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Junges Theater in Hamburg

Hamburg hat einen hohen Ausländeranteil und mit Produktionen aus der Erlebniswelt der Jugendlichen leistet das Junge Schauspielhaus seinen Beitrag zur Integration. Eines ist sicher: Mit der Jugendsparte identifizieren die Hamburger sich zurzeit viel stärker als mit dem Großen Haus.

Von Elske Brault |
    "Wer nur einen Tag zu leben hat, der braucht das Ganze Glück in 24 Stunden."

    Den Sinn von Leben und Sterben verhandelt das Kinderstück "Nur ein Tag" anhand einer Eintagsfliege. Die Kinder lachen über die prustende, summende Fliegendarstellerin mit ihren bunt schillernden Rockschößen, die Erwachsenen kommen ins Nachdenken: Muss man den bevorstehenden Tod verdrängen, um das Leben genießen zu können, so wie Fuchs und Wildschwein der Eintagsfliege ihr Schicksal zu verheimlichen suchen? Das Team des Jungen Schauspielhauses sucht Autor oder Regisseur nicht nach Bekanntheitsgrad aus, sondern will Geschichten erzählen, die Menschen aller Altersgruppen berühren. Und dabei sind Kostüme, Bühnenbild, extra angefertigte Tonschleifen oder Videos stets auf höchstem Niveau.

    "Was hier gemacht wird, ist Kunst und keine Pädagogik. Das sind hochkarätige Schauspieler, darauf lege ich großen Wert, und das zahlt sich total aus."

    Klaus Schumacher, Leiter des Jungen Schauspielhauses, ist für seine eigenen Inszenierungen mit dem Theaterpreis "FAUST" als bester Kinder- und Jugendregisseur ausgezeichnet worden – und längst auch im Großen Haus erfolgreich. Nur ein Beispiel für seine herausragende Arbeit ist Lutz Hübners "Ehrensache", seit drei Jahren ein ständig ausverkaufter Renner: Der Plot beruht auf einer wahren Geschichte. Ein junger Türke hat ein Mädchen erstochen, weil es ihn seiner Meinung nach in seiner Ehre gekränkt hat. Das traditionelle patriarchalische Geschlechterbild prallt auf die deutsche Emanzipation. Das sorgt beim Publikum im Anschluss stets für erhitzte Diskussionen. Und das Schauspielhaus kann das Stück gar nicht so oft spielen, wie Karten verlangt werden, sagt Klaus Schumacher:

    "Speziell auch bei Schulen, die immer mehr entdecken, dass dieser Erfahrungsraum Theater etwas bringt, was Schule nicht leisten kann. Nämlich dass das wie ein Probeleben ist, dem sie da zuschauen können. Sie können sich mit Figuren identifizieren, die genau ihre Probleme besprechen. Und das ist wahnsinnig wertvoll in bildungspolitischer Hinsicht auch."

    O-Ton "Polenta": "Hier ist jedes Land im Ausland. Der Zirkus ist immer im Ausland. Im Wohnwagen ist das Zuhause. Ich öffne die Tür des Wohnwagens so wenig wie möglich, damit mein Zuhause nicht verdampft."

    Hamburg ist die Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil in Deutschland, und mit Produktionen wie "Warum das Kind in der Polenta kocht", einer Bühnenversion von Aglaja Veteranyis Bestsellerroman, leistet das Junge Schauspielhaus seinen Beitrag zur Integration. Das Stück spielt in einem ausrangierten Bus: Der lässt einerseits den Zuschauer hautnah die Unbehaustheit der Hauptfigur spüren, andererseits kann er in jeden Stadtteil fahren. Dorthin, wo junge Menschen nie ins Theater gehen, sondern im Fernsehen "Deutschland sucht den Superstar" schauen. Der Monolog im Bus ist so intim und eindringlich, dass er sein Publikum überall faszinieren wird:

    "Pepita wollte, dass ich nackt auftrete. Aber weil ich noch zu jung dafür bin, klebe ich mir ein behaartes Dreieck zwischen die Beine. Sieht aus wie echt, und ich habe ein angezogenes Gefühl dabei. Mary Mistral, der große Star des Varietés, die zeigt ihre echten Schamhaare. Aber bei mir klatschen die Leute mehr, weil ich viel jünger bin."

    Der Bus weist allerdings zugleich auf ein Problem hin: Das Junge Schauspielhaus hat keine eigene Spielstätte. Der von seinem Posten zurückgetretene Intendant Friedrich Schirmer hatte nicht nur etwa drei Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt, sondern auch die Kleine Bühne für 150 Zuschauer, den Malersaal:

    "Seien wir ehrlich, dieser Raum fehlte Schirmer auch ein bisschen, um künstlerisches Profil hier weiterzuentwickeln und eine Forschungsstätte zu haben, weil das braucht jedes Haus im Grunde."

    Daher lautet Klaus Schumachers Forderung an einen künftigen Intendanten, dem Jungen Schauspielhaus zwei eigene Bühnen einzurichten. Eines ist sicher: Mit der Jugendsparte identifizieren die Hamburger sich zurzeit viel stärker als mit dem Großen Haus:

    "Weil wir scheinbar Geschichten erzählen, die viel mit ihnen zu tun haben, egal welchen Alters sie sind. Es gibt Fans vom Jungen Schauspielhaus, die sind um die 60. Die kommen zu jeder Inszenierung und sagen, das ist mein Theater im Moment."

    Infos:

    Utopia - Zukunftsreihe am Jungen Schauspielhaus Hamburg