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Junger Tennisstar Gauff
"Nenn mich Coco"

Die 15-jährige Amerikanerin Cori "Coco" Gauff marschiert bei den US Open weiter in Riesenschritten in die Weltklasse. Nach dem überraschenden Erfolg in Wimbledon wurde sie mit ihren Siegen in Flushing Meadows in dieser Woche zum großen Publikumsmagneten.

Von Jürgen Kalwa | 31.08.2019
Coco Gauff verzieht bei einem Rückhandschlag das Gesicht
Coco Gauff während ihres Spiels gegen Timea Babos (Lev Radin/ imago images / Pacific Press Agency)
Donnerstagabend auf dem Louis Armstrong Court in Flushing Meadows. Matchball in einem Duell, das drei Sätze und zwei Stunden und 22 Minuten gedauert hat, ist das amerikanische Publikum begeistert. Denn nach ihrem dramatischen Sieg in der ersten Runde hatte Cori Gauff mit der Ungarin Timea Babos die nächste Gegnerin aus dem Weg geräumt.
"Die Geschichte geht weiter", feierte der Fernsehsprecher den Erfolg, der einem ansonsten eher schlagzeilenarmen Tennissommer einen wuchtigen Stempel aufdrückt.
Denn eine 15-jährige, die Konkurrentinnen abserviert, die weit vor ihr in der Weltrangliste geführt werden - wann hatte es das zum letzten Mal gegeben? Und wann wurde ein derart junges Talent zum letzten Mal so gefeiert? Nicht nur vom Publikum, sondern von der werbetreibenden Industrie?
Die zahlt bereits eine Million Dollar im Jahr, wie man hört. An der Spitze der Sponsoren: ein amerikanischer Schuhhersteller und Sportausrüster, der sie vor einem Jahr unter Vertrag nahm. Und der rechtzeitig vor den US Open eine Kampagne mit einer griffigen Zeile startete. Das Ziel: das Ausnahmetalent zu einer Marke zu machen.
Coco Gauff bei einer Pressekonferenz bei den US Open
Coco Gauff bei den US Open (imago images / ZUMA Press)
Im Werbespot heißt es: "Call me what you want, but win or lose, just call me Coco." Coco ist ihr Spitzname. Sie – die Tochter sportlich begabter und ziemlich ehrgeiziger Eltern – und selbstbewusst genug, um bereits mit zwölf zu erklären: "Ich werde nicht die nächste Serena Williams. Ich werden die erste Coco Gauff sein."
Die sehr viel ältere Konkurrenz sah sich in diesem Jahr erstmals gezwungen, Notiz von ihr zu nehmen. Sei es eher missmutig, wie Venus Williams, die in Wimbledon gegen Coco in der ersten Runde rausflog. Williams sagte:
"Sie hat heute alles richtig gemacht. Viel besser als ich. Hat gut aufgeschlagen, sich gut bewegt. Für sie ein tolles Spiel."
Venus leicht verschwomme im Hintergrund und Serena geht im Vordergrund vorbei. 
Venus und Serena Williams - Topspielerinnen in fortgeschrittenem Alter (imago)
Oder interessiert wie Naomi Osaka in dieser Woche in der Umkleidekabine der US Open:
"Sie kam mir bekannt vor. Also habe ich mich mit ihr unterhalten. Sie ist extrem jung. Ich weiß, wie schwierig es ist, in dem Alter zu den Profis zu wechseln. Ich wünschte, sie käme ein wenig aus ihrem Schneckenhaus heraus."
Die Tennisspielerin Naomi Osaka bei den  Australian Open 2019.
Die Tennisspielerin Naomi Osaka gewinnt die Australian Open 2019. (imago sportfotodienst)
Da wusste die Weltranglistenerste aus Japan noch nicht, dass sich beide am Samstagabend in der dritten Runde erneut begegnen würden. Diesmal auf dem Centre Court und unter den Augen von Millionen. Denn: Gauff sorgt für Einschaltquoten.
