Sechs Jahre lang hat Theaterleiterin Eva-Johanna Heldrich im Fabrikhinterhof eines verkommenen Dresdener Industrieviertels junges, modernes Theater gemacht. Vorn die Fladenbäckerei, hinten im 1.Stock der niedrige, von Säulen durchsetzte Spielraum des Tif, des Theaters in der Fabrik. Der ehemalige Intendant Dieter Görne installierte die Außenstelle seines Staatsschauspiels als von den Machern selbst bestimmten Freiraum. Man gehörte zum Staatstheater, bekam sein Geld von ihm, und machte, was man das junge Publikum und man selbst wollte. Ein Modell wie einst die Baracke des Deutschen Theaters in Berlin. Während dort aber mit Thomas Ostermeier ein Regisseur dominierte, wurde in Dresden Vielfalt gepflegt. Das Tif hielt den Ruf des Dresdner Theaters überregional im Gespräch. Nun will, während Eva-Johanna Heldrich in die neue Leitung des Stuttgarter Schauspiels wechselt, Dresden derzeitiger Intendant Holk Freytag vom selbst bestimmten Tif nichts mehr wissen. Ob das klug ist, nun auch das junge, experimentelle Theater unter die Entscheidungsfittiche des Intendanten zu nehmen, darf bezweifelt werden.
Ein fulminanter Abschied ist dem Tif-Team mit Martin Heckmanns Spielanleitung aber leider nicht gelungen. Trotz aller Munterkeit, vor allem der beiden Frauen Verena Unbehaun und Antonia Holfelder, die ihre beiden Mitspieler Holger Friedrich und Joran Löwenberg mit Spielwitz und Rollendistanz etwas in den Hintergrund spielen, trotz der szenischen Variationen, mit denen die Texte hin und her gewendet und wild durcheinander collagiert werden, obwohl also der durchaus einfallsreiche Regisseur Patrick Wengenroth beachtliches unternimmt, um diesen heftig hin und her mäandernden "Szenen zum Abschied", wie das Stück im Untertitel heißt, szenischen Witz und theatralischen Schwung zu geben, bleibt der Abend ein wenig behäbig. Dabei gibt es manches zu erleben: es wird vor, hinter und durch den Vorhang hindurch gespielt, Pantomime, Puppen- und Maskenspiel werden aufgeboten, und die ironische Distanz zur eigenen Rolle wird immer wieder ausgestellt. Da redet ein Mann im Frack mit dem kurzberockten Vamp, und die Figuren verdeutlichen ihren Glauben an die Möglichkeit, sich mit zu teilen, mit schnellem Suchwort und ausufernder Illustrationsgestik.
Immer wieder posiert da aber auch jemand mit dem hilflosen Eingeständnis: "Ich bin ein nichts". Trotzdem sucht man weiter. Man sucht nicht nur bei sich, sondern ruft auch den anderen an. Da verbrennen auch mal zwei in der Berührung miteinander buchstäblich, oder ein Mann verbiegt sich bei der Selbstsuche im Spagat und jubelt voller Freude "das bin ich". Was oder wer sie sind, das erfahren die vier eigentlich bis zum Schluß nicht richtig. Wir Zuschauer auch nicht. Aber es bringt durchaus einigen Spaß, den vier bei ihrer Suche zuzuhören und zuzusehen. Wenn die Schauspieler sich noch mehr Lockerheit angespielt haben werden, dann kann Martin Heckmanns "Anrufung des Herrn" noch ein wirklich schöner Theaterabend werden.