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Junge Revolutionäre werden alte Konservative

Daniel Morat, ein junger Historiker von der Universität Göttingen, analysiert in seiner Studie "Von der Tat zur Gelassenheit" Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Denken Vertreter des deutschen Konservatismus wie Ernst Jünger und Martin Heidegger. Er kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen und empfiehlt eine eine Re-Lektüre der einschlägigen Literatur.

    In der Einleitung zu seinem Buch zitiert der Autor den jüdischen Religionssoziologen Jacob Taubes: Irgendetwas verstehe er am Nationalsozialismus nicht, da er nicht begreifen könne, warum Heidegger und der Staatsrechtler Carl Schmitt von ihm überhaupt angezogen wurden. Daniel Morat ergänzt:

    "Das gilt allerdings genau so umgekehrt: Auch Heideggers oder Schmitts Denken bleibt unverstanden, wenn ihre Beteiligung am Nationalsozialismus nicht aus diesem heraus erklärt werden kann."

    Der Leser, der nach ebenso anstrengender wie anregender Lektüre das 600-Seiten-Werk aus der Hand legt, ist geneigt, solchen Betrachtungen eine Umkehrung der Perspektive hinzuzufügen. Pointiert gesagt: Es geht nicht darum, zu verstehen, warum die NSDAP für viele Vertreter der "Konservativen Revolution" so attraktiv war. Es gilt zu begreifen, dass in der Zeit der Weimarer Republik und vor allem in deren Schlussphase ein intellektuelles Klima aus Apokalyptik und Vernichtungsrhetorik, Freund-Feind-Denken und Gewaltbereitschaft seine Blüten trieb, das für die nationalsozialistische Bewegung äußerst attraktiv war und in Hitlers "Machtergreifung" seinen realpolitischen Ausdruck fand. Zahlreiche konservative Intellektuelle waren nicht nur passiv Verführte, sondern ideologische Wortführer einer von ihnen als Erlösung herbeigesehnten "nationalen Revolution". Kein Zweifel, dass Martin Heidegger und die Brüder Jünger für eine begrenzte Zeitspanne als Sturmspitzen dieser Strömung philosophiert, gedichtet und, zumindest partiell, politisch gehandelt haben.

    Daniel Morat sieht in dieser aktiven Beteiligung prominenter Autoren am Durchbruch des Nationalsozialismus "ein genuin intellektuellengeschichtliches Problem", dem er sich mit einer, wie er sagt, "denkbiographischen Methode" zu nähern sucht. Dabei geht es ihm um das Phänomen der Selbst-Konstruktion des intellektuellen Subjekts - als Strategie, die sich auch über extreme Veränderungen im politischen und sozialen Umfeld hinwegsetzt, um die eigene Identität zu behaupten.

    Neu ist in dieser Studie die Analyse des intellektuellen Austauschs im rechtskonservativen Milieu vor und nach 1933, neu ist vor allem die insistente Untersuchung einer Denkbewegung, die das Vermittlungsproblem zwischen "Geist" und "Tat" zunächst einseitig im Sinne der heroischen Aktion zu lösen hoffte, um im Verlauf von vier Jahrzehnten zu einer diametral entgegengesetzten Lösung zu gelangen, nämlich zu einer nicht minder einseitigen Option für den "Geist".

    "Von der Tat zur Gelassenheit": Der Titel, den Morat für sein Buch gewählt hat, scheint selbst Gelassenheit auszustrahlen, doch wer sich von ihr einspinnen lässt, wird von der List der "denkbiographischen" Methode eingeholt. Minutiös weist Morat nach, dass seine drei Kronzeugen - bei allen Windungen und Wendungen in den 30er Jahren - bis ans Ende ihres Lebens bemüht waren, ihre eigene Rolle im Sinne einer Wandlung vom Aktionismus zur welt- und zeitenthobenen Kontemplation umzudeuten, ohne dabei von den zentralen Inhalten ihres heroisch-apokalyptischen Denkens und ihren zutiefst demokratiefeindlichen Ressentiments Abschied zu nehmen.

    In der Weimarer Zeit hat sich vor allem Ernst Jünger, stets sekundiert von seinem Bruder Friedrich Georg, mit seinen Büchern über den Ersten Weltkrieg, mit Schriften wie "Die totale Mobilmachung", nicht zuletzt mit seinem Versuch, auf den "Stahlhelm", jenen reaktionären Kampfbund ehemaliger Kriegsteilnehmer, Einfluss zu nehmen, auf einen "Wettlauf der Tatbereitschaft" eingelassen. Seine vor 1933 ungebremste Parteinahme für die NSDAP ist historisch verbürgt. Morat jedoch eröffnet, gestützt auf die bekannten Dokumente wie auf zahlreiche bisher unbekannte Quellen aus dem Nachlass, ein neues Ermittlungsverfahren. Er rückt die intellektuellengeschichtliche Problematik in den Mittelpunkt: das Phänomen, dass ein forcierter Ästhetizismus der Gewalt, ein quasi-religiöser Glaube an das "tiefere Deutschland" und eine seltsame "affektive Leere" im Verhältnis zu sozialer und physischer Not keineswegs zufällig ein Aktionsbündnis mit dem Faschismus eingegangen sind.

