das, glaube ich, sollten wir auch nicht tun. Und wenn wir dort Möglichkeiten haben auch der Umstrukturierung in den Auslandseinsätzen, sollten wir hierüber reden.
Clement: Die Koalition hat vereinbart, dass möglicherweise in dem Zusammenhang auch eine Klarstellung des Grundgesetzes denkbar wäre. Wie stellen Sie sich das unter Umständen vor?
Jung: Also, wir haben ja gerade die Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz. Und hier wird das Bundesverfassungsgericht auch, denke ich, in seiner Entscheidung deutlich machen, ob es eine weitere gesetzliche Klarstellung verlangt. Beispielsweise der Artikel 35 Grundgesetz spricht ja nur von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen. Und wenn das Bundesverfassungsgericht derartige Voraussetzungen als notwendig ansieht wie beispielsweise Hilfestellung bei terroristischen Angriffen, dann sind wir uns einig, dass wir dann auch eine solche Klarstellung vornehmen.
Clement: Sie haben angekündigt, ein Weißbuch wird innerhalb eines Jahres aufgelegt. Die Ankündigung haben wir schon oft gehört von vielen Ihrer Vorgänger. Was soll uns nun so sicher machen, dass Sie das diesmal hinkriegen?
Jung: Also, das letzte Weißbuch gab es 1994. Und deshalb glaube ich, ist es schon notwendig, auch gerade jetzt in dem gesamten Transformationsprozess, deutlich zu machen, eine Standortbestimmung vorzunehmen, auch strategische Zielvorstellungen zu entwickeln, und das auch dann nachher im Kabinett, also von der gesamten Regierung, zu vereinbaren. Es ist ja so, dass auch die verteidigungspolitischen Richtlinien, die mein Vorgänger Struck hier verabschiedet hat, nicht durch Kabinettsbeschluss gedeckt wurden. Das war offensichtlich in der rot-grünen Koalition nicht möglich. Und deshalb, glaube ich, ist ein derartiges Weißbuch notwendig, so auch in der Koalition vereinbar. Und da ich beabsichtige, Koalitionsvereinbarungen auch entsprechend umzusetzen, bin ich recht optimistisch, dass uns das auch gelingt.
Clement: Kann man sich vorstellen, dass Sie das angeblich fast fertige Weißbuch der Vorgängerregierung einfach mal durchlesen und sagen: Okay, das gefällt mir, das können wir nehmen?
Jung: Also, auf der einen Seite glaube ich, ist es schon notwendig, dass wir auch in einer gewissen Kontinuität stehen und dass wir auch beispielsweise die Bundeswehr, das ist auch mein Ziel, möglichst aus dem parteipolitischen Streit heraushalten. Es ist ja auch so, dass beispielsweise auch schwierige Auslandseinsätze durchaus jetzt auch mit einer breiten Mehrheit, jetzt ja auch gerade aktuell, im deutschen Bundestag beschlossen worden sind.
Aber auf der anderen Seite wird natürlich auch ein Weißbuch, das strategische Überlegungen, auch ein Stück für die Zukunft, beinhaltet, den einen oder anderen neuen Akzent zu setzen haben. Und deshalb werde ich mir das selbstverständlich anschauen, aber ich werde auch darüber nachdenken, wo es gegebenenfalls noch weitere Akzente bedarf, um sozusagen die Konzeption, die auch vereinbart worden ist in der Koalition, dann auch inhaltlich so festzulegen.
Clement: Der Bundespräsident hat in seiner Rede vor der Kommandeurtagung gesagt, dass es so eine Art positives Desinteresse an der Bundeswehr in der Öffentlichkeit gibt. Sie sagen, Sie möchten die Bundeswehr aus der Diskussion heraushalten. Wäre nicht eine sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland mal dringend nötig?
Jung: Also, ich will die Bundeswehr aus dem parteipolitischen Streit heraushalten. Eine sicherheitspolitische Diskussion wird, denke ich, auch im Zusammenhang mit dem Weißbuch auch zu führen sein, weil schon deutlich werden muss, welch wichtige Funktion die Bundeswehr im Inneren wahrnimmt, aber auch jetzt im Transformationsprozess im Einsatz wahrnimmt, die Armee im Einsatz. Und das ist, glaube ich, ein Punkt, wo wir auch noch ein bisschen mehr werben müssen in der Bevölkerung.
Das Ansehen der Bundeswehr im Inneren ist sehr hoch, insbesondere auch durch Einsätze wie Hilfe bei Hochwasserschutz und andere Maßnahmen. Die Frage der friedenssichernden Funktion, dort ist noch nicht so im Bewusstsein der Bevölkerung, welch positives Ansehen beispielsweise die Bundeswehr in Afghanistan hat, was sie beispielsweise positiv getan hat, um die freien Wahlen dort zu ermöglichen, was sie tut in Unterstützungsaktionen.