Das Match gegen Osaka zur Prime Time wird das Phänomen weiter anheizen. Gut für eine Sportart, die mal wieder eine Frischzellenkur gebrauchen könnte. Die Aushängeschilder der Branche gehen stramm auf die 40 zu.
Die Auseinandersetzung wird einen Gradmesser abliefern, welchen Leistungsstand Gauff mit ihrem Schlagrepertoire und ihren Sprinterqualitäten inzwischen erreicht hat. An Willenskraft mangelt es nicht. Gauff sagt:
"Mein Traum ist, irgendwann die größte Spielerin aller Zeiten zu werden. Mein Vater hat mir schon als kleines Mädchen immer gesagt, dass ich mit dem Schläger die Welt verändern kann. Ich hoffe, das klappt."
Viele Negativbeispiele
Allerdings: Solche Hoffnungen hegten schon viele. Und so kam auf jede Steffi Graf und jede Martina Hingis mindestens eine Anna Kurnikowa und eine Madison Keys. Nicht zu vergessen eine gewisse Jennifer Capriati, bis heute das Musterbeispiel einer Karriere voller Rückschläge und Enttäuschungen bis hin zu Problemen mit den Eltern und der Polizei.
Spielerinnen wie Capriati waren übrigens dafür verantwortlich, dass die für das Profitennis der Frauen verantwortliche Women’s Tennis Association, kurz WTA, irgendwann eine Altersregelung einführte. Sie sollte verhindern, dass junge und von geldhungrigen Eltern unter Druck gesetzte Spielerinnen schon früh in der Leistungsmühle verschlissen werden. Der Mechanismus: Minderjährige dürfen nur eine beschränkte Anzahl an Turnieren pro Jahr bestreiten. Mit 15 sind es maximal zwölf.
Nun hat der Erfolg von Coco Gauff erstmals eine ernsthafte Debatte über den Sinn der Bestimmungen losgetreten. In Wimbledon ließ Roger Federer durchblicken, dass er hinter den Kulissen die WTA bereits gebeten hat, ihre Regeln zu lockern. Kurioserweise sind Gauff und er bei derselben Managementfirma unter Vertrag. Mitbesitzer? Roger Federer.
"Nicht jeder hat die beste Zeit seiner Karriere zwischen 20 und 30. Für manche liegt diese Phase zwischen 14 und 20. Aber deren Möglichkeiten werden eingeschränkt. Wir hatten Probleme mit den Eltern. Aber sie könnten ein System einführen, in dem Mentoren eine Rolle spielen."
Der Schweizer Tennisprofi Roger Federer
Der Schweizer Tennisprofi Roger Federer (Imago)
Auch jemand wie Lindsay Davenport sieht Handlungsbedarf. Die Amerikanerin musste sich einst als Weltranglistenerste einer ganzen Phalanx an aufstrebenden Talenten erwehren:
"Martina Hingis hatte mit 15 ihr bestes Jahr. Sie gewann damals drei Grand-Slam-Turniere." Davenports wichtigstes Argument:
"Wenn man die Teilnahme an Turnieren begrenzt, wird der Druck nur größer. Coco kann ja woanders gar nicht spielen. Als Junior hat sie alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wir haben August. Sie kann bis März maximal an drei weiteren Turnieren teilnehmen."
Lindsay Davenport, ehemalige Tennisspielerin
Lindsay Davenport, ehemalige Tennisspielerin (imago sportfotodienst)
Ein Effekt? Wer nicht viel spielt, kann sich kein vernünftiges Ranking erarbeiten. Das jedoch ist notwendig, um sich etwa die Teilnahme an lukrativen Grand-Slam-Turnieren zu sichern.
Das Hauptfeld in Wimbledon erreichte Gauff deshalb nur über den anstrengenden Weg der Qualifikation. Auch für die US Open hatte sie auf dem 140. Platz der Weltrangliste theoretisch keinen Anspruch auf Teilnahme. Aber die Veranstalter gaben ihr eine sogenannte Wild Card. Die Kalkulation war klar. Coco ist eine Publikumsattraktion. Die US Open sind wieder in aller Munde.