    Dabei sind gewiss Wandlungen, aber eben keine Brüche zu konstatieren. Entwarf Ernst Jünger sein Buch "Der Arbeiter" 1932 noch als positive Utopie des technokratischen Machtstaats, so verurteilte er bald nach 1933 den NS-Staat als "Pöbelherrschaft", ja als Vollendung der von beiden Jünger-Brüdern so gehassten plebiszitären Demokratie. Seine Erzählung "Auf den Marmorklippen" von 1939 gilt als Widerstandsschrift, sie setzt aber auch den Gewaltkult aus den Kriegsbüchern fort und teilt mit der nationalsozialistischen Ästhetik - in den Worten Saul Friedländers - den "Kitsch der Apokalypse". Ein Abstecher an die Ostfront brachte Jünger mit den Massakern der SS und der Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Berührung: eine Erfahrung, die ihn jedoch nur die Technik des Vorbeisehens lehrte - "das angeekelte Wegsehen als höhere Schau der geschichtsphilosophischen Zusammenhänge", wie es Daniel Morat nennt. Es war eben diese angemaßte geschichtsphilosophische Warte, von der beide Jünger-Brüder nach 1945 die NS-Verbrechen mit der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten und die Hitlerdiktatur mit der Besatzungsherrschaft gleichsetzten - und die ihnen eingab, sich nach dem Ende aller Illusionen feierlich in einen "Turm des Schweigens" zurückzuziehen. Bis an sein Lebensende hat Ernst Jünger die Pose des von gleichgesinnten Paladinen bewachten "Dichter-Königs" kultiviert.

    Martin Heidegger, der sein Hauptwerk "Sein und Zeit" bereits 1927 publiziert und sich in den Jahren der Republik politisch zurückgehalten hatte, stand 1933 bereit, um als NSDAP-Mitglied und Rektor der Universität Freiburg unter der agitatorischen Formel "Arbeitsdienst, Wehrdienst, Wissensdienst!" die deutschen Hochschulen auf den neuen Staat und den "Führer" einzuschwören. Doch schon bald äußerte er seine Besorgnis über den "Liberalismus", die "Harmlosigkeit" und "Biederkeit" der nationalsozialistischen Bewegung. Sein Rückzug aus dem politischen Engagement resultierte, wie es Jürgen Habermas ausdrückte, aus "uneinsichtiger Enttäuschungsverarbeitung", die Heidegger verleitete, zwischen der heroischen Idee und der mediokren Wirklichkeit des NS-Staats, zwischen dem "deutschen Wesen" und dem Nationalsozialismus zu unterscheiden. Nach dem Krieg verurteilte er, ähnlich wie die Brüder Jünger, die bürgerliche Demokratie, Faschismus, Bolschewismus und "Amerikanismus" gleichermaßen als Folgen einer nihilistischen "Seinsverlassenheit", deren weltgeschichtliche Überwindung nur vom deutschen Wesen zu erhoffen sei. Die späte "Gelassenheit" der einstigen Tat-Denker, so Daniel Morat, dürfe nicht mit einer Liberalisierung oder gar Demokratisierung verwechselt werden.

    "Die Suche nach den Ursachen für die Gewaltgeschichte der totalitären Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges in einer allgemeinen 'Seinsverlassenheit' vermied gezielt die Frage nach politischer und moralischer Verantwortung, ja machte diese Frage von vorneherein unmöglich. In dieser denkbiographisch motivierten und philosophisch überhöhten Schuldvermeidung bestand das intellektuelle Angebot Heideggers und der Brüder Jünger für die stille Rehabilitierung der deutschen Tätergesellschaft nach 1945."

    Morats Analysen der Nachkriegsdiskurse, der keineswegs widerspruchsfreien Auseinandersetzungen Heideggers mit Karl Jaspers, der Brüder Jünger mit dem Nationalkommunisten Ernst Niekisch, mit Carl Schmitt und dem Neokonservativen Armin Mohler runden das Werk ab zu einer fundierten Geschichte des konservativen Denkens in Deutschland von 1920 bis in die Konsolidierungsphase der Demokratie in der Bundesrepublik.

    Klaus Kreimeier über Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920-1960. Der Band ist im Göttinger Wallstein Verlag erschienen. Er umfasst 592 Seiten und kostet 48 Euro.