Archiv


Jungstar wieder im Osten

Die letzte Produktion des Dresdner Theaters in der Fabrik ist, wie so viele Inszenierungen an diesem Ort, eine Uraufführung. Sie ist ein Endspiel voller Sehnsucht, zugleich aber auch eine Komödie über die Vergänglichkeit. "Anrufung des Herrn" von Martin Heckmanns führt vier sehnsüchtige Personen auf die Bühne. Die vier haben Sehnsucht nach Spiegelung, nach Reflexion und Resonanz. Und da sie Schauspieler sind, wenden sie sich erst einmal direkt ans Publikum. In einer Reihe vor der niedrigen Bühne stehen sie, wechseln nervös oder bewußt zwischen Stand- und Spielbein, zwischen Anrede und Verabredung. Die realen Vornamen der Spieler sind auch ihre Rollennamen. Und los geht es mit Erfahrungsfetzen und realen Fakten: das Gemeinwesen aus vier Personen stellt sich vor. In geordneter Unordnung und sprachspielerischem Sinnsucher-Wirrwarr.

Von Hartmut Krug |
    Nicht allein das Publikum ist in diesem Stück der Herr, der als Gesprächspartner oder Sinnerklärer angerufen wird. Indem aus diesen vier wie aus Sprachrohren eine assoziative Sprachcollage quillt, werden Selbstgespräche zu Gesprächen mit den jeweils anderen drei. Daraus entstehen Ansprachen an oder Monologe für das Publikum, und bei dieser Suche nach dem eigenen Verhältnis zur Vergänglichkeit werden Fragen an eine nicht deutlich benannte überirdische Institution gestellt. Der Herr kann vieles sein. Das Stück aber ist vor allem Sinn zergliedernde Sprachmusik. Es wird chorisch gesprochen, es wird ironisch und schön gesungen, es werden Monologe gegeneinander gewandt oder ineinander verschränkt, man spricht isoliert für sich oder mit und gegen den anderen. Alles ist möglich und das meiste scheint Spiel. Sprach-, Wort- und Bedeutungsspiel. Ein Wort verhakt sich im anderen, Haltungen bewegen sich hin und her und die Bedeutungen bleiben oft offen. Da hier vier Schauspieler vier Schauspieler spielen, springt man gelegentlich auch aus der Rolle, man tut so, als rede man miteinander wie auf der Probe. Diese Spielebene beherrschen die vier Darsteller aber noch nicht souverän genug, das wirkt zuweilen noch flattrig hilflos statt beiläufig souverän. Sonst aber wird mit dem Text munter gespielt.

    Sechs Jahre lang hat Theaterleiterin Eva-Johanna Heldrich im Fabrikhinterhof eines verkommenen Dresdener Industrieviertels junges, modernes Theater gemacht. Vorn die Fladenbäckerei, hinten im 1.Stock der niedrige, von Säulen durchsetzte Spielraum des Tif, des Theaters in der Fabrik. Der ehemalige Intendant Dieter Görne installierte die Außenstelle seines Staatsschauspiels als von den Machern selbst bestimmten Freiraum. Man gehörte zum Staatstheater, bekam sein Geld von ihm, und machte, was man das junge Publikum und man selbst wollte. Ein Modell wie einst die Baracke des Deutschen Theaters in Berlin. Während dort aber mit Thomas Ostermeier ein Regisseur dominierte, wurde in Dresden Vielfalt gepflegt. Das Tif hielt den Ruf des Dresdner Theaters überregional im Gespräch. Nun will, während Eva-Johanna Heldrich in die neue Leitung des Stuttgarter Schauspiels wechselt, Dresden derzeitiger Intendant Holk Freytag vom selbst bestimmten Tif nichts mehr wissen. Ob das klug ist, nun auch das junge, experimentelle Theater unter die Entscheidungsfittiche des Intendanten zu nehmen, darf bezweifelt werden.

    Ein fulminanter Abschied ist dem Tif-Team mit Martin Heckmanns Spielanleitung aber leider nicht gelungen. Trotz aller Munterkeit, vor allem der beiden Frauen Verena Unbehaun und Antonia Holfelder, die ihre beiden Mitspieler Holger Friedrich und Joran Löwenberg mit Spielwitz und Rollendistanz etwas in den Hintergrund spielen, trotz der szenischen Variationen, mit denen die Texte hin und her gewendet und wild durcheinander collagiert werden, obwohl also der durchaus einfallsreiche Regisseur Patrick Wengenroth beachtliches unternimmt, um diesen heftig hin und her mäandernden "Szenen zum Abschied", wie das Stück im Untertitel heißt, szenischen Witz und theatralischen Schwung zu geben, bleibt der Abend ein wenig behäbig. Dabei gibt es manches zu erleben: es wird vor, hinter und durch den Vorhang hindurch gespielt, Pantomime, Puppen- und Maskenspiel werden aufgeboten, und die ironische Distanz zur eigenen Rolle wird immer wieder ausgestellt. Da redet ein Mann im Frack mit dem kurzberockten Vamp, und die Figuren verdeutlichen ihren Glauben an die Möglichkeit, sich mit zu teilen, mit schnellem Suchwort und ausufernder Illustrationsgestik.

    Immer wieder posiert da aber auch jemand mit dem hilflosen Eingeständnis: "Ich bin ein nichts". Trotzdem sucht man weiter. Man sucht nicht nur bei sich, sondern ruft auch den anderen an. Da verbrennen auch mal zwei in der Berührung miteinander buchstäblich, oder ein Mann verbiegt sich bei der Selbstsuche im Spagat und jubelt voller Freude "das bin ich". Was oder wer sie sind, das erfahren die vier eigentlich bis zum Schluß nicht richtig. Wir Zuschauer auch nicht. Aber es bringt durchaus einigen Spaß, den vier bei ihrer Suche zuzuhören und zuzusehen. Wenn die Schauspieler sich noch mehr Lockerheit angespielt haben werden, dann kann Martin Heckmanns "Anrufung des Herrn" noch ein wirklich schöner Theaterabend werden.