Das ist, glaube ich, noch ein Punkt, wo es auch durchaus sinnvoll ist, auch in der sicherheitspolitischen Diskussion noch etwas mehr Unterstützung von der Bevölkerung zu erfahren, damit wir nicht nur immer die Bilder sehen, die wir dann leider Gottes letzte Woche wieder sehen mussten, sondern damit man auch sieht, wie sich die friedenssichernde Funktion der Bundeswehr beispielsweise in Afghanistan unmittelbar darstellt oder auch in den Einsätzen, die jetzt im Kosovo oder in anderen Ländern geleistet werden.
Clement: Ist es nicht für eine solche sicherheitspolitische Diskussion noch einmal dringend notwendig, dass die sicherheitspolitischen Interessen oder die politischen Interessen Deutschlands mal klar und eindeutig definiert werden?
Jung: Das gehört, denke ich, in dem Zusammenhang auch dazu. Und das ist auch Sinn und Zweck eines Weißbuches, weil das zur Frage auch der nationalen Sicherheitsstrategie gehört, denn es ist eben heute so, dass wir einmal das Thema der Landesverteidigung, des Schutzes Deutschlands unmittelbar haben für Deutschland, aber diese Schutzfunktion auch dadurch gewährleistet wird, indem eben friedenssichernde Funktionen im Ausland wahrgenommen werden.
Und deshalb muss dieser Transformationsprozess, der jetzt ja unmittelbar sich auf die Bundeswehr auswirkt, muss auch ein bisschen in der sicherheitspolitischen Diskussion auch öffentlich vielleicht noch etwas offensiver kommuniziert werden, weil ich schon glaube, dass wir auch für diese wichtige Funktion weiterhin die Unterstützung der Bevölkerung brauchen.
Clement: Herr Minister Jung, die Bundesregierung wird demnächst einen neuen Haushalt aufstellen müssen, den Haushalt 2006. Haben Sie schon mal mit Ihrem Finanzministerkollegen Steinbrück darüber gesprochen, was auf Sie zukommt an Einsparungen? Wie werden Sie ausgespart? Wie viel können Sie verkraften?
Jung: Also, ich habe selbstverständlich schon mit dem Kollegen Steinbrück über die Frage gesprochen. Das war ja auch ein Thema, das in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt hat. Und ich glaube, ich habe auch deutlich gemacht, dass gerade die Bundeswehr in den letzten Jahren immer entsprechende Einsparungen vornehmen musste, so dass aus meiner Sicht das jetzt völlig ausgereizt ist und wir eine finanzielle Grundlage brauchen, um die Aufgaben erfüllen zu können und deshalb keine große Luft hier mehr ist für irgendwelche Einsparungen. Und ich denke, das ist auch in der Koalition so akzeptiert worden, denn Sie wissen, dass wir dort nicht über weitere Reduzierung der Bundeswehr gesprochen haben, sondern dass das so stabil zu halten ist, wie es sich jetzt darstellt. Und das wird auch meine Zielvorstellung für den Haushalt 2006 sein.
Clement: Das heißt, Sie hoffen, dass Sie ohne weitere Einsparung gegenüber der bisherigen Planung durchkommen?
Jung: Ich hoffe, dass insgesamt auch in der Koalition das so gesehen wird, dass wir für die Aufgaben der Bundeswehr eine finanzielle Grundlage brauchen, um das zu ermöglichen. Und ich sage noch einmal, beispielsweise in den schwierigen und auch gefährlichen Auslandseinsätzen, die die Bundeswehr abzuwickeln hat, ist das natürlich auch mit finanziellen Mitteln verbunden. Und die müssen dann auch vorhanden sein. Und deshalb, glaube ich, gibt es keine große Chance, dass wir hier noch weitere Reduzierungen im Haushalt vornehmen, sondern wir müssen die Grundlage und, wenn wir unsere Sicherheit gewährleisten wollen, auch dafür die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen.
Clement: Ein Punkt, der die Soldaten natürlich sehr stark beschäftigt, ist die Frage, die Sie auch aufgegriffen haben im Koalitionsvertrag, einer besonderen Besoldung für die Soldaten. Wie müssen wir uns das vorstellen?
Jung: Ja, wir haben darüber gesprochen, dass man hier eine eigene Regelung für die Soldaten vorsieht, weil ja doch teilweise die Soldaten beispielsweise im Auslandseinsatz stehen - es gab ja auch einmal eine Überlegung, dass hier diese Zulagen gestrichen werden sollen, da haben wir uns allerdings schon in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Ich bin allerdings der Meinung, man kann es vielleicht an dem Bild ganz schön deutlich machen: Auf der einen Seite sind natürlich die Auslandszulagen beispielsweise für die Beamten in Brüssel und so weiter, die sind aber auf der gleichen Ebene wie letztlich die Soldaten im Auslandseinsatz in Afghanistan. Und ich sehe hier gewisse Unterschiede.
Und deshalb glaube ich, muss man auch hier, was die Situation der Soldaten anbelangt, zu anderen Regelungen kommen. Auch ist das eine Diskussion, die auch vom Bundeswehrverband ja geführt wird. Und deshalb haben wir vereinbart, dass es unsere Zielrichtung ist, hier für die Soldaten eine eigene Grundlage zu schaffen, um der besonderen Situation, der die Soldaten auch ausgesetzt sind, hier auch Rechnung tragen zu können.
Clement: Besondere Situation heißt?
Jung: Besondere Situation heißt gefährliche Auslandseinsätze im konkreten. Besondere Situation heißt aber auch, dass wir beispielsweise eine Struktur haben des einfachen und mittleren Dienstes von ca. 145.000 Soldatinnen und Soldaten und dass wir auch dort in der Struktur schauen müssen, sie sind mit erheblichen Belastungen verbunden für die Soldatinnen und Soldaten, auch wenn es um Versetzungen und andere Fragen geht, wo man beispielsweise sich völlig anders verhält als ansonsten im Beamtenverhältnis, und deshalb der besonderen Situation der Soldaten angemessen auch zu einer Regelung kommt.
Jung: Also, ich will mal sagen, natürlich eine Verantwortung für unser Land. Ich habe insgesamt auch in den gesamten Koalitionsverhandlungen, aber auch dann im Zusammenhang mit der Frage der Regierungsbildung mich schon gefreut, als Angela Merkel dann diesen Vorschlag gemacht hat, dass ich dieses Amt übernehmen soll. Ich weiß, dass es ein Amt ist, das einen unmittelbar fordert, Sie haben jetzt ein paar Themen angesprochen.
Auch in den Verhandlungen ging es jetzt erst einmal auch entscheidend darum, die finanziellen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Bundeswehr ihren wichtigen Auftrag, der ja gerade jetzt auch im Transformationsprozess zur "Armee im Einsatz" von großer Bedeutung ist, auch erfüllen kann. Denn eines kann nicht sein: Dass wir Verpflichtungen übernehmen zur Friedenssicherung im Ausland, aber dann vielleicht nicht die Mittel und Möglichkeit haben, um unsere Soldaten erstens ordentlich auszubilden, aber zweitens auch ordentlich auszustatten und auszurüsten bei diesen gefährlichen Einsätzen.
Clement: Sie haben nun Ihren ersten Truppenbesuch gemacht, gleich am ersten oder zweiten Amtstag. Wie war das, was haben Sie dort erfahren, was haben Sie dort erlebt?
Jung: Also, es war für mich sehr interessant. Ich habe ja bewusst die Kaserne gewählt, wo ich 1968 als Rekrut in der Grundausbildung angefangen habe. Und ich muss sagen, es war insofern deshalb besonders interessant, weil man den Transformationsprozess unmittelbar erlebt hat. Ich habe 1968 noch erlebt den letzten scharfen Alarm der Bundeswehr, das heißt, als die Sowjetunion in die Tschechoslowakei einmarschiert ist und wir in einer mehr als schwierigen Situation als Bundeswehr waren. Und deshalb kann man heute froh und glücklich sein, dass wir erstens die Einheit unseres Vaterlandes erreicht haben, aber damit auch der Eiserne Vorhang fiel und der Kalte Krieg beendet wurde.
Aber das ist die nächste Konsequenz, dass jetzt die Bundeswehr im Transformationsprozess sich befindet, damit auch die friedenssichernde Funktion im Auslandseinsatz herstellt. Das war schon von großem Interesse, dass mittlerweile beispielsweise im Gefechtsstand Sie per Satellit direkte Videokonferenzen mit Afghanistan führen können oder mit entsprechenden Orten, wo die Bundeswehr im Einsatz ist. Also man sieht diesen Prozess, der hier unmittelbar stattfindet.
Und was auch insofern neu war im Gegensatz zu damals 1968: Jetzt sind Frauen mit dabei, und das gibt ein neues Bild der Bundeswehr. Es gibt auch ein neues Bild in der gesamten Führungsfunktion. Die Teamfähigkeit in der Truppe scheint mir, hat sich dort doch anders entwickelt, und das finde ich eigentlich sehr positiv.
Clement: Das war ja eine Einheit, wo auch Grundwehrdienstleistende ihren Dienst versehen haben. Sie gehören zu den Befürwortern der Wehrpflicht, der Koalitionsvertrag hat das auch entsprechend so bestätigt. Trotzdem die Frage: Wir diskutieren über Wehrgerechtigkeit sehr viel. Wie begegnen Sie den Vorhaltungen, dass das zurzeit nicht gerecht ist?
Jung: Also, ich will zunächst einmal festhalten: Wir haben gerade 50 Jahre Bundeswehr gefeiert, und ich glaube, zurecht hat die Bundeswehr ein großes Ansehen in der Bevölkerung. Aber das bedeutet auch, dass die Bundeswehr unmittelbar in unserer Demokratie verankert ist. Und das ist, glaube ich, das Entscheidende, was die Wehrpflicht ausmacht. Die Verwurzelung in der Gesellschaft, auch die demokratische Entwicklung der Bundeswehr, der Staatsbürger in Uniform - das ist die entscheidende Grundlage mit, die die Wehrpflicht darstellt. Und deshalb glaube ich, sollten und müssen wir auch festhalten an der Wehrpflicht.
Das nächste Thema ist, dass dadurch, dass immer mehr reduziert wurde im Bereich der Wehrpflicht, sich zurecht die Frage der Wehrgerechtigkeit stellt. Das heißt, die Wehrpflicht ist ja unmittelbar gekoppelt mit der Dienstpflicht, mit dem Zivildienst. Und ich denke, dass es deshalb nicht der richtige Weg wäre, wenn wir weiterhin zurückfahren, weil dann das Thema der Wehrgerechtigkeit auf keinen Fall mehr zu halten ist, sondern dass wir eher versuchen, erstens diesen Prozess zu stoppen, und wenn wir die Möglichkeit und finanziellen Voraussetzungen haben, doch umzustrukturieren, um vielleicht wieder dagegen zu steuern, denn das Thema der Wehrgerechtigkeit, das bewegt insbesondere auch die jungen Menschen. Und ich kann das auch sehr gut nachvollziehen, und deshalb, glaube ich, ist es notwendig, dass wir der Wehrpflicht wieder die Bedeutung zukommen lassen, die sie auch haben muss auch in der zukünftigen Entwicklung der Bundeswehr.
Clement: Das heißt aber, Sie müssen natürlich mehr Geld in die Hand nehmen, um mehr Grundwehrdienstleistende einzustellen.
Jung: Ja, das habe ich gerade eben angedeutet. Das hat etwas mit finanziellen Rahmenbedingungen zu tun. Das hat gegebenenfalls etwas mit Umstrukturierung zu tun. Das ist nicht ein Thema von heute auf morgen. Deshalb ist es mir aber wichtig, erst einmal deutlich zu machen: Der Prozess, der dazu geführt hat, immer mehr zu reduzieren, dass man diesen Prozess beendet und dass man die Voraussetzungen schaffen muss, hier dagegen zu steuern und die Wehrpflicht insofern zu sichern.
Denn wir haben ja schon teilweise erstinstanzliche Urteile, die sich kritisch mit diesen Themen Wehrgerechtigkeit und Wehrpflicht auseinandersetzen, und deshalb denke ich, ist es notwendig, dass wir der Wehrpflicht die Bedeutung zukommen lassen, die ihr gebührt und hier nicht weiterhin zurückfahren.
Clement: In Sachen Finanzen wird ja nun im Zusammenhang mit der Wehrpflicht darüber diskutiert, ob man den Grundwehrdienstleistenden das Weihnachtsgeld und das Entlassungsgeld streichen muss im Zusammenhang mit den Sparbeschlüssen, die die Bundesregierung noch zu fassen hat. Was denkt der Verteidigungsminister Jung darüber?
Jung: Also, darüber werden wir noch zu reden haben. Tatsache ist, dass ich eine Sonderbelastung für die Soldaten, insbesondere für die Wehrpflichtigen, für den falschen Weg erachte. Und ich bin auch dankbar, dass teilweise mein Amtsvorgänger jetzt in seiner Funktion des Fraktionsvorsitzenden auch deutlich gemacht hat, dass er mich in dieser Frage unterstützt. Also, wir werden darüber noch zu sprechen haben. Ich bin nicht dafür, sondern ich werde mich dafür einsetzen, dass hier nicht eine einseitige Belastung für die Soldaten, insbesondere auch für die Wehrpflichtigen, erfolgt.
Clement: Ihren ersten Truppenbesuch haben Sie schon gemacht. Was sind denn die nächsten Schritte, die Sie jetzt unternehmen?
Jung: Also, ich werde selbstverständlich jetzt auch die entsprechenden Antrittsbesuche bei unseren Partnern, sowohl den europäischen Partnern als auch im transatlantischen Bündnis machen. Ich werde beispielsweise am Montag jetzt in Paris sein bei meiner Kollegin und dort die entsprechenden Gespräche führen, auch selbstverständlich dann nachher das Thema NATO. Aber ich werde auch in den Auslandseinsätzen hier versuchen, auch noch in diesem Jahr in den Kosovo zu gehen, werde auch noch, denke ich, vor Weihnachten nach Afghanistan gehen und hier auch die Truppenbesuche fortsetzen.
Das heißt im Klartext, ich möchte den unmittelbaren Bezug zur Truppe, sowohl in ihrer Funktion zur Landesverteidigung, des Schutzes Deutschlands, aber auch in ihrer friedenssichernden Funktion im Ausland. Das sind jetzt die wichtigsten Maßnahmen, die ich noch vor Weihnachten herstellen will.
Clement: Im Koalitionsvertrag liest man, dass die jetzige Regierung mit Auslandseinsätzen ein bisschen vorsichtiger umgehen will, zurückfahren will, nicht mehr so schnell "ja" sagen will. Wie stellen Sie sich das praktisch vor, wenn solche Anfragen kommen?
Jung: Also natürlich haben wir auch internationale Verpflichtungen, die wir wahrzunehmen haben. Aber ich glaube … ich möchte das einmal verdeutlichen: Wir können nur Auslandseinsätze rechtfertigen, wenn die nötigen, auch finanziellen Mittel dafür da sind, diese Soldaten optimal auszurüsten, um ihnen die optimalen Schutzfunktionen mitzugeben. Und das ist, glaube ich, ein entscheidendes Kriterium. Und deshalb müssen wir in der Gesamtverantwortung dafür sorgen.
Wir sind jetzt, wenn man so will, dominierend mit dem Einsatz in Afghanistan, wir haben unsere Verantwortung im Kosovo, wir sind in Bosnien, wir sind auch in anderen Bereichen, beispielsweise in Afrika. Und wir nehmen dort schon breit unsere Verpflichtungen wahr, so dass ich glaube, dass bei der derzeitigen Struktur wir die Koalitionsvereinbarung so verstehen müssen, dass, wenn wir nicht weiterhin finanzielle Mittel aus anderen Haushalten gegebenenfalls bekommen, wir aus der eigenen Situation, aus dem eigenen Haushalt, nicht weitere Verantwortung übernehmen können, weil dafür die Grundlage nicht da ist.
Clement: Die Bundesregierung diskutiert zurzeit darüber, ob Polizisten im Nahen Osten eingesetzt werden sollen im Zusammenhang mit der Grenzkontrolle zwischen Israel und Palästina. Wenn es da mal ein Friedensabkommen geben sollte: Können Sie sich vorstellen, dass in einer europäischen oder einer NATO-Blauhelm-Truppe dann auch deutsche Soldaten bei dieser Friedenssicherung mitwirken?
Jung: Also, darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren, da eine solche Situation nun leider Gottes noch nicht real am Horizont erscheint. Ich halte es allerdings für richtig und wichtig, und wir haben ja auch im Kabinett das entsprechend zu beraten und noch zu entscheiden, dass wir auch bereit sind, auch im europäischen Verbund hier mit Polizeikräften zu helfen, um einen Prozess, einen Friedensprozess zu ermöglichen, mit zu stabilisieren. Wir sind ja auch in anderen Ländern mit Polizeikräften beispielsweise tätig. Und deshalb glaube ich, ist das ein wichtiger und richtiger Akzent im Friedensprozess, dass hier auch deutsche Polizeikräfte im europäischen Verbund hier mit eingesetzt werden.
Clement: Wenn Sie darüber nachdenken, was die US-Regierung an Wünschen an Sie herantragen könnte, wenn Sie dort Ihren Antrittsbesuch machen: Erwarten Sie da einiges, was noch an Wünschen an Deutschland herangetragen wird?
Jung: Ich denke, das wichtigste Signal ist, dass wir die Beziehungen, die transatlantischen Beziehungen wieder positiv gestalten und hier die Dinge, die dort in der Vergangenheit vielleicht im Raum standen, ausräumen. Wir haben ein hervorragendes Verhältnis zu unseren amerikanischen Freunden, nicht nur, weil wir ihnen zu großem Dank verpflichtet sind für den Aufbau unseres Landes, in der Gestaltung der Einheit unseres Vaterlandes, aber auch im Hinblick auf die Sicherheit unseres Landes im transatlantischen Bündnis. Und deshalb, glaube ich, geht es darum, dass wir hier deutlich machen, dass im transatlantischen Bündnis wieder eine neue Atmosphäre entstehen und sich entwickeln muss. Und das, glaube ich, ist der wichtigste Punkt, der insbesondere zu unseren Freunden in Amerika gesetzt werden muss.
Clement: Sie erwarten nicht, dass die mit Wünschen an Sie herantreten und sagen: "Da müssten wir noch ein bisschen mehr von Euch haben, und da vielleicht noch ein bisschen ..."
Jung: ... das kann schon sein, das kann ich nicht ausschließen. Da muss man über das eine oder andere reden. Aber ich glaube, von der Grundstruktur geht es zunächst einmal darum, dass das Vertrauensverhältnis, das Verhältnis der unmittelbaren transatlantischen Beziehungen hier auf eine - ich will sagen - vielleicht doch neue Grundlage gestellt werden muss.
Clement: Herr Minister Jung, im Wahlkampf hat in einigen Wahlkreisen eine Rolle gespielt, ob die Bundeswehr dort wirklich, wie geplant, abgezogen wird, ob Standorte wirklich geschlossen werden. Sie haben einen dicken Aktenordner wahrscheinlich übernommen mit der Stationierungsplanung, die Ihr Vorgänger ja gemacht hat. Wollen Sie den Aktenordner noch einmal aufmachen?
Jung: Nein, also wir haben eindeutig vereinbart, dass das Stationierungskonzept so, wie das im Jahre 2004 auch beschlossen worden ist, bleibt und dass wir dort nicht noch einmal in neue Diskussionen eintreten. Ich habe ja selbst die Diskussionen im meinem eigenen Wahlkreis gehabt. Ich bin vielmehr der Auffassung - das habe ich aber auch bereits unserem Wirtschaftsminister geschrieben -, dass wir schauen müssen, wo wir insbesondere dort, wo sich strukturell solche Entscheidungen sehr schwierig auswirken, wo wir gegebenenfalls auch mit Unterstützung beispielsweise der Länder hier noch helfen können, damit derartige Härtefälle ein Stück ausgeglichen werden. Dort gibt es aber auch schon teilweise - ich sehe es beispielsweise bei mir im nordhessischen Bereich - ganz positive Entwicklungen. Und das ist, glaube ich, jetzt das Entscheidende. Aber ich sage noch einmal: Das Stationierungskonzept bleibt so wie beschlossen.
Clement: Auch im Wahlkampf hat die Union die Forderung erhoben, so eine Art Gendarmerietruppe aufzustellen, also eine Truppe, die in den Bereichen eingesetzt werden kann zwischen reinen Polizeiaufgaben und reinen militärischen Aufgaben. Das hat sich im Koalitionsvertrag noch nicht niedergeschlagen. Ist das so etwas, wo Sie in dieser Legislaturperiode noch einmal drauf zurückkommen werden?
Jung: Also, wir haben ja im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Schutz Deutschlands auch durch die zivile und militärische Zusammenarbeit gewährleistet werden muss. Und ich glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt, der sich fortentwickelt. Denn wir haben heute eine Bedrohungslage, wie sie natürlich auch durch den Terrorismus unmittelbar gegenwärtig ist. Und dort, glaube ich, muss und wird auch die Bundeswehr entsprechende Hilfestellung leisten, wenn es beispielsweise um Angriffe aus der Luft geht oder von See oder andere Maßnahmen, die die Bundeswehr in anderer Art und Weise wahrnehmen kann als beispielsweise die Polizei. Und das ist, glaube ich, das entscheidende Kriterium, dass wir das positiv fortentwickeln, um hier eine zusätzliche Sicherung des Schutzes Deutschlands zu gewährleisten.
Clement: Das kann man ja auch übertragen auf das Ausland. Die Bundeswehr übernimmt ja auch im Kosovo, in Afghanistan immer wieder Polizeiaufgaben. Warum macht das nicht eine Polizeitruppe? Das würde Sie entlasten. Die wären besser ausgebildet dafür.
Jung: Das ist richtig. Dort müssen wir auch im einen oder anderen Punkt vielleicht über zukünftige Entwicklung sprechen. Ich will nur deutlich sagen, und dort, glaube ich, muss man die Grenze ziehen: Auf der einen Seite ist es richtig und notwendig, dass Bundeswehr hilft dort, wo sie besser ausgestattet ist. Ich sage jetzt einmal Luftangriff, Terrorismus. Aber es darf auf der anderen Seite auch nicht sein, dass sie für Maßnahmen eingesetzt wird, für die sie gerade nicht ausgebildet ist, sozusagen - ich sage es einmal etwas salopp - so eine Hilfspolizeifunktion übernimmt. Das ist nicht die Aufgabe der Bundeswehr. Und das, glaube ich, sollten wir auch nicht tun. Und wenn wir dort Möglichkeiten haben auch der Umstrukturierung in den Auslandseinsätzen, sollten wir hierüber reden.
Clement: Die Koalition hat vereinbart, dass möglicherweise in dem Zusammenhang auch eine Klarstellung des Grundgesetzes denkbar wäre. Wie stellen Sie sich das unter Umständen vor?
Jung: Also, wir haben ja gerade die Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz. Und hier wird das Bundesverfassungsgericht auch, denke ich, in seiner Entscheidung deutlich machen, ob es eine weitere gesetzliche Klarstellung verlangt. Beispielsweise der Artikel 35 Grundgesetz spricht ja nur von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen. Und wenn das Bundesverfassungsgericht derartige Voraussetzungen als notwendig ansieht wie beispielsweise Hilfestellung bei terroristischen Angriffen, dann sind wir uns einig, dass wir dann auch eine solche Klarstellung vornehmen.
Clement: Sie haben angekündigt, ein Weißbuch wird innerhalb eines Jahres aufgelegt. Die Ankündigung haben wir schon oft gehört von vielen Ihrer Vorgänger. Was soll uns nun so sicher machen, dass Sie das diesmal hinkriegen?
Jung: Also, das letzte Weißbuch gab es 1994. Und deshalb glaube ich, ist es schon notwendig, auch gerade jetzt in dem gesamten Transformationsprozess, deutlich zu machen, eine Standortbestimmung vorzunehmen, auch strategische Zielvorstellungen zu entwickeln, und das auch dann nachher im Kabinett, also von der gesamten Regierung, zu vereinbaren. Es ist ja so, dass auch die verteidigungspolitischen Richtlinien, die mein Vorgänger Struck hier verabschiedet hat, nicht durch Kabinettsbeschluss gedeckt wurden. Das war offensichtlich in der rot-grünen Koalition nicht möglich. Und deshalb, glaube ich, ist ein derartiges Weißbuch notwendig, so auch in der Koalition vereinbar. Und da ich beabsichtige, Koalitionsvereinbarungen auch entsprechend umzusetzen, bin ich recht optimistisch, dass uns das auch gelingt.
Clement: Kann man sich vorstellen, dass Sie das angeblich fast fertige Weißbuch der Vorgängerregierung einfach mal durchlesen und sagen: Okay, das gefällt mir, das können wir nehmen?
Jung: Also, auf der einen Seite glaube ich, ist es schon notwendig, dass wir auch in einer gewissen Kontinuität stehen und dass wir auch beispielsweise die Bundeswehr, das ist auch mein Ziel, möglichst aus dem parteipolitischen Streit heraushalten. Es ist ja auch so, dass beispielsweise auch schwierige Auslandseinsätze durchaus jetzt auch mit einer breiten Mehrheit, jetzt ja auch gerade aktuell, im deutschen Bundestag beschlossen worden sind.
Aber auf der anderen Seite wird natürlich auch ein Weißbuch, das strategische Überlegungen, auch ein Stück für die Zukunft, beinhaltet, den einen oder anderen neuen Akzent zu setzen haben. Und deshalb werde ich mir das selbstverständlich anschauen, aber ich werde auch darüber nachdenken, wo es gegebenenfalls noch weitere Akzente bedarf, um sozusagen die Konzeption, die auch vereinbart worden ist in der Koalition, dann auch inhaltlich so festzulegen.
Clement: Der Bundespräsident hat in seiner Rede vor der Kommandeurtagung gesagt, dass es so eine Art positives Desinteresse an der Bundeswehr in der Öffentlichkeit gibt. Sie sagen, Sie möchten die Bundeswehr aus der Diskussion heraushalten. Wäre nicht eine sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland mal dringend nötig?
Jung: Also, ich will die Bundeswehr aus dem parteipolitischen Streit heraushalten. Eine sicherheitspolitische Diskussion wird, denke ich, auch im Zusammenhang mit dem Weißbuch auch zu führen sein, weil schon deutlich werden muss, welch wichtige Funktion die Bundeswehr im Inneren wahrnimmt, aber auch jetzt im Transformationsprozess im Einsatz wahrnimmt, die Armee im Einsatz. Und das ist, glaube ich, ein Punkt, wo wir auch noch ein bisschen mehr werben müssen in der Bevölkerung.
Das Ansehen der Bundeswehr im Inneren ist sehr hoch, insbesondere auch durch Einsätze wie Hilfe bei Hochwasserschutz und andere Maßnahmen. Die Frage der friedenssichernden Funktion, dort ist noch nicht so im Bewusstsein der Bevölkerung, welch positives Ansehen beispielsweise die Bundeswehr in Afghanistan hat, was sie beispielsweise positiv getan hat, um die freien Wahlen dort zu ermöglichen, was sie tut in Unterstützungsaktionen.
Das ist, glaube ich, noch ein Punkt, wo es auch durchaus sinnvoll ist, auch in der sicherheitspolitischen Diskussion noch etwas mehr Unterstützung von der Bevölkerung zu erfahren, damit wir nicht nur immer die Bilder sehen, die wir dann leider Gottes letzte Woche wieder sehen mussten, sondern damit man auch sieht, wie sich die friedenssichernde Funktion der Bundeswehr beispielsweise in Afghanistan unmittelbar darstellt oder auch in den Einsätzen, die jetzt im Kosovo oder in anderen Ländern geleistet werden.
Clement: Ist es nicht für eine solche sicherheitspolitische Diskussion noch einmal dringend notwendig, dass die sicherheitspolitischen Interessen oder die politischen Interessen Deutschlands mal klar und eindeutig definiert werden?
Jung: Das gehört, denke ich, in dem Zusammenhang auch dazu. Und das ist auch Sinn und Zweck eines Weißbuches, weil das zur Frage auch der nationalen Sicherheitsstrategie gehört, denn es ist eben heute so, dass wir einmal das Thema der Landesverteidigung, des Schutzes Deutschlands unmittelbar haben für Deutschland, aber diese Schutzfunktion auch dadurch gewährleistet wird, indem eben friedenssichernde Funktionen im Ausland wahrgenommen werden.
Und deshalb muss dieser Transformationsprozess, der jetzt ja unmittelbar sich auf die Bundeswehr auswirkt, muss auch ein bisschen in der sicherheitspolitischen Diskussion auch öffentlich vielleicht noch etwas offensiver kommuniziert werden, weil ich schon glaube, dass wir auch für diese wichtige Funktion weiterhin die Unterstützung der Bevölkerung brauchen.
Clement: Herr Minister Jung, die Bundesregierung wird demnächst einen neuen Haushalt aufstellen müssen, den Haushalt 2006. Haben Sie schon mal mit Ihrem Finanzministerkollegen Steinbrück darüber gesprochen, was auf Sie zukommt an Einsparungen? Wie werden Sie ausgespart? Wie viel können Sie verkraften?
Jung: Also, ich habe selbstverständlich schon mit dem Kollegen Steinbrück über die Frage gesprochen. Das war ja auch ein Thema, das in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt hat. Und ich glaube, ich habe auch deutlich gemacht, dass gerade die Bundeswehr in den letzten Jahren immer entsprechende Einsparungen vornehmen musste, so dass aus meiner Sicht das jetzt völlig ausgereizt ist und wir eine finanzielle Grundlage brauchen, um die Aufgaben erfüllen zu können und deshalb keine große Luft hier mehr ist für irgendwelche Einsparungen. Und ich denke, das ist auch in der Koalition so akzeptiert worden, denn Sie wissen, dass wir dort nicht über weitere Reduzierung der Bundeswehr gesprochen haben, sondern dass das so stabil zu halten ist, wie es sich jetzt darstellt. Und das wird auch meine Zielvorstellung für den Haushalt 2006 sein.
Clement: Das heißt, Sie hoffen, dass Sie ohne weitere Einsparung gegenüber der bisherigen Planung durchkommen?
Jung: Ich hoffe, dass insgesamt auch in der Koalition das so gesehen wird, dass wir für die Aufgaben der Bundeswehr eine finanzielle Grundlage brauchen, um das zu ermöglichen. Und ich sage noch einmal, beispielsweise in den schwierigen und auch gefährlichen Auslandseinsätzen, die die Bundeswehr abzuwickeln hat, ist das natürlich auch mit finanziellen Mitteln verbunden. Und die müssen dann auch vorhanden sein. Und deshalb, glaube ich, gibt es keine große Chance, dass wir hier noch weitere Reduzierungen im Haushalt vornehmen, sondern wir müssen die Grundlage und, wenn wir unsere Sicherheit gewährleisten wollen, auch dafür die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen.
Clement: Ein Punkt, der die Soldaten natürlich sehr stark beschäftigt, ist die Frage, die Sie auch aufgegriffen haben im Koalitionsvertrag, einer besonderen Besoldung für die Soldaten. Wie müssen wir uns das vorstellen?
Jung: Ja, wir haben darüber gesprochen, dass man hier eine eigene Regelung für die Soldaten vorsieht, weil ja doch teilweise die Soldaten beispielsweise im Auslandseinsatz stehen - es gab ja auch einmal eine Überlegung, dass hier diese Zulagen gestrichen werden sollen, da haben wir uns allerdings schon in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Ich bin allerdings der Meinung, man kann es vielleicht an dem Bild ganz schön deutlich machen: Auf der einen Seite sind natürlich die Auslandszulagen beispielsweise für die Beamten in Brüssel und so weiter, die sind aber auf der gleichen Ebene wie letztlich die Soldaten im Auslandseinsatz in Afghanistan. Und ich sehe hier gewisse Unterschiede.
Und deshalb glaube ich, muss man auch hier, was die Situation der Soldaten anbelangt, zu anderen Regelungen kommen. Auch ist das eine Diskussion, die auch vom Bundeswehrverband ja geführt wird. Und deshalb haben wir vereinbart, dass es unsere Zielrichtung ist, hier für die Soldaten eine eigene Grundlage zu schaffen, um der besonderen Situation, der die Soldaten auch ausgesetzt sind, hier auch Rechnung tragen zu können.
Clement: Besondere Situation heißt?
Jung: Besondere Situation heißt gefährliche Auslandseinsätze im konkreten. Besondere Situation heißt aber auch, dass wir beispielsweise eine Struktur haben des einfachen und mittleren Dienstes von ca. 145.000 Soldatinnen und Soldaten und dass wir auch dort in der Struktur schauen müssen, sie sind mit erheblichen Belastungen verbunden für die Soldatinnen und Soldaten, auch wenn es um Versetzungen und andere Fragen geht, wo man beispielsweise sich völlig anders verhält als ansonsten im Beamtenverhältnis, und deshalb der besonderen Situation der Soldaten angemessen auch zu einer Regelung kommt.


